Für Unternehmen
20.08.2018, 21:53 Uhr
Expandieren nach China: 5 Dinge, die Unternehmer wissen müssen
Für viele Grosskonzerne ist China heute schon der grösste Markt - oder mindestens der wachstumsstärkste. Da ist es nicht verwunderlich, dass viele Unternehmen eine Expansion ins Reich der Mitte in Betracht ziehen - off- wie online. Wir erklären, was dabei zu beachten ist.
Von Sebastian Mueller, Chief Operating Officer bei Ming Labs
China übt auf Unternehmen eine enorme Anziehungskraft aus. Mit einem der grössten einheitlichen Wirtschaftsräume weltweit, starkem Wachstum und stetig steigender Kaufkraft gibt es kaum noch Firmen, die nicht über eine Expansion zumindest nachdenken. Für viele Grosskonzerne ist China heute schon der grösste Markt - oder mindestens der wachstumsstärkste. Während sich die Markteintrittsbarrieren vor einem Jahrzehnt für kleinere Unternehmen noch unüberwindbar anfühlten, hat man heute den Eindruck, dass es machbar ist.
Gleichzeitig gibt es weiterhin viele Bedenken - vor allem genährt durch die unzähligen Geschichten von ausländischen Unternehmen, die viel Geld auf China gesetzt hatten und am Ende erfolglos wieder abziehen mussten. Die Kulturbarriere oder schnellere lokale Wettbewerber, nur zwei von unzähligen Faktoren, wurden schon vielen zum Verhängnis.
Unsere Firma wurde 2011 in Shanghai gegründet. Wir bauen digitale Produkte und Geschäftsmodelle und haben Firmen bei ihren ersten Schritten auf dem chinesischen Markt begleitet. In diesem Beitrag teilen wir einige dieser Lehren und erklären, wie der chinesische Markt so tickt, um die Erfolgschancen für einen Markteintritt in China zu erhöhen.
1. Produktlokalisierung
Wir werden oft von potenziellen Kunden angesprochen, die ihr bestehendes Digitalprodukt für China adaptieren wollen, indem eine chinesische Version erstellt wird. Die Annahme dahinter ist, dass die grösste Barriere die Sprache ist; die Funktionsweise, der Service und das Design, mit denen man in anderen Ländern erfolgreich ist, sollten doch auch in China passen. Das ist allerdings meistens nicht der Fall.
Beim Markteintritt in China muss man davon ausgehen, dass der Product-Market-Fit, den man sich in anderen Ländern erarbeitet hat, dort erstmal nicht zählt und man ihn sich neu erarbeiten muss. Man fängt also wieder von vorne an und muss erst einmal durch Testen lernen. Wir empfehlen meistens, das bestehende Produkt zunächst mit einer relevanten Zielgruppe zu testen und dann über iteratives Riskiest Assumption Testing (RAT) neue Prototypen zu bauen und zu verfeinern.
Die Annahmen, die einem im Heimatmarkt geholfen haben erfolgreich zu sein, sind in China oft nicht anwendbar. Ein interessantes Beispiel haben wir mit einem Kunden gesehen, der eine Sonardrohne für Fischer entwickelt hatte, mit der sich die Fangmenge optimieren lässt. Während das Gerät und die Algorithmen dahinter auf natürliche Seen ausgelegt sind, gibt es in China sehr viele künstlich angelegte Seen mit völlig anderer Beschaffenheit - und dort versagte das bestehende Gerät auf ganzer Linie.
Auch zu beachten sind die unterschiedlichen Marktzyklen: Viele Ideen kommen entweder zu früh oder zu spät für den chinesischen Markt. Das war zum Beispiel bei den Anbietern von Loyalitätsprogrammen der Fall, die Anfang der 2000er-Jahre in den Markt drängten. Der Zeitpunkt war schlecht gewählt, da niemand bereit war, in Loyalitätsprogramme zu investieren. Warum Geld ausgeben für die Kundenbindung, wenn man drei Strassen weiter eine neue Filiale aufmachen kann, die wiederum komplett überrannt wird von Kundschaft? In dieser extremen Wachstumsphase des Konsumgeschäfts war das einfach nicht nötig. Das ist heute anders: Seit 2015 erleben wir einen starken Anstieg an Loyalitätsprogrammen für alle möglichen Geschäfte, weil es nun um den Kampf um den Konsumenten geht.
