Analyse 03.02.2023, 09:37 Uhr

TikTok: Wieso das Social Network zum Marktplatz und zum Händler wird

Um seinen Marktplatz in Schwung zu bringen, wird TikTok jetzt sogar zum Händler. Das Ziel: Den Erfolg der Schwester-App Douyin in China zu wiederholen. Kann das gelingen, ist die Zeit reif für Social Commerce? Eine Analyse von IW-Redakteur Jochen G. Fuchs.
(Quelle: Screenshot TikTok)
TikTok testet in Grossbritannien aktuell ein Feature namens "Trendy Beat". Unter diesem Menüpunkt in der TikTok-App werden "Trending Products" vorgestellt, die von einer hundertprozentigen ByteDance-Tochter namens Seitu aus Singapur verkauft werden. Die Produkte werden von ByteDance über ein Netzwerk aus Lieferanten und Herstellern direkt in das soziale Netzwerk verkauft. Damit wird TikTok jetzt zum Händler auf dem eigenen Marktplatz.

Social Commerce: Der Ist-Zustand in den USA und in Europa

Social Commerce ist ein Thema, das in den westlichen Ländern bisher noch nicht so richtig abheben will. Alle Plattformen experimentierten und arbeiten mit Social-Commerce-Features, die einen Einkauf direkt auf der Plattform möglich machen sollen und NutzerInnen nicht mehr in Onlineshops zum Einkauf weiterleiten. Die sozialen Netzwerke wollen den Kundenzugang endlich selbst nutzen und umsatzträchtige Transaktionen direkt auf den Plattformen erzeugen. Die E-Commerce-Welt haben diese Social-Commerce-Versuche bei uns bisher eher nicht auf den Kopf gestellt.

Social Commerce ist ein Erfolg in Asien

Ein Blick über den Tellerrand nach Südostasien und China zeigt ein anderes Bild. 
Videogetrieben entwickelt sich dort ein Live-Shoppping-Standard über Videostreaming auf TikTok und in China auf der hierzulande weniger bekannten Schwester-App Douyin. Selbst Restaurant-Bestellungen werden dort mittlerweile abgewickelt. Im Juni des vergangenen Jahres veröffentlichte die Academy of China Council for the Promotion of International Trade, eine Einrichtung des chinesischen Handelsministeriums, dass mehr als 460 Millionen KundInnen in China regelmässig über Live-Streaming einkaufen.

ByteDance-Umsatz in China mit Douyin

Die TikTok-Schwester Douyin ist der Haupttreiber für die rund 208 Milliarden US-Dollar GMV aus den E-Commerce-Aktivitäten von ByteDance in China im vergangenen Jahr. Im Vorjahr, also 2021, etwa ein Jahr nach dem Start der E-Commerce-Funktionalitäten, meldete Reuters, dass 70 Prozent des Wachstums von ByteDance durch Douyin generiert wurde. Das Verhältnis wird sich nicht stark verändert haben.

ByteDance-Umsatz mit TikTok ausserhalb von China

TikTok Shop hat zum Vergleich einen GMV von immerhin noch 4,4 Milliarden US-Dollar ausserhalb von China generiert, wobei der Hauptanteil im südostasiatischen Markt generiert wird. (Im ersten Halbjahr 2022 generierte Südostasien etwa 200 Millionen pro Monat und UK etwa 24 Millionen pro Monat.) Für dieses Jahr will TikTok Shop 20 Milliarden US-Dollar Umsatz (GMV) erreichen.

TikTok versucht sich mit viel Aufwand als E-Commerce-Plattform zu platzieren

TikTok hat bisher versucht, sich in den USA und in UK mit seiner E-Commerce-Plattform TikTok Shop zu platzieren. Das ist der Marktplatz von TikTok der mittlerweile mit verschiedenen Produktformaten aufwartet: ein Livestream mit klick- und kaufbaren Produktanzeigen, Videos mit klick- und kaufbaren Produktanzeigen sowie einer Art Shop mit einer Produktübersicht, dem Showcase.
Die unterschiedlichen Produkt-Formate von TikTok in der Übersicht.
Quelle: Tiktok
Ausserdem versucht TikTok mit verschiedenen Partnerprogrammen für Creators, Partner und Kleinunternehmen das Wachstum in den USA und in UK zu fördern. Beispielsweise der ShopSmall Accelerator mit American Express hat kleine Darlehen vergeben, der Kreativitätsfonds bezahlt Creators mit mindestens 10.000 Followern und mindestens 100.000 Views für Inhalte, um nur ein paar zu nennen.
Mehr tausend offene Jobs mit E-Commerce-Bezug hat TikTok laut der eigenen Jobbörse aktuell ausgeschrieben. Der Wille ist da, um vollends zum Marktplatz zu mutieren. Und jetzt wird das Unternehmen zum Händler.

Wieso TikTok in UK zum Händler wird

  1. Um überhaupt einen Bedarf zu generieren. Durch die verhältnismässig geringe Anzahl an HändlerInnen und Angeboten sind viele Nutzer noch überhaupt nicht mit der Möglichkeit in Berührung gekommen, über TikTok etwas zu kaufen.
  2. Wie Amazon in den Gründungstagen erst einmal für ein Produktangebot auf der Plattform sorgen, dem "Flywheel" sozusagen einen kleinen Schubs geben. In UK scheint der Marktplatz alleine mit Produkten von HändlerInnen nicht in Schwung zu kommen
  3. Zusätzlichen Umsatz generieren, um das Wachstum zu finanzieren.
Dass dieser Schritt in UK erfolgt und nicht in Südostasien, könnte einerseits darauf hindeuten, dass die Einführung einer eigenen Retailsektion vorsichtig erprobt wird.  In UK erschreckt TikTok damit nicht so viele HändlerInnen.
Andererseits ist es vielleicht auch schlicht nicht notwendig, dort den Marktplatz auf diese Weise anzuschieben. In Indonesien wirft TikTok bisher eher mit Marketingaktionen und Coupons im Stil von Temu um sich.



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