Online Thriftshopping
24.08.2023, 08:48 Uhr
Wie Zalando, Shein und Co. den Markt mit Secondhand-Mode übernehmen
Die Secondhand-Sparte im Online-Markt für Mode wächst überproportional. Grosse Plattformen bauen ihr Engagement in diesem Bereich massiv aus. Bleibt da noch Platz für kleinere Anbieter?
Von Hauke Rahm, Vice President Customer Success bei Commercetools
Der Onlinehandel mit Mode boomt, und innerhalb dieses Segments verzeichnet vor allem der Verkauf und Kauf von Secondhand-Ware deutliche Zuwächse. Das Beratungsunternehmen CBCommerce.eu taxiert den Gesamtumsatz im Online-Modemarkt in der EU im Jahr 2021 auf 119 Milliarden Euro und prognostiziert bis 2025 ein Wachstum auf etwa 175 Milliarden Euro.
Diese Steigerung werde überproportional von Consumer-to-Consumer-Marktplätzen getrie ben. So weist etwa die Secondhand-Plattform Vinted für 2021 einen Umsatz von 3,2 Milliarden Euro aus. Die Rahmenbedingungen begünstigen diese Entwicklung: Die massiv angestiegene Inflation lässt die Nachfrage nach Secondhand-Angeboten steigen, zudem wächst das Kundenbewusstsein beim Thema Nachhaltigkeit stetig. In einer von der Secondhand-Plattform Momox 2021 durchgeführten Online-Umfrage haben 87 Prozent der befragten Kunden der Aussage "Secondhand-Shopping ist gut für die Umwelt" zugestimmt, gefolgt von 83 Prozent Zustimmung zur Aussage "Secondhand-Kleidung ist günstiger als Neuware". Selbst für Nutzer, die sich diesem Trend nicht im Bereich Alltagsmode anschliessen, gibt es naheliegende Use Cases, vom Hochzeitskleid bis zur Kinderkleidung.
Secondhand-Boom lockt grosse Player an
Schätzungen zufolge soll das Secondhand-Segment bis 2025 rund 25 Prozent Anteil am Gesamtmarkt erreichen. Darauf sind auch grosse E-Commerce-Player mittlerweile aufmerksam geworden. So hat Etsy 2021 den auf Vintage-Mode spezialisierten Online-Marktplatz Debop übernommen. Auch der chinesische Ultra-Fast-Fashion-Händler Shein ist mit seiner Community "Shein Exchange" in diesen Bereich eingestiegen. Die auf Premium-Mode spezialisierte Plattform BestSecret baut ihr "pre-loved"-Sortiment aus, Zalando erlebt ein klares Wachstum seiner "Pre-owned"-Sparte.
Dieses zunehmende Engagement der E-Commerce-Grössen wirft die Frage auf, ob es in diesem Markt auch noch Platz für kleinere Anbieter gibt. Schliesslich schätzen Branchenkenner, dass es allein in Deutschland rund 10.000 bis 12.000 stationäre Secondhand-Modeshops gibt. Hinzu kommen nicht wenige Start-ups, die in das Online-Geschäft mit Vintage-Mode einsteigen wollen. Haben sie eine Chance, sich gegen die etablierten Player zu behaupten?
Das Rad mit begrenzten Mitteln neu zu erfinden, dürfte für die Mehrzahl von ihnen die falsche Strategie sein. Bestehende Vintage-Shops, die sich für eine Online-Erweiterung ihres stationären Geschäfts entscheiden, nutzen dafür in der Regel eine der bestehenden grossen Plattformen. So finden sich allein auf eBay über 600.000 Angebote gewerblicher Verkäufer unter dem Schlagwort "Vintage" in der Kategorie Damenmode.
Während der Trend in vielen anderen Bereichen der Digitalisierung eher auf das Eliminieren von Mittelsleuten hinausläuft, ist bei Vintage-Mode die gegenläufige Entwicklung zu beobachten: Technologie und Plattformen machen es für kleinere Anbieter erst möglich und attraktiv, ein Online-Standbein aufzubauen.
Während der Trend in vielen anderen Bereichen der Digitalisierung eher auf das Eliminieren von Mittelsleuten hinausläuft, ist bei Vintage-Mode die gegenläufige Entwicklung zu beobachten: Technologie und Plattformen machen es für kleinere Anbieter erst möglich und attraktiv, ein Online-Standbein aufzubauen.
Grosser Bedarf an innovativen Tools
Ähnlich wie für private Verkäufer ist auch für kleinere Händler der Handling-Aufwand eine erhebliche Hürde - angefangen beim Fotografieren und Beschreiben der Ware bis hin zum Versand. Im Consumer-to-Consumer-Markt hat etwa der Anbieter Sellpy seine Nische gefunden: Er bietet seinen Kunden an, ihre Vintage-Ware einfach einzuschicken, und übernimmt dann alle nötigen weiteren Schritte. Der so gesparte Aufwand ist es seinen Nutzern wert, auf einen Teil des möglichen Erlöses zu verzichten. Für gewerbliche Verkäufer passt ein solcher "Fullservice-Ansatz" weniger, zumal er sie einen grossen Teil ihrer Marge kosten würde.
Sowohl für kleinere Shop-Betreiber als auch für engagierte Consumer dürften deshalb technologische Lösungen der bessere Ansatz sein. Sie können etwa auch Betreibern von Secondhand-Shops helfen, ihre lokalen Warenbestände für Online-Marktplätze aufzubereiten. Beispielsweise sind automatisierte Bildbearbeitung sowie Bilderkennung und -analyse längst in der Lage, Produktfotos in überzeugender Qualität generieren und dabei gleich die wesentlichen Elemente der Produktbeschreibung zu erzeugen. Die zur Katalogisierung und Klassifizierung erforderlichen Metadaten werden sofort mitgeliefert.
Derzeit fehlt ein "Middle Layer"
Um das Geschäft erfolgreich skalieren zu können, ist für solche Lösungen allerdings eine direkte Verbindung zu den von ihnen genutzten Marktplätzen zwingend erforderlich. Tatsächlich liegt hier noch ein Betätigungsfeld für innovative Anbieter, die den bereits angesprochenen "Middle Layer" zwischen kleineren Gewerbetreibenden sowie engagierten Privatverkäufern und den grossen E-Commerce-Plattformen bereitstellen könnten. Aktuell lassen überzeugende Beispiele zwar noch auf sich warten - doch vermutlich arbeitet bereits eine ganze Reihe von Akteuren genau daran. Kleinere Händler und ambitionierte Privatverkäufer sollten ihre Augen nach den skizzierten "Middle Layer"-Apps und -Angeboten offen halten. Wer darauf nicht warten möchte, für den kann es lohnenswert sein, sich ein wenig mit Tools zu Bildbearbeitung, KI-basierter Texterstellung und den Präsentationsmöglichkeiten für Profi-Verkäufer auf den etablierten Handelsplattformen zu beschäftigen. Einen Vorsprung sichert solches Wissen allemal.