Die Erde als digitaler Zwilling

Wetter-​ und Klimamodelle als Grundlage

In der Publikation blicken sie auf die seit den 1940er Jahren stetige Entwicklung der Wettermodelle zurück  -​eine Erfolgsgeschichte, die im Stillen stattfand. Die Meteorologen leisteten sozusagen Pionierarbeit bei Simulationen von physikalischen Prozessen auf Grossrechnern. Als Physiker und Computerwissenschaftler ist Schulthess deshalb davon überzeugt, dass die heutigen Wetter-​ und Klimamodelle sich ideal dafür eignen, auch anderen wissenschaftliche Disziplinen völlig neue Wege aufzuzeigen, wie man Supercomputer effizient nutzen kann.
In der Vergangenheit wurden in der Wetter-​ und Klimamodellierung unterschiedliche Ansätze verfolgt, um das Erdsystem zu simulieren. Während Klimamodelle eine sehr breite Palette physikalischer Prozesse abbilden, vernachlässigen sie typischerweise kleinräumige Prozesse, die jedoch für die Wettervorhersagen, die sich auf eine geringere Anzahl von Prozessen konzentrieren, unerlässlich sind. Der digitale Zwilling wird beide Bereiche zusammenführen und hochauflösenden Simulationen ermöglichen, die die komplexen Prozesse des Erdsystems abbilden. Doch um das zu erreichen, so die Wissenschaftler, gelte es die Codes der Simulationsprogramme auf die neuen Technologien, die eine wesentlich höhere Rechenleistung versprechen, anzupassen.
Da die Code-​Entwicklung aus Sicht der Informatik jahrzehntelang stagnierte, lassen sich mit den heute zur Verfügung stehenden Rechnern und Algorithmen die hochkomplexen Simulationen kaum in der geplanten extrem hohen Auflösung von einem Kilometer durchführen. Die Klimaforschung profitierte davon, dass sie durch neue Prozessorgenerationen mehr Leistung gewinnen konnte, ohne ihre Programme grundlegend ändern zu müssen. Dieser kostenlose Leistungsgewinn mit jeder neuen Prozessorgeneration kam vor etwa 10 Jahren ins Stocken. Die Folge ist, dass heutige Programme oft nur noch 5 Prozent der Leistung herkömmlicher Prozessoren (CPU) nutzen können.
Um die notwendigen Verbesserungen zu erreichen, betonen die Autoren die Notwendigkeit des Co-​Designs, das heisst, der gemeinsamen und gleichzeitigen Entwicklung von Hardware und Algorithmen, wie es das CSCS in den letzten zehn Jahren erfolgreich demonstriert hat. Sie schlagen vor, besonderes Augenmerk auf generische Datenstrukturen, optimierte räumliche Diskretisierung des zu berechnenden Gitters und Optimierung der Zeitschrittlängen zu legen. Weiterhin schlagen die Wissenschaftler vor, die Codes zur Lösung des wissenschaftlichen Problems von den Codes zu trennen, die die Berechnung auf der jeweiligen Systemarchitektur optimal durchführen. Diese flexiblere Programmstruktur würde einen schnelleren und effizienteren Wechsel auf zukünftige Architekturen ermöglichen.

Profitieren von künstlicher Intelligenz

Grosses Potential sehen die Autoren auch in der künstlichen Intelligenz (KI). Sie kann beispielsweise für die Datenassimilation oder die Verarbeitung der Beobachtungdaten und für die Darstellung von unsicheren physikalischen Prozessen in den Modellen oder zur Datenkomprimierung genutzt werden. KI ermöglicht somit, die Simulationen zu beschleunigen und die wichtigsten Informationen aus grossen Datenmengen herauszufiltern. Die Forscher gehen davon aus, dass der Einsatz von maschinellem Lernen jedoch nicht nur die Berechnungen effizienter macht, sondern auch die physikalischen Prozesse besser beschreiben kann.
Die Wissenschaftler sehen ihr Strategiepapier als Ausgangspunkt für den Weg zu einem digitalen Zwilling der Erde. Unter den heute und in naher Zukunft zur Verfügung stehenden Rechnerarchitekturen identifizieren sie auf Graphikprozessoren (GPU) beruhende Supercomputer als die erfolgversprechendste Option. Sie schätzen, dass der Betrieb eines digitalen Zwillings in vollem Umfang ein System mit ca. 20'000 GPU erfordert, das schätzungsweise 20MW Stromleistung benötigt. Sowohl aus ökonomischer als auch aus ökologischen Gründen sollte ein solcher Rechner an einem Ort betrieben werden, an dem CO2-​neutral erzeugter Strom in ausreichender Menge zur Verfügung steht.
Dieser Artikel erschien zunächst auf ETHZ-News.

Autor(in) Simone Ulmer, ETH-News




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