Analyse 11.10.2017, 08:11 Uhr

Amazon Fashion: Jetzt wird es ernst

Seit Jahren versucht der weltgrösste Online-Händler im schwierigen Modemarkt Fuss zu fassen. In diesem Jahr hat Amazon die Schlagzahl bei seinen Bemühungen kräftig erhöht.
Nach über einem Jahr fieberhafter, höchst geheimer Vorarbeit liess Amazon Anfang September die Bombe platzen: Der Online-Gigant launchte eine europäische Modekollektion unter dem Inhouse-Label Find. Die rund 500 Teile umfassende Kollektion aus Hosen, Blusen, Mänteln und Schuhen im mittleren Preissegment kam bei der Fachwelt erstaunlich gut an: "Stylish und modern" seien die Produkte, erstaunlich "eigenständig" noch dazu, und das alles zu "fairen Preisen".
Die Premiere, die Amazon mit einer gross angelegten ­europaweiten Werbekampagne begleiten lässt, scheint gelungen. "Die Gelegenheit, ein neues Geschäft aufzubauen, ist aufregend", resümiert Frances Russell, Vize-Präsidentin von Amazon Find und ehemalige Chefin des Damemodenbereichs der britischen Bekleidungskette Marks & Spencer. "Wir haben keine Altlasten aus dem stationären Handel oder aus einer Unternehmensgeschichte, deshalb machen wir unsere eigene Geschichte" - und das auf typische Amazon-Art:
Für das ­Design von "Find" haben Russell und ihre Kollegen monatelang Kundenbewertungen zu Fashion-Käufen ausgewertet, um herauszufinden, was ankommt und was nicht. Zusätzlich wurden Fashion-Trends in den sozialen Netzen beobachtet. Das Ergebnis kann ohne Probleme mit Mittelklasse-Brands wie Zara, H&M oder auch Mango mithalten.

Amazon Fashion wurde lange unterschätzt

Die Überraschung in der Branche fällt durchaus gross aus. Schliesslich versucht sich Amazon zwar schon seit einiger Zeit im Modebereich, wurde aber für seine Bemühungen immer wieder von der Branche abgewatscht: Schlechte Bilder, eine Ansammlung wahllos zusammengestellter Marken und eine Suchfunktion, die bei der Suche nach "schwarzes Kleid" über 64.000 Ergebnisse ohne Filtermöglichkeiten ausspuckt - das alles schien nicht dazu angetan, Amazon zu einem ernsthaften Player im anspruchsvollen Fashion-Markt werden zu lassen. "Amazon versucht, jedem die Butter vom Brot zu stehlen", äusserte sich kürzlich Zalando-Chef Rubin Ritter gegenüber der "Financial Times", "aber das Amazon-Modell - Du kannst alles kriegen, und das günstig und einfach - eignet sich nicht besonders für den Modebereich."
Amazon scheint dieses Jahr den Gegenbeweis antreten zu wollen. In den USA, wo der Retailer bereits im letzten Jahr über 15 Mode-Eigenmarken launchte, wird Amazon 2017 vermutlich etwa 28 Milliarden US-Dollar (plus 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr) nur mit Fashion umsetzen - und damit Macy’s vom Thron des grössten US-Modehändlers stossen. Innerhalb der nächsten fünf Jahre wird Amazon Fashion zudem seinen Marktanteil am US-Modemarkt von zurzeit 6 Prozent auf dann 16 Prozent steigern, schätzen Analysten.
In Europa ist es noch nicht ganz so weit, aber im vierten Quartal 2016 wurden ­bereits 60 Millionen Modeprodukte über die europäischen Amazon-Marktplätze verkauft; im zweiten Quartal 2015 waren es noch 30 Millionen.
Damit das Wachstum so weiter geht, setzt Amazon auf eine Mischung aus Emotion und Technik. Für die Emotionen sind, neben den durchaus aufwendig inszenierten Eigenmarken, grosse Brands und Desig­ner mit junger Zielgruppe zuständig. Im August gab Nike seinen Einstieg auf Amazon bekannt, ab Oktober wird Swarovski Schmuck und Uhren im eigenen Amazon-Shop anbieten. Sylvie Meis hat eine exklusive Unterwäschekollektion für Amazon Fashion kreiert. Und der angesagte italienische Modedesigner Nicola Formichetti präsentierte die neue Kollektion seines ­Labels Nicopanda gemeinsam mit Amazon Fashion auf der London Fashion Week.

Amazons Zugang zu Mode ist die Technik

Das Beispiel Nicopanda leitet über zu Amazons technischem Zugang beim Thema Mode: Die Teile der Kollektion waren nicht nur zeitgleich mit der Catwalk-Show von Nicopanda im Amazon-Shop erhältlich, Prime-Kunden konnten sich die Produkte auch gegen einen Aufpreis per ­Prime Now innerhalb einer Stunde liefern lassen.
Auch für die Zukunft setzt Amazon auf Tech-Power, um den schwierigen ­Fashion-Markt zu erschliessen: Im April meldete der Retailer ein Patent für eine vollautomatische Modeproduktion an, im August wurde bekannt, dass Forscher von Amazon in San Francisco und Israel an ­einem Algorithmus arbeiten, mit dem Modetrends durch Bilder, beispielsweise auf ­Instagram, erkannt und daraus eigene Modedesigns entworfen werden können. Man wird sehen, wie lange Amazon noch menschliche Designer braucht.



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