Online goes Offline 04.08.2015, 01:23 Uhr

Online Pure Player: Vom Web-Shop zum Laden

Immer mehr Online Pure Player wagen den Schritt in den stationären Handel. Dem etablierten Wettbewewerb bringt das frische Impulse für das Ladendesign.
Der Mymuesli-Shop in Hamburg
Längst kein Einzelfall mehr: Mymuesli betreibt inzwischen 22 Filialen
(Quelle: mymuesli.com)
von Matthias Hell
Als der Online-Müsli-Mixer Mymuesli 2009 in Passau seinen ersten Store im stationären Handel eröffnete, sorgte das noch für Aufsehen: Waren die E-Commerce-­Anbieter denn nicht angetreten, eine ­Alternative zum klassischen Einzelhandel zu bieten? Doch heute, sechs Jahre später, betreibt Mymuesli in Deutschland und Österreich bereits 22 Filialen.
Und damit ist das Unternehmen kein Einzelfall: Der Elek­tronikversender Cyberport hat bereits 15 Stores im stationären Handel eröffnet, die ­Online-Möbelmarke Fashion For Home wartet mit sieben Showrooms auf und der Hersteller rahmengenähter Schuhe, Shoepassion, hat schon drei Filialen eingerichtet. Der Betrieb von Ladengeschäften ist damit für viele Online-Händler ein fester Bestandteil ihrer Vertriebsstrategie.
In den meisten Fällen ist es Pragmatismus, der die Onliner in den stationären Handel getrieben hat. "Wir haben ­gemerkt, dass die Läden wirklich eine wichtige Funktion erfüllen", erklärt Max Wittrock von Mymuesli. Zum einen könne man so Bestandskunden einen zusätzlichen Kanal bieten, zum anderen sei die Möglichkeit, Müsli-Mischungen in den Stores zu ­probieren, eine gute Voraussetzung, um Neukunden zu gewinnen. "Ausserdem ­haben die Läden einen bedeutenden Marketing-Effekt: Wir stärken damit unsere Präsenz in frequenzstarken Lagen", so der Mymuesli-Mitgründer.
Über einen anderen Vorteil des stationären Handels berichtet Notebooksbilliger-Chef Arnd von Wedemeyer - der Elektronikversender eröffnete 2010 den ersten von mittlerweile drei Stores: "Bei unseren Filialumsätzen handelt es sich nur zu rund einem Drittel um Online-Abholungen und beim Rest um gewöhnliche stationäre Käufe."
Die Ladengeschäfte ermöglichen es also, Kunden anzuziehen, die man rein online nicht habe erreichen können. Zudem trage der vom stationären Handel ausgehende "Trust-Effekt" zu höheren Online-Umsätzen im jeweiligen Einzugsgebiet des Ladens bei.

Store-Formate im stationären Handel: Von klein bis ganz gross

Bei der Gestaltung des Geschäfts im stationären Handel haben sich bei den Online-Händlern inzwischen einige wichtige strategische Stellschrauben herauskristallisiert: Das betrifft zum einen den Umfang des stationären Engagements.
Die beiden Elektronikversender Notebooksbilliger.de und Cyberport eignen sich gut, um hier die unterschiedlichen Ansätze zu verdeutlichen. Cyberport setzt im stationären Handel bei seinen 15 Läden auf grosszügige Flächen, die durchaus die Marke von 900 Quadratmetern erreichen können.
Das Ladendesign orientiert sich am hochwertigen Vorbild der Apple-Welt und das ausgesuchte, die gesamte Bandbreite der Elektronik umspannende Warenangebot ist eher im oberen Preisbereich angesiedelt. Das klare Ziel des Unternehmens ist es, sich im stationären Handel als Premiumanbieter im Bereich Digital Lifestyle zu positionieren und so auch online höhere Warenkorbwerte zu erzielen.
Notebooksbilliger.de bleibt demgegenüber auch stationär "Lean Start-up"-Prinzipien treu: Die Stores umfassen ­kompakte Flächen von rund 400 Quadratmetern, ­liegen an verkehrsgünstigen B-Standorten, sind schlicht gehalten und konsequent auf die Kernkompetenz des Unternehmens - das einzigartig breite Notebook-Sortiment - ausgerichtet. "Wenn wir uns nicht an diese Massgaben halten, dann ­erzielen wir nicht die gewünschte Produktivität und auch nicht die angestrebte Rentabilität", erklärt Firmen-Chef Arnd von Wedemeyer.
Dass es noch schlanker geht, zeigt der Online-Brillenhändler Mister Spex. Um seinen Kunden Touchpoints im stationären Handel zu bieten, setzt das Unternehmen seit 2011 auf die Partnerschaft mit alteingesessenen Optiker-Fachgeschäften. Ende 2014 ­wurde das Partnerprogramm auf Shop-in-Shop-Module für den Verkauf von Brillenmodellen der Eigenmarke "Mister Spex Collection" ausgeweitet.
Mit einem minimalen Engagement ist es dem Online-Händler so gelungen, auch im stationären Handel Akzente zu setzen. "Wir glauben an Multichannel", erklärt Mister-Spex-Geschäftsführer Dirk Graber. Er denkt inzwischen über die Eröffnung eigener Filialen nach: "Wie die Erfahrung mit unserem Partnerprogramm zeigt, hat eine statio­näre Präsenz klare Vorteile. Und eine ­einheitliche Markenpräsenz wäre sicher einfacher als ein Netz mit 500 Partnern."
Eine zweite wichtige Stellschraube ist die Rolle, die den Geschäften im stationären Handel bei der Unternehmensaufstellung zukommt: Geht es darum, einen separaten Retail-­Kanal aufzubauen? Oder soll das statio­näre Geschäft eher der Online-Wertschöpfung dienen?