2. Kulturelle Unterschiede
Wir wissen aus Erfahrung, dass chinesische Kunden sich deutlich von westlichen Nutzern unterscheiden. Ein philosophischer Unterschied zum Beispiel, der sich in sehr realem Verhalten widerspiegelt, ist ein kollektivistisches Weltverständnis, welches unserem westlichen Individualismus entgegensteht. Alles hat immer einen sozialen Kontext, weshalb zum Beispiel eine Chat-App wie WeChat zum Sammelpunkt für alle möglichen Aktivitäten werden kann, inklusive Zahlmethode, Mobilität, Investments und vielem mehr.
Auch beim Online Shopping ist der chinesische Kunde immer in Kontakt mit anderen Menschen - ob das Freunde und Familie sind, mit denen man über potenzielle Käufe redet und Empfehlungen austauscht, oder der Service-Mitarbeiter des Online Shops, mit dem man fortlaufend chattet. Chinesische Konsumenten trauen den Informationen auf der Website meistens nicht so ganz und reden lieber mit Menschen anstatt für sich alleine Informationen zu sammeln und einzukaufen.
Für Unternehmen ist es wichtig, diese kulturellen Unterschiede zu verstehen, um Produkte und Services optimal darauf auszulegen. Marktforschung und Nutzertests sind oft ein guter erster Schritt, um Unterschiede aufzudecken. Es ist empfehlenswert, von Anfang an in starken Kundenservice zu investieren - chinesische Kunden teilen ihre Meinung gern und oft mit. Diese Kontakte strategisch auszuwerten und in Verbesserungen einfliessen zu lassen, ist oft Gold wert.
Technische Hürden, lokale Plattformen und Marketing-Strategie
3. Technische Schwierigkeiten
Je nachdem, wie Ihr Produkt gebaut ist, kann es womöglich aktuell in China komplett untauglich sein. Man weiss inzwischen häufig schon, dass einige internationale Services (Facebook, Twitter, Google ...) in China geblockt sind. Die Auswirkungen auf das eigene Produkt sind allerdings meist unklar, bis man es testet.
In unseren Projekten sind wir sicher schon mit den meisten Schwierigkeiten konfrontiert worden, auf die man so treffen kann. Zum Beispiel bei der Nutzung von internationalen SDKs, APIs und ähnlichen Angeboten, die im Ausland gehostet werden.
Ein Kunde kam zu uns mit einer fast fertigen Website, gebaut von einem Team in Berlin, und dem Problem, dass sein chinesischer Partner diese immer mehr als eine halbe Minute laden musste - und niemand wusste, warum. In Berlin lief die Seite einwandfrei, der Server wurde auch korrekt in China aufgesetzt, und alle Tests liefen sauber durch. Das Problem war am Ende, dass zur Einbindung von Python eine Google Library genutzt wurde, die über eine Web-API aufgerufen wird. Das ist absolut üblich, allerdings wurde der Zugriff aus China immer geblockt und hatte dann nach einer halben Minute einen Time-out.
Es ist auch wichtig, die Infrastruktur korrekt zu planen und aufzusetzen. Selbst wenn die IP des Servers, auf dem das Produkt läuft, nicht geblockt ist, kann es zu nicht einschätzbaren Service-Verlangsamungen oder -ausfällen kommen. Ein strategisch nachhaltiger Markteintritt verlangt oft lokales Hosting.
Ausserdem muss man wissen, welche Lizenzen man braucht, um das eigene Geschäft zu betreiben. Einfache Webauftritte benötigen mindestens eine ICP-Lizenz (ausgestellt auf eine chinesische Tochterfirma). Einige Geschäftsfelder (etwa diverse SaaS-Kategorien) benötigen spezielle Lizenzen, die man eigentlich nur mit lokalen Partnern erhalten kann, da sie nicht an ausländische Firmen vergeben werden.
4. Lokale Plattformen
Von Alibaba und WeChat (seltener von der Mutterfirma Tencent) haben inzwischen die meisten schon gehört, ihre enorme Bedeutung scheint vielen allerdings nicht bewusst zu sein. Alipay und WeChat Pay zusammen dominieren praktisch den gesamten Markt der digitalen Bezahlung. Alibaba und Tencent-Investment JD beherrschen über 80 Prozent des E-Commerce-Marktes. Beide Firmen haben massive Ökosysteme aus Produkten, Services und Investments gebaut, die den Markt definieren.
