Private-Label-Strategie
27.04.2020, 06:50 Uhr
Vorwurf: Amazon-Mitarbeiter nutzen Seller-Daten für eigene Produktentwicklung
Dass Amazon die Daten seiner Marktplatzhändler nutzt, um in spannenden Sortimenten Eigenmarken zu entwickeln, wird schon länger gemutmasst. Offiziell ist es verboten. Doch ehemalige Mitarbeiter erzählen etwas anderes.
Obwohl es die eigenen Unternehmensrichtlinien eigentlich verbieten, sollen Amazon-Mitarbeiter Daten von Sellern verwendet haben, um zu analysieren, in welchen Kategorien Eigenmarken Sinn machen, welche Produkteigenschaften sie haben sollten und wie sie bepreist werden sollten.
Spekulationen darüber gibt es schon lange, jetzt will das "Wall Street Journal" dazu Informationen von ehemaligen Amazon-Mitarbeitern erhalten haben, die für das Private-Label-Geschäft des Internet-Riesen zuständig waren.
Ein konkreter Fall betrifft einen Kofferraum-Organisator des Herstellers Fortem. Die Amazon-Mitarbeiter nahmen Einblick in die Umsatzdaten, Marketing- und Shipping-Investitionen und den Umsatzanteil von Amazon an jedem Verkauf.
Mitarbeiter umgehen Schutzmassnahmen von Amazon
Offiziell hat Amazon Massnahmen ergriffen, um zu verhindern, dass Mitarbeiter individuelle Seller-Daten einsehen können. Doch wurden diese offenbar nicht kontinuierlich optimiert. Inzwischen haben Angestellte wohl Workarounds entwickelt, wie man Zugriff auf derartige Daten erhalten kann.
Ein Amazon-Sprecher äusserte sich nach der Veröffentlichung des Berichts ausführlich zu den Vorwürfen Vorwürfen: "Es ist schlichtweg falsch zu sagen, dass Amazon absichtlich eine missverständliche Aussage tätigte. Wie wir dem "Wall Street Journal" mitteilten und in unserer Aussage erklärten, ist es unseren Mitarbeitern strengstens untersagt, nicht-öffentliche, Seller-spezifische Daten zu nutzen, um zu entscheiden, welche Private-Label-Produkte gelauncht werden. Wir glauben zwar nicht, dass die Behauptungen des Wall Street Journal richtig sind, aber wir nehmen diese Anschuldigungen sehr ernst und haben interne Untersuchungen angeschoben. Private-Label-Produkte sind im Handel allgegenwärtig. Und sie sind gut für die Kunden. Wie unzählige andere Händler auch bieten wir Eigenmarkenprodukte, um Kunden mehr Auswahl, bessere Produkte und günstigere Preise zu bieten. Viele Händler, darunter auch grosse mit einem breiten Private-Label-Sortiment und Händler mit Marktplätzen, kennen die Absatzzahlen der Produkte in ihren Läden. Doch das Einkaufsverhalten der Kunden in unserem Shop ist nur einer von vielen Faktoren in Amazons Eigenmarkenstrategie. Wir nutzen auch andere im Handel übliche Kriterien wie Mode und Shopping-Trends, die in der Presse oder in sozialen Kanälen aufgegriffen werden, Vorschläge unserer Hersteller für neue oder ergänzende Produktlinien und Lücken in unserem Produktsortiment im Vergleich zu unseren Wettbewerbern. Uns ist nicht bekannt, ob andere Händler ähnliche Richtlinien formuliert haben, um die Nutzung von nicht-öffentlichen Informationen, die auf einzelne Händler bezogen sind, in ihrer Produkt-Launch-Strategie zu verbieten. Ohne die Dokumente gesehen zu haben, die dem "Journal" vorliegen, haben wir keine Möglichkeit, ihre Echtheit zu bewerten. Wir haben jedoch unsere eigenen Unterlagen geprüft und können mit Bestimmtheit sagen, dass die Store-Daten für die im Artikel erwähnten Produkte aggregiert waren und verschiedene Angebote enthielten."
Die lange öffentliche Erklärung zeigt, unter welchem Druck der E-Commerce-Riese steht. Vor dem US-Kongress beteuerte Amazon im Juli vergangenen Jahres, dass das Unternehmen keine Daten von Marktplatzhändlern zum eigenen Vorteil nutze. Bewahrheiten sich die Gerüchte doch, könnte dies zu weiteren Untersuchungen über Amazons Dominanz im Online-Handel führen sowie empfindliche Geldstrafen und Reformen des Geschäftsmodells bis hin zur Zerschlagung zur Folge haben.