Branchenreport
15.04.2019, 08:01 Uhr
Online-Uhrenbranche: Zeit für Veränderung
Der Erfolg neuer Online Pure Player fordert die Uhrenbranche heraus. Die etablierten Händler und Hersteller tun sich schwer, darauf eine geeignete Antwort zu finden.
Der Fall machte bis weit über die Uhrenbranche hinaus Schlagzeilen: Im September 2018 gab der Uhrenhersteller Nomos bekannt, neben den etablierten Fachhandelskanälen künftig die Online Shops Chrono24 und Chronext beliefern zu wollen. Aus Protest gegen diese Entscheidung kündigte die Uhren- und Juwelierkette Wempe - der wichtigste Handelspartner des Herstellers - nur wenige Tage später die Zusammenarbeit mit Nomos auf.
Anfang März kam es nun schliesslich wieder zur Versöhnung zwischen den beiden langjährigen Vertriebspartnern: Nomos verzichtet auf die Belieferung der Online Shops und Wempe bietet die Modelle der Uhrenmarke weiterhin in seinen Geschäften an. Auf den ersten Blick scheint es sich bei dem Konflikt um ein Kräftemessen zu handeln zwischen einer Handelskette, die ihr stationäres Geschäft verteidigt, und einem dem E-Commerce gegenüber aufgeschlossenen Hersteller. Doch sind die Rollen wirklich so klar verteilt?
Den Graumarkt zurückdrängen
Der Part des stationären Dinosauriers lässt sich Wempe jedenfalls nur schwer zuweisen: Dass Nomos seit 2010 einen eigenen Online Shop betreibt, hat die 20-jährige Zusammenarbeit mit der Uhrenmarke nie beeinträchtigt. Auch Wempe selbst ist seit 2009 im E-Commerce aktiv und bereitet gerade den Relaunch seines Webshops vor.
Nomos wiederum ging es mit der geplanten Kooperation mit Chrono24 und Chronext gar nicht darum, den Online-Vertrieb seiner Uhren zu liberalisieren, im Gegenteil: Ziel sei es, den Graumarkt zurückzudrängen, bekannte Nomos-Chef Roland Schwertner in einem Brief. Vertragshändler - sogenannte Konzessionäre - hätten auf den Online-Plattformen hinter den Kulissen Uhren zu stark vom UVP abweichenden Preisen angeboten. Anstelle von Heimlichkeit und Preiswildwuchs hätte die Zusammenarbeit mit den Online-Händlern somit Nomos die Hoheit über den Vertriebskanal Internet zurückbringen sollen.
Die Konfliktlinie verläuft also nicht zwischen stationärem und digitalem Handel, sondern zwischen den etablierten Strukturen der deutschen Uhrenbranche und neuen Online-Playern wie Chrono24, Chronext, aber auch Watchmaster, Montredo und dem im Uhrenhandel überdurchschnittlich starken eBay. Die konservative Branche befürchtet nämlich, dass die im stationären Verkaufsgespräch weitverbreitete Rabattierungspraxis auf den Online-Handel übergreift und dadurch für jedermann transparent im Internet einsehbar würde.
Chronext setzt auf stationären Ankaufsservice
Das sieht auch Philipp Man, Mitgründer und CEO von Chronext, so: "Die Scheu vor transparenten Preisen ist eines der Themen, die den Herstellern beim Online-Vertrieb Sorgen machen." Daneben gehe es den Uhrenfabrikanten aber auch um die Kontrolle des eigenen Markenauftritts sowie um die Vermeidung von Kanalkonflikten mit den Gross- und Fachhändlern, die noch immer den Löwenanteil ihres Geschäfts ausmachten.
Dennoch sieht Man auch Bewegung in der Branche: "Lange haben die Hersteller geglaubt, dass Online nicht interessant für sie ist und dass E-Commerce im Bereich Luxusuhren gar nicht funktioniert. Aber inzwischen arbeiten wir mit immer mehr Herstellern zusammen." Das 2013 gegründete Unternehmen handelt sowohl mit neuen wie mit gebrauchten Uhren. Während Neuware über Hersteller und angeschlossene Fachhändler bezogen wird, setzt Chronext für die Akquise von gebrauchten Uhren stark auf den Privatkundenbereich.
Dafür hat das Unternehmen bislang 15 Lounges eröffnet, in denen interessierte Verkäufer ihre Uhren schätzen lassen und auch gleich zu Geld machen können. Um den Ankauf weiter auszuweiten, startet Chronext zudem gerade ein Partnermodell mit stationären Uhrenhändlern. "Wir stellen den Händlern ein Pricing-Tool zur Verfügung und ermöglichen ihnen so, auf Provisionsbasis bei unserem Ankaufsservice mitzumachen", erklärt Man.
