Vermessene Werbung 13.06.2017, 12:10 Uhr

Marketing Attribution: Was bringen digitale Werbeausgaben wirklich?

Werbungtreibende wollen wissen, was ihre digitalen Werbeausgaben eigentlich bringen. Marketing-Attribution-Lösungen sollen Antworten auf die Frage liefern.
(Quelle: shutterstock.com/Docstockmedia)
Wenn im Fussball ein Tor fällt, wem wird der Erfolg zugerechnet? Nur dem Stürmer, der den Ball ins Netz ­geschossen hat, oder auch dem Mittelfeldspieler, der mit seiner Flanke die entscheidende Vorlage geliefert hat? Mit dem ­Bewerten, welcher Werbekanal welchen Anteil an einer Konversion hatte, beschäftigt
sich im Online-Marketing die Marketing Attribution. Eine Konversion kann ganz unterschiedlich aussehen: Das kann ein Kaufabschluss, das Herunterladen ­eines Whitepapers oder das Abonnieren eines Newsletters sein. Welche Berührungspunkte zwischen Kunde und Marke gab es, welcher Erfolgsanteil wird ihnen zugerechnet und welche Folgen hat das für die Werbeausgaben?
"Marketing Attribution bezeichnet die Entscheidung, wie ich mein Budget auf die verschiedenen Kanäle auf Basis der Beurteilung der Conversions der verschiedenen Kanäle verteile", erklärt Matthias Postel, Geschäftsführer bei iCompetence, einem Digital-Analytics-Dienstleister in Hamburg. Für die statische Zuweisung gibt es verschiedene Attributionsmodelle wie First Click (erster Kontakt wird höher bewertet), Last Click (letzter Kontakt wird höher bewertet) oder das sogenannte Badewannen­modell (erster und letzter Kontakt werden stärker bewertet). "Last Click Wins" ist bislang das übliche Abrechnungsmodell, bei dem der gesamte Erfolg einer Konversion dem jeweils letzten Werbekanal zugerechnet wird. Der Beitrag anderer Berührungspunkte während einer Customer Journey bleibt aussen vor.

Algorithmengesteuerte Datenmodellierung

Eine weitere, dynamische Möglichkeit ist die algorithmengesteuerte Datenmodellierung. Dabei werden zum einen die Werbeausgaben für die verschiedenen (digitalen) Kanäle in eine Lösung für Marketing Attribution eingespeist, zum anderen die Werbemittel und die Webseite des Werbungtreibenden mit einem Pixel versehen. Das System sammelt dann Daten über den Erfolg der Werbeauslieferung: Wie gut konvertiert ein bestimmter Kanal? Wie häufig hatte ein Nutzer Kontakt mit einer Marke? Bei der Analyse allein bleibt es aber nicht. Das Ziel ist, das Marketingbudget besser einzusetzen und mit weniger Streuverlust zu arbeiten.
Blick auf das Adatics-Dashboard. Die Lösung analysiert und hilft beim Optimieren der Werbeausgaben
Das Versprechen aller Lösungsanbieter ist, die Werbeausgaben zu optimieren und dem Werbungtreibenden tiefere Einsichten zu liefern, was sein Marketingbudget denn tatsächlich bewirkt. Nicht nur Google und Facebook haben eigene Attributionslösungen angekündigt, auch zahlreiche andere Adtech-Firmen positionieren sich in diesem Markt. Ein Zeichen dafür, dass der Druck auf die Digitalbranche steigt, einen Nachweis zu liefern, wie wirkungsvoll Werbespendings sind.

