Verlag wird Content-Haus 21.03.2017, 09:03 Uhr

Bastei Lübbe: "Digitaler Lernprozess"

Nicht nur eBooks und Hörbücher: Anders als die meisten Buchverlage sucht Bastei-Lübbe neue, digitale Wege zu Lesern und zudem mehr Verwertungsschienen für spannende Geschichten und Romane.
Thomas Schierack leitet seit 2008 den Kölner Bastei-Lübbe-Verlag und treibt seit 2012 die Digitalisierung voran.
(Quelle: Oliver Favre/Bastei Lübbe)
Zwölf Serien zum Start: Heute, am 21. März startet Bastei-Lübbe Oolipo. Smartphone-Nutzer finden auf der neuen Online-Plattform Lesestoff. Das Leseportal ist einer der wichtigsten Meilensteine für den Mobile Commerce und die digitale Transformation des Kölner Verlags, auf ihm ruhen grosse Hoffnungen: Bis 2020 will Bastei-Lübbe damit dreistellige Millionen-Umsätze erwirtschaften.
Alles für gute Geschichten: Zu Bastei Lübbe gehören heute zwölf Buchverlage, der mehrfach ausgezeichnete Spielehersteller Daedalic sowie Filmspezialist Bastei Media. Der Buchverlag versucht Inhalte auf all diesen Schienen zu verarbeiten und hat mit Booksrix, Beam-Shop und Oolipo neue Onlineplattformen zur digitalen Verbreitung von Inhalten aufgebaut.
Quelle: Bastei Lübbe AG
Seit etwa 2012 arbeitet Bastei Lübbe an seiner Digitalisierung. Das Verlagshaus, bekannt als Produzent von Groschenromanen und Rätselheften, wandelt sich zum Content-Haus und Inhalte-Anbieter. Es ging 2013 an die Börse. Kauft seither zu. Beteiligte sich zum Beispiel am Hamburger Spiele-Produzenten Daedalic, zuletzt an Buchpartner.de, ein Grossist, der Bücher in Super- und Elektronikmärkten platziert. Mit Bastei Ventures gehört eine Beteiligungsgesellschaft zum Verlag, die in Start-ups investiert. "Digitalisierung bedeutet Vernetzung", sagt Schierack. Im Interview erklärt der Vorstandschef, wie sich das Lesen wandelt, digitale Strategien in einem Verlag durchsetzen lassen und wie in Zukunft Inhalte vermarktet werden.
Wie lesen Sie am liebsten Bücher, Herr Schierack - auf Papier oder mit Reader?
Thomas Schierack: Beides - wenn ich zuhause bin, lese ich gerne gedruckt, im Urlaub habe ich einen Reader dabei. So kann ich spontan entscheiden, was ich lesen will. Mit meinen 59 Jahren bin ich mit Büchern aufgewachsen, ich werde sicher auch in Zukunft Gedrucktes lesen. Aber ob meine Kinder, die jetzt zehn und zwölf Jahre alt sind, das auf Dauer noch machen, wage ich zu bezweifeln. Sie haben schon heute vor allem ihr Smartphone in der Hand und lesen darauf. Ich glaube daher nicht an eine grosse Zukunft für den Reader, auf diesen Geräten kann man nur lesen. Die ganze kreative Bandbreite der neuen Medien, also liken, teilen, Multimedia-Inhalte einbauen, ja sogar mailen - das geht darauf nicht. Digital wird in Zukunft vor allem auf Smartphones und Tablets gelesen.
Der Bastei-Lübbe-Verlag musste im vergangenen Jahr die Bilanzen wegen Fehlern bei der Konsolidierung von Tochtergesellschaften korrigieren, ausserdem trat der Aufsichtsrat geschlossen zurück. Sind diese Fragen schon geklärt?
Schierack: Wir haben die Beteiligungen und Bilanzen der letzten Jahre neu geordnet. Unsere Beteiligungen sind im Einvernehmen mit den Wirtschaftsprüfern nun wieder konsolidiert, die neuen Bilanzen allesamt testiert. Inzwischen hat sich auch der neue Aufsichtsrat eingearbeitet. Daher läuft die Bastei Lübbe AG wieder wie eine gut geölte Maschine und wir können uns voll und ganz dem geplanten Wachstum und der Digitalisierung zuwenden.

