Interview Werner Huber 29.01.2020, 08:00 Uhr

Sixt: Vom Autovermieter zum Mobilitätsdienstleister

"Wir wollen den privaten Autobesitz ersetzen", mit diesem ambitionierten Ziel krempelt Sixt derzeit sein Geschäftsmodell um. Im Zentrum: Die Sixt-App, eine Eigenentwicklung der Sixt Labs. Werner Huber verantwortet das Projekt und verrät, was dahintersteckt.
Werner Huber, Director Software Engineering Sixt Labs
(Quelle: Sixt)
Schlagworte wie "Verkehrswende“ und "Kollaps in der Innenstadt“ bestimmen die Schlagzeilen. Das eigene Auto wird - zumindest in Ballungsräumen - zum Auslaufmodell. Der Autovermieter Sixt reagiert auf diese Herausforderungen mit einem Bündel von neuen Angeboten. Die Unit, in der der der Sixt-Konzern die digitalen Mobilitätslösungen von morgen entwickeln lässt, heisst Sixt Labs.
Verantwortlich für die Software-Entwicklung der Sixt Labs ist Werner Huber, der in der TrendArena auf der INTERNET WORLD EXPO einen Einblick in seine Arbeit ­geben wird. Ein paar Details hat er der Redak­tion vorab im Interview verraten.
Sixt wandelt sich vom Autovermieter zum Mobilitätsdienstleister. Wie muss man sich das vorstellen?
Werner Huber:
Unser grosses Ziel ist es, mit unseren Mobilitätsangeboten eine echte ­Alternative zum privaten Autobesitz zu schaffen. Deshalb bieten wir unseren Kunden über unsere Mobilitätsplattform "One" die klassische Mietwagenbuchung genauso wie Carsharing und Ridehailing-Dienste, sprich die Möglichkeit, ein Taxi, eine ­Limousine oder einen anderen Fahrdienst direkt über die Sixt App zu buchen. Zudem haben unsere Kunden über die App deutschlandweit auch Zugriff auf Tausende E-Scooter unseres Partners Tier.
Das bedeutet also, dass Sie sich zum ­Dienste-Aggregator entwickeln? Es könnten also noch andere Dienste hinzukommen, zum Beispiel Flixbus.
Huber:
Das schliessen wir nicht aus. Schon heute bieten wir unseren Kunden über die App Zugriff auf das Angebot von mehr als 1.500 Partnern und rund 1,5 Millionen Fahrern weltweit. In Deutschland arbeiten wir beispielsweise sehr erfolgreich mit den Taxizentralen zusammen. In den USA ­kooperieren wir mit dem Ridehailing-­Anbieter Lyft, mit Cabify in Spanien, mit Le Cab in Frankreich usw.
Was bedeutet das für den Kunden?
Huber:
Der Riesenvorteil ist, dass er eben nur eine App braucht, mit der er rund um den Globus mobil ist, und das in weltweit vergleichbarer Qualität. Denn wir arbeiten bewusst nur mit Partnern zusammen, die zu unserer Brand und damit zu unserem Marken- und Qualitätsversprechen passen. Der Kunde muss sich nur einmal ­registrieren und nur einmal seine Zahlungsmittel hinterlegen. Er kann bei Bedarf auch mehrere Kundenprofile anlegen, beispielsweise für private und geschäftliche Buchungen. Auch Unternehmen können mit uns einen Rahmenvertrag abschliessen, sodass deren Mitarbeiter dann alle Services weltweit nutzen können.