Google und Facebook arbeiten an Attributionstools

Google hat Ende Mai 2017 die Lösung "Google Attribution" angekündigt. Werbungtreibende sollen damit den Erfolg ihres Marketings über verschiedene Kanäle und Geräte hinweg messen können. Daten aus Adwords, Google Analytics und Doubleclick Search bilden die Grundlage für die Ermittlung der Performance. Für die ­datengesteuerte Attribution nutzt Google Machine Learning, um festzustellen, welchen Erfolgsbeitrag jeder Schritt in der Customer Journey beigesteuert hat. Dann können Anzeigen in Adwords oder Doubleclick Search, einer Verwaltungsplattform für Suchmaschinenmarketing, optimiert werden.
Ähnlich wie Google Analytics wird auch das Attribution-Tool in der Basisversion kostenlos sein. Daneben soll es eine kostenpflichtige Version für Agenturen geben, deren Jahres­gebühr bei 150.000 US-Dollar beginnt, berichtet das US-Fachmagazin "Advertising Age". Noch ist "Google Attribution" in der Betaphase, in ein paar Monaten soll es verfügbar sein. Mit der kostenlosen Variante dürfte Google alle anderen Anbieter von kostenpflichtigen Marketing-Attribution-Lösungen unter Druck setzen.
Facebook hat ebenfalls ein Tool für die Messung von Reichweiten und Attribution in der Betaphase. "Advanced Measurement" basiert auf der Technologie des Adservers "Atlas", den Facebook seit Herbst 2016 zu einem Messinstrument für Werbewirkung umbaut, während die Adserving-Funktion eingestellt wurde. Die ­"Advanced Measurement"-Tools werden Werbungtreibenden nach der Testphase über den kostenlosen "Facebook Business Manager" zur Verfügung stehen. Facebook verspricht, dass Werbungtreibende den Erfolg ihrer Werbeanzeigen über alle Geräte, Browser und Publisher hinweg nachvollziehen können.
Dashboard von Ad Triba
 
Der Anreiz, ein kostenloses Attribution-Tool zu nutzen, wird für viele Unternehmen gross sein. Google und Facebook sind allerdings keine neutralen Anbieter, ihr Geschäftsmodell basiert auf Werbeeinnahmen, deren Erfolg sie dann mit ihren eigenen Tools nachweisen. Unabhängigkeit und Neutralität dürfte eines der Hauptargumente von Drittanbietern sein. So hat beispielsweise Ad Triba, ein Start-up im Bereich Attributionsmodellierung, am Tag nach der Google-Ankündigung in einer Mitteilung darauf hingewiesen, dass Ad Triba ein günstiges Marketing-Attribution-Tool für Unternehmen anbiete, die eine unabhängige und neutrale Datenanalyse benötigen.

Erweiterung der Marketing-Attribution-Lösungen absehbar

Viele Marketing-Attribution-Lösungen zielen darauf ab, digitale Werbekanäle zu erfassen, also Display, Native, Search und andere Performance-Kanäle. Der nächste logische Schritt ist, die Datenerhebung auszuweiten, schliesslich sehen Nutzer nicht nur auf dem Desktop-Browser Werbung, sondern auch auf dem Smartphone und dem Tablet. Daneben zeichnet sich ­eine weitere Entwicklung ab: das Einbeziehen von bislang nicht digitalen Werbekanälen wie TV, Aussenwerbung oder Radio.
AOL Deutschland bietet dafür seit November 2016 die Lösung "AOL ­Attribution" auch auf dem deutschen Markt an. Damit sollen sich Investments in Offline- und in ­Online-Medien messen und die Ausgaben nach Medientyp, -format und Zielgruppe analysieren lassen. "Werbungtreibende haben einen realistischen Überblick über ihre Investments und profitieren von Tools, die ihren Return on Invest verbessern", erklärt Markus Frank, Managing ­Director DACH von AOL. Damit die ­Attributionslösung funktionieren kann, benötigt sie Daten aus der Vergangenheit sowie Echtzeitinformationen. Je mehr ­Daten die Lösung zur Verfügung hat, ­desto besser können Vorhersagen getroffen werden, wie sich bestimmte Marketingmassnahmen auf die Unternehmensziele auswirken werden.
Ein weiteres Beispiel dafür, dass Marketing Attribution gerade hoch im Kurs steht, ist Appsflyer, Spezialist für Marketing-Analytics und die Attribution mobiler Werbung. Das Start-up wurde gerade ein offizieller Partner von Googles neuem App-Attribution-Programm. Werbungtreibende sollen dadurch eine breitere Datenbasis erhalten, um ihre App-Kampagnen im Ökosystem von Google zu optimieren. Das Start-up will künftig nicht nur In-App-Werbung messen, sondern auch alle anderen Werbekanäle - online und offline.
Wie Neckermann Reisen die Attribution-Lösung von Exactag in der Praxis einsetzt, erfahrt ihr im folgenden Interview.

