Computerworld vor 30 Jahren 10.08.2020, 08:53 Uhr

Köpfe des Informatik-Jahres 1990

Drei US-Amerikaner waren laut Computerworld Schweiz die prägenden Köpfe des IT-Jahres 1990: Gates, Dell und Hui. Ein Schweizer verblüffte mit einer Eigenentwicklung die Fachwelt: Anton Gunzinger.
Anton Gunzinger von der ETH war einer von Computerworld 1990 präsentierten IT-Köpfe
(Quelle: CW-Archiv)
Windows 3.0 wurde vor 30 Jahren vorgestellt. Die breite PC-Nutzergemeinde in der Schweiz erreichte das Microsoft-System erst später. Computerworld Schweiz wurde im Jahrgang 1990 dennoch nicht müde, die Vorzüge des neuen Betriebssystem-Aufsatzes  zu dokumentieren – und auch über einige Unzulänglichkeiten zu schreiben. Beispielsweise über den grossen Ressourcenhunger und die holprige Speicherverwaltung. Wer Windows 3.0 ein­setzen wollte, musste meistens auch noch einen neuen Personalcomputer anschaffen, so Computerworld.

Bill Gates: Software-Milliarde

Microsoft-Mitgründer Bill Gates brachte die kyrillische Version von MS-DOS selbst nach Moskau
Quelle: CW-Archiv
Zum Verkaufsstart von Windows 3.0 am 22. Mai 1990 nahm Microsoft-Mitgründer Bill Gates über 3 Millionen US-Dollar für Marketing in die Hand. Die Investition sollte sich rasch auszahlen, denn die Verkäufe gingen durch die Decke. Drei Monate später waren schon eine Million Kopien verkauft. Gleichzeitig übertraf der Konzernumsatz erstmals die Marke von 1 Milliarde US-Dollar – was Microsoft als erstes Software-Unternehmen überhaupt schaffte.
Gates tingelte derweil um die Welt und sorgte für gesteigerte Aufmerksamkeit für seine Produkte. Hinter dem gerade erst geöffneten Eisernen Vorhang platzierte der damalige CEO eine russische Version von MS-DOS. Microsoft wolle in der UdSSR keine Lehrerrolle einnehmen, sondern der sowjetischen Gesellschaft bei der Bewältigung der vor ihr liegenden Ver­änderungen behilflich sein, sagte Gates anlässlich der Lancierung. Wie Computerworld berichtete, sahen die Kollegen des Exklusivdistributors Dialogue den Schritt weniger entwicklungshelferisch: «Das russische MS-DOS ist ein Meilenstein in der Entwicklung des sowjetischen PC-Marktes.» Er bestand aus veralteter Hardware, die noch kein Windows vertrug. Im Oktober 1990 gestand dann auch Gates ein, dass «even for the next ten years, [DOS] will have a significant role to play» (deutsch: auch in den nächsten zehn Jahren [DOS] eine wichtige Rolle zu spielen haben wird). Parallel trommelte er aber auch für Windows. An der Messe Comdex lancierte der grösste Software-Hersteller der Welt eine Kampagne, die inoffiziell den Titel «Windows Glasnost» trug: Den Entwicklern sollte das Programmieren von Applikationen für die Bedienoberfläche vereinfacht werden. «Bei 40 Millionen DOS-Systemen auf der Welt und
4 Millionen Macintosh-Rechnern – wofür werden wir uns wohl entscheiden?», fragte Bill Lyons vom dBase-Entwickler Ashton-Tate an einem Medienanlass am Rande der Messe die Journalisten. Ashton-Tate verpasste den Anschluss allerdings trotzdem. Nachdem ein Übernahme­angebot von Microsoft abgelehnt worden war, ging die Datenbankfirma 1991 an Borland.

Wer bremst Michael Dell?

Michael Dell startete vor 30 Jahren mit dem Computer-Direktvertrieb an die Endkonsumenten
Quelle: CW-Archiv
Vom PC-Boom Anfang der 1990er-Jahre sollte auch der Computerkonzern Dell profitieren. Das Unternehmen war mit dem telefonischen Direktverkauf an gewerbliche Anwender in den späten 1980ern im englischsprachigen Raum gross geworden. In der Schweiz spielte Dell noch kaum eine Rolle. Für Computerworld war das Grund genug, den Konzern und seinen Gründer zu porträtieren: Dells Anfänge mit 1000 US-Dollar und der Idee des Direktvertriebs, der erfolgreiche Börsengang 1988, der 93,5 Millionen in die Kasse spülte, und die Fehlkalkulation im gleichen Jahr, als sich Dell beim Auftragsvolumen verschätzte und auf vollen Lagern sitzen blieb. Die Wall Street reagierte mit einem heftigen Vertrauensentzug, was den Gründer zu der lakonischen Bemerkung veranlasste: «Ich kümmere mich nicht um den Aktienkurs, sondern um den Aufbau meiner Firma.»
Das neue Jahrzehnt sollte für Dell zunächst zwei Ver­änderungen bringen: Erstens stieg die Firma ins Geschäft mit Endkonsumenten ein und suchte dafür zweitens den Schulterschluss mit Detailhändlern. Neu waren Dell-
Computer auch bei Soft Warehouse, dem Vorgänger von CompUSA, gelistet. Später folgten Best Buy sowie die Club-Ketten Costco und Sam’s Club. Was Computerworld 1990 noch nicht wissen konnte: Die neuen Vertriebsstrategien sollten sich für Michael Dell auszahlen. Zwei Jahre später wurde der Computerkonzern erstmals in der Liste der weltweit 500 grössten Firmen aufgeführt. Der damals gerade 27 Jahre alte Michael Dell wurde der jüngste CEO eines «Fortune 500»-Unternehmens. Mit der Lancierung des Online-Shops im Jahr 1996 sollte das Wachstum weitergehen. Fünf Jahre später war Dell der grösste PC-Hersteller der Welt.

