Sichtbarkeit 05.02.2018, 11:07 Uhr

Display Ads: Debatte um Viewability

Nach wie vor ist ein Grossteil der gebuchten und bezahlten Display Ads gar nicht zu sehen. Lange schien die Branche das hinzunehmen. Jetzt findet ein Umdenken statt.
(Quelle: shutterstock.com/Sylvie Bouchard)
Es ist eine Hiobsbotschaft. Im vierten Quartal des Jahres 2017 ist die Viewability der Display-Werbung in Deutschland wieder gesunken. Mit 55 Prozent erreicht die Sichtbarkeitsrate einen historischen Tiefstand, belegt der "Viewability Benchmark", den der AdVerification-Spezialist Meetrics regelmässig herausgibt.
Denn: 55 Prozent Sichtbarkeit bedeuten, dass ganz offensichtlich 45 Prozent der ausgelieferten Werbemittel vom User nicht gesehen werden. Oder richtiger: Überhaupt keine Chance haben, gesehen zu werden, weil sie gar nicht auf seinem Screen auftauchen. Das kann mehrere Ursachen haben. Im schlimmsten Fall wird das Werbemittel an irgendeine Seite ausgeliefert, die kein Mensch beachtet und deshalb niemand aufruft. Es kann aber auch schlicht daran liegen, dass sich die Anzeige aus technischen Gründen zu langsam aufbaut oder aber der User gar nicht bis zu der Stelle scrollt, wo sie platziert ist. Tatsächlich bestehen also zahlreiche Variablen, die eine Online-Kampagne zu einem Vabanque-Spiel machen können. Denn bezahlt wird, was ausgeliefert wird.

Sichtbarkeit spielt im Daily Business keine Rolle

Schon länger wird in der Branche deshalb über die sogenannte Viewability von Kampagnen diskutiert. Arne Kirchem, der Mediachef von Unilever, äusserte erst kürzlich seinen Unmut über diese Zustände. In einem Interview mit der Fachzeitschrift "Horizont" sagte er: "Stellen Sie sich den Ärger vor, wenn unsere Shampoo-Flaschen nur zu 60 Prozent gefüllt wären. Oder wenn wir unseren Handelspartnern sagen würden: Geht mal mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon aus, dass bei der nächsten Lieferung 40 Prozent der Kartons leer sind."
Ein in der Handelswelt eher unvorstellbares Szenario, doch in der digitalen Mediaplanung Realität. "Ausgelieferte Kontakte werden abgerechnet, egal ob sie sichtbar waren oder nicht", bemängelt Bastian Lesser, Head of Digital Investments bei Group M Deutschland. "Die Sichtbarkeit spielt im digitalen Abrechnungsalltag so gut wie gar keine Rolle."
Woran liegt dieser Wahnwitz? Warum hat sich eine ganze Branche mit der Tatsache abgefunden, so gut wie jedes zweite Banner zu bezahlen, obwohl es gar niemand sehen konnte?

Auch Performance-Kampagnen müssen sichtbar sein

Ein Erklärungsansatz ist, dass bislang überwiegend andere Kriterien als die Sichtbarkeit als Masseinheit herangezogen werden. In der streng auf Performance gebürsteten digitalen Werbewelt gelten eher Klicks, Downloads, generierte Leads oder Sales als harte Währung. Abgerechnet wird nach dem Tausend-Kontakt-Preis (TKP), der wiederum als Bemessungsgrundlage die Ad Impression heranzieht. Dabei ist es für alle Beteiligten im Grunde zweitrangig, ob und wie lange die Ad Impression tatsächlich sichtbar war. Hauptsache, am Ende stimmte das Ergebnis. "Die Ad Impression war lange Zeit das Mass aller Dinge", erklärt Björn Kaspring, Vorsitzender der Fokusgruppe Digital Marketing Quality im Branchenverband BVDW. "Sie ist eindeutig definiert und bietet damit die grösstmögliche Validität als Abrechnungsgrösse."
Das ändert sich jetzt. Vor allem Markenartikler, die im Internet mit Brandingkampagnen arbeiten, protestieren gegen diese Sichtweise. Ihnen geht es nicht um die Anzahl der generierten Klicks, sondern um die Aufmerksamkeit, die man ihren Display Ads schenkt. Und dafür ist der Faktor Sichtbarkeit elementar. Sie plädieren deshalb dafür, die Viewability als Basis zur Abrechnung von Kampagnen heranzuziehen, das sei schliesslich die härteste Währung. "Auch Performance-Kampagnen wirken nur, wenn sie sichtbar sind", argumentiert Bastian Lesser von der Group M. "Ich kann auf kein Banner klicken, das ich nicht gesehen habe." Viewability, bestätigt auch Oliver Hülse von Integral Ad Science, sei für alle digitalen Marketing-Kampagnen relevant.

