Neuer Beruf «Entwickler/in digitales Business EFZ» 24.10.2022, 12:07 Uhr

Ausbildungslücke wird geschlossen

Ab 2023 gibt es die neue Berufslehre «Entwickler/in digitales Business EFZ». Erste Lehrbetriebe sind bereits gefunden. Diese zeigen sich froh, dass nun eine grosse Lücke im ICT-Ausbildungsangebot geschlossen wird.
Wie im Schwingsport ist auch in der ICT-Branche die Frauenquote niedrig. Die neue Berufslehre Entwickler/in digitales Business EFZ soll helfen, Letzteres zu ändern
(Quelle: Keystone/Urs Flüeler)
Derzeit gibt es in der Schweiz verschiedene Arten von ICT-Grundbildungen: Informatiker/in EFZ, Mediamatiker/in EFZ, ICT-Fachfrau/-Fachmann EFZ, Gebäudeinformatiker/in EFZ und ­Betriebsinformatiker/in EFZ. Während die Berufe, die Informatik im Titel tragen, vor allem technisch ausgerichtet sind ­(unter anderem Applikations- und Plattformentwicklung, Gebäudeautomation) und sich ICT-Fachleute insbesondere um den Support und optimalen Einsatz der ICT-Mittel kümmern, sind Mediamatiker/innen schwerpunktmässig in den Bereichen Marketing und Kommunikation sowie Gestaltung und Multimedia tätig.

An der Schnittstelle zwischen Mensch, Wirtschaft und Technik tätig

Ab Sommer 2023 ergänzt eine weitere Berufslehre das Portfolio der ICT-Grundbildungen: Entwickler/in digitales Business EFZ. Diese unterstützen die digitale Entwicklung, Transformation und Innovation von Unternehmen oder einzelnen Geschäftsbereichen. Sie erfassen und analy­sieren Fragestellungen im digitalen Geschäftsalltag und ­optimieren daraus Prozesse und Produkte. Hierbei nutzen sie Daten zur Optimierung von Abläufen sowie zur Ergänzung von Geschäftsmodellen.
Die Entwickler/innen digitales Business agieren dabei an der Schnittstelle zwischen Mensch, Wirtschaft und Technik. Sie begleiten Projekte über verschiedene Schritte hinweg und übernehmen die Vermittlung und Kommunikation zwischen den Fachspezialistinnen oder -spezialisten, Entscheidungstragenden und anderen Anspruchsgruppen.
«Eine solche Ausbildung fehlte bisher – diese Lücke soll nun geschlossen werden», erklärt Elsa Marti, Leiterin Marketing und Kommunikation bei ICT-Berufsbildung Schweiz. Zwar seien einige Kompetenzen bereits ­Bestandteil anderer ICT-Berufslehren, ­jedoch stünden sie dort nicht im Fokus. So beinhalte der neue Beruf auch Aspekte der Mediamatik-Lehre wie beispielsweise das Präsentieren, die Datenaufbereitung oder die Visualisierung. «Der grosse Unterschied ist, dass die Entwickler/innen digitales Business insbesondere in den Bereichen Vernetzung, ­Kommunikation, Geschäftsprozesse, Daten und Produkte tätig sind», sagt Marti. «Im Gegenzug haben die Technik und das Marketing weniger Gewicht als bei den Informatiker/innen respektive Mediamatiker/innen.»
Voraussetzungen für die Lehre als Entwickler/in digitales Business EFZ sind eine abgeschlossene Volksschule auf der obersten Schulstufe (Sek A oder sehr gute Sek B), Interesse und gute Leistungen in den Sprachen Deutsch und Englisch sowie Interesse und Freude am Umgang mit Menschen. Als Berufsanforderungen nennt ICT-Berufs­bildung Schweiz eine Affinität zu digitalen Werkzeugen und Produkten, Interesse und Freude an Menschen, Wirtschaft und Technik, Freude an Zahlen und Daten, analytische Fähigkeiten sowie Organisationstalent.

