Kampf zwischen Giganten 09.07.2018, 13:10 Uhr

Amazon und Google lassen die Muskeln spielen

Google und Amazon liegen in ihren Kerngeschäften vorn. Das hindert sie nicht daran, nach den Marktanteilen des anderen zu greifen - in allen möglichen Feldern.
(Quelle: Shutterstock.com/Chaiyapruek Youprasert)
Heute ist "googeln" das Synonym für die Suche nach Antworten, der Begriff ist sogar im Duden aufgeführt. Das Amazon-Logo hingegen lächelt uns auf unzähligen Paketsendungen entgegen und Alexa erfüllt fast jeden Wunsch, den wir ihr aussprechen. So werden die Global Player Google und Amazon von den meisten Konsumenten wahrgenommen. Jeder der beiden Internet-Giganten steht für eine eigene Branche und nimmt in dieser eine Monopolstellung ein. Doch wer glaubt, die Konzerne würden sich mit ihrer Konkurrenzlosigkeit in der jeweiligen Sparte zufriedengeben und dort in Ruhe weiterwachsen, täuscht sich gewaltig. Längst reicht Google und Amazon der eigene Raum nicht mehr aus. Um ihre Geschäfte optimieren und erweitern zu können, gehen die Unternehmen neue Wege, überschreiten dabei die Grenzen bisheriger Aktivitäten und stehen ­immer häufiger in direkter Konkurrenz zueinander. Dabei legen die Internet-Konzerne harte Bandagen an, der Kampf der Giganten findet an mehreren Fronten gleichzeitig statt. Ein spannendes Duell, das so vor wenigen Jahren nicht zu erahnen gewesen wäre. Denn als das World Wide Web Mitte der 1990er erste Formen annahm, wurde an zwei Orten in den USA nahezu zeitgleich an zwei komplett verschiedenen Ideen ­getüftelt.

Auf bescheidene Anfänge folgen riesige Schritte

Während Larry Page und Sergey Brin die Suche im World Wide Web revolutionieren wollten, brachte Jeff Bezos den Buchhandel ins Internet. Für die Namensgebung der heutigen Konzerne waren ihre Schöpfer allerdings nicht verantwortlich. Als Page und Brin endlich ­einen Investor für ihre Suchmaschine "Backrub" (wörtlich übersetzt: Rückenmassage) fanden, stellte dieser der Legende nach  einen Scheck versehentlich auf eine Google Inc. aus, die es gar nicht gab. Um an das Startkapital von 100.000 US-Dollar zu kommen, gründeten die beiden Informatiker kurzerhand das Unternehmen, das mit über 300 Milliarden US-Dollar heute die wertvollste Marke der Welt ist. Bezos hingegen hatte zu Beginn seiner Karriere ­einige gute Freunde, die ihm von "Relentless" als Namen für seine geplante Plattform abrieten. Die deutsche Übersetzung "unerbittlich" würde heute zwar ganz gut passen, doch Bezos wählte den Namen Amazon. Aus dem innovativen Online-Buchhandel wurde die weltweit grösste Handelsplattform, mit einem Jahres­umsatz von zuletzt fast 180 Milliarden ­US-Dollar.
Beide Unternehmen sind seit rund 20 Jahren nicht nur ihrem Namen treu geblieben, auch im Kerngeschäft behielten sie die Ausrichtung vom ersten Tag an bei. Google ist die wichtigste Suchmaschine der Welt geworden und bestimmt seit Jahren massgeblich die Entwicklung des Internets mit. Da jeder Anbieter im Web gefunden werden und sich von seiner Konkurrenz abheben will, kommt auch keiner an den Regeln von Google vorbei. Das beste Beispiel ­dafür ist der Mobile First Index, der seit wenigen Monaten alle Seitenbetreiber zur Mobil-Optimierung zwingt. Diese Kontrolle über den Zugriff auf Webseiten in der ganzen Welt ist die Haupteinnahmequelle von Google: Es vermittelt bezahlte Anzeigen an Publisher und verkauft Werbeplätze in eigenen Suchergebnislisten, übrigens erst seit 2000 - zuvor verdiente Google nichts.

