Mobiler Produktguide
17.08.2015, 14:10 Uhr
Apps und Beacons für den Einzelhandel
Immer mehr Händler setzen auf mobile Apps und Beacons, um Kunden vor Ort mit Sonderangeboten, Rabatten und Bonuspunkten auf dem Smartphone anzulocken.
Immer mehr Handelsunternehmen in Deutschland setzen mobile Apps und Beacons ein, um ihre Kunden direkt und gezielt per Smartphone anzusprechen. Beacons basieren auf Bluetooth Low Energy. Sie wirken der wörtlichen Übersetzung gemäss wie ein Leuchtfeuer, um Laufkundschaft anzulocken und den Kunden gleich beim Betreten des Geschäfts Produktinfos oder Bonuspunkte zukommen zu lassen.
Das Start-up Barcoo überzeugt immer mehr Unternehmen, darunter Mymuesli.com und SportScheck, von dieser Werbeform. Nach eigenen Angaben ist Barcoo "der grösste Produktguide Europas" und möchte, obwohl schon 2008 aus der Taufe gehoben, immer noch als Start-up-Unternehmen gelten. "Denn wir wollen uns weiterhin immer hinterfragen, kannibalisieren und neue Dinge ausprobieren", sagt Geschäftsführer Benjamin Thym, der Barcoo zusammen mit anderen Tübinger Studenten in Berlin als Spin-off der Humboldt-Universität gegründet hat.
Heute zählen neben Mymuesli und SportScheck die Supermarktkette Real, s.Oliver, Europcar, Adidas, Lindner Hotel, Sparkasse, Berliner Bank und Deutsche Bank zu den Barcoo-Kunden, die für ihre eigene Kundenansprache unter anderem die Barcoo-Beacons nutzen. Ferner hat Barcoo im August letzten Jahres die Wunderkauf-App auf den Weg gebracht, die es mittlerweile auch für Android gibt und die personalisierte Angebote von Supermärkten wie Lidl, Norma oder Rewe verspricht.
Die Erfolgsstory des mobilen Produktguides Barcoo
Der ursprüngliche Ansatz der Barcoo-Gründer war es, den sich abzeichnenden Trend mobiler Apps "irgendwie mit Öko und Gesundheitsbewusstsein" zu verknüpfen, erinnert sich der Geschäftsführer. Man konnte unter anderem Greenpeace und das Portal Lebensmittelampel als Informationsquellen gewinnen. Zwar gab es die verschiedenen Bio- und Ökosiegel, doch waren diese nie greifbar, wenn man sie brauchte, nämlich beim Einkaufen, so Thym. Daraus ist die Idee entstanden, das Dilemma mit Barcodes oder QR-Codes zu lösen.
Mit dem deutschen Marktstart des Google-Betriebssystems Android wurde die Barcode & QR Scanner barcoo genannte App live geschaltet. 2009 erfolgte die Fusion mit Checkitmobile, bekannt durch die später eingestellte woabi-App (woanders billiger) und Namensgeber der heutigen GmbH. Im Juli 2011 konnte die Barcoo-App schon 3,5 Millionen Installationen verzeichnen, heute sind es 15 Millionen und 2,7 Millionen aktive Nutzer im Monat, freut sich Thym. Gerade erst wurde er für die innovativen Ideen im Rahmen des Best of Mobile Award zum Mobilista 2015 gekürt.
Weit über 1000 Ladengeschäfte, darunter knapp 100 Real-Filialen, haben Barcoo schon an Bord. Richtig bekannt gemacht hat das Unternehmen der medienwirksame Einstieg ins Beacon-Geschäft bei Mymuesli in der Münchner Innenstadt Anfang 2014.
Die Einkaufshilfe
Im Mittelpunkt iOS- und Android-App stehen Thym zufolge die Produktinformationen. Checkitmobile hat dafür eine eigene Redaktion mit acht Leuten, die zum Beispiel mit „9 Profi-Tipps aus der Küche, die jeder kennen sollte“ aufwartet oder mit 12 Tipps, wie der Akku des iPhones länger hält. Zunächst sieht man auf dem Smartphone nur die Menüpunkte „Neu“, „Essen & Trinken“ und "Beauty". Schiebt man die Leiste nach links, erscheint neben "Gesundheit" und "Haushalt" ein Reiter "Nachhaltigkeit". Dort sind auch Umweltnachrichten zu finden.
"Der blutige Weg unserer Wolle" heisst etwa ein Artikel über Mulesing, ein an Lämmern praktiziertes Verfahren zur Abwehr von Fliegenmaden in Australien. Für derartige News greift das Barcoo-Redaktionsteam unter anderem auf Informationen von Greenpeace, der Lebensmittelampel, des Fairtrade-Siegels oder auf Wikipedia-Einträge zurück. Hinzu kommen Produktinfos von Preisvergleichsportalen, Lebensmittelklarheit.de, Chefkoch.de mit Rezepten und Berichte der Verbraucherzentrale Hamburg. Weitere Kategorien wie "Drogerie", "Elektronik" und "Medien" finden sich nach einem Tipp auf die drei Striche oberhalb der App-Ansicht. Darüber erreicht man auch die Einstellungen, eine Produktsuche, einen Produktvergleich, Benachrichtigungen, Angebote, Coupons und den Zugang zur integrierten Payback-App.
