Höherer Stromverbrauch durch Digitalisierung?

Benutzerverhalten treibt Energieverbrauch

Bei den Nutzern stehen die Konsequenzen ihres Verhaltens jedoch weit im Hintergrund. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass eine einfache Suchanfrage auf Google un­gefähr 20-mal so viel Energie benötigt wie auf dem Smartphone selbst?
Der grösste Teil dieser Energie tritt bei den erforderlichen Servern in den Rechenzentren auf, die Datenbanken nach dem gesuchten Begriff durchsuchen und dem Benutzer zur Auswahl stellen. Aus eigener Erfahrung weiss man, dass oft sehr viele Links angezeigt werden und kann er­ahnen, welche Datenmengen in Rechenzentren rund um den Globus gespeichert sind.
Dabei geben sich die grossen Anbieter viel Mühe, rund 80 bis 90 Prozent der gängigen Suchanfragen lokal, also 
im Land selbst zu beantworten. Denn eine möglichst lokale Datenspeicherung senkt die Antwortzeiten und reduziert die Netz- sowie Serverbelastung. Es überrascht vor diesem Hintergrund nicht, dass etwa Microsoft und Google eigene, weltumspannende Datennetze betreiben, um ihre welt­weiten Data Center mit ihren Kunden zu verbinden.
Erwähnenswert ist auch das Verhalten der Benutzer selbst – das sind wir alle. So werden etwa drei Viertel aller Such­anfragen von mobilen Geräten aus gestartet, und zwar in etwa zwei Drittel aller Fälle stationär, also im Gebäude, was oft gros­se Sendeleistungen der Endgeräte nötig macht, um die Wände zu durchdringen. Besser wäre es, auf das haus­interne WLAN zurückzugreifen, das mit nur 100–200 mW operiert und den Akku des mobilen Endgeräts entlastet.

Rasant mit voller Power

Unterwegs sieht die Energiebilanz noch düsterer aus. Denn wenn über 1000 Reisende im Intercity zum Beispiel auf dem Weg von Genf nach St. Gallen ihre E-Mails abrufen, telefonieren oder streamen, sind Endgeräte und Mobilfunksender gleichermassen gefordert.
Während die meisten Autos mit Aussenantennen auf dem Dach ausgestattet sind, verhindert der Metallkörper des Bahnwaggons gute Mobilfunkverbindungen – ein klassischer Faraday’scher Käfig, der sich mit bis zu 160 km/h bewegt.
Da helfen auch die passiven Repeater in den IC-Waggons der SBB nur wenig, und es ist reine Physik, wenn der häufige Handover von Verbindungen bei der Übergabe von rund 1000 aktiven Endgeräten zur nächsten Funkzelle kaum für alle Benutzer gleich gut gelingen kann.
Praktisch bedeutet das: Vor allem die vielen Endgeräte laufen unterwegs mit voller Sendeleistung, was sehr viel Strom verbraucht und noch mehr Strahlung im Zug erzeugt. Die Nutzer verlangen aber unverdrossen nach Connectivity und Steckdosen zum Arbeiten, Telefonieren und Streamen.

Streamen wird beliebter

Eine seit vielen Jahren sehr populäre Anwendung ist dabei das Streamen. Warum noch Videos und CDs daheim auf­bewahren, wenn es neben dem Klassiker Apple Music oder Dee­zer noch Anbieter wie Spotify gibt, die allein 40 Millionen Musiktitel in hoher Qualität auf Abruf bereithalten? Daneben sind auch klassische Musikvideos, wie sie auf YouTube gezeigt werden, weiterhin sehr populär.
Die Plattform wurde 2005 für 1,65 Milliarden US-Dollar von Google gekauft und ist heute die am dritthäufigsten besuchte Website nach Google und Facebook sowie mit 1,9 Milliarden Nutzern die zweitbeliebteste Social-Media-Plattform. Jede Minute werden auf YouTube 400 Stunden Videomaterial hochgeladen, jeden Tag über 1 Milliarde Stunden Videos angesehen, dies zu 70 Prozent über mobile Geräte.
Streaming-Anbieter Netflix erfreut sich ebenfalls grosser Beliebtheit und wird beispielsweise von lokalen Kabelnetzbetreibern als Alternative zu Swisscom TV angepriesen. Dass der Hunger nach Datenspeichern wächst, liegt auf der Hand, sind TV-Sendungen und Videos doch rund um die Uhr auch zeitverzögert auf Abruf verfügbar. Und hochauf­gelöste Inhalte benötigen sehr viel Speicherplatz.

Rüdiger Sellin
Autor(in) Rüdiger Sellin


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