Obwohl sich Chronext aufgrund seiner heterogenen Beschaffungswege selbst als E-Commerce-Plattform betrachtet, bemüht sich das Unternehmen, den Kunden gegenüber als Händler aufzutreten. "Endkunde und Händler berühren sich bei uns nie. Zudem anonymisieren wir unsere Ware, sodass der Kunde nie wissen wird, ob eine Uhr von einem Hersteller, einem Händler oder von privat kommt", erklärt Man. Auf diese Weise wolle Chronext bei den Kunden ein Maximum an Vertrauen erreichen, was die Echtheit der Uhren und die Seriosität angehe. Als grosse Herausforderung betrachtet Man die Charakteristika, die den Handel mit Luxusgütern auszeichneten: "Das sind Waren, die keiner braucht, aber alle wollen. Als Händler muss man diese Begehrlichkeit kultivieren." Um den Umsatz von rund 100 Millionen Euro weiter zu steigern, setzt Chronext auf die Expansion ins Ausland. "Wir verkaufen in 113 Märkten. Fast 50 Prozent unseres Handels findet ausserhalb von Deutschland statt", berichtet Man.
Das Marktplatzmodell von Chrono24
Dass sich Chronext nach aussen als Händler positioniert, dürfte zu weiten Teilen der Differenzierung gegenüber dem älteren und umsatzstärkeren Wettbewerber Chrono24 geschuldet sein. Der Online-Marktplatz wurde 2003 gegründet und verfolgt seine heutige Ausrichtung seit der Übernahme durch die ehemaligen Pangora-Geschäftsführer Dirk Schwartz und Tim Stracke im Jahr 2010. Chrono24 vereint auf seiner Plattform Angebote von mehr als 3.000 Uhrenhändlern und konnte damit 2018 ein Handelsvolumen von rund 1,3 Milliarden Euro erzielen.
Das Unternehmen beschäftigt 250 Mitarbeiter, ist profitabel und betreibt Standorte in Karlsruhe, Berlin, New York und Hongkong. "Für mich war absolut klar, dass Luxusuhren für ein Marktplatzmodell geeignet sind", erklärt Co-CEO Stracke. "Ein grosser Teil des Handels entfällt auf gebrauchte Uhren. Das sind immer Unikate, bei denen es eine wichtige Rolle spielt, dass man viele Angebote vergleichen kann."
Auch für Chrono24 kommt dem Thema Vertrauen eine zentrale Rolle zu: "Wir suchen die Händler sehr handverlesen aus. Zudem wird jede Transaktion über unsere Plattform abgewickelt." Das bedeute, dass Chrono24 die Kaufgebühr so lange festhalte, bis die Uhr beim Kunden sei, und diesem auch entsprechende Rückgabemöglichkeiten garantiere.
Für Stracke liegt die Besonderheit im Online-Handel mit Luxusuhren in der Emotionalität der Produkte. "Schon der Kauf einer solchen Uhr ist ein emotionaler Prozess - viele brauchen ein Jahr oder mehr bis zur Kaufentscheidung." Ohne grosse Marketing-Investitionen verzeichne man deshalb einen kontinuierlichen Strom von Besuchern, die sich regelmässig auf der Chrono24-Webseite über Modelle und Preise informierten. Um die Kundenbindung weiter zu stärken, setzt das Unternehmen auf entsprechende Inhalte und Services. "Dazu zählt zum Beispiel unsere Watch Collection, in der Kunden die Entwicklung ihres Uhrenportfolios ähnlich wie zum Beispiel bei Wertpapieren verfolgen können", erzählt Stracke.
Für das weitere Wachstum setzt auch Chrono24 auf eine internationale Geschäftsstrategie. Obwohl das Unternehmen aus Deutschland kommt, ist Italien inzwischen der wichtigste Markt für die Uhrenplattform. "Das liegt sicher an der Luxusverliebtheit und dem Stilempfinden dieser Nation“, erklärt Stracke. Die meisten Händler auf dem Marktplatz kommen dagegen aus den USA. Die höchsten Wachstumsraten beim Uhrenverkauf beobachte Chrono24 derzeit in Asien.
Die Hersteller auf Online-Aufholjagd
Sowohl Stracke wie auch Chronext-CEO Man wollen sich zu dem Konflikt rund um Nomos und Wempe nicht mehr speziell äussern. "Es ist schon so, dass die Uhrenbranche etwas konservativer ist als andere Branchen, doch gerade in letzter Zeit denken auch hier die Akteure immer mehr über Innovationen nach", erklärt Chrono24-Chef Stracke.
Das sehe man daran, dass immer öfter Hersteller im Hintergrund zu Partnerschaften bereit sein. Zudem gebe es Uhrenmarken, die selbst im Gebrauchthandel tätig seien und über Chrono24 den Zugang zu Gebrauchthändlern suchten. "Der digitale Handel ist wichtig, auch, um den jungen Menschen die Lust an schönen Uhren zu vermitteln", meint Stracke.
Dass sich die Uhrenbranche im Wandel befindet, zeigt sich auch an den erhöhten Online-Aktivitäten der internationalen Hersteller. So starten die Schweizer Traditionsmarken Audemars Piguet und MB&F derzeit gerade selbst eigene Plattformen für Gebrauchtuhren. Und der auch im Uhrenmarkt eine wichtige Rolle spielende Luxuskonzern Richemont hat sich im vergangenen Jahr mit der Übernahme von Watchfinder und Yoox Net-a-Porter gleich zwei gut eingeführte Online-Plattformen ins Haus geholt. "Dadurch können wir die fortentwickelten Bedürfnisse unserer anspruchsvollen Kundschaft besser bedienen“, erklärte dazu Richemont-Chef Johann Rupert - mit anderen Worten: Auch aus dem Luxusuhren-Segment ist das Internet nicht mehr wegzudenken.