Für Händler: Kurzfristige Kredite als Hilfe in Krisenzeiten
Lagerware als Sicherheit für Banken
Eine andere Möglichkeit, sich kurzfristig Geld zu beschaffen, ist die sogenannte Lagerfinanzierung. Das Konzept: Oft liegen Waren im Wert von mehr als hunderttausend Euro im Lager des Händlers, gebundenes Kapital also. Diese Waren dienen bei der Lagerfinanzierung als Sicherheit. Das Verfahren ist seit langem in den Geschäftsbeziehungen zwischen stationären Händlern und deren Hausbanken üblich. Beim Online-Handel sind jedoch viele Banken mit der grossen Handelsdynamik und den sich stetig verkürzenden Lagerzeiträumen überfordert. Deswegen können sie den Lagerwert nicht einschätzen.
Abhilfe verschafft hier das 2016 gegründete Fintech Labest aus Hamburg. Vereinfacht gesagt, liefert Labest eine transparente Lagerbewertung in Echtzeit, auf deren Basis die Bank über eine Kreditvergabe entscheiden kann. Dafür werden die Wareneingangs- und Ausgangsdaten des Händlers über Schnittstellen aus dem ERP-System (Enterprise Resource Planning) mit Einkaufs- und Marktpreisen der Waren sowie allgemeinen Marktdaten angereichert und gebündelt für die Banken aufbereitet.
Der Antrag auf eine solche Lagerfinanzierung kann bei Labest online gestellt werden. Labest prüft den Antrag und die ergänzenden Unternehmensinformationen und übergibt die Anfrage an seine Finanzierungspartner. Diese machen dem Händler dann ein Angebot. Kommt es zum Vertragsabschluss, bindet Labest sein Monitoring-Tool an die Warenwirtschaft des Händlers an, im Gegenzug kann der Händler innerhalb der vereinbarten Kreditlinie flexibel auf das Geld zugreifen. Die anfallenden Gebühren sind individuell.
Wareneinkauf über Dritte finanzieren
Daneben gibt es auch das Modell der Einkaufsfinanzierung. Dabei bezahlt der Kreditgeber den Lieferanten im Voraus und ermöglicht dem Händler die Rückzahlung in Raten über einen vereinbarte Zeitraum hinweg. Durch die sofortige Bezahlung erhält der Händler oftmals noch einen Rabatt von seinem Lieferanten (Skonto). Ein Anbieter aus diesem Segment ist das 2018 gegründete Start-up Modifi mit Sitz in Amsterdam und Berlin. Das Verfahren läuft komplett online: Der Händler lädt bei Modifi seine Rechnung hoch und legt seine gewünschten Zahlungsmodalitäten fest. Modifi bezahlt nach einer Risikoprüfung die Rechnung direkt an den Lieferanten. Zahlungsziel sind 30, 60, 90 oder auf Wunsch verlängert auch 120 Tage. Dafür fällt eine Pauschalgebühr an.
Weitere Anbieter von Einkaufs- oder Warenfinanzierung sind das Luxemburger Unternehmen Tradico sowie das 2017 in Berlin gegründete Unternehmen Vai Trade. Das Procedere ist mit dem von Modifi vergleichbar. Allerdings können sich die Händler bei Vai Trade bis zu 180 Tage mit dem Bezahlen Zeit lassen. Die Kreditzusage erfolgt binnen 24 Stunden, die Maximalsumme liegt bei 150.000 Euro.
Ähnlich geht die Berliner Firma Amafin vor, die seit März 2018 unter dem Namen Myos Zwischenfinanzierungen anbietet. Dabei bewertet sie anhand von Marktpreisen den Wert der Ware, die der Händler im Lager hat oder kaufen möchte und streckt ihm einen bestimmten Prozentsatz dieser Summe vor. Als Sicherheit dient Myos die Ware, die dem Händler nur in Teilmengen zur Verfügung steht. Hat der Händler einen Teil der Ware verkauft, zahlt er eine Rate an Myos zurück. Gelingt es ihm nicht, die Ware zu verkaufen, bekommt Myos die Ware und verkauft sie selbst. Die maximale Laufzeit liegt flexibel bei neun Monaten, die Gebühren liegen zwischen einem und 2,5 Prozent im Monat.
Sowohl Lager- als auch Einkaufsfinanzierung will das neugegründet Unternehmen Creddis anbieten, das zur Otto-Gruppe gehört. Creddis ist jedoch noch nicht offiziell am Markt.
Kreditvermittler suchen passende Angebote
Ein hilfreiche Anlaufstelle für Händler auf der Suche nach einem Kredit sind auch Finanzierungsvermittler wie Finanzierung.com, Compeon oder Fincompare. Bei ihnen stellt der Händler eine Anfrage entsprechend seines Kreditbedarfs und sie ermitteln aus einem Pool an Anbietern passende Angebote. Die Anfragen sind generell kostenlos. Inwieweit für den Händler Vermittlungs- oder auch Beratungsgebühren anfallen, muss jedoch konkret erfragt werden.
Kühler Kopf und gesunder Menschenverstand
Generell gilt: Solche alternativen Finanzierungswege können für Händler eine gute Unterstützung sein, um Kapitalengpässe aufzufangen. Auch wenn vieles online und unkompliziert funktioniert – es geht um viel Geld. Um strategische Überlegungen, welche Art der Finanzierung zum eigenen Geschäftsmodell passt, und um das genaue Vergleichen der Konditionen und Gebühren kommt man nicht herum. Und gerade in Krisenzeiten ist es wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich nicht zu unausgegorenen Entscheidungen hinreissen zu lassen.