Vernetztes Fahren 28.11.2022, 10:36 Uhr

Auto als rollendes Rechenzentrum

Noch vor zehn Jahren bestand die Software eines Autos aus rund zehn Millionen Codezeilen. Inzwischen sind es 100 Millionen. Das Fahrzeug von heute ist ein kleines Rechenzentrum.
(Quelle: Shutterstock / Gorodenkoff)
Noch ist es ein seltener Anblick – aber wir werden uns bald daran gewöhnt haben: Der Fahrer eines Autos kümmert sich nicht um den Verkehr, sondern liest während der Fahrt seine Mails oder sieht sich ein Youtube-Video an.
Was bis vor Kurzem noch nach Zukunft klang, ist inzwischen Realität: Die aktuelle S-Klasse von Mercedes-Benz fährt auf freigegebenen Strecken und in bestimmten Verkehrssituationen selbstständig. Der Fahrer darf die Hände vom Steuer nehmen und sich anderen Dingen widmen.
Moderne Autos von heute sind rollende kleine Rechenzentren: Unzählige Sensoren registrieren zum Beispiel Regentropfen auf der Windschutzscheibe, erkennen Verkehrszeichen am Strassenrand, bremsen das Fahrzeug bei Hindernissen rechtzeitig ab oder rufen bei schweren Unfällen mit der Funktion «eCall» selbstständig den Rettungsdienst.
So funktioniert die selbstfahrende S-Klasse von Mercedes-Benz
Zahlreiche Sensoren sorgen dafür, dass sich die Oberklasse-Limousine sicher autonom fortbewegt.
Mercedes-Benz
Mercedes-Benz erfüllte Anfang dieses Jahres als weltweit erster Auto­bauer die gesetzlichen Anforderungen der UN-Regelung R157 für autonomes Fahren. Auf rund 13.000 Autobahnkilometern in Deutschland fährt die Oberklasse-Limousine mit der Funktion Drive Pilot bei hohem Verkehrsaufkommen oder in Stausituationen selbstständig.
Wenn man das System aktiviert, dann regelt es bis 60 km/h die Geschwindigkeit und den Abstand zu anderen Fahrzeugen. Neben den ohnehin bereits zahlreichen serienmässig verbauten Systemen basiert Drive Pilot auf weiteren Sensoren wie einem Lidar, einem Laserscanner zur Abstandsmessung. Hinzu kommen unter anderen eine Heckkamera und Mikrofone, um zum Beispiel Blaulicht und andere Sondersignale von Einsatzfahrzeugen zu erkennen.
Hochpräzises GPS
Wo sich das S-Klasse-Auto befindet, ermittelt ein hochgenaues GPS-System, das auf dem Dach montiert ist. Der von der Satellitennavigation ermittelte Standort wird in eine dreidimensionale Strassenkarte übertragen, die eine Genauigkeit im Zentimeterbereich aufweist. Die Kartendaten werden über ein Rechenzentrum ständig aktualisiert und liefern detaillierte Informationen über Strecken­eigenschaften, Verkehrszeichen sowie besondere Ereignisse wie Baustellen oder Unfälle.
Und die erwähnten Limousinen von Mercedes fahren nun auch schon ganz von allein. Mercedes-Benz erfüllt als weltweit erster Autohersteller die gesetzlichen Anforderungen für autonomes Fahren. Das System Drive Pilot ist ein sogenanntes Level-3-System, das ein hochautomatisiertes Fahren ermöglicht. Wenn man das System aktiviert, dann regelt es bis 60 km/h auf geeigneten Autobahnabschnitten und bei hohem Verkehrsaufkommen die Geschwindigkeit und den Abstand zu anderen Fahrzeugen. Dabei reagiert das Auto auch auf unerwartete Ereignisse, etwa durch Ausweichmanöver. Der Fahrer kann nebenbei machen, was er will – er muss allerdings zum Beispiel bei Baustellen innerhalb von Sekunden wieder die Kontrolle übernehmen können.
Möglich macht das Ganze moderne Computertechnik – viel Rechenleistung auf kleinem Raum. Doch ganz neu ist IT im Auto nicht. Bereits Ende der 1970er-Jahre brachte der Automobilzulieferer Bosch ein serientaug­liches Antiblockiersystem auf den Markt. Es verfügte über ein für damalige Verhältnisse hochmodernes Steuergerät mit Halbleitertechnik, das in Sekundenbruchteilen den Bremsdruck anpasste.