Festhalten an Kernkompetenz

Auch Amazon hat an seiner Kernkompetenz festgehalten und ist in erster Linie Händler geblieben. Schon in den ersten Wochen als junger Online-Buchhandel fiel aber auf, dass der Erfolg der Marke von ­einer leistungsstarken Logistik abhängt. So wie das Angebot von Amazon über die ­Jahre zunahm, erweiterten sich auch die logistischen Möglichkeiten. Diese öffnete der Online-Händler für externe Anbieter - und wurde zu einer Handelsplattform. Heute bietet der Marktplatz allein in Deutschland mehr als 230 Millionen Produkte an.
Würden Google und Amazon in ihrer Ecke bleiben und konzentrierten sich auf ihre Kernkompetenzen, kämen sich die Giganten kaum in die Quere. Denn im Grunde endet das Geschäft des einen, wo das des anderen beginnt: Google führt die Nutzer anhand ihrer Suchanfragen auf passende Seiten, verkauft dabei aber weder Produkte noch Dienstleistungen. Amazon hingegen vermittelt Verkäufe direkt an User, nachdem diese die Webseiten der Plattform erreicht haben. Doch die beiden Internet-Riesen haben schon vor Jahren die Potenziale entdeckt, die in ihnen schlummern, Forschungs- und Entwicklungszentren aufgebaut und sich auf andere Geschäftsfelder gestürzt. Über diese werden sie nun zu direkten Konkurrenten.

Produktsuche von Amazon sticht Google-Suche aus

Schon früh lockte Amazon Besucher ­direkt auf die eigenen Seiten. Denn auch hier war es stets möglich, nach Produkten und Angeboten zu suchen. Da die Händler Amazon zunehmend als Verkaufsplattform entdeckten und sich damit das zur Verfügung stehende Angebot vergrösserte, zog es auch immer mehr User in dieses Netzwerk. Heute findet die Produktsuche in vielen Fällen zuerst bei Amazon statt, was nicht zuletzt auch Apps für mobile Endgeräte vereinfachen. "Amazon ist in der Wertschöpfungskette des E-Commerce so tief und breit aufgestellt, dass das von Google ohne weitere strategische Moves nicht einholbar sein wird. Google kann hier quasi immer nur so gut sein wie die aus­gespielten Suchergebnisse", erklärt Ralf Zmölnig, Gründer und CEO der Performance-Marketing-Agentur Rockit Internet in München.
Der Online-Marktplatz ist ­somit selbst zur Produktsuchmaschine ­geworden und löst eine gewisse Abhängigkeit von Google auf. "Amazon profitiert von der hohen Convenience", meint Eva Stüber, Mitglied der Geschäftsleitung des Instituts für Handelsforschung (IFH) Köln. "Die gesuchten Produkte können nicht nur über eine Plattform zentral und unter ­bekannten Bedingungen gekauft werden, durch die Kundenbewertungen besteht auch ein einheitlicher Bewertungsmassstab, der schon fast als Währung angesehen werden kann", so Stüber weiter.

Shopping-Ads von Google beeindrucken Amazon nicht

Googles Antwort auf diese Entwicklung bei Amazon waren Shopping-Ads. Über diese Anzeigen ist es Händlern möglich, Produkte samt Details zusätzlich im Internet zu platzieren und bei passenden Suchanfragen auf der Google-Startseite einblenden zu lassen. Diese Option schien ­anfangs selbst für Amazon reizvoll zu sein, der Konzern nutzte diesen Marketing­-Kanal weltweit zum Bewerben seiner ­Angebote. Doch inzwischen hat die ­Bezos-Company ihre Haltung geändert. Ausgerechnet auf dem enorm wichtigen US-Heimatmarkt zog Amazon seine Investitionen in Shopping-Ads zurück. Obwohl anzunehmen ist, dass Google dadurch ­einige Umsatz­einbussen verzeichnen wird, gibt sich der Such-Gigant unbeeindruckt. "Google arbeitet mit vielen verschiedenen Werbepartnern zusammen, deren Produkte in Google Shopping verfügbar sind", sagt Christian Bärwind, Industry Leader Retail bei Google Deutschland.
Für grösseren Unmut könnte hingegen der Vorstoss von Amazon in den digitalen Anzeigenmarkt gesorgt haben. Die Handelsplattform bietet ihren Partnern und Kunden nun Ad-Formate an, die auch über Kanäle ausgespielt werden, die Google ­bisher dominiert: eine klare Kampfansage an die Suchmaschine. "Der Schritt von Amazon ist letztendlich die logische Konsequenz aus den Entwicklungen im Informationsverhalten der Konsumenten", ­erklärt IFH-Expertin Stüber. Agenturchef Zmölnig sieht darin auch die Vorteile für werbungtreibende Händler: "Da Amazon auf Transaktionsebene über ein Vielfaches an dedizierten Daten verfügt, sind sie ­wesentlich näher an der Transaktion als Google. Und bei Google kann ich am ­Ende des Tages halt nur suchen, aber nicht wie bei Amazon suchen und kaufen."
Der bislang unangefochtene Marktführer im Bereich Online-Werbung gibt sich betont gelassen. Google-Mann Bärwind meint zur bisherigen Entwicklung nur: "Der Werbetreibende entscheidet, über welchen Kanal und welche Formate er ­seine Zielgruppe am besten erreicht. Insgesamt war der Werbemarkt noch nie dynamischer als heute." Damit meint er womöglich auch, dass sich dieser Markt nicht allein auf Display-Anzeigen beschränkt. Denn Google hat erst vor Kurzem eine neue Sparte für Werbungtreibende geöffnet.