Digitalumbau mit Mitarbeitern aus anderen Branchen

Bisher beschränkte sich die Digitalisierung von Verlagen weitgehend darauf, gedruckte Bücher auch digital oder als Hörbücher anzubieten. Warum tun sich Verlage so schwer mit der Digitalisierung?
Schierack: Weil sie es nicht anders kennen. Verlage haben jahrzehntelang immer gleich gearbeitet. Mit der Digitalisierung verändern sich die Bedingungen für Verlage rasant. Sich dem zu öffnen, bedeutet, einmal erlerntes und jahrelang praktiziertes Wissen über Bord zu werfen und in einen umfangreichen digitalen Lernprozess einzusteigen. Das fällt wirklich schwer. Wir sind hier durchaus Vorreiter und haben eigene Abteilungen eingerichtet für digitalen Vertrieb und Marketing sowie für digitale Inhalte. Hier arbeiten ausschliesslich Leute, die aus anderen Branchen zu Bastei-Lübbe stiessen. Sie kamen etwa aus der Musiksparte, aus dem E-Commerce und der Online-Marketing. Aber viele Verlage denken immer noch stark in den Kategorien Buch, Audio, eBook und setzen auf die gewohnten Vermarktungsformen Prospekt und Handelsvertretungen. Dabei entfallen heute schätzungsweise 30 Prozent der Umsätze im digitalen Buchbereich auf Selfpublisher. Diese Autoren denken und arbeiten anders und vermarkten sich fast ausschliesslich über Online-Kanäle.
Braucht es in Zukunft überhaupt noch Verlage?
Schierack: Natürlich! Ihr Know-how ist in vielen Bereichen unersetzlich. Das beginnt dabei, dass sie professionell einschätzen können, wie gut Stoffe sind, wie man sie noch besser macht und richtig vermarktet. Das wird auch weiterhin wichtig sein. Hinzu kommt: Zurzeit liegt der Digital-Anteil am gesamten Buchgeschäft in den USA bei 25, bei uns bei geschätzten zehn Prozent. Abzusehen ist, dass er bei uns nicht über 30 Prozent steigen wird, jedenfalls nicht mit den derzeit digital angebotenen Inhalten. Wenn Sie also Bücher ausschliesslich digital und womöglich noch als Selfpublisher veröffentlichen, verzichten Sie auf 70 Prozent Ihres Geschäftes. Für Top-Autoren sind die Einnahmen aus dem Verkauf gedruckter Bücher immer noch sehr wichtig - und dafür brauchen sie weiterhin Verlage mit ihrer Vertriebsstruktur sowie dem Lektorat. Verlegen ist eine Dienstleistung.

Mehr digitale Vertriebswege aufbauen

Bastei Lübbe beschäftigt rund 350 Mitarbeitern an verschiedenen Standorten in Köln, Erfurt und im Ausland
Quelle: Unternehmen
Bastei-Lübbe betreibt mehrere Plattformen zum Vertrieb von digitalem Lesestoff. Wann kommt die Flatrate?
Schierack:
Ideen gibt es ja viele, Flatrates gehören dazu. Ob sie sich durchsetzt, kann ich Ihnen nicht sagen. Sicher ist aber: Bastei-Lübbe wird mittelfristig den digitalen Vertrieb verstärken. Beam-shop.de ist der eBook-Store, in dem wir auch die Werke anderer Verlage anbieten, er wird sich ausserdem auf Angebote rund um Serien spezialisieren und Abonnement-Modelle vorantreiben. Selfpublishern bieten wir mit Bookrix die Plattform, auf der sie Bücher produzieren und vermarkten können. Und jetzt starten wir Oolipo als absolut innovatives Format für Content via Smartphones. Junge Leute suchen dafür kurze, multimediale, serielle Lesestoffe. Die Angebote, mit denen Oolipo startet, enthalten daher Fotos, teilweise auch Filmsequenzen und sie nutzen die Features, die das Smartphone bietet, wie zum Beispiel Geolocation. Zum Start stehen zwölf Serien bereit, teils in deutsch, teils in englisch. Bezahlt wird mit Credits, also einer Währung, die sich bei Handy-Spielen durchgesetzt hat. Je Episode eines Oolipo Originals zahlen User 90 Credits, das sind in etwa 90 Cents. Damit jeder seine Lieblingsserie findet, sind die ersten Folgen immer kostenlos. Mittelfristig werden wir möglicherweise auch Flatrates testen und Oolipo für externe Inhalte öffnen. Die Leute lesen weiterhin Bücher, beschäftigen sich aber zunehmend, wenn sie warten müssen, auch mit kurzen, interessanten Geschichten.
Warum bieten Sie Smartphone-Stoffe und eBooks nicht auf einer Plattform an?
Schierack: Weil es zwei komplett unterschiedliche Märkte und Zielgruppen sind. Oolipo richtet sich nur an mobile Geräte, was dort angeboten wird, kann technisch nicht auf den Readern gelesen werden.
Wie gut laufen gedruckte Bücher gegenüber eBooks bei Ihnen?
Schierack: Das unterscheidet sich von Genre zu Genre. Bei Liebes- und Erotikromanen liegt der Digitalanteil inzwischen bei rund 50 Prozent, bei Kinder- und Jugend- oder auch Sachbüchern indes noch unter einem Prozent. Im Schnitt bewegt sich der eBook-Anteil von Bastei-Lübbe bei ungefähr 20 bis 25 Prozent, das ist im Branchenvergleich relativ hoch.
Wie hoch ist der Digitalumsatz bei den Büchern?
Schierack: Nur auf Bücher bezogen, also die gedruckten und digitalen Werke sowie die Hörbücher, liegt der Digitalumsatz bei etwas mehr als 30 Prozent unseres Gesamtvolumens. Etwa die Hälfte der Hörbücher werden digital verkauft.

