Onlineshopping 20.06.2024, 11:45 Uhr

Einkaufen bei Temu

Der chinesische Shoppingtempel Temu sorgt sowohl für gute und als auch für bedenkliche Schlagzeilen. Doch wer mit der richtigen Einstellung an das Thema herangeht, ergattert so manches Schnäppchen. Ein Erfahrungsbericht.
(Quelle: Temu)
Der Onlinemarktplatz Temu wurde 2022 in Boston gegründet: Mit der Idee, den US-Amerikanern Zugang zu Produkten aus China anzubieten. Doch bereits im Frühjahr 2023 expandierte das Unternehmen nach Europa und hat seither aufgrund seiner Tiefpreise eine Menge Staub aufgewirbelt. Temu ist eine Tochter der PDD Holdings Inc. mit Sitz in Shanghai. Die gehört wiederum Colin Huang, der mit einem Vermögen von über 30 Milliarden Franken zu den wohlhabendsten Menschen Chinas zählt.
Und um es gleich vorwegzunehmen: Temu ist Bestandteil vieler Kontroversen. So soll das Unternehmen systematischen Zollbetrug begehen, um die Preise so tief wie möglich zu halten. Dazu wird der Wert der Ware bewusst zu tief deklariert, denn bis 150 Euro sind Güter als «Sendungen von geringem Wert» in der EU zollfrei. Auch die absurd-billigen elektronischen Geräte gelten zum Teil als technisch unsicher, qualitativ mangelhaft oder tragen sogar zu Unrecht das CE-Zeichen.
Und dann ist da noch die Smartphone-App, die monatelang die Spitze der Charts in den App-Stores dominierte und mit dem Slogan «Shoppe wie Milliardäre» unterlegt ist. Sie soll dem Vernehmen nach dem Zugriff auf die Kontakte, die Kamera und sogar Bankdaten anfordern. Allerdings wurden bei mir in der iPhone-App nie Zugriffsrechte angefordert, sodass diese Behauptung unbelegt bleibt.

Mit Werbung zugeschüttet

Allerdings wurde ich einmal gefragt, ob ich Angebote auf die Mobilnummer erhalten möchte – obwohl die nie eingegeben wurde. Als Reaktion löschte ich augenblicklich die Temu-App und bestelle seither nur noch in einem Webbrowser am Rechner. Überhaupt: Temu wird Sie mit Angeboten überhäufen. Die Firma kennt kein Augenmass bei der Menge an Werbemails. Wir werden am Schluss darauf eingehen.

Finger weg? Jein!

Wer sich auf temu.com zum ersten Mal umsieht, wähnt sich im falschen Film, Bild 1. Die Preise wirken absurd günstig – und zum Teil noch günstiger, als man es von anderen China-Shops wie AliExpress her kennt.
Natürlich «steigt der Preis bald an» und viele Produkte sind «fast ausverkauft». Sogar wenn das Produkt bereits im Warenkorb liegt, wird der Druck aufrechterhalten. Das einzig Richtige: Diese Hinweise einfach ignorieren, denn es gibt immer genug Futter für alle.
Bild 1: So schillernd wie eine asiatische Einkaufsstrasse: die Website von Temu
Quelle: PCtipp.ch
Ansonsten muss man dem asiatischen Shop ein einwandfreies Erlebnis für die Kunden attestieren. Die Produkte werden in der Schweiz automatisch auf Deutsch angepriesen und die Preise sind in Franken angegeben. Ausserdem sind viele Abbildungen mit Videos hinterlegt, sodass man sich ein besseres Bild von der Grösse und der Funktion der Produkte machen kann. Kurzum, der Auftritt von Temu ist vorbildlich.

Bezahlen

Am Schluss wird abgerechnet. Nun ist die Bezahlung mit Kreditkarte in einem chinesischen Shop nicht nach jedermanns Geschmack, doch der Kaufabschluss hält eine Überraschung parat: Unterstützt werden nicht nur sämtliche Kreditkarten, sondern auch PayPal, Apple Pay, Google Pay, Twint (!) und sogar die Bestellung auf Rechnung über den Zahlungsanbieter Klarna. Ich habe mich für Apple Pay entschieden, weil vollständig anonym und sicher und die Zahlung flutschte im gewohnten Tempo durch den Kaufabschluss.

Lieferzeiten

Im Test wurde die Ware auf zwei Pakete verteilt und verschickt – portofrei, wie es aus China meistens der Fall ist, weil der kostenlose Versand durch veraltete Regeln des Weltpostvereins immer noch gültig ist. Die Lieferzeiten sind mit ein bis zwei Wochen sehr kurz. Das liegt daran, dass die Ware per Luftfracht verschickt wird, was ungünstig für die Umwelt ist.
Doch der Kunde profitiert: Unsere Test­bestellung wurde am 1. März aufgegeben und sollte zwischen dem 8. März und 15. März geliefert werden. Wenn nicht, wird innerhalb von 48 Stunden ein Gutschein für 5 Franken ausgestellt. Die Bestellung lag jedoch bereits am 9. März in unserem Ablagefach. Ebenfalls praktisch: Über die Tracking-Nummer kann der Standort der Sendung jederzeit kontrolliert werden.
Überhaupt wirft Temu gerne mit Fünflibern um sich. Bei einer meiner Bestellungen wurden die Küchenmagnete im Nachhinein storniert, weil diese Dinger offenbar Exportbeschränkungen unterliegen – warum auch immer. Der Kaufpreis wurde innerhalb von zwei Tagen der Kreditkarte gutgeschrieben und ausserdem «als Entschuldigung» eine Gutschrift von 5 Franken auf die nächste Bestellung gewährt.

