Kommentar 01.07.2023, 14:57 Uhr

Microsofts KI-Shopping-Guides zeigen, dass das Zeitalter des Onlineshops endet

Microsofts Shopping-Guides sind ein Requiem auf den Onlineshop. Big Tech ist auf dem Weg, um sich den Kundenzugang zu sichern. Redakteur Jochen G. Fuchs erklärt, wieso jetzt ein Wettrennen beginnt, bei dem HändlerInnen und Shopsysteme gewaltig aufs Gas drücken müssen.
(Quelle: Shutterstock AI)
Es scheint, als hätte die Microsoft KI Johannes Altmanns Thesen zum Status Quo des E-Commerce auf der K5 angehört. Dessen Thesen mündeten schlussendlich in der Erkenntnis, dass wir unsere Kunden mittlerweile langweilen. Der US-Konzern setzt im Blog-Post zu den neuen KI-Shoppping-Funktionen (automatisch generierte Shopping-Guides mit Produktauswahl, Vergleichstabellen und Rezensionsauswertung) für Bing und Edge noch einen drauf und schreibt, dass Onlineshopping keinen Spass macht und sich immer mehr wie Arbeit anfühlt.
Wenn wir alle ganz ehrlich sind, ist uns das Gefühl nicht fremd. Und ich weiss nicht, wie oft mir meine Frau einen mit gleichartigen Artikeln gefüllten Warenkorb mit den Worten "Such eins aus und bestell den Mist bitte, mir reicht's" hingestellt hat. (Als Journalist ist Recherchieren ja quasi meine Bestimmung, so das unterschwellige Argument.)

Woraus besteht der typische Einkauf heute?

Werfen wir einen Blick auf einen durchschnittlichen Einkauf in einem Onlineshop.
Vorab
  1. Recherchieren der benötigten Produkte (Beispielsweise)
  2. Recherchieren der wichtigsten Produktmerkmale, die bei der Auswahl des richtigen Produktes helfen
Produktauswahl treffen
  1. Auswahl des passenden Onlineshops
  2. Nutzung der Suchfunktion oder der Links zu den Produktkategorien, um zu den gewünschten Produkten zu gelangen
  3. Durchscrollen der Suchergebnisse
  4. Je nach Ausstattung des Onlineshops: Entweder ein Produktvergleichsfeature verwenden oder die Produkte in den Warenkorb legen (Das macht jeder sehr wahrscheinlich anders, aber das Prinzip sollte klar sein)
Kaufentscheidung/Endauswahl
  1. Produktbilder sorgfältig durchsehen
  2. Rezensionen durchsehen, in zwei Stufen:
    Um zu sehen, wie die gewünschten Produktfeatures bei den anderen KundInnen abschneiden
    Um zu beurteilen, ob die Kunden das Produkt überwiegend positiv oder negativ bewerten und ob die Bewertungen gerechtfertigt sind (Nein Hans, dass deine Kamera beim Herunterfallen kaputtgeht, ist keinen Grund für eine Ein-Sterne-Bewertung)

Microsoft ersetzt die komplette Customer-Journey durch einen KI-generierten Shopping-Guide

Ja, im schlimmsten Fall war's das mit der Customer Journey. Denn Microsofts KI erledigt alle oben beschriebenen Arbeitsschritte und fasst sie in einem Shopping-Guide bequem nutzbar zusammen. Wozu noch auf Onlineshops mühsam Informationen zusammenklauben, wenn mir alles auf dem Silbertablett präsentiert wird.
Das ist der erste Schritt in die Richtung feindliche Übernahme des Onlineshop-Frontends. Wenn der Auswahlprozess erst aus den Shops ausgelagert wird, dann besteht keine Möglichkeit mehr für Shopsysteme und Shopbetreiber, sich durch eine besonders nutzerfreundliche Oberfläche und besondere Features wie Produktvergleichstabellen im Shop zu differenzieren.
Es mag auf den ersten Blick vielleicht etwas verfrüht klingen, gleich das Zeitalter des Onlineshops zu beenden. Aber sollten solche Features in Kürze auch von Google präsentiert werden, kann die Entwicklung sich beschleunigen und es werden weitere KI-Shopping-Features folgen. Und was hilft es, darüber zu diskutieren, ob das noch sechs Monate, ein Jahr oder drei Jahre dauert - die Weichen müssen jetzt gestellt werden.
Sobald ein Gewöhnungseffekt beim Kunden einsetzt, beginnt ein Shift hin zum KI-Assistenten, der schwer aufzuhalten sein wird. Und sobald die grossen Tech-Player die Hoheit über die Nutzeroberfläche haben, besitzen sie den Kundenzugang.

Shopsystem-Hersteller und HändlerInnen müssen All-in gehen und den ganzen Jackpot auf Innovation setzen

Der einzige Weg, der Shopsystem-Herstellern und HändlerInnen jetzt offen steht, ist schnellstmöglich gleichwertige Innovationen in die Nutzeroberflächen von Onlineshops einzubauen, um zu verhindern, dass dieser Shift im Nutzerverhalten einsetzt und sich nachhaltig festigt.
Nur wenn das Einkaufen in einem Shop genauso komfortabel und einfach wie über einen KI-Assistenten abläuft, kann ein Shop in Zukunft noch mit der KI konkurrieren.
Sonst ist das Zeitalter des Onlineshops beendet.
P.S.: Falls ihr Johannes Altmanns Thesen auf der K5 verpasst habt, er erklärt sie auch im Podcast Denkanstoss bei unserer Schwesterpublikation W&V.




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