Startschuss für Audio-Ads: Google öffnet neuen Markt

Seit wenigen Wochen ist es möglich, über Google Doubleclick Audio-Ads, also akustische Werbeanzeigen, zu schalten. Der Konzern erweitert damit sein Kerngeschäft um ein zusätzliches Anzeigenformat und bindet den aufstrebenden Markt um Streaming-Dienste im Internet ein. Google setzt dabei auf das Wachstum von Audio-Werbung. Musikdienstleister wie Spotify, Soundcloud oder Tune In finden eine immer grössere Abnehmerschaft und Audio-Podcasts erleben eine Renaissance. "Definitiv wieder ein klassisch smarter Google-Move", meint Zmölnig und erklärt: "Zum einen werden Marketinggelder angelockt, was wiederum die Sprachsuche beziehungsweise deren Akzeptanz und Verbreitung befeuern wird. Zum anderen werden hier neue Chancen für Händler entstehen, die sich im Kampf um Bestellungen im Internet nicht allein der Präsenz ihrer Produkte auf Amazon hingeben wollen" - neben dem potenziellen Geschäft also eine Attacke in Richtung des Online-Marktplatzes. Auch wenn sich Google hinsichtlich weiterer Pläne um die Etablierung der Audio-Ads bedeckt hält, liegt die Vermutung nahe, dass diese früher oder später zur Herausforderung für den Amazon-Sprachassistenten Alexa werden können.
Während Amazon zunehmend in die Kerngeschäfte von Google eindringt, hält es die Suchmaschine umgekehrt genauso und verkürzt die Distanz zur Handelsplattform auf anderen Geschäftsfeldern. Besonders gut sichtbar wird der Vorstoss von Google im Bereich der Sprachassistenten und smarten Lautsprecher.

Marktverschiebung bei den Sprachassistenten

Zumindest hierzulande entsteht der ­Eindruck, dass es nur einen Anbieter in diesem Bereich gibt. Dem intensiven ­Bewerben von Amazon-Alexa durch die bekannten, kurzen Spots stehen die bislang recht dezenten Marketing-Aktivitäten um den Sprachassistenten Google Home ­gegenüber. Doch der Markt dahinter wird nicht nur hart umkämpft, er erlebt aktuell eine Verschiebung der Verhältnisse: Im ersten Quartal 2018 wurde Google Home unter anderem in Indien eingeführt und verkaufte sich weltweit erstmals besser als die smarten Lautsprecher von Amazon.
Alexa hat dennoch weiterhin die Nase vorn, führt den Markt aber noch aus anderen Gründen an, wie Stüber als Expertin für ­Digitalisierung und ­Innovation weiss: "Auch wenn Google aufholt, muss man festhalten, dass Amazon bei der Integration und Kompatibilität seiner Technologie bei Fremdanbietern bereits klare Massstäbe gesetzt hat. Für Google gilt es daher, den Mehrwert in der Nutzung durch eine bessere Treffsicherheit sowie nützliche Anwendungen zu erhöhen." Auch in der täglichen Agenturarbeit werden Unterschiede deutlich. "Wir sehen, wie stark Amazon wirklich geworden ist und wie zugehörige Entwicklungen und Alexa-Skills forciert werden. Deshalb prognostizieren wir weiter eine stärkere Verteilung Richtung Amazon", erklärt Ralf Zmölnig.

