IBM Watson
04.05.2017, 09:53 Uhr
Künstliche Intelligenz macht Unternehmen schlau
IBMs Supercomputer Watson gibt schon in vielen Bereichen Handlungsempfehlungen. com! professional zeigt, wie Unternehmen von dem kognitiven System profitieren.
Das Diagnostizieren von seltenen Krankenheiten ist eigentlich die Aufgabe von Ärzten. Am Zentrum für unerkannte und seltene Erkrankungen des Universitätsklinikums Marburg erhalten diese nun Unterstützung von einem digitalen Kollegen: IBMs Supercomputer Watson hilft den Weisskitteln bei der Analyse von Patientendaten und bei Behandlungsentscheidungen. Neben der Analyse der jeweiligen Daten wertet Watson seine vorhandene Wissensbasis aus, die aus Quellen wie medizinischen Anthologien und Datenbanken besteht.
Das ist nur ein Beispiel, bei dem intelligente Computerprogramme schneller und oft auch kostengünstiger als Mitarbeiter Antworten auf Fragen geben können. So kommen schlaue Computer nicht nur im Gesundheitssektor, sondern auch im Kundenservice oder bei der Wartung vom Maschinen zum Einsatz.
Watson ist das am weitesten entwickelte intelligente Computerprogramm. Das nach dem IBM-Gründer Thomas J. Watson benannte Programm ist ein fast schon menschlich kommunizierendes kognitives System, das nicht nur enorm viel weiss, sondern auch ständig hinzulernt. Es kann Fragen beantworten, die in natürlicher Sprache gestellt werden. Das semantische System Watson gibt dem Fragenden innerhalb kürzester Zeit Antworten in natürlicher Sprache zurück. IBMs Ziel mit Watson ist die quasinatürliche Interaktion zwischen Mensch und Maschine.
Wie gut das Ganze funktioniert, bewies IBM bereits 2011 eindrucksvoll im US-amerikanischen Fernsehen: Watson trat in der bekannten Quizshow Jeopardy gegen die erfolgreichen Kandidaten Ken Jennings und Brad Rutter an – und gewann. Bei Jeopardy geht es darum, Fragen zu einem breiten Themenspektrum zu beantworten.
Durch die Kombination aus blitzschnellem Auswerten des einstudierten Wissens und dem treffsicheren Verständnis der menschlichen Sprache hatte Watson klar die Nase vorn.
Antworten auf die Digitalisierung
Über die Beantwortung von Quizfragen reichen IBMs Pläne mit Watson freilich weit hinaus. Ob als Unterstützung von Ärzten an der Uni Marburg, als Assistenz in der Vermögensberatung der DBS Bank in Singapur oder als Support-Hilfe bei den Beratern von KPMG – Watson ist für IBM so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau, die sämtliche Aufgaben der digitalen Transformation bewältigen können soll.
So könnte Watson zum Beispiel auch den Werbemarkt revolutionieren. Ende letzten Jahres startete IBM auf der Webseite seines Tochterunternehmens The Weather Company eine Kampagne für die Fertigprodukte von Campbell’s Soup. Das Besondere: Gesteuert wurde die Werbung von Watson. Abhängig vom Standort des Seitenbesuchers, dem Wetter und den Kochwünschen wurde passende Werbung eingeblendet. Die Besucher konnten sogar per Sprache mit der Werbung interagieren: Über Mikrofon liessen sich etwa Essenvorschläge abfragen.
Vor allem Händlern eröffnet Watson ungeahnte Möglichkeiten. So sind Studien zufolge Verbraucher bereit, für personalisierte Angebote und individuelle Kundenbetreuung persönliche Daten preiszugeben. Zudem äussern sich immer mehr Kunden über soziale Plattformen wie Facebook, Twitter & Co. zu ihren Vorlieben und Wünschen. Ein System wie Watson wertet all dies aus, hinzu kommen kundenspezifische Daten wie frühere Einkäufe und Retouren und daraus abzuleitende Präferenzen für Marken. Nach der Analyse dieses Datenschatzes lassen sich die gewonnenen Informationen mit verfügbaren Produktinformationen verknüpfen und dem Kunden präzise auf ihn zugeschnittene Angebote präsentieren.
