Female Commerce: "Andere Präferenzen"

Datenanalyse lohnt sich

Kunden perfekt abholen, persönlich beraten - das hört sich alles wunderbar an. Aber ­dahinter steckt ja viel Arbeit, vor allem bei der Datenanalyse. Lohnt sich der ganze Aufwand denn?
Wohlfarth: Einige unserer Händler, darunter auch welche aus dem Umfeld der Otto Group, sprechen ihre Kunden ja sehr persönlich an. Mein Eindruck ist, dass sich das durchaus lohnt. Angebote wie von About You, bei denen Kunden Einstellungen zu ihrem Typ und Stil eingeben können, gibt es noch viel zu selten. Ich persönlich fühle mich für die Zielgruppe von About You schon fast zu alt. Ich würde mir einen Anbieter wünschen, der mit einem ähnlichen Ansatz meine Zielgruppe anspricht. Ich muss immer noch zu viel suchen.
Versteege: Laut unseren Kundenbefragungen lohnt sich der Aufwand auf jeden Fall, bei der Kundenbindung genauso wie beim Umsatz. Allerdings nutzen bisher die meisten Unternehmen ihre Zahlen noch zu wenig, um daraus sinnvolle Schlüsse zu ziehen. Zalando zum Beispiel weiss doch genau, was ich schon bei ihnen gekauft habe, und welche Hose mit welchen Schuhen beispielsweise zusammen mit dem schon gekauften Top ein perfektes Outfit bilden würden. Trotzdem bekomme ich so gezielte Vorschläge nicht. Die Daten sind dafür da, aber das wird noch nicht so ausgewertet, dass ich das als Kunde zu Hause wirklich spüre. Das steckt noch in den Kinderschuhen.
Wohlfarth: Ja, stattdessen gibt es überall die etwas nervigen Cookies, die nur wieder die Produkte anzeigen, die man sich schon angeschaut und eben nicht gekauft hat - vermutlich aus gutem Grund.

Angenommen, man wertet die vorhandenen Daten vorbildlich aus: Welche Schlüsse zieht man daraus, um gezielt eine weibliche Zielgruppe anzusprechen?
Majer: Bei Catchys haben wir den Schwerpunkt komplett auf Frauen gelegt. Ein wichtiger Faktor der Ansprache sind sicher Shootings, in denen wir ganze Looks vorstellen - die dann entsprechend bei ­unseren Partnern gekauft werden können. Gerade im Secondhand-Bereich kommt dieser Inspirationsaspekt oft zu kurz. Zudem bauen wir gezielt ins Newsletter-Marketing ein, was bereits gekauft wurde - das ist etwas schwieriger, weil jedes Produkt ja nur einmal verfügbar ist und wir als Affiliation-Seite zudem keine Ware im Lager haben. Dennoch legen wir darauf grossen Wert, denn ich glaube schon, dass Frauen im Vergleich zu Männern viel mehr zu Impulskäufen neigen, vor allem wenn es ein Schnäppchen zu machen gibt. Deshalb schicken wir bei Preissenkungen auch ­immer direkt entsprechende Alerts raus. Bei Catchys als Secondhand-Metasuche geht es darum, den Frauen Produkte von verschiedenen Plattformen übersichtlich auf einer Seite zu präsentieren, ohne dass sie sich durch die unzähligen Marktplätze klicken müssen.

Das erinnert sehr daran, was Frau Bösch über ihre männlichen Kunden gesagt hat: Sie wollen Kuratierung, sie wollen eine kleinere Auswahl, sie wollen schnell zum Kauf kommen. Sind die Geschlechter also doch nicht so verschieden?
Bösch: Ich glaube, es gibt zwei Motivationen shoppen zu gehen: Entweder weiss ich genau, welches Produkt ich haben möchte - dann kaufe ich zielgerichtet in dem Shop, in dem es dieses Produkt gibt. Oder ich brauche etwas Neues - und diese zweite Motivation ist natürlich wesentlich ungenauer als die erste. Da ist Inspiration und Unterstützung sehr interessant. Nur wenn man es als Shop-Anbieter schafft, dem Kunden mit dieser Motivation die nötige Inspiration und gleichzeitig Unterstützung zu geben - indem ich dafür sorge, dass er sich auf meiner Seite verstanden fühlt - bekommt man langfristig die Loyalität dieses Kunden. Wenn ich das nicht schaffe, bin ich eigentlich kein Händler, sondern betreibe ein reines Transaktionsgeschäft.