Auto-IT gestern und heute

Computertechnik im Auto gibt es also schon ziemlich lange. Was heute anders ist: Die Komponenten – also die Chips und Sensoren – werden einerseits immer performanter und umfangreicher und bieten somit ganz neue Möglichkeiten. Andererseits verändert sich deren Zusammenspiel. Früher verbaute man Insellösungen und die Technik war jeweils nur für einzelne Funktionen ausgelegt.
«In der Vergangenheit wurde das Fahrzeug primär durch die Hardware definiert, auf die die Software aufgesetzt wurde, jetzt verlagert sich der Schwerpunkt auf die andere Seite», erklärt Harald Ruckriegel, Global Automotive Industry Lead and Chief Technologist beim Software-Spezialisten Red Hat. «Das heisst: Es bricht die Zeit des Software-definierten Fahrzeugs an.» Dabei werde die Software von der Hardware entkoppelt. Die Vorteile sind Ruckriegel zufolge die Hardware-Unabhängigkeit, die Standardisierung sowie die höhere Skalierbarkeit und Flexibilität. Das unterstütze vor allem auch die schnelle Bereitstellung neuer Funktionen, die der Hersteller dynamisch nachladen und freischalten könne.
IT im Auto des 20. Jahrhunderts: Das 1978 auf den Markt gekommene Anti­blockier­system von Bosch kam mit für damalige Verhält­nisse viel Technik.
Quelle: Bosch
Die grosse Herausforderung heute ist laut Magnus Östberg, Chief Software Officer bei der Mercedes-Benz Group, die Vernetzung im Fahrzeug und mit der Cloud. Hierbei gilt es, alle Funktionalitäten des Autos mit den Geräten des Kunden zu verknüpfen. Hinzu komme eine sichere End-to-End-Absicherung.
Vernetzte Autos als Datenkraken?
Renault Zoe: Beliebt, aber datenhungrig.
Renault
Autos von heute speichern riesige Informationsmengen. Das Problem: Autofahrer wissen nicht, welche Daten erhoben werden und welche davon zum Fahrzeughersteller fliessen. Das bestätigt eine aktuelle Studie des Sicherheitsunternehmens Ultimaco.
52 Prozent der Verbraucher in Deutschland wissen nicht, wie die von den Fahrzeugen gesammelten Daten verwendet werden. Und ungefähr genauso viele befürchten im Fall einer Datenpanne die Nachverfolgung ihrer Bewegungen.
Wenn es um die Datenverarbeitung im Auto geht, dann hüllen sich die Automobilhersteller laut ADAC in Schwiegen. Der Automobilclub hat sich daher beliebte Automodelle näher angesehen und untersucht, welche Daten erhoben und an den Fahrzeughersteller übermittelt werden.
Für das E-Auto Renault Zoe zum Beispiel (erste Modellreihe 2012) wurden folgende auffälligen Befunde ermittelt:
  • Das Aufladen der Antriebsbatterie kann von Renault via Mobilfunkverbindung jederzeit unterbunden werden
  • Renault kann beliebige Informationen vom Datenbus des Fahrzeugs via Mobilfunkverbindung mit­lesen. Diese Ferndiagnose ist standardmäßig ausgeschaltet, kann aber vom Hersteller jederzeit aktiviert werden
  • Bei jeder Fahrt, spätestens jedoch alle 30 Minuten, wird ein Datenpaket an Renault gesendet, das mindestens enthält: Fahrzeug-Identifizierungsnummer (VIN), diverse Seriennummern, Datum, Uhrzeit, GPS-Position, Temperatur, Ladung und Zellspannung der Hochvolt-Antriebsbatterie. Diese Informationen können von Renault auch jederzeit angefordert werden
  • Neben den fest programmierten Funktionen der Kommunikation zwischen dem Renault-Server und dem Renault Zoe können diese Funktionen via Mobilfunkverbindung beliebig erweitert werden
Wie wichtig die Vernetzung moderner Fahrzeuge ist, unterstreicht auch Jochen Kirschbaum: «Beim Kauf eines Neufahrzeugs ist das digitale Erlebnis im Fahrzeug eines der wichtigsten Entscheidungskriterien geworden.» Der Chief Operating Officer Onboard-Anwendungen bei Critical Tech Works, einem Joint Venture von BMW und Critical Software, ergänzt: «Dementsprechend elementar ist die Anbindung des Fahrzeugs an das digitale Ökosystem der Kunden.» Als Beispiel nennt Kirschbaum das Smart­phone als Autoschlüssel oder Apple Car Play, um digitale Assistenten wie Siri nahtlos im Auto nutzen.

