Social-Media-Kampagnen
29.11.2015, 23:33 Uhr
Die Hashtag-Inflation
Hashtag-Kampagnen liegen im Trend. Doch zu einer richtigen Interaktion mit dem User führen sie nur, wenn das Thema stimmt - ansonsten laufen sie ins Leere.
(Quelle: Shutterstock.com/kreatorex)
Eigentlich war es gut gemeint. Mitte des Jahres richtete der Nahrungsmittelkonzern Nestlé auf seiner Website die Rubrik "Frag Nestlé!" ein. Dort findet der User eine Auflistung all jener Fragen, die einem Unternehmen dieser Grössenordnung so gestellt werden - zu Inhaltsstoffen, zum Umgang mit der Umwelt oder zu Produktionsbedingungen -, und die dazu passenden Antworten.
Doch die Resonanz auf das Angebot war offenbar nicht gross genug. Die Verantwortlichen wollten deshalb der ganzen Aktion zusätzlichen Drive verpassen. Unter dem gekauften Hashtag #FragNestle riefen sie Ende September die Verbraucher auf Twitter dazu auf, mit dem Unternehmen direkt in Dialog zu treten.
Was folgte, waren nicht etwa interessierte Fragen wohlwollender Kunden, sondern eine Lawine zornig geäusserter Aussagen. "Warum lasst Ihr die Menschen hungern?", lautete etwa eine Frage, "Warum liebt Ihr Kinderarbeit?" eine andere. Die Hashtag-Kampagne geriet aus den Fugen und mündete in einem Shitstorm, mit dessen Bewältigung Nestlé bis heute beschäftigt ist.
Die Aktion zeigt, welche Unwägbarkeiten in einer Hashtag-Kampagne stecken. Das liegt in der Natur der Sache. Wer die User dazu aufruft, sich mit Fragen, Meinungsäusserungen, Fotos oder Videos auf den Social-Media-Plattformen Twitter und Instagram zu beteiligen, muss auch damit rechnen, dass die User dort ihren Frust abladen.
Nur ein paar verlorene User auf Twitter
Dabei ist es keineswegs ausgeschlossen, dass die Stimmung auf Dauer negativ bleibt. Auch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) versuchten sich auf Twitter mit einem eigens angelegten Hashtag. Unter #weilwirdichlieben riefen sie ihre Kunden dazu auf, ihre schönsten Momente in den öffentlichen Bussen und Bahnen zu posten. Statt harmonisch anmutender Fotos posteten die Berliner allerdings genüsslich all die kleinen Pannen aus dem Alltag im öffentlichen Nahverkehr. Doch die BVG-Mitarbeiter hielten mit Charme und Witz dem Spott monatelang Stand und konnten die Stimmung dadurch drehen.
Inzwischen bekennen sich tatsächlich immer mehr Berliner zu den Vorzügen des öffentlichen Nahverkehrs und scheuen sich nicht, dies kundzutun. Ein Beispiel von vielen ist dieser Tweet: "Radfahrerin verliert Handy, ohne es zu bemerken. Busfahrer hält mitten auf der Kreuzung und hebt Handy auf."
Der Lohn für so viel Durchhaltevermögen: 10.800 Follower auf dem Twitter-Account der Kampagne sowie weiterer Zulauf auf den anderen Social-Media-Plattformen der BVG. Dazu: viel positives Medienecho. "Inzwischen wurde daraus eine sympathische Marke", sagt Christian Clawien, Director Digital Strategy bei Fischer Appelt. "Die sind supergut damit umgegangen."
Grosse Resonanz für gut eingesetzte Hashtags
Beide Fälle zeigen, dass Hashtags hohe Wogen auslösen können. Das stellt allerdings doch eher eine Ausnahme dar. Denn die Mehrheit der Hashtag-Kampagnen findet nur wenig Resonanz. Zu unwichtig erscheint den Usern der Aufruf zur Beteiligung, zu beliebig sind die Themen. "In der Regel findet kaum Interaktion statt", lautet das Urteil von Peer Wörpel, Leiter Beratung Social Media bei der Agentur Pilot. "Dies ist Kunden und Agenturen bekannt. Trotzdem verfolgen nur wenige Hashtagkampagnen mit der entsprechenden Konsequenz."
Die User können oft nicht nachvollziehen, warum sie sich unter dem Hashtag einer Marke an einer Diskussion beteiligen oder Bilder posten sollten. Manchmal gibt es - wie bei der aktuellen Esprit-Werbung #ImPerfect - noch was zu gewinnen, wenn man ein Foto hochlädt.
Nicht selten aber kommt der Aufruf recht sinnfrei daher wie bei der Kampagne für das Parfüm "Boss the Scent". Der TV-Spot verweist auf den Hashtag #powerofthescent. Dort herrscht dann allerdings Langeweile: Auf Twitter oder Instagram finden sich nur ein paar verlorene User.
Der Sinn des Hashtags
Trotzdem wollen viele Markenartikler auf einen Hashtag nicht verzichten. "Über den generellen Sinn von Hashtag-Kampagnen kann man sicherlich streiten", sagt Bastian Scherbeck, Managing Director der Agentur "We Are Social". "In der Zwischenzeit werden sie aber relativ inflationär genutzt." Vor allem im Fashion-Bereich sei der Hashtag ein modisches Accessoire geworden, meint Clawien. "Ein optisches Stilmittel, das man allerdings nicht wirklich braucht - so wie in den 90er-Jahren, wo auf jeder Werbung ein @-Zeichen zu sehen war."
Dabei geht der Gedanke viel weiter, als sich einen Hashtag-Begriff zu sichern und diesen dann in den Werbebotschaften zu kommunizieren. "Mit einem Hashtag sollte man eine Diskussion entfachen und die User dazu bringen, sich untereinander auszutauschen", sagt Wörpel.
