Digitalisierung schafft Individualisierung
Vorsprung durch Wissen
Eine wesentliche Folge der fortschreitenden Individualisierung ist: Noch nie war ein umfassendes Verständnis für Kundenbedürfnisse so wichtig wie heute. 90 Prozent der für „SCM World Value Chain 2020“ befragten Unternehmen haben denn auch schon konkret erfahren, dass ihre Kunden individualisierte Produkte schätzen würden. Gleichzeitig haben 74 Prozent der Führungskräfte eingeräumt, dass es für sie schwierig sei zu beurteilen, worauf die Kunden wirklich Wert legen und für welche Art von individualisierten Angeboten sie bereit wären, einen Aufpreis zu zahlen.
Hier könnten Big Data und IoT-Sensorik Abhilfe schaffen. Sie ermöglichen ein tief greifendes Verständnis für Kundenbedürfnisse und damit zielgenaue Kurskorrekturen. Die konventionelle Wertschöpfungskette erbringt dagegen eine massenmarktoptimierte Leistung in nahezu völliger Isolation vom Verbraucher. IoT ermöglicht erstmals eine enge Verzahnung zwischen dem Leistungsempfänger (dem Käufer oder Anwender) und dem Hersteller beziehungsweise Leistungserbringer.
Vorreiter sind Start-ups in der Insurtech-Branche, die mit IoT-gestützten Methoden der Risikobewertung experimentieren, um individualisierte Versicherungsangebote zu entwickeln. Die Plattform TrueMotion etwa ermöglicht es Autoversicherern, den individuellen Fahrstil des Fahrers in ihre Kalkulationen einzubeziehen. Und das kalifornische Start-up Sureify Labs hat eine leistungsstarke Analytics-Plattform entwickelt, die Sensordaten aus einer Vielzahl von IoT-Endgeräten anzapfen kann, um eine Lebensversicherung verhaltensgerecht und datengetrieben zu individualisieren. Eine Krankenkasse oder Lebensversicherung könnte damit beispielsweise auf Daten eines Fitness-Trackers zugreifen, um die gesunde Lebensweise eines Versicherten bei der Berechnung individueller Versicherungsbeiträge zu seinen Gunsten zu berücksichtigen.
Kompressionshemd von Under Armour
Befeuert werden solche Entwicklungen von der rasch zunehmenden Zahl IoT-fähiger Gegenstände. Ein bemerkenswertes Beispiel kommt etwa vom Sportbekleidungshersteller Under Armour. Die US-amerikanische Firma hat ein mit Sensorik gespicktes Kompressionshemd entwickelt, das in der Lage ist, diverse leistungs- und gesundheitsbezogene Kennzahlen zu erfassen – unter anderem die Herzfrequenz, den Stoffwechsel, die Körperposition und die Lungenkapazität. Diese Daten helfen, das Training individuell anzupassen. Den Zuschauern könnten aber zum Beispiel auch die Messwerte von Stars auf einer Stadionanzeige angezeigt werden. IoT-fähige Kleidungsstücke wie das Kompressionshemd von Under Armour verleihen dem Begriff Kundennähe eine neue Bedeutung.
IoT-gestützte Individualisierung bietet Unternehmen neue Anhaltspunkte für die Entwicklung kundengerechter Angebote und die persönliche Kundenansprache. Big Data bildet hierbei eine Wissensbasis für die Entwicklung neuer bedarfsgerecht individualisierter Produkte und Dienstleistungen.
Eine weitreichende Individualisierung verschafft dem Anbieter nicht nur klare Wettbewerbsvorteile, sondern auch eine zusätzliche Hebelwirkung: Mit steigender Integrationstiefe und zunehmender Dauer der Kundenbeziehung wachsen aus Sicht des Käufers nämlich die Kosten des Wechsels zu einer alternativen Lösung. Dank individualisierter Produkte und Dienstleistungen kann sich der Anbieter dem direkten Preisvergleich mit Mitbewerbern entziehen und eine wertorientierte statt einer kostenorientierten Preispolitik verfolgen.
Diese Strategie fährt unter anderem Amazon.com unter der Bezeichnung Dynamic Pricing – noch mit gemischtem Erfolg.