Smart Contracts
05.09.2017, 07:02 Uhr
Die Blockchain automatisiert das Vertragswesen
Smarte Verträge lassen Geschäfte ohne menschliches Zutun selbstständig ablaufen. Ausserdem punktet die Technik mit Manipulations-Sicherheit und lückenloser Nachverfolgbarkeit.
Starre Verträge auf Papier und ihre digitalen Entsprechungen in PDF-Form sollen bald der Vergangenheit angehören. „Die juristische Branche muss sich auf den seit Jahrhunderten grössten Paradigmenwechsel gefasst machen“, erklärt Peter Hunn, Gründer des Start-ups für juristische Dienstleistungen Clause.io. Er geht davon aus, dass neue Technologien „das Vertragswesen und kommerzielle Transaktionen gleichermassen fundamental verändern“. Datengetriebenes Krypto-Vertragswesen – smarte Verträge (Smart Contracts) – sollen Wirtschaft und Gesellschaft bald einen neuen Leistungsschub verleihen.
Dank smarter Verträge sei es für Unternehmen unter anderem möglich, „Produkte mit geringem Aufwand hochfrequent anzupassen“, sagt Jürgen Stoffel, Managing Director IT bei der Rückversicherung Hannover Re. Dies sei für adaptive Produkte und Dienstleistungen, die sich automatisch an den sich wandelnden Bedürfnissen der Kunden ausrichten, von elementarer Bedeutung.
Blockchain-Verträge
Smarte Verträge sind Software-Anwendungen, die auf der Basis vorgegebener Regeln im Rahmen einer zuvor getroffenen Vereinbarung zwischen Vertragsparteien autark handeln und alle relevanten Ereignisse in einer gemeinsamen Kette aus Datenblöcken (Blockchain beziehungsweise Distributed Ledger Technology, DLT) kryptografisch beglaubigt aufzeichnen. Eine mögliche Übersetzung des Begriffs Distributed Ledger ist laut Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin „verteilte Hauptbücher“. Distributed Ledger sind demnach eine Art von öffentlichen, dezentral geführten Kontobüchern, und DLT ist das technologische Rahmenwerk für deren Einsatz.
So können beispielsweise IIoT-Produktionsanlagen im Rahmen eines smarten Vertrags selbst Bestellungen von Ersatzteilen aufgeben oder mit Lieferanten über die Zustellung von Rohmaterial verhandeln. Die resultierende Blockchain liegt dann dezentral bei vielen Marktteilnehmern und wird von diesen kryptografisch beurkundet. So sollen Manipulationen, wenn nicht völlig unmöglich gemacht, so doch stark erschwert werden. „Die Blockchain ist ein sehr leistungsstarkes Werkzeug, wenn es darum geht, nachzuweisen, dass etwas nicht gefälscht oder verändert wurde“, sagt der Smart-Contracts-Pionier und Geschäftsführer von Global Financial Assets Nick Szabo.
Smarte Verträge bestehen aus ausführbarem Programmiercode. Smarte Verträge und Bündel von smarten Verträgen verhalten sich wie autonome Agenten. Im Prinzip könnte ein Unternehmen, „angekettet an eine Blockchain, (lediglich) aus einem Haufen smarter Verträge und autonomer Agenten“ bestehen, meint Don Tapscott, Mitgründer und Geschäftsführer des Blockchain Research Institute. Eine solche Firma würde komplett ohne Menschen auskommen, sie brauchte „weder einen Geschäftsführer noch sonstiges Management noch irgendwelche anderen Mitarbeiter“, so Tapscott weiter.
Eines der ersten Vorhaben dieser Art ist letztes Jahr allerdings schiefgegangen. The DAO (Decentralized Autonomous Organization) sollte zum Vorbild für Effizienz werden: ein Unternehmen ohne physischen Sitz, ohne einen Chef und ohne Mitarbeiter. The DAO bestand aus smarten Verträgen auf Basis der Ethereum-Blockchain, die sämtliche Geschäftsabläufe des Unternehmens regeln sollten.
Das Geschäftsmodell war denkbar einfach und scheinbar übersichtlich. Die Mitglieder sollten darüber abstimmen, wie das eingesammelte Kapital mit Hilfe smarter Verträge in diverse Start-ups und Produkte zu investieren sei, um so einen Ertrag zu erwirtschaften – kurz: Wagniskapital auf der Ethereum-Blockchain. Mit seiner Crowdfunding-Finanzierungskampagne hat das staatenlose Start-up Rekorde gebrochen. Doch dann wurde binnen weniger Tage in dem quelloffenen Code des smarten Vertrags, der The DAO zugrunde lag, eine gravierende Verwundbarkeit gefunden. Diese wurde, noch bevor sie behoben werden konnte, ausgenutzt: Es gelang einem Benutzer, etwa ein Drittel des Gründungskapitals auf ein Nebenkonto abzuzweigen.
Damit war das Ende von The DAO besiegelt. Die Ethereum-Gemeinde musste abstimmen und hat entschieden, die Transaktion – weil betrügerisch – entgegen den Richtlinien rückgängig zu machen.