Eine solide China-Strategie muss einen Plan enthalten, wie man mit diesem Ökosystem umgeht. Die einfachste Antwort ist, ein Teil davon zu werden und davon zu profitieren, auch weil die Customer-Success-Teams der grossen Plattformen sehr hilfreich sind, um das Meiste rauszuholen. Die Firmen sind sehr am Erfolg der Händler interessiert und sind auch immer darauf aus, deutsche Produkte auf ihre Plattformen zu bekommen, weil die sich bei chinesischen Kunden immer noch sehr grosser Beliebtheit erfreuen.
Alleine ausserhalb dieser Plattformen zu agieren kann - je nach Geschäftsfeld und -modell - eine richtige Entscheidung sein, ist aber ein Kampf, den man verstehen sollte, bevor man ihn antritt. Eigenfinanzierte Markteintritte und Kundenansprachen in China sind inzwischen sehr teuer, Kundenloyalität ist de facto nicht vorhanden, und jeden Tag spriessen neue Angebote wie Pilze aus dem Boden. Während sich klar definierte Nischen recht gut abdecken lassen, ist eine erfolgreiche Massenmarktansprache fast nicht möglich.
Ein interessantes Beispiel ist windeln.de. Bei der Firma aus München stieg der Anteil chinesischer Kundschaft seit 2011 deutlich an (in einem deutschsprachigen Webshop), sodass gesondert Fokus auf diesen Markt gelegt wurde. Am Anfang mit chinesischer Übersetzung der Website, später auch mit eigenem T-Mall-Shop auf der lokalen Plattform von Alibaba.
5. Marketing-Strategie
Oft wird der Markteintritt in China mit derselben Marketing-Strategie verfolgt, die sich schon in anderen Ländern bewährt hat. Solche "Play Books" sind bei schnell wachsenden Firmen sehr beliebt, um vorherige Erfolge zu replizieren, ohne sich für jeden neuen Markt jedes Mal alles neu ausdenken zu müssen. Allerdings funktionieren diese Strategien oft nicht 1:1 in China oder sind deutlich ineffizienter, sodass sie mehr Geld verbrennen als Nutzen zu stiften.
Ein erster Ansatzpunkt ist natürlich die Anpassung der gewählten Kanäle auf die lokal verfügbaren Versionen. Anstatt bei Twitter Mitteilungen zu machen, kommuniziert man über Sina Weibo. Anstatt bei Google und Facebook Keyword-Werbung zu kaufen, geht man zu Baidu und Alibaba. Und ein WeChat-Auftritt gehört natürlich auch dazu - oft als Service-Account, um mit den Kunden zu interagieren, anstatt nur Einwegkommunikation zu betreiben. Die jeweiligen Kanäle weisen in China oft auch anderes Nutzerverhalten als deren westliche Pendants (Weibo ist mit chinesischen Schriftzeichen eher ein Micro-Blog als eine Headline-Maschine) auf. Diese Unterschiede sollte man berücksichtigen, um die Plattformen optimal für Marketing und Service zu nutzen.
Generell gilt: Die Rolle der sozialen Medien in der Interaktion mit chinesischer Kundschaft ist weitaus wichtiger als im Westen. Man kommuniziert sehr viel, über die verschiedenen Kanäle hinweg, und erwartet dann auch, dass das Unternehmen damit zurechtkommt. Selbst im B2B-Bereich sind Firmen auf WeChat vertreten und erreichbar, weil dies einfach eine Grunderwartung in China ist und die meiste Geschäftskommunikation heute schon darüber läuft.
China - Grösse und Geschwindigkeit
In Meetings in China hört man manchmal die Frage "Are you ready to play at China scale and China speed?" - "Sind Sie bereit für einen Markt dieser Grösse, der sich rasant verändert und entwickelt?" Diese Frage muss man sich durchaus stellen.
Wer China nicht ernst genug nimmt und den Markteintritt mal so nebenbei versucht, wird im Erfolgsfall schnell erdrückt von der Nachfrage (und schlechtem Feedback, wenn man diese nicht erfüllen kann) oder überrannt von lokalen Anbietern, die sich das Produkt oder den Service ganz schnell abschauen, verbessern und günstiger anbieten.
Die fünf genannten Themengebiete gehören definitiv in jede solide Strategie für einen Markteintritt, sind aber natürlich nicht allumfassend. Es gibt viel zu bedenken und herauszufinden, um den chinesischen Markt mit einer nachhaltigen Strategie anzugehen. Er tickt einfach anders, als es die meisten westlichen Unternehmen gewohnt sind.