Virtual Reality
23.05.2016, 14:03 Uhr
Marketing in anderen Welten
Google Cardboard und VR-Headsets wie Samsung Gear VR oder Oculus Rift ebnen den Weg. Schon bald werden sich Menschen ganz selbstverständlich in virtuelle Welten versetzen.
Ich fliege über ein breites, sandiges Flussbett in Island. Unter mir mäandert ein graubrauner Fluss. Ein Blick nach rechts offenbart eine noch teilweise schneebedeckte Kette alter Vulkane. Die Landschaft und meine Perspektive sind umwerfend. Dann wende ich den Blick in die andere Richtung und lasse die neongrünen, moosbedeckten Hügel an mir vorbeiziehen. Ein Blick nach oben verrät mir, dass ich an einem Hubschrauber hänge. Auf einmal wird mir ein bisschen schwindlig. Gut, dass ich auf einem Stuhl sitze, im Stehen würde ich wahrscheinlich jetzt leicht schwanken. Nachdem ich einige Minuten später das VR-Headset abgenommen habe, muss ich mich - wieder zurück in der wirklichen Welt - kurz orientieren, weil ich gerade virtuell sehr weit weg war.
Das Eintauchen in eine andere Welt mit allen Sinnen ist eine so neue und beeindruckende Erfahrung, dass niemand sein erstes Erlebnis in der virtuellen Realität (VR) vergisst. Erst seit kurzer Zeit sind markttaugliche VR-Headsets wie "Oculus Rift" oder "Samsung Gear VR" sowie Inhalte dafür erhältlich. Alle grossen Internet- und IT-Unternehmen beschäftigen sich mit Virtual Reality. Facebook-Chef Mark Zuckerberg ist überzeugt, dass sich virtuelle Realität in den kommenden Jahren als nächste grosse Plattform herausbilden wird.
Die Bezeichnungen VR und 360-Grad-Videos werden häufig synonym verwendet. Gemeint sind in beiden Fällen digitale Videos, die es dem Zuschauer ermöglichen, den Blick in jede Richtung zu lenken. Technisch besteht allerdings ein Unterschied: Während "normale" 360-Grad-Videos nicht zwischen linkem und rechtem Auge unterscheiden, liefern "echte" VR-Anwendungen unterschiedliche Bilder für beide Augen ("Stereoskopie“) und wirken deshalb räumlich. Mit der entsprechenden Sound-Unterstützung taucht der Zuschauer in fremde Welten ein, versetzt sich in andere Personen und macht Erfahrungen, die ihm im Alltagsleben nicht möglich sind – zum Beispiel ein Flug über Island. Angetrieben wird die Entwicklung von der Gaming-Industrie. Doch inzwischen experimentieren viele verschiedene Branchen mit der neuen Erzählform.
Tageszeitungen wie die amerikanische "New York Times" oder der britische "Guardian" verwenden das Format seit Kurzem für VR-Journalismus. Die "New York Times“ hat sogar eine eigene Virtual-Reality-App veröffentlicht und bringt neben Reportagen auch Markenwerbung im 360-Grad- Format. Der "Guardian“ versucht, mit dem Film "Welcome to your cell. 6x9: A virtual experience of solitary confinement“ den Lesern, oder besser gesagt den Zuschauern, einen Eindruck davon zu vermitteln, wie sich ein Leben in Einzelhaft anfühlt.
Fussball-Fans können sich virtuell in das Finale der Fussball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien zurückversetzen und noch mal erleben, wie Deutschland gegen Argentinien den Titel holt. Dieser Showcase ist eine der Attraktionen des Fussballmuseums der Fifa in Zürich. Die Aufnahmetechnologie stammt vom Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut in Berlin, dessen "Ultra HD Omnicam" während des Spiels an der Mittellinie positioniert war und alles, was auf dem Spielfeld und im Stadium passierte, aufgezeichnet hat.
Jetzt, da die Technologie massentauglich wird, setzen auch erste grössere Unternehmen VR-Inhalte für Marketingzwecke ein. Gerade im Tourismusbereich eignen sich 360-Grad-Videos sehr gut. DER Touristik Online hat erst kürzlich 360-Grad-Videos auf seinem Reiseportal veröffentlicht. Kunden zu inspirieren, sei das vorrangige Ziel, sagt Felix Lüneberger, Online Marketing Manager bei DER Touristik Online, im Interview. Die Deutsche Lufthansa hat 2015 begonnen, die Flugzeugkabinen zu filmen, um die Vorzüge der First und Premium Class zu zeigen. Der Kurzfilm "Love is a Journey" wurde in der VR-App der "New York Times“ platziert.