Impuls kam aus der Revisionsgruppe

Die Idee, die neue Berufslehre Entwickler/in digitales Business zu lancieren, ist anlässlich der Revision der Grundbildung Informatiker/in im Jahr 2019 entstanden. Diese hatte zum Ziel, diese Ausbildung fit für die Zukunft zu ­machen: Unter anderem wurde die Fachrichtung «System­technik» in «Plattformentwicklung» umbenannt, um den heutigen Anforderungen der Unternehmen besser gerecht zu werden. «Gleichzeitig wurde bemerkt, dass die Schnittstelle zwischen Technik und Wirtschaft bisher noch zu wenig abgedeckt ist», erklärt Marti. «Allerdings wurde auch schnell klar, dass diese Thematik nicht auch noch ins Berufsbild Informatik passt.» Die Revi­sions­gruppe – bestehend aus Expertinnen und Experten aus dem Bildungsbereich, der Wirtschaft und der Verwaltung – habe deshalb entschieden, hierfür ein eigenes Projekt zu verfolgen.
Quelle: ICT-Berufsbildung

Berufsfeld-Analyse zeigt grossen Bedarf der Wirtschaft auf

Im Frühjahr 2021 zeigte dann auch eine Berufsfeld-Analyse mit rund 500 teilnehmenden Unternehmen querbeet durch alle Branchen auf, dass diese dringenden Bedarf an den Kompetenzen von Entwickler/innen digitales ­Business haben: 10 Prozent schätzen diesen als sehr gross, 33 Prozent als gross und 30 Prozent als mittelgross ein. ­Zudem wurde festgestellt, dass die Nachfrage tendenziell mit der Firmengrösse steigt. «Wie die Erfahrung zeigt, kann ein solcher Bedarf am besten durch die Schaffung eines entsprechenden Berufsbildes gedeckt werden – das ist am nachhaltigsten», so Marti. «Das aktuelle Potenzial beträgt gemäss unseren Umfragen bis zu 200 Lehrstellen.»

Frauen vermehrt für ICT-Berufe begeistern

Angesprochen darauf, ob trotz des akuten Lehrlings­mangels in der Schweiz genügend Lernende für den neuen ­Beruf gefunden werden können, sagt sie: «Davon gehen wir aus.» Es gelte nun, intensiv Werbung zu machen: «Wir von ICT-Berufsbildung Schweiz tun dies hauptsächlich über Berufsbildungsmessen», erklärt Marti. «Aber auch die Unternehmen sind gefordert, indem sie die Stellen ausschreiben und den Interessierten die Informationen bereitstellen.» Sie verspricht sich vom neuen Berufsbild auch, dass damit mehr Frauen für ICT-Berufe insgesamt begeistert werden können: «Der Einstieg in die ICT-Berufswelt über Entwickler/in digitales Business ist sicherlich einfacher als über einen sehr technischen Beruf wie Informatikerin.» Die Hoffnung sei auch, dass die Frauen nach der Lehre der ICT-Branche erhalten bleiben und sich weiterbilden, beispielsweise in Richtung Wirtschaftsinformatik mit eidgenössischem Fachausweis oder auch technischer Informatik. «Daneben stehen ihnen auch die Möglichkeiten frei, welche zum Beispiel KV-Abgehende zur Verfügung haben; und kombiniert mit einer Berufsmatur stehen ihnen natürlich auch die Hochschulen offen.»
Von September bis Dezember 2021 hat dann eine ­sogenannte «aktive Workshopgruppe» mit ca. 25 Mitgliedern – bestehend aus Vertretern von Unternehmen aus verschiedenen Branchen, der Berufsfachschulen und den Überbetrieblichen Kursen (üK) – das Qualifikationsprofil und den Bildungsplan erstellt. Ersteres enthält eine Übersicht der Handlungskompetenzen (HK), über welche die Lernenden nach ihrem Abschluss verfügen sollten. Sie gliedern sich in die fünf HK-Bereiche «Begleiten von Projekten», «Darstellen, Automatisieren und Optimieren von Geschäftsprozessen», «Analysieren von Daten», «Kommunizieren von Ergebnissen» sowie «Einführungen von Lösungen im digitalen Umfeld». Damit wird die Abgrenzung zu anderen Berufen wie Kaufleute 2023 oder Media­ma­tiker/in sichergestellt. «Danach wurden die Bildungs­dokumente in einer grösseren Diskussionsgruppe mit ca. 36 Mitgliedern gespiegelt und validiert», erklärt Marti. «Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und ­Innovation (SBFI) prüfte dann die entsprechenden Bildungserlasse.» Anschliessend fanden die öffentlichen ­Anhörungen statt, zuerst die interne mit einer Umfrage des Berufsbildungsverbands bei den Unternehmen und sämtlichen Stakeholdern, danach die externe Anhörung vom SBFI, bei der auch die Meinungen der Kantone und weiterer interessierter Kreise abgeholt wurden. «Am 24. Juni 2022 wurden die Anhörungen erfolgreich ab­geschlossen – der Inkraftsetzung der Bildungsverordnung steht somit nichts mehr im Weg», sagt die Kommunikationsleiterin. Dass im Sommer 2023 mit der neuen Lehre gestartet werden kann, sei aber sicher: «Sie hat bereits eine Berufsnummer und es müssen nur noch Details ­abgeklärt werden.» Parallel dazu laufe die Modulentwicklung: «Dass die Module fürs erste Jahr rechtzeitig vorliegen, ist sichergestellt – der Rest ist ein laufender Prozess.»
Die ersten Ausbildungsbetriebe ab 2023 für Entwickler/innen digitales Business sind bereits bekannt (weitere dürften noch dazukommen). Es sind dies:
Ebenfalls schon festgelegt sind die Schulstandorte, zumindest in der Romandie und in der Deutschschweiz. «Das ist Aufgabe der Kantone», erklärt Marti. «Meist handelt es sich um Berufsfachschulen, die auch andere ICT-Berufe ausbilden, oder dann um KV-/Wirtschaftsschulen wie jene in Thun.» Im Tessin sei man noch nicht ganz so weit: «Dort kann voraussichtlich 2024 gestartet werden.» Wo die üK durchgeführt werden, sei dagegen noch nicht ganz klar: «Dies wird derzeit von den regionalen Organisationen der Arbeitswelt in Absprache mit den zuständigen Amtsstellen der Kantone definiert.»