Selbst in der Filmbranche ist die Künstliche Intelligenz bereits angekommen. So entstand vergangenes Jahr für den US-amerikanischen Kinofilm „Morgan“ von 20th Century Fox der erste Trailer der Filmgeschichte, der durch einen Algorithmus erstellt wurde. Laut IBM-Manager John R. Smith hat Watson hierfür die Trailer von 100 Horrorfilmen ausgewertet. Mit dem Wissen, welche Szenen in Trailern in der Regel vorkommen, analysierte Watson daraufhin den Film „Morgan“ und entschied sich letztendlich für zehn Sequenzen. Hierfür brauchte Watson nur rund einen Tag. Aus den zehn Sequenzen schnitt ein menschliches Filmteam dann den Trailer. Zum Vergleich: Normalerweise dauert das Zusammenstellen eines Trailers 10 bis 30 Tage.
Auch in Sachen Sicherheit will IBM den Unternehmen helfen und Cyberangriffen mit Künstlicher Intelligenz begegnen: IBM Watson for Cyber Security soll vor allem Mitarbeiter von Security Operations Centern (SOCs) unterstützen. KI kann bei einem Angriff schneller als der Mensch verdächtige Abläufe erkennen und eine Warnung ausgeben.
Internet der Dinge
Die Zahl der internetfähigen Geräte soll in den kommenden Jahren laut Experten von derzeit rund 5 bis 10 Milliarden Geräten auf bis zu 30 Milliarden steigen. Ein Grossteil der dabei anfallenden Daten wird aber noch kaum oder gar nicht genutzt. IBM sieht daher im Bereich des Internets der Dinge (IoT) ein enormes Potenzial. Watson soll für eine besserer Vernetzung von Mensch, Maschine und Computer sorgen – und natürlich die anfallenden Daten auswerten.
Während bislang an rund 20 IBM-Standorten auf der ganzen Welt an Watson gearbeitet wurde, hat IBM diese Aktivitäten vor Kurzem gebündelt, und zwar nicht in irgendeiner US-amerikanischen Grossstadt, sondern in München. Bis zu 1000 Mitarbeiter sollen sich in der bayerischen Watson-IoT-Zentrale einmal damit beschäftigen, wie Watson und das Internet der Dinge unser Leben einfacher machen könnten. Die Zusammenlegung der Watson-Teams lässt sich das Unternehmen rund 200 Millionen Dollar kosten. Das ist IMBs grösste Investition in Europa seit mehr als 20 Jahren.
So funktioniert Watson
Watson verwendet eine Kombination aus Machine Learning und Deep Learning. Beim Machine Learning werden die Algorithmen mit Daten gefüttert und lernen im Training, wie sie die Daten zu interpretieren haben, um eine bestimmte Aufgabe zu lösen oder Antworten zu finden.
Das genügt aber nicht. Laut IBM liegen rund 80 Prozent der weltweit erzeugten Daten unstrukturiert vor – etwa als Texte, Bilder oder Audiodaten aus den unterschiedlichsten Quellen. Hier kommt Deep Learning ins Spiel: Künstliche neuronale Netze werten diese unstrukturierten Daten aus.
Damit diese Daten ihren Weg ins Watson-Hirn finden, verfügt das System über Schnittstellen (APIs, Application Programming Interfaces). Derzeit gibt es für Watson rund 50 APIs, unter anderem zur Text-, Bild- und Spracherkennung. Übrigens: Bei der Quizshow Jeopardy nutzte Watson seinerzeit nur eine einzige API: die zum Verstehen natürlicher Sprache.
Die technische Grundlage von Watson ist IBMs DeepQA-Architektur. Dabei handelt es sich um eine Massenparallel-Architektur, die auf der Grundlage des probabilistischen Nachweisprinzips arbeitet. Das bedeutet, dass sämtliche Schlussfolgerungen von Watson auf Wahrscheinlichkeiten basieren. So verwendete IBMs Superrechner zur Beantwortung der Jeopardy-Quizfragen über 100 Methoden zur Analyse natürlicher Sprache, zur Identifizierung von Quellen, zur Ermittlung und Generierung von Hypothesen, zur Feststellung und Bewertung von Nachweisen sowie zur Verbindung und Einstufung von Hypothesen. Die DeepQA-Architektur verknüpft die einzelnen Methoden so, dass sich ihre Stärken ergänzen und auf diese Weise zu einer höheren Genauigkeit, Wahrscheinlichkeit und Geschwindigkeit führen.