"Natürlich gibt es Konkurrenz"

So wahnsinnig unique klingt das aber nicht. Viele Autohersteller arbeiten doch an ähnlichen Konzepten.
Huber:
Ja, sicher. Allerdings haben die ­Autohersteller vor allem ihre eigenen Produkte im Fokus. Wenn wir uns den Angebotsumfang unserer Mobilitätsplattform One, die Grösse und Vielfalt unserer weltweiten Flotte, die globale Verfügbarkeit unserer Produkte und unseren partnerschaftlichen Ansatz anschauen, dann sind wir die ersten, die ein solches Angebot über nur eine App buchbar draussen ­haben. Natürlich gibt es Konkurrenz, aber das nehmen wir sportlich - zumal der ­Mobilitätsmarkt weltweit boomt.
    
Volkswagen baut Autos, hat mit Moja in Hamburg einen Ridesharing-Dienst gestartet und bietet jetzt in Berlin auch Carsharing an. Gleichzeitig verkauft VW viele Autos an Sixt. Das ist ja beinahe schon ein Interessenkonflikt.
Huber:
In erster Linie ist Volkswagen für uns ein Partner, mit dem wir seit vielen Jahren sehr gut zusammenarbeiten und mit dem wir nun im Nischenmarkt Carsharing angebotsseitig eine kleine Überschneidung haben. Ich würde da gern ­unseren Strategievorstand Alexander Sixt zitieren: Andere stellen Autos her, wir stellen Autos hin. Dabei verfolgen wir ­bewusst einen anderen Ansatz als andere Mobilitätsanbieter. Denn für uns ist Carsharing und Autovermietung prinzipiell dasselbe. Der Kunde mietet ein Auto auf Zeit. Deshalb wollen wir perspektivisch beide Produkte stärker miteinander verschmelzen und die Unterschiede auflösen. Das tun wir teilweise heute schon. Ein Beispiel: Wenn man ein Carsharing-Auto von Sixt mietet, kann man damit in und zwischen den drei Geschäftsgebieten Berlin, Hamburg und München fahren, man kann es aber auch an jeder Sixt-Station in Deutschland zurückgeben. Also auch in Städten, wo es kein Carsharing gibt.
Damit lösen Sie also die Limitationen auf, unter denen klassische Carsharing-Ange­bote heute leiden?
Huber:
Ja, aber das ist nur ein erster Schritt. Zugleich digitalisieren wir auch unseren kompletten Mietwagenbuchungsprozess: So erhält ein Kunde schon heute an vielen grösseren Stationen in Deutschland und Europa 30 Minuten vor seinem Abholtermin eine Push Notification auf sein Smartphone. Dann kann er sich sein Fahrzeug über die App aussuchen und den Mietvertrag digital starten. Er muss also nicht mehr zum Counter, sondern geht - zum Beispiel am Flughafen - direkt ins Parkhaus und öffnet dort sein Auto über die App. Diesen Service werden wir kontinuierlich weiter ausbauen.
Damit geht aber auch ein gewaltiger Kulturwandel einher. Mehr als einmal hat Sixt mit den sympathischen Damen geworben, die man am Mietwagenschalter trifft.
Huber:
Wir wollen natürlich nicht den Rental Agent abschaffen, ganz sicher nicht. Es geht vielmehr darum, dass wir unseren Kunden die Wahl lassen: Ein klassischer Wenigmieter, beispielsweise eine fünfköpfige Familie auf dem Weg in den Urlaub, wird auch weiterhin eine hochklassige Beratung am Counter bekommen und den Service über die App wahrscheinlich eher nicht nutzen. Unser digitales Vermietprodukt ist vor allem für Geschäftskunden und Vielmieter interessant, die ­genau wissen, was sie möchten, und für die der Counter eher ein notwendiges Übel ist. Gleichzeitig bieten sich für uns neue Möglichkeiten. Wenn man etwa in den USA - für uns ein extrem wichtiger Markt - eine neue Filiale hochziehen möchte, muss man nicht nur ein passendes Gebäude, sondern vor allem auch die richtigen Leute finden. Rental Sales Agents sind qualifizierte Leute, da kann ich nicht einfach jeden einstellen. Aber mit der Digitalisierung unseres Produkts eröffnen sich uns hier ganz neue Möglichkeiten: So könnte man über digitale Stationen in Parkhäusern und auf Parkplätzen nachdenken - oder etwa eine temporäre Sta­tion, zum Beispiel für ein Festival.
Bislang funktioniert Carsharing nur in ­Metropolen. Was ist mit der Fläche?
Huber:
Im Moment fokussiert sich unser Angebot auf die Ballungsräume. Weil es hier natürlich auch die grössten Probleme gibt: Staus und Parkplatzmangel. Die Thematik ist ja allgemein bekannt.
Das heisst auch, da ist der Leidensdruck der Kundschaft am höchsten, oder?
Huber:
Genau. Und da haben wir natürlich auch den schnellsten Impact. Aber wir fokussieren uns jetzt nicht nur auf die Städte in Deutschland, wo Carsharing überhaupt Sinn macht, sondern wir wollen unser bestehendes Filialnetz nutzen, um solche Angebote auch in der Fläche machen zu können. Das eingangs formulierte Ziel, eine wirkliche Alternative zum privaten Autobesitz zu bieten, werden wir so sicherlich nicht innerhalb der nächsten zwei, drei Jahre erreichen können. Aber wir sind auf dem Weg, dies umzusetzen.