Swisscom startet mit 18 Lernenden

Ein riesiges Interesse an der neuen Ausbildung hat Swiss­com: «Wir – wie auch die Schweizerische Post – haben uns von Anfang an stark für die Schaffung dieses neuen Berufs eingesetzt», sagt Steven Walsh, Strategy & Partner Manager in der Berufsbildung beim «Top 500»-Leader. Walsh ist zudem Präsident der zuständigen Kommission B&Q Mediamatik & digitales Business bei ICT-Berufs­bildung Schweiz. «Der Wunsch, ein solches Berufsprofil zu entwickeln, kam unter anderem von uns.» Sein Unternehmen beschäftige schon heute zahlreiche Mitarbeitende in diesem Bereich: «Digitalisierung bedeutet nicht bloss, die eine oder andere App zu programmieren», erklärt Walsh. «Dahinter steht immer auch eine Prozessanalyse: Zuerst muss man wissen, mit welchen Daten man arbeiten will, was Kunden und Mitarbeitende benötigen und wie die ­Prozesse optimiert werden können – erst dann wird die Lösung entwickelt.» Es gehe also auch stark um Projekt­management. Swisscom habe zwar Leute, die schon seit Jahrzehnten digitales Business entwickeln. «Oft sind es Quereinsteiger – gelernte Kaufleute, Informatiker, Me­diamatiker oder studierte Wirtschaftsinformatiker –, die sich zuerst die zusätzlich geforderten Fähigkeiten mittels Schulungen oder ‹learning by doing› aneignen mussten», sagt er. Schliesslich sei die Digitalisierung in der Schweiz so weit fortgeschritten, dass es nicht mehr reiche, nur an der Oberfläche zu kratzen: «Wir benötigen Spezialistinnen und Spezialisten, die sich explizit in Schnittstellenthemen auskennen: Welche Daten werden genutzt, wie sieht die Security aus, was soll der Kunde sehen und so weiter», so Walsh. «Bisher fehlte jedoch die Grundausbildung dafür.»
Swisscom will 2023 mit 18 Lernenden beginnen – mit 2 in der West- und 16 in der Deutschschweiz. «Wir werden mit Abstand der grösste Lehrstellenanbieter sein», sagt Walsh. Das kommt nicht von ungefähr, denn die mit der Einführung des neuen Berufs verbundenen Erwartungen sind gross: «Auch Swisscom ist stark vom Fachkräfte­mangel betroffen – wir gehen aber davon aus, dass die künftigen Entwickler/innen digitales Business eine spürbare Entlastung bringen werden.» Auf die Frage, ob trotz des derzeitigen Lehrlingsmangels genügend Lernende ­gefunden werden können, antwortet er: «Wir sind überzeugt, dass wir mit dem neuen Berufsprofil auch Jugendliche – insbesondere Mädchen – ansprechen können, die sich bisher nicht für Informatik interessiert haben, weil ihnen diese zu technisch ist.» Dabei gehe es weniger darum, Jugendliche «von anderen Berufen abzuwerben», sondern vor allem die Chance zu nutzen, welche die geburtenstarken Jahrgänge bieten: «Entsprechend kommen auch mehr Jugendliche in die Berufswahl.» Das Ziel von Swisscom sei, ein Geschlechterverhältnis von 50 zu 50 Prozent zu erreichen. «In der Informatik-Grundbildung ist die Frauenquote leider extrem tief und im letzten Jahr ­sogar noch gesunken», erklärt Walsh. «Wir erhoffen uns, dass wir mit der Berufslehre Entwickler/in digitales Bu­siness, die in der Technik nicht so sehr in die Tiefe geht, dafür mehr wirtschaftliche und kommunikative Inhalte hat, Gegensteuer geben können.»
“Wir benötigen Spezialistinnen und Spezialisten, die sich explizit in Schnittstellenthemen auskennen„
Steven Walsh, Swisscom
Swisscom sehe sich auch in der Pflicht, die Werbetrommel für den neuen Beruf zu rühren: «Als eine der First-Mover-Firmen gehen wir mit voran und zeigen nach aussen, dass wir von diesem neuen Beruf überzeugt sind und ihn benötigen – wir übernehmen quas sich für Lehrstellen zu ­bewerben, die Berufsmeisterschaften Swiss Skills in Bern. Diese sind mit einer grossen Berufsmesse kombiniert: «Diese Plattform werden wir – Swisscom, Post und ICT-Berufsbildung Schweiz – an unseren jeweiligen Messeständen gross bespielen», sagt Walsh. «Dort wollen wir den Jugendlichen initial aufzeigen, dass Entwickler/in ­digitales Business eine spannende Lehre und auch ein ­Zukunftsberuf ist.» Gleichzeitig werde in den verschiedensten Medien Werbung für den Beruf gemacht und ­dieser auch von den kantonalen OdA (Organisationen der ­Arbeitswelt) an den regionalen Berufsmessen präsentiert.