Online oder stationärer Handel: Wer hilft wem?

Klar letzteren Kurs verfolgt die Online-Möbelmarke Fashion For Home. Das ­Unternehmen wollte es seinen Kunden ­ermöglichen, die angebotenen Möbel auch ganz real zu betrachten - ursprünglich mit einem einzigen Showroom in Berlin.
Drei Jahre später betreibt Fashion For Home bereits sieben Geschäfte im stationären Handel. Geschäftsführer Marc Appelhoff berichtet: "Dank der Showrooms erreichen wir heute Warenkorbwerte, die für uns vor drei Jahren noch nicht möglich waren."
Einkaufen kann man in den stationären Geschäften allerdings nicht: Statt einer Kasse gibt es dort nur Online-Terminals und anstelle von Verkäufern werden die Kunden von qualifizierten Einrichtungsberatern betreut. Die Kernfunktion der Showrooms sei es, die eigene Ware anfassbar zu machen und damit die Online Conversion anzutreiben, erklärt Gründer Appelhoff.
Müssen Onliner im stationären Handel zwangsläufig durchdigitalisierte Einkaufserlebnisse bieten oder geht es auch ganz konventionell? Hinter dieser Frage verbirgt sich die dritte Grundsatzentscheidung, die sich aus den Retail-­Erfahrungen der Webshop-Betreiber ­herauslesen lässt.
Ein gutes Beispiel für die digitale Variante ist der Fussballfachhändler 11Teamsports. Das Unternehmen ­eröffnete Mitte 2014 einen 1.400 Quadratmeter grossen Flagshipstore in Berlin - ein Musterbeispiel in Sachen digitaler Point of Sale: Der Online-Shop wurde über Screens und iPads in den stationären Handel eingebunden und es wurden neueste Mobile-Payment-Verfahren angeboten.
Doch wie Geschäftsführer Oliver Schwerin berichtet, haben die Kunden auf die iPad-Bestellmöglichkeit eher reserviert reagiert. Gut angenommen werden die digitalen Features dagegen dort, wo es um emotionale ­Inhalte, Entertainment oder die Individualisierung von Produkten gehe.
Im Showroom des Curated-Shopping-Anbieters Modomoto in Berlin hingegen finden sich keinerlei digitale Spielereien. Stattdessen strahlt das Geschäft einen ­dezent-gehobenen Retro-Charme aus. Für Geschäftsführerin Corinna Powalla ist das nur konsequent - schliesslich ist das Wichtigste, was das Online-Unternehmen zu bieten hat, die Beratungskompetenz seiner Stylistinnen.
Das Beispiel Modomoto zeigt damit gut, wie intensiv sich Online-Anbieter bei ihrem Weg in den stationären ­Handel mit der Frage nach dem Kern ­ihres Geschäftsmodells auseinandersetzen - und auf diese Weise einen optimalen Kundennutzen erzeugen.




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