Kräftiger Zwerg
07.05.2020, 12:29 Uhr
Test: Apple iPhone SE (2020)
Ausstattung und Preis machen das neue iPhone SE zum Androiden-Schreck – aber es werden noch andere Zielgruppen angepeilt.
Das iPhone SE gibt es vom Start weg auch in der Farbe PRODUCT(RED)
(Quelle: Apple, Inc.)
Grösser ist besser: So lautet scheinbar die Maxime der Smartphone-Hersteller, und der Erfolg gibt ihnen recht, wenn man sich die aktuellen Spitzenmodelle ansieht. Dessen ungeachtet will auch eine andere, ziemlich hartnäckige Zielgruppe bedient werden, der ein Smartphone nicht gar nicht klein genug sein kann. Sie wurde bis anhin mit dem iPhone SE bedient, das jedoch ziemlich genau vier Jahre auf dem Buckel hat – eine Ewigkeit in dieser Branche. Jetzt wird die Uhr auf null zurückgestellt.
Klein, aber nicht mehr winzig
Beginnen wir mit der Grösse. Wer die teils hitzigen Diskussionen im Internet verfolgt, könnte leicht zum Schluss kommen, dass es sich bei diesem Thema um einen Fetisch handelt. Und immer wieder melden sich Leute zu Wort, die ein möglichst kompaktes Smartphone suchen. Vermutlich müssen diese Anwender nie tippen – oder sie sind mit der Präzision eines Spechtes gesegnet, wenn sie auf das Display einhämmern. Aber die Geschmäcker sind ja verschieden.
Das neue iPhone SE liegt in der Grösse zwischen dem Vorgänger und dem iPhone 11 Pro
Quelle: Apple, Inc.
Nebenbei: Eine Gruppe wird jedoch sehr froh sein, dass das Display gegenüber dem ersten iPhone SE von 4 Zoll auf 4.7 Zoll angewachsen ist. Die App-Programmierer stehen seit Jahren vor dem Problem, dass es fast unmöglich ist, eine gutaussehende und ergonomische App zu gestalten, die sowohl auf dem alten 4-Zoll-Gerät und dem iPhone 11 Pro Max mit seinen 6,5 Zoll gleichermassen funktioniert. Für sie wird sich die Situation massgeblich entspannen.
Das Display des iPhone SE löst mit 1334×750 Pixel bei 326 ppi auf – und damit entspricht die Pixeldichte exakt jener des Vorgängers. Das True-Tone-Display passt die Farbtemperatur an das Umgebungslicht an, was sich besonders am Abend sehr angenehm bemerkbar macht. Es deckt den kompletten Farbraum P3 ab, ist HDR-10-fähig und unterstützt Dolby Vision. Das Display arbeitet ausserdem mit «Haptic Touch»: Dabei wird ein Symbol einfach ein wenig länger gedrückt, um das Kontextmenü aufzurufen. Die maximale Helligkeit liegt bei 626 Nits. Kurz, an diesem Display gibt es nicht das Geringste zu beanstanden.
Gleiches Gehäuse, neue Möglichkeiten
Das iPhone SE der zweiten Generation kommt in jener Form, wie sie bereits vom iPhone 6 vorgegeben wurde und fast unverändert zuletzt beim iPhone 8 eingesetzt wurde. Dieses wurde übrigens aus dem Sortiment genommen: Die nächsthöhere Stufe nach dem iPhone SE ist das iPhone XR, das sich allerdings mit seiner markanten Kerbe und dem Gesichtsscanner Face ID an den Spitzenmodellen orientiert. Der Kopfhörer-Anschluss bleibt hingegen auch beim iPhone SE abgeschafft, ein passender Kopfhörer mit Lightning-Stecker liegt bei.