Zeit der digitalen Assistenten

Google kennt die Potenziale dieses Marktes aber nur zu gut und ist mit dem eigenen Sprachassistenten bereits auf mehr als 500 Millionen Geräten verfügbar, die Masse davon Android-Smartphones. Dass Amazon Alexa nun auch für ­Android anbietet, sieht Google weniger kritisch und erkennt darin nur den Beginn des "Age of Assistance", der Zeit der digitalen Assistenten. Google-Manager Bärwind ­zitiert eine Studie von Emarketer, wonach "87 Prozent der Werbetreibenden damit rechnen, dass digitale Assistenten noch vor 2021 eine signifikante Rolle im Marketing spielen werden". Es ist anzunehmen, dass Google seinen Vorteil, Usern die ­Informationen des gesamten Internets zur Verfügung zu stellen, nutzen und sich nicht, wie es Alexa bisher noch macht, ­allein auf Produktdetails oder spezielle Angebote beschränken wird.
Der Kampf um die Verbreitung der eigenen Sprachassistenten ist jedoch nur eines von vielen Duellen, die die Giganten Google und Amazon ausfechten. Ein vollkommen neues Schlachtfeld tat sich erst in der vergangenen Woche auf: Unerschrocken, quasi mit offenem Visier, attackiert Google neuerdings den Online-Lebensmittelhandel.

Google startet Offensive gegen Amazon Fresh

Mit der strategischen Partnerschaft zum französischen Gross- und Einzelhändler Carrefour gelingt Google ein schwerer Schlag gegen Amazon. Der Online-Marktplatz versucht seit Jahren, in Europa den Handel mit Lebensmitteln über das Internet voranzutreiben, kann das Angebot Amazon Fresh bisher jedoch nicht entscheidend platzieren. Google erringt durch die Kooperation mit den Franzosen von Beginn an eine gute ­Ausgangsposition: Carrefour ist mit über 12.300 Filialen in 30 Ländern global sehr stark vertreten.
Die Zusammenarbeit wird 2019 zuerst für den französischen Markt nutzbar. ­Carrefour wird dann eigene Produkte über die Google-Shopping-Webseite ­anbieten. Als besonderer Service sollen Bestellungen von Beginn an auch über Google Home und den Sprachassistenten auf anderen Endgeräten möglich sein. Wie ernst den Partnern ihre ­Zusammenarbeit ist, verdeutlicht die Errichtung eines gemeinsamen Innovationslabors in Paris noch in diesem Sommer. "Eine lupenreine Reaktion auf die Aktivitäten von Amazon", bemerkt Zmölnig. Da sich Google durch die ­Zusammenarbeit mit Carrefour von der gewohnten Vermittlerrolle entfernt, muss sich Amazon etwas einfallen lassen, will die Handelsplattform bisherige Marktanteile nicht einbüssen.

Keine Auflösung der Monopolstellungen in Sicht

Einen Sieger im Kampf der Giganten wird es wohl nicht geben. Dafür sind die beiden Internet-Riesen Google und Amazon durch ihre jeweiligen Monopolstellungen zu souverän in der Welt positioniert. Andere Marktteilnehmer können daher nur zuschauen und sich den Giganten fügen. "Im besten Fall kommen noch Alibaba, Apple sowie Facebook und versuchen, auch etwas vom Kuchen abzubekommen. Amazon und Google werden ihre Marktanteile untereinander mit scharfen Schwertern auskämpfen, aber nichts davon wird den Markt so regulieren, dass es diesen Begriff tragen dürfte", meint Zmölnig und erklärt weiter: "Für eine wirkliche Marktregulierung wären neue Marktteilnehmer gefragt. Vielleicht kommt einmal eine Allianz aus relevanten Playern auf, die den User und nicht den Profit als zentralen Anker tragen."
Auch wenn es für eine Veränderung der wichtigsten Online-Märkte hin zu einer Anbietervielfalt wohl Wunder bräuchte, bieten die Global Player zahllose Möglichkeiten für Werbungtreibende und Händler. Und die Duelle zwischen Google und Amazon haben nicht nur einen gewissen Unterhaltungswert, sie schaffen neue Felder, auf denen sich jedes Unternehmen potenziellen Kunden anbieten kann.




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