Automobilhersteller als Software-Konzerne

Immer mehr Automobilhersteller legen den Fokus daher auf die Software und arbeiten an eigenen Betriebssystemen für ihre Modelle. Müssen wir Fahrzeuge mittlerweile also von der Software her denken? Oder anders gefragt: Werden Automobilhersteller und ihre Zulieferer zunehmend zu IT-Konzernen? «Ja, wir denken Fahrzeuge von der Software her», sagt Jochen Kirschbaum. So habe man zum Beispiel bei BMW die Elektrik-/Elektronik- und die Software-Entwicklung über die letzten beiden Jahrzehnte sukzessive ausgebaut.
Auch Deutschlands grösster Automobilhersteller Volkswagen richtet sich für die Digitalisierung neu aus. Die sogenannte Technische Entwicklung (TE), die mit 11.500 Mitarbeitern grösste Entwicklungseinheit des Konzerns, soll zum Schrittmacher der Transformation der Marke Volkswagen zum Tech-Unternehmen werden. «Im Mittelpunkt steht dabei die vollständige Neugestaltung des Entwicklungsprozesses: fachbereichsübergreifend, mit konsequenter Ausrichtung auf Software, Kundenanforderungen und die elektrische Zukunftsplattform SSP, system- und funktions- statt bauteilorientiert», so Volkswagen. Dadurch sollen die Entwicklungszeit um rund ein Viertel verkürzt, das Tempo für die Bereitstellung neuer Software erhöht und auch die Fertigungsprozesse in der Produktion deutlich beschleunigt werden. Die Technische Entwicklung werde damit zu einem wichtigen Eckpfeiler für die Transformation der Entwicklung im Konzern.
Over-the-air-Updates: Moderne VWs holen sich die neuesten Updates und sogar neue Funktionen über die mobile Datenverbindung an Bord.
Quelle: Volkswagen
«Für die Gegenwart und Zukunft muss das Fahrzeug als ein System im gesamten Ökosystem des Kunden betrachtet werden und nahtlos mit sämtlichen Systemen auch ausserhalb des Fahrzeugs kommunizieren», erklärt Volkswagen. Während in den 1990er-Jahren Fahrzeuge in erster Linie bauteilorientiert entwickelt wurden, spiele seit Anfang der 2000er-Jahre die Vernetzung eine immer grössere Rolle. Der Entwicklungsprozess werde daher künftig auf Funktionen und Systeme ausgerichtet statt auf Bauteile. Man spricht vom sogenannten Systems-Engineering, das in der Industrie insbesondere bei komplexen Entwicklungsprojekten wie im Flugzeugbau angewendet wird. «Dafür klären die Experten aus verschiedenen Fachbereichen frühzeitig Anforderungen und wechselseitige Abhängigkeiten und stellen sicher, dass Systeme und Bauteile passend konfiguriert und konstruiert werden, damit all diese Funktionen nahtlos ineinandergreifen können.»
“Die Mobilität der Zukunft wird vielfältig, reich an Innovationen und elektrisch.„
Magnus Östberg
Chief Software Officer bei der Mercedes-Benz Group
Die steigende Bedeutung der IT in Fahrzeugen zeigt die folgende Entwicklung: In den heutigen Fahrzeuggenerationen können mehr als 150 Steuermodule – sogenannte Electronic Control Units (ECUs) – vorhanden sein, die alle für einen bestimmten Anwendungsfall konzipiert sind, zum Beispiel für die ABS-Bremsfunktion, das Aus­lösen von Airbags oder die Motorsteuerung.
«Der Trend geht nun dahin, weniger, aber leistungsstärkere ECUs zu nutzen, die eine Vielzahl von Funktionen und gleichzeitig alle Anforderungen an die funktionale Sicherheit erfüllen können», erklärt Harald Ruckriegel von Red Hat. Die Entwicklung dieser integrierten, funktional umfangreichen Steuergeräte werde massgeblich durch Software-definierte Lösungsansätze getrieben. Fahrzeughersteller würden künfig also nicht mehr einfach ihre traditionellen Zulieferer bitten, ein motorisiertes Sitzsystem mit eigenem Steuergerät zu entwickeln. Stattdessen würden sie die Software-Entwicklung koordinieren müssen, um ein gemeinsames und standardisiertes Konzept für bordeigene Plattformen zu etablieren.
Doch Software ist nicht alles. Nach Magnus Östbergs Überzeugung ist es für Automobilhersteller nach wie vor von grosser Bedeutung, Kompetenz in der Fahrwerktechnik, dem Antriebsstrang, dem Luftwiderstand oder der Crash-Sicherheit zu haben, «aber natürlich muss man schon seit Längerem in der Software genauso kompetent und erfahren sein, um dieses Potenzial an Kundenerlebnissen entwickeln und anbieten zu können.»

