Höherer Stromverbrauch durch Digitalisierung?
Rebound-Effekt dämpft Nachhaltigkeit
Die Berner Fachhochschule (BFH) hat im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (BAFU) eine Studie zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Umwelt durchgeführt und die Ergebnisse Ende April 2020 veröffentlicht. Die Entmaterialisierung von Wertschöpfungsprozessen und die Verlagerung hin zu erneuerbaren Energiequellen verbessert demnach die Ökobilanz.
Allerdings ziehen Effizienzgewinne oft auch eine verstärkte Nachfrage nach sich, was einen erhöhten Rohstoff- und Energieverbrauch sowie zusätzliche Emissionen und mehr Elektroschrott zur Folge hat. Solche Rückkoppelungseffekte werden auch als «Rebound-Effekte» bezeichnet.
Unter deren Berücksichtigung hat die Digitalisierung unter dem Strich bisher einen negativen Effekt auf die Umwelt, lautet das Fazit der BFH. Dank Digitalisierung werden Abläufe effizienter, haben aber auch eine wachsende Datenmenge zur Folge. Diese beschleunigende Wirkung auf unser Wirtschaftssystem ist seit mehreren Jahren zu beobachten und zeichnet sich durch eine übermässige Nutzung natürlicher Ressourcen aus. Überregionale und weltumspannende Ökosysteme laufen dadurch Gefahr «zu kippen».
Folgen lassen sich leicht ausblenden
Da diese Ökosysteme jedoch noch ausserhalb unseres Umfeldes sind, blenden wir die Folgen unseres Handeln einfach aus. Dabei benötigen die Gewinnung und der Transport der nötigen Rohstoffe für elektronische Bauteile wie z. . Displays und Akkus bereits sehr viel Energie, wobei die Rohstoffe in Südamerika, Afrika und Asien mehrheitlich
ohne Rücksicht auf die Ökosysteme gewonnen werden.
Hinzu kommt der Energiebedarf für die Güterproduktion (meist in Fernost) und deren Transport (häufig just in time per Flugzeug zu den Abnehmern in aller Welt). Da elektronische Geräte oft entsorgt und die darin enthaltenen Rohstoffe nicht wiedergewonnen werden, ergeben sich mittelfristig dramatische Folgen für unsere Lebensgrundlagen.
Steigende Nachfrage nach Smartphones
Doch wo entsteht die grosse Nachfrage nach elektronischen Geräten? Gemäss dem Ericsson Mobility Report gab es im dritten Quartal 2018 weltweit 7,9 Mia. Mobilfunkanschlüsse (+3 zum Vorjahr), wobei weltweit 60 Prozent aller Mobiltelefone Smartphones waren (Ende 2018 ca. 5 Mia.). Bis 2024 dürften es 7,2 Mia. sein.
Seit 2019 setzt aufgrund gut ausgebauter und neu in Betrieb genommener 5G-Netze ein erneutes Wachstum ein, wenn auch nicht mehr so stark wie zur Anfangszeit der Smartphones. In der Schweiz ist ihr Anteil seit vielen Jahren sehr hoch, wo 2019 92 Prozent aller Erwachsenen mindestens ein Smartphone besassen. Deren Popularität hat unseren Alltag und unsere Art zu kommunizieren radikal verändert.
Wir sind quasi rund um die Uhr online und konsumieren immer mehr Daten,
namentlich in Form von Videos. Dies führt zu einer enormen Zunahme des Datenverkehrs auf den Mobilfunknetzen; in der Schweiz je nach Provider ist es eine Verdoppelung alle 12 bis 16 Monate.
Gemäss dem im Februar 2019 aktualisierten Ericsson Mobility Report hat der Datenverkehr auf den Mobilfunknetzen zwischen Ende 2017 und Ende 2018 weltweit um 88 Prozent zugenommen. Dies ist der stärkste Zuwachs seit Mitte 2013, als eine Zunahme um 89 Prozent verzeichnet worden war.
Gemäss den Daten von Ericsson machte 2018 der Videoanteil bereits 60 Prozent des mobilen Datenverkehrs aus und könnte bis 2024 auf fast 74 Prozent anwachsen. Wie aus der Grafik ersichtlich ist, spielt die Sprachübertragung nur noch ein untergeordnete Rolle.
Schlechte Klimabilanz
Gemäss MSM Research wird der Anteil der ICT-Branche an den weltweiten CO2-Emissionen auf 3,7 Prozent geschätzt – fast doppelt so viel wie derjenige aus der zivilen Luftfahrt (2 ) oder halb so viel wie der Schadstoffausstoss aller Personenfahrzeuge und Motorräder (8 ). Andere Studien sprechen von unter 2 Prozent, was darin begründet ist, dass nur der reine Stromverbrauch der Endgeräte ohne deren Herstellung, Transport und Entsorgung eingerechnet wird.
Wie auch immer – der ICT-spezifische Stromverbrauch steigt weiter. Weltweit klettert der entsprechende Energiebedarf zurzeit um etwa 9 Prozent jährlich. Steigt das Datenvolumen im Internet und in den Rechenzentren weiterhin um rund 30 Prozent pro Jahr, wäre die ICT-Branche 2025 bereits für 8 Prozent aller weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich.
Es erstaunt, dass solche Zahlen im Bewusstsein meistens ausgeblendet werden – aber der Strom kommt ja bekanntlich aus der Steckdose.
Autor(in)
Rüdiger
Sellin