Der Grössenunterschied zum iPhone 11 Pro Max ist frappant
Quelle: PCtipp.ch
Zutrittssystem. Das iPhone SE kommt mit dem klassischen Fingerscanner Touch ID und den entsprechend breiten Rändern oben und unten. So weit, so bekannt. Der Fingerscanner wird auch bemüht, um mit Apple Pay kontaktlos zu bezahlen, indem beim gesperrten iPhone einfach der Finger aufgelegt und das Gerät ans Terminal gehalten wird. Ich bin zwar ein Fan von Face ID – aber das Bezahlen mit Touch ID ist tatsächlich ein wenig komfortabler.
Kommunikation. Das iPhone SE ist Dual-SIM-fähig, wobei es sich bei der zweiten SIM um eine eSIM-handelt, die ohne physische Karte aktiviert werden kann. Damit dauert es nur Sekunden, um im Ausland ein Datenkontingent zu kaufen. NFC und Bluetooth 5 sind selbstverständlich dabei; letzteres ermöglicht es, dass ein iPhone gleichzeitig zwei AirPods bespielt, was als Zeichen der trauten Harmonie in einer Beziehung gewertet wird. 5G ist erwartungsgemäss nicht an Bord, allerdings wird Wi-Fi 6 (AX) unterstützt.
Gehäuse und Batterie. Die Rückseite ist neu aus Glas, während das alte iPhone SE noch komplett aus einer Aluminium-Legierung bestand. Damit wird der Weg frei für das kabellose Laden über Qi. Fast-Charge wird ebenfalls geboten, sodass eine leere Batterie mit einem 18-Watt-Netzteil innerhalb von 30 Minuten zur Hälfte gefüllt ist. Schade nur, dass zum Lieferumfang ein popeliges 5-Watt-Netzteil gehört.
Wasserfest. Das Gehäuse ist nach IP67 klassifiziert. Gemäss Apple hält das Gerät in einer Tiefe von bis zu einem Meter mindestens 30 Minuten lang durch – und zwar nicht nur im Süsswasser, wie es bei den meisten Mitbewerbern der Fall ist.
Kamera mit kleinen Abstrichen
Mit seiner Grösse und seinem Preis liegt es auf der Hand, dass die Kamera nicht dieselbe Leistung erbringt, wie die grossen Geschwister. Das einzelne Weitwinkel fotografiert mit 12 Mpx bei Blende ƒ1.8. Videos sind mit 4K bis 60 fps möglich. Sollen die Filmchen jedoch mit erweitertem Dynamikumfang aufgezeichnet werden, sinkt die Bildrate auf 30 fps. Die Filme sind in jedem Fall steinsolide: nichts ruckelt oder «schwimmt», die Farben sind natürlich und die Qualität überzeugt auch auf dem Fernseher in jeder Hinsicht. Und ganz wichtig: Das neue iPhone SE kommt mit einem optischen Bildstabilisator.
Obwohl für die Distanzmessung nur ein Objektiv zur Verfügung steht, bietet das iPhone SE einen Porträt-Modus eine künstliche Schärfentiefe, um den Hintergrund verschwimmen zu lassen. Allerdings stützt sich dieser Modus komplett auf die Gesichtserkennung, sodass dieser Effekt nur mit Menschen funktioniert. Nicht dabei ist der Nachtmodus, der bei den Pro-Modelle für offene Münder sorgt – aber all das wird die angepeilte Zielgruppe in den meisten Fällen herzlich wenig interessieren.
Die hintere (Selfie-) Kamera löst mit 7 Mpx, Filme werden in Full-HD (1080p) und mit 30 fps gedreht. Ausserdem wird der Porträt-Modus unterstützt, nicht aber die Animojis, mit denen Cartoon-Figuren in Echtzeit aufgrund der eigenen Kopfbewegung animiert werden.
Genug Leistung für die nächsten Jahre
Das erste iPhone SE hat sich nicht nur vier lange Jahre gehalten, sondern es erfreut sich auch heute noch einer grossen Beliebtheit. Die Chancen stehen gut, dass auch die neue Generation mit einer hohen Lebenserwartung rechnen kann, denn Apple verbaut in das kleine Gerät dieselbe CPU wie im teuersten iPhone 11 Pro: den A13 «Bionic». Das bedeutet Leistung satt, etwa für die Datenverarbeitung oder für Augmented-Reality-Anwendungen. Doch viel mehr zählt, dass dieses Gerät wohl innerhalb der nächsten fünf Jahre problemlos jedes Systemupdate mitmachen wird.