Auf Shoppingtour

Bild 2: Einer Smartwatch für 26 Franken sollte man besser nicht allzu viel zutrauen
Quelle: PCtipp.ch
Natürlich gibt es in Anbetracht der Preise Bedenken zur Qualität – und an dieser Stelle geht nichts über den gesunden Menschenverstand. Eine Smartwatch, die im Edelstahlgewand nur 26 Franken kostet, sollte keine grossen Hoffnungen schüren, Bild 2.
Bei billigen elektronischen Geräten, die über ein Netzteil mit dem Stromnetz verbunden sind, ist ohnehin Vorsicht geboten, denn hier werden Ereignisse wie «Stromschlag» oder «Zimmerbrand» schnell zum Thema. Und dass man ein 3000 Franken teures MacBook Pro nicht mit einem Netzteil für 5 Franken mit Strom versorgen sollte, liegt ebenfalls auf der Hand.
Doch auch abseits der Elektronik wird es heikel, wenn beispielsweise Zahnaufhellungspulver für Fr. 2.69 haltlose Versprechungen macht, Bild 3.
Bild 3: Schneeweisse Beisser in 5 Tagen: Wers glaubt, setzt Fr. 2.69 in den Sand – von den Gesundheitsrisiken ganz zu schweigen
Quelle: PCtipp.ch
Kleider sind für Europäer oft zu klein, zu eng geschnitten oder einfach schlecht verarbeitet. Hier sollten Sie den Totalverlust bei der Bestellung einkalkulieren. Auch das Material sollte genau unter die Lupe genommen werden. So wird erst bei genauem Hinsehen ersichtlich, dass das freche T-Shirt für weniger als 5 Franken nicht aus Baumwolle, sondern aus Polyester besteht. Das kann man mögen, muss es aber nicht.

Wo es sich lohnt

Ferner warten jedoch Abertausende Artikel, die viel günstiger als bei uns sind – und bei denen die Qualität kaum eine Rolle spielt. Wandhaken, Dekomaterial, Katzenspielzeug, Wackelaugen und Heimwerkerzubehör, um nur einige Beispiele zu nennen, Bild 4.
Bild 4: Selbstklebend: 700 Wackelaugen kosten nur Fr. 2.92 – und plötzlich schaut einem die ganze Welt zu
Quelle: PCtipp.ch
Bild 5: Für Fr. 2.03 wird der 12-Volt-­Anschluss im Auto zum Feuerknopf für Raketen; wer wünscht sich das nicht?
Quelle: PCtipp.ch
Von vielen Dingen wusste ich nicht einmal, dass ich sie unbedingt haben muss, bis sie mir über den Weg liefen – etwa die Abdeckung für den 12-Volt-Anschluss im Auto, Bild 5. Unwiderstehlich!

Anonym einkaufen

Wie erwähnt, kennt Temu keine Hemmungen, um Sie mit Werbung zu überschütten. Und das Abziehen der Mobilnummer geht erst recht nicht. Allerdings braucht es nicht viel, um gefahrlos einzukaufen. Die folgenden Tipps optimieren die Sicherheit:
Installieren Sie die Temu-App nicht auf Ihrem Smartphone; bestellen Sie ausschliesslich über einen Webbrowser unter dem Link temu.com. Geben Sie nie Ihre Mobilnummer preis. Verwenden Sie für die Bezahlung einen Dienst, der die Kreditkartendaten nicht offenlegt, also Apple Pay, Google Pay oder PayPal.
Machen Sie sich trotzdem darauf gefasst, dass Sie mit E-Mails zugeschüttet werden. So kam es vor, dass Temu nicht weniger als drei E-Mails pro Tag schickte, um mich über die neusten Angebote zu informieren – und das zuweilen mit Erfolg. Es kann also helfen, eine zweite E-Mail-­Adresse zu verwenden oder über einen Filter die Marketingmails zu löschen – sofern der E-Mail-Dienst oder -Client Ihrer Wahl diese Funktion bietet.

Fazit: Umsehen lohnt

Der Onlineshop Temu bietet einen enormen Unterhaltungswert. Ausserdem ist das Gros der Produkte spottbillig und trotzdem brauchbar. Was ebenfalls dazu gehört, ist das Gefühl, dass wir in der Schweiz mehr als genug für ähnliche oder identische Produkte bezahlen – einfach deshalb, weil wir es über uns ergehen lassen. Doch das muss nicht sein.
Wühlen Sie sich durch den Shop, halten Sie sich beim Bestellen an die beschriebenen Vorsichtsmassnahmen und stürzen Sie sich so ohne Risiko ins Getümmel.




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