Das Auto als Dienstleister

Digitalisierung, Cloud, Dienste – welche Funktionen eines Autos profitieren eigentlich konkret davon?
Mercedes-Benz etwa konzentriert sich auf die folgenden wesentlichen Felder im Fahrzeug: das Infotainmentsystem, das autonome Fahren, Drive & Charging sowie Body & Comfort, also Komfortfunktionen. «Im Moment ist für den Kunden das Infotainmentsystem am offensichtlichsten», so Magnus Östberg, «aber die anderen Domänen werden immer wichtiger werden und bringen das Potenzial, ganz neue erlebbare Funktionen anbieten zu können.»
Vor allem die Software ermöglicht komplett neue Dienste, die früher nicht denkbar waren. Beispiele sind das Starten der Standheizung vom Smartphone aus beliebiger Entfernung aus oder das Initiieren der Navigation mit einem einfachen Satz wie «Hey Auto, such bitte den nächsten Supermarkt».
Dienste hin oder her – Mercedes-Benz zum Beispiel wird laut Magnus Östberg auch zukünftig den wesentlichen Teil seiner Wertschöpfung im Kerngeschäft erbringen – also in der Herstellung und dem Vertrieb von Automobilen sowie dem sogenannten Aftersales. «Nichts­destotrotz leisten auch neue Geschäftsmodelle einen wachsenden Beitrag zu den Unternehmensergebnissen», betont Östberg.Der Fahrzeughersteller habe sich beispielweise das Ziel gesetzt, bis 2025 eine Milliarde Euro mit digitalen Diensten und On-Demand-Ausstattungen zu erwirtschaften. Darüber hinaus hat Mercedes-Benz mit dem Beitritt zum Aura Blockchain Consortium den Grundstein für den Einstieg in den schnell wachsenden NFT-Markt gelegt. Eigene Anwendungen seien bereits in Planung. NFT-Kollektionen in Fahrzeuge zu integrieren und diese in einen personalisierten, immersiven Kunstraum zu verwandeln, der durch Licht und Klang bereichert wird, sei eine weitere strategische Ebene für das Unternehmen.
Wie solche digitalen Dienste und On-Demand-Ausstattungen aussehen, zeigt zum Beispiel BMW. In Modellen des bayerische Autobauers mit dem digitalen Dienst Connected Drive lassen sich bestimmte Funktionen per Mausklick freischalten – im Abo-Modell oder per Einmalzahlung. Eine bereits ab Werk verbaute Sitzheizung lässt sich für 29 Franken pro Monat oder gegen eine Einmalzahlung von knapp 500 Franken aktivieren. Mit einem ab Werk verbauten Sport-Fahrwerk ist man gegen eine Einmalzahlung von 500 Franken fortan sportlich unterwegs.
BMW «as a Service»: Per Mausklick lassen sich bei bestimmten Modellen bereits verbaute Funktionen als Abo freischalten.
Quelle: com! professional
Ähnlich macht es der E-Auto-Hersteller Tesla. Er verbaut in allen aktuellen Modellen das Fahrassistenzsystem Autopilot. Wer es nicht schon beim Kauf mitgeordert hat, kann es jederzeit nachträglich bestellen. Tesla installiert dann automatisch die notwendige Software auf dem Fahrzeug.
Für Fahrzeugbauer kann es grundsätzlich sinnvoll sein, bestimmte Funktionen wie eine Sitzheizung in allen Varianten eines Modells zu verbauen. Das vereinfacht die Produktion deutlich. Und der Kunde kann sich auch nach dem Kauf noch überlegen, ob er eine bestimmte Sonderausstattung doch haben möchte.
Mit dieser Vorgehensweise sind BMW und Tesla nicht alleine. Nach einem Bericht im «Handelsblatt» plant zum Beispiel der Opel-Mutterkonzern Stellantis, zu dem auch die Marken Fiat Chrysler und die französische PSA-Gruppe mit Peugeot und Citroen gehören, eine Software-Gross­offensive. Bis Ende des Jahrzehnts will man jährlich 20 Milliarden Euro durch Software-gestützte Produkte und Abonnements verdienen.