Ab wann gilt eine Ad als sichtbar?

Der Digitalverband BVDW hat auf diesen wachsenden Druck reagiert. Mit seiner Fokusgruppe arbeitetet er daran, das Thema Viewability aufzuwerten. Dazu zählt erst einmal, genau zu definieren, wann ­eine Display Ad als sichtbar gilt. Dabei folgt der BVDW der Empfehlung des Interna­tio­nal Advertising Bureau. Das IAB spricht von einer "Viewable Ad Impression", wenn diese mit mindestens 50 Prozent ihrer Fläche für mindestens ­eine Sekunde im sichtbaren Bereich des Users war. Entsprechend ist vom 50/1-Standard die Rede.
Doch wie so oft steckt der Teufel im Detail. Was ist, wenn der User nur ganz kurz die Ad sieht, dann weiterscrollt, aber wieder zurückkommt? Wird die Zeit dann aufaddiert? Was, wenn er die Anzeige mehrmals gesehen hat, aber immer nur einen Teil davon? Werden die Pixel der Fläche zusammengezählt? Und wer ist überhaupt in der Lage, die Sichtbarkeit einer Anzeige zu messen?

Viewable Ad Impressions kosten Aufpreis

In den nächsten Monaten will der BVDW eine Art Zertifizierung einführen. Technische Dienstleister sollen überprüft werden, ob sie in der Lage sind, verlässlich Daten zur Viewability liefern zu können. Parallel dazu setzt der Verband auf die Aufklärung seiner Mitglieder. Den Auftakt bildet am 1. März in Hamburg der DMQ Backgroundtalk. "Die Viewability von Online-Kampagnen bleibt mit Sicherheit eines der grossen Themen in diesem Jahr", sagt Philipp von Hilgers, Stellvertretender Vorsitzender der Fokusgruppe.
Das Thema ist auch deswegen heiss, weil immer mehr Vermarkter ihren Kunden inzwischen die Buchung von Viewable Ad Impressions anbieten - allerdings gegen Aufpreis. Seit diesem Jahr führt beispielsweise auch der Vermarkter Seven One Media für grossflächige In-Page Ads (Billboards, Halfpage Ads, Sitebar, Interstitial, Understitial) den Viewability-Standard 50:1 in seiner Preisliste auf. Wer will, kann also ab sofort mit dem "Visible" TKP planen und muss nur noch die Ad Impressions bezahlen, die auch sichtbar waren. Gratis gibt es diese Qualitätssicherung allerdings nicht. Der Zuschlag für diese Offerte liegt bei rund 20 Prozent. 

On-Screen-Zeit sagt wenig über die Werbewirkung

Die Agenturen der GroupM gehen sogar noch einen Schritt weiter. Für den Display-Bereich führte die weltweit grösste Media-Agentur-Gruppe in Deutschland im Oktober bereits den 100/1-Standard ein. Für die GroupM besitze Werbung, die nicht gesehen werden könne, keinen Wert. Entsprechend werde eine Ad erst dann als gesehen gewertet, wenn sie mindestens eine Sekunde zu 100 Prozent im sichtbaren Bereich auftaucht. Rund 20 Vermarkter unterstützen diesen Vorstoss und bieten seitdem optional auch den Viewable Tausend-Kontakt-Preis an.
Die GroupM arbeitet hier eng mit dem Dienstleister Meetrics zusammen, der sich auf Ad Verification spezialisiert hat. Meetrics ist es kürzlich auch gelungen, mit Face­book eine Kooperation zu vereinbaren. Werbekunden können seitdem auch auf Facebook prüfen, ob ihre Ads sichtbar waren. Das kann als grosser Schritt gelten, denn Facebook verwahrt sich dagegen, die Viewability von Kampagnen überzubewerten, und spricht schon mal von der "Fabel" der Sichtbarkeit. Erst im Dezember schrieb Torsten Müller-Klockmann, Marketing Science Lead DACH Facebook: Eine lange On-Screen-Zeit sei nicht damit gleichzusetzen, dass eine Anzeige auch tatsächlich angesehen werde. Auch beim Fernsehen wisse man schliesslich nicht, ob die Zuschauer den Werbespot beachten oder etwas völlig anderes machen.
Diese Argumentation ist richtig und falsch zugleich. Sicher ist, dass viele Menschen dem TV-Werbeblock kaum Beachtung schenken. Tatsache ist aber auch, dass die Spots zumindest sichtbar waren. Viele Display Ads sind dies dagegen nicht.




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