Spiele zu Büchern machen und umgekehrt

Sie haben sich mit Daedalic einen Spieleverlag zugelegt, warum?
Schierack: Daedalic ähnelt von seiner Struktur her sehr stark einem Buchverlag. Das Unternehmen in Hamburg produziert Adventure- und taktische Spiele. Am Anfang jedes Spiels steht eine gute Geschichte. Daedalic beschäftigt wie wir Autoren. Das Unternehmen eröffnet uns viele Möglichkeiten zur Kooperation. Geplant ist beispielsweise, aus den Spielegeschichten eBooks oder multimediale Smartphone-Serials zu produzieren und darin Grafiken oder Bildmaterial zu übernehmen. Daedalic gewinnt damit umgekehrt Kanäle, die teils aufwändig hergestellten Spiele weiter zu vermarkten. Durch diese Verzahnung eröffnen sich auch den Buchverlagen mehr Verbreitungschancen und neue Zielgruppen.
Wie hoch ist der gesamte Digitalanteil der Verlagsgruppe und auf welche Segmente verteilt er sich?
Schierack: Der Digitalanteil ist bei uns unter einem eigenen Dach gebündelt. Insofern verteilen sich die Digitalumsätze nicht auf verschiedene Segmente, sie sind ein eigenes Segment. In den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres haben wir inklusive der Beteiligung an der Firma BuchPartner 118 Millionen Euro Umsatz gemacht. Davon sind 27,6 Millionen Euro reine Digitalumsätze, sie speisen sich überwiegend aus den eBooks und den Hörbüchern bei Bastei Lübbe. Noch knapp 1,5 Millionen Euro Umsatz von BookRix und 7,4 Millionen Euro Umsatz von Daedalic Entertainment kommen noch hinzu.
Gibt es schon Kooperationen zwischen Buchverlag und Spieleproduktion?
Schierack:
Es gibt viele wirklich tolle Ideen. Aber für die Umsetzung ist es noch ein bisschen zu früh. Erst werden wir Oolipo etablieren, dann kümmern wir uns um die inhaltliche Verzahnung von Verlag und Spielebereich. Im Spätsommer kommt allerdings ein Spiel heraus, das auf dem Roman "Die Säulen der Erde" von Ken Follett basiert. Zeitgleich erscheint dessen neuer Bestseller aus der "Kingsbridge"-Reihe.
Ton und Animation spielen bei digitalen Inhalten eine grosse Rolle: Wie grenzen sich Bücher von Filmen ab?
Schierack: So wie heute eBooks und gedruckte Bücher parallel nebeneinander existieren, wird auch in diesem Bereich vieles gleichzeitig laufen. Wir produzieren weiterhin klassische Bücher, doch der Absatz wird langfristig stagnieren. Das fehlende Wachstum können auch Audio- und eBooks nicht auffangen. Für Wachstum setzen wir daher verstärkt auf digitale und multimediale Inhalte zum Hören, Anschauen, Lesen und Spielen.