Multilingualer Scanner für Barcodes & QR-Codes
Die Barcoo- und die Wunderkauf-App sind kostenlos und rein werbefinanziert. Für die „Gelben Seiten“ als Hauptinvestor erstellt Checkitmobile aber auch fertige Druckvorlagen für QR-Codes. Eine Schnittstelle zur Auswertung von Scans und Webseitenaufrufen wurde ebenfalls entworfen.
Der über das EAN-Symbol aktivierte integrierte Scanner der App nutzt die Smartphone-Kamera und gibt bei Erkennen eines QR- oder Barcodes automatisch die entsprechenden Informationen aus. Bei Produkten erscheinen zum Beispiel in der Regel ein Bild und der Preis, sofern die Informationen in der umfangreichen internationalen Datenbank hinterlegt sind. Westliche Bücher werden über den Barcode meist erkannt, fernöstliche nur zum Teil, chinesische oder japanische Texte, die sich hinter einem QR-Code verbergen, dagegen schon. Online gibt es kostenlose Tools zum Erstellen von QR-Codes für alle unterstützten Unicode-Zeichensätze.
Geo-Fencing
Über die Einstellungen kann man Berechtigungen für Standortdienste, Push-Nachrichten und ein Facebook-Login erteilen. Über die Telefonortung und GPS-Daten lässt sich per Geo-Fencing oder mittels Beacons das nächstgelegene Geschäft finden. Wie Thym sagt, bekommt der Konsument gar nicht mit, ob dafür Geo-Fencing oder ein Beacon eingesetzt wurde. In der Endkundenansprache verwende man auch nicht das Wort Beacon. In den USA sei man da schon ein Stück weiter, räumt er ein, das liege einfach daran, dass amerikanische Werbetreibende neue Medien oft schneller aufgreifen würden als europäische. Die Sorge, dass die Verbraucher sich überwacht fühlen könnten, teilt er nicht.
Während das Hamburger Start-up Yoints für eine Bonus-App mit Barcode-Scanner und Beacon-Unterstützung wirbt, hat sich Checkitmobile laut Thym bewusst gegen ein solches Loyalty-System entschieden. Die Beacons beziehe man aus dem südchinesischen Shenzhen und installiere sie über Freelancer, sofern die Partnerunternehmen dies nicht selbst erledigten.
Zwei Fallbeispiele zum Einsatz von Beacons
Beispiel Mymuesli: "Ladenbetreiber können mit Barcoo-Beacons ihre Filialen für 50 Euro pro Monat Beacon-fähig machen", heisst es in der gemeinsamen Ankündigung mit Mymuesli Anfang letzten Jahres. Das Passauer Unternehmen Mymuesli ist 2007 mit der Idee angetreten, individuelle Müslisorten anzubieten. Der Kunde kann im sogenannten Müsli-Mixer aus über 80 Zutaten wählen, woraus sich 566 Billiarden Müsli-Varianten zaubern lassen sollen. Die Müslis werden sowohl online als auch stationär angeboten.
Nach den ersten drei Ladengeschäften in Passau, am Münchner Viktualienmarkt und in Regensburg sind es mittlerweile 13, darunter je eines in Wien und Salzburg. Die drei Gründer und Geschäftsführer haben sich von Beginn an sehr innovativ gezeigt und dafür auch viel Anerkennung gefunden.
Beispiel SportScheck: Freizeit- und Sportausrüster mussten sich aufgrund von Kundenanfragen bezüglich GPS-Geräten für Geo-Tracking früh mit neuester Technik auseinandersetzen. Mit Bluetooth 4.0 kamen immer mehr Fitness-Tracker und ähnliche Geräte auf den Markt. Für SportScheck war das allerdings zunächst noch kein Grund, selbst Mobility-Systeme einzusetzen. Vielmehr müsse man sich einem gesellschaftlichen Wandel anschliessen, heisst es dort. 2011 hat SportScheck in München erste Gehversuche mit Datenbrillen und Augmented Reality gemacht.
Im Zuge einer Filialeröffnung in Braunschweig hat das Unternehmen in der Katalog- und Schaufensterwerbung auch begonnen, QR-Codes einzusetzen. Mit Location-based Services auf Basis der Barcoo-Beacons sieht sich SportScheck mittlerweile auf dem Weg vom Multi- zum „Omni-Channel-Händler“, der seine Kunden nicht nur im Ladengeschäft oder zu Hause erreicht, sondern ihn auch unterwegs begleitet und ihn in der Nähe des Geschäfts gezielt triggern kann. 2014 sind ein neues SAP-System und ein auf Tablets optimierter Webshop live gegangen. In diesem Jahr hat SportScheck für Fachberater eine In-Store-App auf dem iPad eingeführt.
Zusammen mit Barcoo hat SportScheck bundesweit 19 Filialen mit jeweils zwei Beacons ausgestattet, einer davon am Eingang mit einer Reichweite von 50 bis 100 Metern je nach den Gegebenheiten der Filiale. Der Beacon am Eingang der SportScheck-Filiale soll Kunden mit wechselnden Kampagnen ansprechen, so das erklärte Ziel. Der zweite an einem zentralen Ort angebrachte Beacon soll zum Beispiel registrieren, ob Nutzer wiederkommen, die Ansprache also erfolgreich war. Über alle 19 Filialen zusammen erreicht SportScheck nach eigenen Angaben zwischen 20.000 und 30.000 Nutzer im Monat.