Mal abgesehen vom Modebereich: Wie relevant ist eine geschlechterspezifische Ansprache in anderen Branchen? Vergrault man da nicht eher eine Kundengruppe, wenn man die andere zu dezidiert anspricht?
Versteege: Bridget Brennan sagt: The ­bonus of reaching female buyers is that when it’s done well, you’ll make your male customers happier too and they won’t even realize they weren’t your original target. Wenn man natürlich zu viel in die Richtung Rosa und Pink geht, wie man das früher beim Gender Marketing gemacht hat, dann wird das nicht funktionieren. Dennoch ist es auch in angeblich männerlastigen Branchen wie IT oder Consumer Electronics entscheidend, die Frauen anzusprechen: Schliesslich ist die Frau auch in ­diesen Branchen für einen Grossteil der Kaufentscheidungen verantwortlich. Sie bestimmt den Autokauf mit und entscheidet auch darüber, ob der Hightech-Grill in den Garten kommt oder nicht. Diese Branchen sehen die Notwendigkeit aber bisher noch nicht.
Onaran: Also, ich glaube schon, dass sich auch in anderen Branchen viel tut. Ein ­gutes Beispiel ist Mercedes und deren Initiative "SHE is Mercedes". Das war eine Social-Media-Kampagne mit vielen Bloggern, die sich normalerweise eher im ­Fashion-Bereich tummeln. Von Mercedes, einem alteingesessenen Mitglied der konservativen Autobranche, hätte ich zuletzt vermutet, dass sie so eine Kampagne machen, um weiblichen Kunden zu erreichen.
Versteege: Ja, Daimler-Chef Dieter Zetsche hat gemerkt, dass Mercedes bei der weiblichen Zielgruppe nicht ankommt, und hat deshalb die Parole "Frauen sind das neue China" ausgegeben. Bis 2020 soll Mercedes die führende Neuwagenmarke für Frauen werden - und diese Kampagne sollte der Startschuss sein. Aber der Denkansatz dahinter ist für mich nicht der richtige. Denn Mercedes lagert das "She’s Mercedes"-­Thema von der normalen Seite aus - die Frauen bekommen eine separate Seite mit einem hübsch gemachten Lifestyle-Konfigurator, der sie zu ihrem neuen Auto führen soll. Aber wenn sie diesen Konfigurator ausgefüllt haben, landen sie doch auf der altgehabten Seite von Mercedes und müssen sich durch die ganze Technik wühlen, die voll auf männliche Kunden abzielt.

Man bewegt sich da auch offenbar auf einem schmalen Grat zwischen Zielgruppen­ansprache und Zielgruppenverärgerung …
Wohlfarth: Möbelhändler sind hier ein ­gutes Beispiel: Deren Kunden sind zwar grösstenteils Männer, aber die Kaufentscheidung treffen trotzdem meiner Meinung nach die Frauen. Deshalb müssen sie sich bei der Zielgruppenansprache so bewegen, dass sie beide Geschlechter ansprechen. Ein anderer Kunde von uns verkauft Boxen und Lautsprecher. Der Händler erzählte mir, dass zwar 90 Prozent seiner Kunden männlich sind, aber dass diese doch sehr stark von ihren Frauen beeinflusst werden. Der Händler hat daraufhin sein Sortiment erweitert und Produkte in verschiedenen Farben und ansprechenden Designs mit aufgenommen. Jetzt sind die Lautsprecher eine Art Dekorationsartikel, die auch Frauen gerne in der Wohnung platzieren.
Versteege: Die wenigsten Shops wissen, warum ein Kunde oder eine Kundin zu ­ihnen kommt, zu welcher Kunden-Persona sie gehören - oder eben auch, wer ­eigentlich die Kaufentscheidung trifft. Da fängt das Problem ja an.
Onaran: Ich denke, die grossen Händler wissen schon eine Menge über ihre Kunden, während die kleinen und mittelständischen Händler hier extremen Nachholbedarf haben. Dadurch erweitern die Grossen ihren Abstand zum hinteren Mittelfeld zusätzlich noch durch ihre stetig verbesserte Kundenansprache.

Was hat sich denn in Sachen Frauenansprache in den letzten zwei Jahren verändert?

Majer: Ich glaube, da gibt es von Industrie zu Industrie ­extreme Unterschiede. In der Modebranche ist in Sachen Datenauswertung in den letzten zwei Jahren extrem viel passiert, sowohl in der frauen-  als auch in der männerspezifischen Ansprache. Bei Catchys führen wir zum Beispiel regelmässig Kundenbefragungen durch und laden auch teil­weise Kundinnen zu uns ein, um herauszufinden, was diese stört, was wir besser machen können und so weiter. Wir entwickeln die Seite quasi mit dem Kunden weiter. Aber in anderen Branchen, zum Beispiel im Reisebereich oder im Elektronikmarkt, passiert noch sehr wenig.
Bösch: Eigentlich sollten alle Händler immer überprüfen: Habe ich mir das in meinem stillen Kämmerlein überlegt oder macht das auch für ­meine Kunden Sinn? Dazu gehört auch, dass man sich über verschiedene Kundengruppen, die Personas eben, im Klaren ist und weiss, warum diese im eigenen Shop kaufen und was sie dort erwarten. Da kann man viel gewinnen.

Mussten Frauen im E-Commerce erst in höhere Positionen kommen, damit Female Commerce an Bedeutung gewinnen konnte?

Wohlfarth: So viel hat sich in den höheren Positionen ja noch nicht getan. Ich treffe in Kundengesprächen zu 90 Prozent weiterhin auf Männer. 
Onaran: Bei dem Thema "Präsenz von Frauen" - ob als Entscheiderinnen oder auf Podien - sind wir noch nicht da, wo wir sein sollten. Trotzdem glaube ich, dass sich in den letzten Jahren viel getan hat. Es gibt mehr Gründerinnen und sichtbare Expertinnen.
Majer: Also, auf Investoren-Events muss man Frauen meistens weiterhin mit der Lupe suchen.
Bösch: Ich glaube nicht, dass die wachsende Präsenz von Frauen in Entscheiderpositionen etwas mit der Präsenz des Themas "Female Commerce" zu tun hat. Ich glaube eher, das ist der logische ­nächste Schritt im E-Commerce. Am ­Anfang ging es nur darum, möglichst ­viele Produkte online zur Verfügung zu stellen, so wie Amazon das am besten tut. Jetzt im zweiten Schritt geht es eben eher darum, den Kunden noch genauer anzusprechen - und die geschlechterspezifische Ansprache ist eben eine Ausprägung dieser Entwicklung. Es ist der logische nächste Evolutionsschritt. 




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