Den Kiosk durch Online-Kanäle ersetzen

Multimediale Inhalte zu produzieren ist aufwändig und teuer. Wie lösen Sie das Dilemma?
Schierack: So aufwändig ist Multimedialität auch nicht - zumindest in Buchformaten. Die erste multimediale Serie "Apocalypsis" haben wir 2011 als App publiziert und dafür eine knapp sechsstellige Summe investiert. Für Smartphone-Serials drehen wir keine eigenen Filme, sondern integrieren Material, das frei zur Verfügung steht oder uns von Unternehmen wie Daedalic zur Verfügung gestellt wird.
Um mit Preisen um drei Euro pro Serie Gewinne zu machen, werden Sie massenweise verkaufen müssen.
Schierack: Wir betreten mit unserem Konzept absolutes Neuland. Tests und Umfragen stimmen uns aber positiv, dass unsere Idee erfolgreich sein kann. Das wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Massengeschäft ist unser Kerngeschäft. Mit Massengeschäft im Bereich Romanhefte sind wir gross geworden. Diese Idee wollen wir nun auf den digitalen Bereich übertragen. Keiner liest auf dem Smartphone ein Buch von 1.000 Seiten. Multimediale Inhalte, seriell aufbereitet - das ist Zeitgeist, und der zeigt sich auch im Fernsehen und beim Streaming. Wir haben in den letzten 60 Jahren viel Erfahrung mit Serienproduktionen gesammelt und sind heute damit erfolgreicher denn je. Wir haben mehr als eine Milliarde Jerry Cotton-Hefte verkauft, setzen Zehntausende von Serienromanen pro Woche ab, und längst gibt es die Heftreihen auch digital. Für solche Serien sind Verlage meist nicht ausgerichtet. Bastei Lübbe digitalisiert jetzt die Strukturen und überführt sie in andere Bereiche. Setzt sich eine Serie durch, kann sie mit vergleichsweise niedrigem Marketingaufwand befeuert werden. Wir müssen dazu lediglich den Kiosk durch Online-Plattformen ersetzen.
Neuerdings vermarkten Sie Inhalte auch an Unternehmen wie Starbucks, die Deutsche Bahn, McDonalds oder Amorelie.
Schierack: Es ist noch ein kleiner Bereich, der aber sicher wachsen wird. Die Nachfrage ist da. Erste Hörspiele und eBooks haben wir an Autokonzerne, Hotels und andere Unternehmen verkauft, die mit Inhalten Kunden auf eigenen Plattformen und in WLAN-Netzen binden möchten. Der Markt für uns als Content-Dienstleister ist vielfältig. Auch Händler, Fluggesellschaften oder Möbelhersteller und andere Dienstleister sind interessiert.
Wie werben Sie für Ihre Inhalte, wo finden Sie Leser?
Schierack: Von der klassischen Buchhandelswerbung über Pressearbeit bis hin zum Online-Marketing bespielen wir inzwischen alle möglichen Kanäle. Bastei-Lübbe beschäftigt mehrere Community-Manager für verschiedene Genres, über 20 Spezialisten für Online-Marketing. Und wir haben mit dem Vemag-Verlag in Köln gerade einen YouTube-Verlag gegründet, wollen hier die YouTuber ansprechen und sie dazu bewegen, ihre Inhalte auch als Buch oder Serial mit uns zu produzieren. Digitalisierung bedeutet intensive Vernetzung. Das Bedürfnis nach guten und interessanten Inhalten nimmt grundsätzlich weiter zu. Es ändern sich nur die Wege, auf denen wir diese Nachfrage finden und bedienen. Als Verleger müssen wir in neue Bereiche hineinwachsen und uns breiter aufstellen. Ob alle neuen Geschäfte letztlich auch als Massenmarkt funktionieren, ist eine andere Frage.
Leisten Sie sich deshalb mit Blue Sky Ventures auch eine Beteiligungsgesellschaft? Welche Start-ups sind interessant für Bastei Lübbe?
Schierack: Das kann man nicht allgemein beantworten. Wir schauen uns viele Gesellschaften aus unterschiedlichen Bereichen an. Voraussetzung ist, dass sie im digitalen Bereich tätig sind. In letzter Zeit interessieren wir uns auch für digitale Technikgesellschaften. Wir setzen weiterhin verstärkt auf eigene Inhalte, an denen wir alle Rechte haben. Dann gibt es die Möglichkeit, Inhalte zielgerichtet auf vielen Kanälen - analogen und digitalen - zu vermarkten. Und wir werden uns noch stärker im Vertrieb engagieren. Es macht dabei keinen Sinn, mit Amazon konkurrieren zu wollen, aber in der Vermarktung von Inhalten und Spielen sehen wir noch viele interessante Nischen, die wir besetzen können.




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