Kampagnenstart mit prominenten Youtubern
Doch damit wird es komplex. Der Hashtag muss also auf einer Kommmunikationsidee aufsetzen, die die Menschen emotional berührt und sie dazu bringt, sich untereinander auszutauschen. Darüber hinaus muss alles zur Marke passen. Dass dies kompliziert, aber nicht unmöglich ist, zeigen Kampagnen wie die von der Techniker Krankenkasse (TK), die unter dem Hashtag #wireinander im November vergangenen Jahres gestartet wurde.
Die Markenkampagne stellt Menschen in den Mittelpunkt, die gesundheitliche Schicksalsschläge verkraften mussten und dennoch wieder auf die Beine kamen, wie der Basketballprofi Robert, der nach einer Krebsdiagnose den Sport aufgeben musste und heute Müsliriegel produziert. Es sind Geschichten, die Mut machen sollen - und nebenbei den Sinn und die Leistung einer Krankenversicherung unterstreichen. Bei den Usern kommt das an. Bis heute besteht unter #wireinander auf Facebook, Twitter, Google+ und Youtube ein reger Austausch von Menschen mit ähnlichen Erfahrungen.
Ein Austausch, der von Beginn an angeschoben wurde: erst mit TV- und Kinospots, in denen TK-Versicherte ihre bewegenden Geschichten erzählten, dann wurden bekannte Youtuber wie Le Floid miteinbezogen. Damit erfüllte die von der Agentur Fischer Appelt kreierte Kampagne zwei Voraussetzungen, um erfolgreich zu sein: Sie erzeugte das nötige Grundrauschen, um wahrgenommen zu werden, und löste durch ihre Inhalte bei vielen Menschen die Bereitschaft aus, sich an der Kampagne zu beteiligen.
Schema F: User sollen Fotos zur Marke hochladen
Dabei muss es nicht immer eine Auseinandersetzung mit einem so ernsthaften Thema sein. Aber: "Wenn ich User dazu aufrufe, Content zu produzieren, muss ich ihnen auch Content bieten, mit dem sie sich auseinandersetzen können", sagt Peer Wörpel.
Das kann auch auf ganz leichte, unterhaltsame Art geschehen. So integrierte Zalando beispielsweise den Hashtag #shareyourstyle in seine gleichnamige Kampagne und traf damit offenbar den Nerv: Allein auf Instagram posteten über 25.000 User modische Fotos von sich; teilweise wurden diese von anderen Usern kommentiert.
Nach diesem Schema wird bei den meisten Kampagnen verfahren: Ob etwa Coca-Cola mit #trinknecokemit, Dr. Oetker mit #pizzaburger, Mercedes mit #Mbfanfoto oder Calvin Klein unter #mycalvins - stets sollen die User dazu gebracht werden, sich mit der Marke zu beschäftigen und Fotos hochzuladen.
Das ist die ungefährliche Variante, denn bissige Kommentare bleiben bei solchen Konzepten meist aus. Den Marken beschert es trotzdem nicht immer den erwünschten Erfolg. Häufig finden sich Fotos, deren Ästhetik nicht unbedingt für die Kampagne förderlich ist, und oft passiert - fast gar nichts.
Teils fehlendes Verständnis
In manchen Fällen stört dies die Marken nicht einmal - weil es nur darum geht, einen Begriff im Markt neu einzuführen. Der Hashtag fungiert dann quasi als Ausrufungszeichen. Bei der Opel-Kampagne #umparkenimkopf war das so oder auch bei der Einführung der #veggieschnitzel von Rügenwalder Mühle.
Agenturen schätzen die Bedeutung eines Hashtags recht unterschiedlich ein. Und die User müssen erst noch herausfinden, was eigentlich dahintersteckt. "Es fehlt noch das Verständnis für die Funktionsweise der Hashtags. Viele haben den Sinn noch nicht ganz verstanden", meint Sebastian Franz, Social Media Manager bei der Agentur Elbkind.
"Dabei ist es eine tolle Möglichkeit, die User untereinander zu verbinden" - aber nur, wenn die Voraussetzungen stimmen. Es müsse für den User einen Mehrwert haben, sich damit zu befassen, sagt Franz, "und dazu muss der Hashtag kurz und einprägsam sein".
Mit Hashtag-Kampagnen gegen Reichweitenschwund
Der Marketinggesellschaft der Bayerischen Tourismus- und Freizeitwirtschaft ist es gelungen, die User miteinander zu verbinden. Seit Frühjahr 2015 läuft eine Kampagne, in der mal mehr, mal weniger typische Testimonials die Vorzüge Bayerns präsentieren. Verknüpft wurde alles mit dem Hashtag #echteinladend.
"Wir wollten einen Austausch mit den Menschen aus den verschiedenen Regionen erzielen", sagt Jens Huwald, Chef der Bayern Tourismus Marketing. "Das haben wir geschafft." Allein auf Instagram finden sich über 5.000 Beiträge von Usern, die unter dem Hashtag ihre Eindrücke aus Bayern gepostet haben. Diese Bilder sollen stellvertretend für die Vielseitigkeit des Freistaats stehen.
Unter einem Begriff lässt sich also über die unterschiedlichsten sozialen Plattformen hinweg eine Community aufbauen - auch auf Kanälen, denen das eigene Unternehmen bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat. Die einzelnen Stränge zu einem Thema werden durch den Hashtag gebündelt. "Kostenlose Reichweiten sind in vielen Social-Media-Netzwerken bereits verschwunden", sagt Huwald. "Eine Hashtag-Kampagne kann hier einen Ausweg bringen."