Veränderungen im Markt Rechnung tragen

Ein KMU, das künftig Entwickler/innen digitales Business ausbilden will, ist Nexplore. Die Thuner Software-Schmiede bildet seit zwei Jahrzehnten Applikationsentwickler/innen und seit ca. acht Jahren Systemtechniker/innen respektive Plattformentwickler/innen aus. «Seit rund zehn Jahren spüren wir eine Verlagerung von der Software-Entwicklung hin zur Lösungsberatung», erklärt Christoph Fankhauser, Lead Link Personalentwicklung. «Unser eigener Nachwuchs wird für die Software-Entwicklung und ­Programmierung ausgebildet, wir wünschen uns aber ein ­Berufsprofil, das mehr auf Prozessanalysen, Beratung und Datenmanagement ausgerichtet ist.» Gleichzeitig habe Nexplore Mühe, geeignete Spezialisten zu finden, wenn es um Lösungen mit Microsoft 365 geht. «Bisher konnten wir zu wenig Lehrabgänger dafür begeistern», sagt er. «Mit der neuen Berufslehre wird diese Lücke geschlossen, indem sie Bereiche wie Beratung, Projektabwicklung und Prozesse beinhaltet – deshalb machen wir sehr gerne mit.» Aufmerksam auf das neue Berufsprofil wurde das Unternehmen, weil es in der besagten Diskussionsgruppe der ICT-Berufsbildung mitwirkt.
Derzeit ist Nexplore daran, die Bildungsbewilligung zu erhalten. «Wir werden in den nächsten Wochen den Bildungsplan genauer studieren und uns Überlegungen machen, wie wir die neue Ausbildung aus dem bestehenden Lehrprogramm entwickeln können», sagt Fankhauser. «Ein wichtiges Element wird sicherlich unser Einführungsprogramm für Informatik-Lernende sein, dazu kommen dann spezifische Projekteinsätze in den verschiedenen Lösungsfeldern.» Viele Trainingseinheiten aus der heutigen Informatikausbildung würden sich auch für die angehenden Entwickler/innen digitales Business eignen. «Sie erwerben dort Kompetenzen, die sie anschliessend in den Projekten einsetzen können», erklärt er. Anfangen will Nexplore mit einer Lehrstelle pro Jahr. «Je nach Entwicklung des Berufs können es künftig auch mehr sein», so Fankhauser.




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