Einzelne Touchpoints der Customer Journey erfassen

Wer einen Urlaub plant, informiert sich in mehreren Schritten, bevor er bucht. Online-Magazine liefern Inspiration, Werbebanner auf Themen-Webseiten, Blogs, Videos und Suchmaschinen sind an der Entscheidungsfindung beteiligt. Um diese Customer Journey der Reisekunden im Web zu analysieren, setzt Neckermann Reisen die Lösung von Exactag ein. Sie dient auch für die Attribution, das heisst, der Bewertung, welche Kontaktpunkte am Entscheidungsprozess und der Buchung beteiligt waren. INTERNET WORLD Business hat Timo Baumgarten, Online Partner Marketing Manager bei Thomas Cook, befragt, wie er die Marketing-Attribution-Lösung einsetzt.
Timo Baumgarten, Online Partner Marketing Manager, Thomas Cook Touristik
Quelle: Thomas Cook Touristik
Bitte beschreiben Sie, wie Sie mit Hilfe von Exactag Views und Klicks der Nutzer erfassen. Ist es kompliziert, so eine Marketing-Attributions-Lösung aufzusetzen?

Timo Baumgarten: Über Redirects und Trackingparameter werden alle Klicks sowie Views in allen Online Werbemitteln erfasst und gemessen. Wie bei jeder Tool-Einführung ist die Integration mit einem initialen Aufwand verbunden. Der Grossteil der laufenden Kampagnen ist jedoch mittlerweile automatisiert, sodass sich der laufende Aufwand in Grenzen hält.
Können Sie bitte erklären, wie das Bewerten der einzelnen Online-Marketing-Massnahmen geht?
Baumgarten: Für die dynamische Attribution kommt ein lernender Algorithmus zum Einsatz, der den tatsächlichen Wertbeitrag jedes einzelnen Touchpoints einer Customer Journey analysiert und bewertet. Hierfür werden erfolgreiche und nicht erfolgreiche Customer Journeys mit einbezogen. Insbesondere für Display-Werbung wird somit die Wirkung jedes Kontaktpunktes fair betrachtet, unabhängig davon in welcher Position der Customer Journey dieser stattfindet.
Wie können Sie den Wert von Content Marketing erheben?
Baumgarten: Für Content Marketing liegt der Fokus mehr auf der Inspiration und dem Aufbau des ersten Kontakts mit unserer Marke. Den direkten Wert in Hinblick auf die Conversion zu beziffern gestaltet sich zwar schwieriger, wir schauen uns jedoch verschiedene Möglichkeiten an, Content-Marketing-Massnahmen als Touchpoint in der User Journey abzubilden und zu bewerten.
 
Stehen die Kosten für eine Marketing-Attributions-Lösung im Verhältnis zum Nutzen?
Baumgarten: Für den Einsatz einer Attributionslösung ist es für uns wichtig, dass alle Online-Massnahmen einheitlich erfasst und ganzheitlich ausgewertet werden können.
 
Was bringt Ihnen bei Neckermann Reisen diese Lösung insgesamt betrachtet?
Baumgarten: Wir bekommen durch den Einsatz des Customer-Journey-Trackings einen ganzheitlichen Blick auf alle Online-Marketing-Kampagnen und sehen, dass wir den Push-Kanälen und den inspirativen Kampagnen mehr Wert zuschreiben können. Die umfassende Sichtweise auf alle Kampagnen durch die Customer-Journey-Analyse und die dynamische Attribution der Werbewirkung ermöglichen uns eine faire Bewertung jedes einzelnen Touchpoints. Hierdurch bedingte Optimierungen des Online-Marketing-Mix führten zu einem deutlich besseren Einsatz des Budgets.




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