Kaufberatung und Fazit
Das iPhone SE ist zwar ein wenig grösser als sein Vorgänger, doch unter dem Strich liefert es genau das, was sich die meisten Fans wünschen – und das zu einem ungewöhnlich aggressiven Preis. So kostet das iPhone 11 mit 64 GB 809 Franken, das iPhone SE nur 449 Franken – also fast die Hälfte weniger! Auch das in der Mitte angesiedeltes iPhone XR schlägt noch mit 669 Franken zu Buche.
Nun könnte man entgegenhalten, dass man dafür mit einem etwas überholten Design und dem fehlenden Gesichtsscanner leben muss – aber diese vermeintlichen Nachteile werden von vielen Interessenten sogar positiv wahrgenommen, wenn man den Stimmen im Internet glauben darf.
Die zweite, mindestens genauso wichtigste Zielgruppe sind die Firmen, die solche Geräte kistenweise kaufen. Sie finden im iPhone SE ein zuverlässiges Gerät, das höchste Sicherheitsansprüche erfüllt und dank seiner leistungsfähigen CPU über Jahre hinweg auf dem neusten (Sicherheits-) Stand bleibt. Und all diese Eigenschaften gibt es im iPhone SE – pardon! – zum Spottpreis.
Ein Jahr Apple TV+ gehört beim Kauf dazu, doch der Streaming-Dienst wird wohl besser auf den grösseren Geräten wie einem iPad konsumiert – oder gleich am Fernseher
Quelle: Apple, Inc.
Nicht zuletzt dieser Preis macht das iPhone SE aber auch zum Androiden-Schreck. Apples Geräte sind preislich seit jeher im oberen Segment angesiedelt und deshalb für viele Interessenten keine Option. Doch das kleinste iPhone rutscht preislich in Regionen ab, die von der Android-Mittelklasse dominiert wird, mit all ihren Schwächen wie Bloatware oder eine mangelhafte Update-Politik. Diese Käuferschicht kann jetzt bedenkenlos bei Apple zugreifen.
Das iPhone SE wird in den Speichergrössen 64 GB, 128 GB und 256 GB angeboten. Dafür werden 449 Franken, 519 Franken oder 639 Franken fällig. Zur Auswahl stehen die Farben Schwarz, Weiss und Rot. Die Frontpartie ist in jedem Fall schwarz. Wie bei jedem iPhone gibt es aktuell beim Kauf 1 Jahr lang den Streaming-Dienst Apple TV+ kostenlos dazu. Der wird allerdings besser auf einem Apple TV am Fernseher betrieben, was kein Problem ist.
Fazit
Das iPhone SE trifft sicher nicht jeden Geschmack, denn es kommt nicht von ungefähr, dass die Smartphones lange Zeit nur grösser wurden. Doch für seine Zielgruppe ist das iPhone SE ein Volltreffer: So viel iPhone fürs Geld gab es noch nie. Kompromisse wurden zwar gemacht – doch überall dort, wo es wichtig ist, überzeugt das kleine Smartphone auf der ganzen Linie.
Testergebnis
Note
5
Tempo, True-Tone-Display, Software, Preis, Videos
Schwaches Netzteil
Details: Display mit 4.7 Zoll, 1334×750 Pixel bei 326 ppi, A13 Bionic Chip, Videos bis 4K mit 60 fps, Bluetooth 5, NFC, Wi-Fi 6 (AX), wasserdicht nach IP67, iOS 13. (Unsere Bewertungsskala reicht von 1 bis 5. Die Bestnote ist 5.)
Preis: ab 449 Franken
Infos:Anmerkung zur Note: 1 = unbrauchbar; 1,5 = sehr schlecht; 2 = schlecht; 2,5 ungenügend; 3 = genügend; 3,5 ordentlich; 4 = gut; 4,5 = sehr gut; 5 = ausgezeichnet