Heisser Kauf-Markt: Technologie gefragt

Internationalisieren und dabei eigenständig bleiben 

Für das Unternehmen aus Kanada, das Walter bis dato nicht einmal kannte, sprach zum einen die Internationalität. Descartes macht etwa 50 Prozent seines Umsatzes in Nordamerika, die anderen 50 Prozent in Europa - nur Deutschland ist Walter zufolge bei Descartes "ein weisser Fleck". Zum anderen passen die Produkte beider Unternehmen gut zusammen. ­Descartes betreibt eine Plattform, über die SaaS-Lösungen für ­Fulfillment- und Logistik­services aller Art genutzt werden können. Das reicht von Routenoptimierung über Zollabwicklung und Embargobestimmungen bis hin zu Lösungen für komplexe Bestellprozesse.

Bewertungen so hoch wie nie

Neun Monate veranschlagt Berater Hübner im Regelfall für einen Übernahmeprozess. Als Daumenregel für den Verkaufspreis führt er zwei Multiplikationsfaktoren an, die Hampleton regelmässig in Reports ­anwendet: den Jahresumsatz (derzeit wird für Unternehmen aus dem E-Commerce-Bereich im Mittel das 2,4-Fache des ­Online-Jahresumsatzes bezahlt) sowie das Ebit, den Gewinn vor Steuern. Er wird mit dem Faktor 11,1 multipliziert, um einen Anhaltspunkt für den Unternehmenswert zu erhalten. Natürlich sind dies nur theoretische Werte. Für die tatsächliche Bewertung spielen viele weitere Kriterien wie das Alter des Unternehmens, das Entwicklungs­potenzial oder auch die Markteinschätzung eine wesentliche Rolle. Die höchsten Preise erzielen laut Hübner Unternehmen vier bis sechs Jahre nach Gründung. Sie haben dann erste Erfahrungen gesammelt, sind aber noch dynamisch in der Entwicklung.
Bemerkenswert ist aber, dass die beiden Multiplikationsfaktoren laut Hübner so hoch sind wie nie zuvor. "Unserer Einschätzung nach ist der Markt derzeit wahrlich heiss. Das zeigt sich auch an den teilweise sehr hohen Bewertungen der E-Commerce-Unternehmen an den Börsen und bei Investoren", erklärt er. Das werde aber nicht so bleiben. Seiner Meinung nach wird schon 2018 eine Umkehr einsetzen. Vor ­allem bei Agenturen rechnet er mit dem baldigen Ende der Konsolidierung. Im Technologiesektor hingegen sieht er noch mehr Potenzial. "Neue und gute Technologien im E-Commerce-Bereich sind nach wie vor sehr gefragt", stellt er fest. Den meisten Akquisitionen liegt daher ein unaufgefordertes Kaufangebot zugrunde.

Trend zu SaaS-Lösungen treibt den Markt

Mehrere Faktoren treiben den Markt an: Zum einen der Trend zu Lösungen auf SaaS-Basis, die immer modularere Sys­teme erlauben. Dies ist nach Hübners Meinung der nächste Entwicklungsschritt, um immer komplexere ­E-Commerce-Projekte sinnvoll gestalten zu können. Zum anderen springen Marken und Hersteller, ­grosse Händler und Konzerne schnell noch auf den Zug der ­Digitalisierung auf.
Beispiele sind hier die Übernahmen von Stylight durch den Pro-Sieben-Konzern, des Marktplatzes Hitmeister durch die Supermarktkette Real und von Fitness-App-Anbieter Runtastic durch Adidas. "Sie kommen teilweise sehr spät, deswegen zahlen sie hohe Preise", so Hübner. 220 Millionen Euro legte etwa Adidas für Runtastic auf den Tisch, bei 80 Millionen Euro lag die Bewertung für Stylight.

Geschwindigkeit ist ein wesentliches Kriterium

Bei den Technologien ist meist Geschwindigkeit ein wesentliches Krite­rium: Statt selbst zu ent­wickeln, wird eine bereits bestehende Lösung gekauft. Paradebeispiel hierfür ist derzeit Zalando. Das Unternehmen wandelt sich gerade vom Modehändler zum Technikdienstleister für die Modebranche. Eben erst hat Zalando den Marktplatzlösungsanbieter Tradebyte und den App-Anbieter Amaze und den  gekauft.
Tradebyte war auf der Suche nach einem strategischen Partner. "Wir haben uns die Frage gestellt, wie wir unsere Service Level und den Anspruch an technologisch hoch entwickelte, skalierbare Lösungen auch mittel- und langfristig halten und weiter ausbauen können", wie Geschäftsführer Matthias Schulte erklärt. Dabei bleibt auch Tradebyte eigenständig bestehen und kann seine Kunden mit den eigenen Lösungen bedienen. "Die sehr ambitionierte Plattformstrategie von Zalando war für uns die Antwort auf die Frage nach dem 'nächsten Schritt'", so Schulte - für Zalando wird es ­sicher nicht der letzte gewesen sein.



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