Vom E-Roller bis zur Limo mit Chauffeur

Welche Rolle spielt für Sie die Vernetzung verschiedener Verkehrsmittel?
Huber: 
Wir nennen das Cross Product Usage, und darin sehen wir grosses Poten­zial. Nehmen wir mal an, ein Kunde sucht über die Sixt App ein Elektroauto. Er findet eines, es ist aber einen Kilometer weg. Gleichzeitig steht vor ihm ein Scooter. Dann können wir dem Kunden zum Beispiel einen 50-Prozent-Discount für den Scooter anbieten, damit er schnell und einfach zu seinem Auto kommt. Wir wollen Autovermietung und Carsharing perspektivisch zu einem Produkt verschmelzen. Im Moment gibt es in der App noch verschiedene Tabs, über die man die verschiedenen Verkehrsangebote aufrufen kann, aber da wird 2020 viel passieren. Auf diesem Stand wollen wir uns nicht ausruhen.
Viele Anbieter haben Schwierigkeiten hinsichtlich der Profitabilität des Geschäftsmodells Carsharing. Erste Player verschwinden wieder vom Markt. Was lässt Sie hoffen, dass es bei Ihnen besser laufen wird?
Huber:
Wir haben immer gesagt, dass die Produkte Autovermietung und Carsharing nur in der Kombination skalierbar und damit wirtschaftlich sinnvoll machbar sind. Genau dieses Geschäftsmodell bietet uns in Abgrenzung zu anderen Anbietern einen Riesenvorteil: Denn durch die kontinuierliche Vernetzung unserer weltweiten Fahrzeugflotte können wir unsere Autos flexibel in den Bereichen Carsharing und Autovermietung einsetzen. Dabei fangen wir nicht bei null an. Wir statten ja nicht einfach nur unsere Autos mit Telematik aus. Wir haben bereits eine bekannte Marke, die Buchungsinfrastruktur, die IT. Wir haben unsere Software schon immer selbst entwickelt. Dazu kommt das ganze Thema Operations: Was passiert, wenn ein Auto gewaschen werden muss, wenn es einen Schaden gibt, wenn ein Auto nachbetankt werden muss etc.? All das Know-how haben wir, weil wir ein über 100 Jahre altes Mobilitätsunternehmen sind. Deswegen sind wir da ganz optimistisch.
Am Mittwoch, dem 11. März 2020 spricht Werner Huber in der TrendArena im Rahmen der INTERNET WORLD EXPO über den Konzernumbau bei Sixt und die Herausforderungen, die sich daraus ergeben. Sie wollen dabei sein? Dann sichern Sie sich heute noch Ihr Ticket!




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