«Schweizer Qualität» für Steve Hui

Einer der Wettbewerber von Dell war 1990 die kalifornische Firma Everex, kurz für «Ever for Excellence». «Wir sind im PC-Bereich, was IBM bei den Mainframes ist», charakterisierte Mitgründer Steve Hui das Alleinstellungsmerkmal seines Unternehmens. Everex besass eine sehr vielseitige  Produktpalette – bot beispielsweise Hardware für Apple, DEC, IBM-PCs und Unix-Systeme an sowie auch Equipment für Bildverarbeitung und Netzwerke. Alle Lösungen fertigte Everex in eigenen Fabriken, womit auch auf Marktschwankungen reagiert werden konnte. «Schneller zu sein als die Konkurrenz, genügt nicht mehr. Es geht heute darum, die Entwicklung von Zentraleinheiten, Peripheriegeräten sowie Software zu kontrollieren und zu steuern», sagte Hui an einem Medienanlass in Zürich.
Pläne für die Expansion nach Europa führten den Gründer in die Limmatstadt. Hui wählte die Schweiz als Ausgangsbasis, weil das Qualitätsbewusstsein hier seinen Vorstellungen entspreche, so Computerworld. «Es ist für uns ein Markt mit hohen Anforderungen und einem beacht­lichen Qualitätsstandard», sagte Hui. Ausserdem habe Everex einen technisch versierten Distributor gefunden: Die 1988 gegründete Dataset hatte sich auf den Fachhandel fokussiert. Sie bekam allerdings nicht die komplette Everex-Produktpalette geliefert, sondern nur eine «kleine, aber feine Auswahl», wie Geschäftsführer Max Ochsner sagte. Ein Highlight war ein Novell-Server mit SCSI-Subsystem für externe und interne Speicher bis 650 Megabyte Kapazität. Alternativ liess sich ein DAT-Bandlaufwerk einbauen, das in einem AT-Einschub Platz fand und pro Kassette wahnwitzige 1,3 Gigabyte unterbrachte. Für die damals gerade aufstrebenden Next-Rechner hatte die Everex-Tochter­gesellschaft «Abaton» einen kompatiblen Flachbettscanner entwickelt – den ersten überhaupt.
Die Vielseitigkeit der Produktpalette sowie die sinkenden Margen im Geschäft mit den PC-Klonen sollten Everex in den folgenden Jahren in grosse wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen. Schon 1991 machte das US-amerikanische Unternehmen Verluste, Ende 1992 musste mehr als die Hälfte der 2000 Angestellten gehen. Ein Jahr später folgte der Verkauf an die taiwanesische Yside Investment Group. Der Schweizer Partner Dataset war parallel mit Computer2000 zusammengegangen.

Anton Gunzingers Supercomputer

Anton Gunzinger hatte 1990 mit Severin Mathis an der ETH einen Supercomputer entwickelt

Quelle: CW-Archiv
Der damalige ETH-Doktor Anton Gunzinger sollte mehr Erfolg haben mit seiner Gründung. Wie Computerworld berichtete, hatte er 1990 gerade den ersten Parallelrechner vorgestellt: die «Synchrone Datenfluss Maschine», kurz Sydama. Sie entstand aus der Anforderung heraus, ein System für die Bildverarbeitung in Echtzeit zu konzipieren. Der «Solothurner Bauernbub» mit dem Wunsch, «mit Kopf und Händen zu arbeiten», schaffte das, was ein «70-köpfiges Forscherteam der renommierten Fraunhofer-Gesellschaft mit einer Unterstützung von 30 Millionen Mark aus dem deutschen Bundesministerium für Forschung und Technologie nicht zustande brachte», schrieb Computerworld.
Sydama mit seinen 18 parallel geschalteten Prozessoren konnte seine Leistungsfähigkeit in einem Prototyp beweisen: Ein Elektromobil mit Videokamera und Rechner­anschluss fuhr autonom durch das ETH-Institut für Elek­tronik. Dabei «sah» der Rechner mithilfe der Kamera und konnte das Vehikel selbstständig steuern. Einen kommerziellen Anwendungsfall für Gunzingers Entwicklung und die zugehörige Software von Severin Mathis sah Computerworld in der Schokoladenindustrie: Der Rechner könnte durchaus die Kontrolleure ersetzen, die am Fliessband Schoggitafeln mit beschädigten Aluminiumhüllen aussortieren.
Für seine Arbeit an Sydama hatte Gunzinger den mit 100 000 Franken dotierten Preis der de Vigier Stiftung zur Förderung von Schweizer Jungunternehmern gewonnen. Er nutzte das Geld für die Entwicklung von «Music» (Multiprocessor System with Intelligent Communication), einem Rechner mit 170 zusammengeschalteten Prozessoren und einer Leistung von 10 Gigaflops (Milliarden Floating Point Operations per Second). Mit dem Konzept gewann Gunzinger an der Supercomputer-Konferenz in Minneapolis den zweiten Preis im Gordon-Bell-Wettbewerb. Dieser Erfolg verhalf dem ETH-Wissenschaftler schlagartig zu Ruhm. Er gewann Investoren und gründete 1993 die Firma Supercomputing Systems. Das Geschäftsziel war der Bau und die Vermarktung von Supercomputern. Das erste kommerzielle Produkt, der «GigaBooster», sollte allerdings auch das letzte sein. 1997 verlagerte die Zürcher Firma ihre Tätigkeit weg von
Eigenfertigung hin zu kundenorientierten Entwicklungsprojekten. In diesem Bereich sind die rund 150 Mitarbeiter von Supercomputing Systems noch heute tätig.



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