So ist zum Beispiel kein Einzelelement mit einer bestimmten Antwort verknüpft. Dieses Prinzip heisst pervasive Konfidenzbewertung: Alle Elemente erzeugen Kennzeichen und entsprechende Wahrscheinlichkeiten, die sogenannten Konfidenzen. Diese ermöglichen eine Bewertung unterschiedlicher Frage- und Inhaltsinterpretationen.
Watson läuft je nach Einsatzzweck als Software as a Service (SaaS) in der Cloud oder auf den Rechnersystemen des Kunden. Beim Einsatz umfangreicher Watson-Module wie IBM Watson for Oncology muss man inklusive entsprechender Kosten zum Anlernen der Systeme mit Kosten von mehreren Millionen Euro rechnen.
Watson lässt sich aber auch deutlich kostengünstiger ausprobieren: Module wie Watson Analytics gibt es in der Cloud bereits ab 30 Euro pro Nutzer und Monat.
Kognitive Apps
IBM stellt mit Watson die grundlegenden Technologie-Bausteine für seine Künstliche Intelligenz zur Verfügung, etwa die Spracherkennung. Entwickler, Universitäten und Unternehmen können diese nutzen, um eigene kognitive Apps zu entwickeln. Dazu gibt es die Watson Developer Cloud.
Ein Beispiel ist das Start-up Benchmark. Das Unternehmen hat eine App entwickelt, die Betreibern von Restaurants hilft, die idealen Orte für künftige Filialen auszumachen. Watson greift auf Informationen wie die Performance früherer Lokale und auf Kundenbewertungen zurück. Einer der Kunden des Start-ups ist das Münchner Hofbräuhaus.
Watson kennt sich aber nicht nur mit Statistiken und Märkten aus. Das System nimmt auch uns Menschen unter die Lupe. Die Watson-App Personality Insights wertet für Personalabteilungen unter anderem Social-Media-Daten aus, um auf bestimmte Charaktereigenschaften von Bewerbern zu schliessen. So kann Watson die Frage beantworten, ob ein Kandidat als Mitarbeiter in das bestehende Team passt.
Laut IBM ist die Zahl der Entwickler, deren kognitive Apps auf die Watson-APIs zugreifen, von April 2015 bis April 2016 um mehr als 300 Prozent gestiegen. Gegenwärtig werden Watson-Lösungen in über 45 Ländern und 20 verschiedenen Branchen eingesetzt.
Watson als Jobkiller?
Wenn intelligente Computer immer schlauer werden – müssen wir dann irgendwann Angst vor Künstlichen Intelligenzen haben? Und übernehmen sie demnächst unsere Arbeitsplätze?
Mit Sicherheit wird es Jobs geben, die Computer kostengünstiger und schneller als jeder Mensch erledigen. Dazu gehören etwa die von Kundendienstmitarbeitern oder Sachbearbeitern. Ein Beispiel ist der japanische Versicherer Fukoku Mutual Life. Das Unternehmen plant, fast 30 Prozent seiner Mitarbeiter in der Schadensbemessung durch Watson zu ersetzen. Dessen Betrieb soll den Konzern rund 120.000 Euro pro Jahr kosten – dem stehen Personaleinsparungen von rund 1,1 Millionen Euro jährlich gegenüber.
In den meisten Fällen dürften KI-Systeme aber eher Gehilfen des Menschen sein. Dass den Ärzten das Aus droht steht nicht zu befürchten, die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Therapie fällt weiterhin der Mensch. Beliebt ist in diesem Zusammenhang der Piloten-Vergleich: Sie verlassen sich beim Fliegen – glücklicherweise – längst auf die Unterstützung durch den Bordcomputer.
Dass Watson neurotisch wird und sich gegen den Menschen wendet, ähnlich wie der Computer HAL 9000 in dem Stanley-Kubrick-Film „2001: Odyssee im Weltraum“, ist nicht zu erwarten. Letztendlich ist und bleibt auch Watson nur ein Computer – und der kann nur das, was der Mensch ihm beibringt.