Die Beziehungskrise: Wie Marken mit Amazon umgehen

Abhängigkeit von Amazon

Das hat vor allem wirtschaftliche Gründe: Ähnlich wie viele Händler, die einen Grossteil ihres Umsatzes auf Amazon ­erwirtschaften, sind auch viele mittelständische Hersteller von dem Marktplatz-Riesen abhängig. Hier hat sich an der Grundkonzeption der Beziehung von Hersteller und Verkaufsplattform wenig geändert: Realisierten Marken früher den grössten Teil ihres Umsatzes über den Verkauf bei einer stationären Handelskette, so nimmt eben heute Amazon den Part des mit Abstand wichtigsten Handelspartners ein - mit allen Folgen. "Die Plattform kann die Bedingungen diktieren, beispielsweise indem sie Liefermengen oder -zeiträume und Rücknahmebedinungen festlegt oder die Konditionen zu ihren Gunsten festschreibt", so Brindöpke. "Die Hersteller haben kaum eine Wahl und müssen dort sein, wo die Kunden sind - oder sie müssen den schmerzhaften Umsatzeinbruch in Kauf nehmen."
In der Folge hat sich die Sichtweise auf Amazon bei vielen Herstellern gewandelt: Dass ihre Marke auf Amazon präsent ist, damit haben sich viele Hersteller mittlerweile abgefunden - aber von einer echten Liebesbeziehung kann man in den meisten Fällen kaum sprechen, auch weil die Bedingungen für Hersteller wie Händler durch den gnadenlosen Konkurrenzkampf immer härter werden. "Der klassische Hersteller, der Produkte regional vertreibt, muss plötzlich auf Amazon Platzierungen kaufen, um seine Markenware oben in den Listings zu platzieren", fasste E-Commerce-Berater Alexander Graf die Lage vieler mittelständischer Brands im OMR-Podcast zusammen. "Ich kenne keinen Hersteller, der seine Abhängigkeit von Amazon erhöhen will. Die verdienen da keine Marge."
Ein schönes Beispiel für Grafs Argument: Kaum hatte sich Nike aus dem Vendor-Programm zurückgezogen, fand sich unter dem Suchbegriff "Nike" auf Amazon auf Platz eins der Suchergebnisse eine Sponsored-Product-Anzeige des Konkurrenten Reebok.

Amazon bemüht sich um mehr Transparenz

Ein weiterer Kritikpunkt vieler Hersteller an Amazon: Lange Jahre fand der Marktplatz kein probates Mittel gegen Produktfälscher. Fakes standen Seite an Seite mit Originalprodukten der Hersteller; und durch die gemeinsame Lagerhaltung in den FBA-Lagern konnte es durchaus passieren, dass Kunden bei einer Bestellung beim Originalhersteller ein gefälschtes Produkt zugestellt bekamen. Nach jahrelangen Klagen hat Amazon Mitte 2019 das "Transparency Program" auf den Markt gebracht. "Dabei werden einmalige Produktcodes als QR-Code am Produkt angebracht, um das Produkt in der Supply Chain als echt zu identifizieren", erklärt Klaus Forsthofer von der Marktplatz-Beratung Markplatz1 das System. "Kein Lager, Transporteur oder Kunde soll mehr Produkte annehmen, die nicht über so einen Code als echt verifiziert werden können. Damit gibt Amazon Markeninhabern eine starke Waffe an die Hand, um sich vor illegalen Produktkopien beziehungsweise nicht legalen Importen zu schützen."
Für Forsthofer ist das Transparency Program nur ein Anzeichen dafür, dass Amazon die Klagen der Hersteller ernst nimmt. Ebenfalls gab Amazon mit dem neuen Tool "Brand Analytics" Händlern und Herstellern mehr Einblick in den Datenschatz des Marktplatzes; soziodemografische Käuferstruktur, kategoriespezifische Umsatz- und Klickzahlen sowie Vergleichsprodukte können damit eingesehen werden. "Mit Brand Analytics wird Amazon zum Marktforschungsinstitut, das Seller und Vendoren für ihr Geschäft nutzen können - kostenlos", so Forsthofer. Auch hier reagiert Amazon auf die Kritik seiner Partner, der Marktplatz würde nur den Umsatz an die Verkäufer weitergeben - nicht aber den immer wichtiger werdenden Datenschatz. Ob der Vorstoss grosse Marken davon abhalten wird, Amazon den ­Rücken zu kehren, bleibt abzuwarten.



Das könnte Sie auch interessieren