KI im Auto

Wenn man von Software im Auto spricht, dann drängt sich das Stichwort Künstliche Intelligenz auf – eines der Trend­themen in der IT und laut Jochen Kirschbaum von Critical Tech Works schon heute aus den Fahrzeugen von BMW nicht mehr wegzudenken. KI komme bei Assistenzsystemen vorrangig in der Bildverarbeitung zum Einsatz – vor allem zur Erkennung von Fahrzeugen, Spurmarkierungen und Fussgängern, zum Beispiel bei Spurhalteassistenten und Notbremsfunktionen.
“Das Fahrzeug der Zukunft wird zwangsläufig ein Rechenzentrum auf Rädern sein.„
Harald Ruckriegel
Global Automotive Industry Lead and Chief Technologist bei Red Hat
Auch im Navigationssystem BMW Maps sei Künstliche Intelligenz ein wichtiger Bestandteil. «In der BMW-Cloud werden nicht nur Echtzeitdaten integriert, sondern es kommen auch Machine-Learning-Algorithmen zum Einsatz, die basierend auf Langzeitdatenreihen probabilistische Modelle zum Eintreten bestimmter Verkehrsphänomene berechnen.» Als weiteres Beispiel nennt Kirschbaum den Sprachassistenten BMW Intelligent Personal Assistant. Damit bedient man das Fahrzeug per Sprache. «Die Technologie ermöglicht eine natürliche Interaktion mit dem Fahrzeug – unterstützt durch KI.»
Und auch im Entwicklungsprozess spielt Künstliche Intelligenz eine bedeutende Rolle. So nutzt Mercedes-Benz KI, um neue Funktionen wesentlich schneller auf den Markt zu bringen.
Künstliche Intelligenz wird nach Einschätzung von Harald Ruckriegel im Automotive-Segment immer wichtiger werden – sowohl im Fahrzeug selbst als auch in der Cloud. «Gerade im Bereich des autonomen Fahrens geht es darum, umfangreiche Datenmengen schnell zu analysieren. Und hier führt an KI kein Weg vorbei.» Die KI-basierte Aggregierung und Auswertung von Fahrzeugdaten könnten Unternehmen zudem in der Fahrzeugentwicklung gewinnbringend einsetzen. Nicht zuletzt diene der KI-Einsatz auch der Verbesserung der Customer Experience, zum Beispiel bei der Optimierung der Reiseplanung oder der Integration mit Mobilitätsangeboten und Smart-City-Szenarien.

Autonome Fahrzeuge

Der wohl wichtigste Bereich im Auto, der ohne Künstliche Intelligenz nicht funktionieren würde, ist wie erwähnt das autonome Fahren. Die KI-Systeme verarbeiten etwa Daten über den Strassenverlauf, zu Verkehrsschildern und anderen Verkehrsteilnehmern.
Vollautomatisiertes und fahrerloses Fahren wird stufenweise Realität werden – abhängig von den technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Denn technische Innovationen beim vollautomatisierten und fahrerlosen Fahren können nur auf die Strasse kommen, wenn die Gesetze es zulassen. Und hier nimmt Deutschland durchaus eine Führungsrolle ein. Im Mai dieses Jahres stimmte der Bundesrat einer Verordnung zu, die die Strassenzulassung und die Betriebsbereiche des autonomen Fahrens detailliert regelt. Deutschland werde damit zu einem der Pioniermärkte für vollautomatisiertes Fahren, attestiert der TÜV-Verband, die Interessenvertretung der Technischen Überwachungs-Vereine.
Bedenken bezüglich Connected Cars   
Quelle: Ulrimaco/Yougov, März 2022
Entscheidend dafür sind laut TÜV-Verband international gültige Normen und Standards sowie entsprechende Testbedingungen und harmonisierte Datengrundlagen für das Anlernen der Systeme. Zudem benötigten Menschen die Gewissheit, dass die KI-Systeme sicher genug seien, wenn sie in ein automatisiertes oder fahrer­loses Fahrzeug einsteigen. Und hier sind viele noch im Zweifel: Eine aktuelle Erhebung des TÜV-Verbands belegt zwar ein beträchtliches Interesse an autonomer Mobilität. So können sich 39 Prozent der Befragten vorstellen, in einem vollautomatisierten Fahrzeug mitzufahren.
Ein Drittel lehnt dies allerdings auch ab. Die Skepsis ist nicht ganz unangebracht: Während zum Beispiel ein Aufkleber auf einem Stopp-Schild einen Autofahrer sicher nicht weiter stört, kann dieser eine Künstliche Intelligenz aus dem Konzept bringen. Beim automatisierten Fahren bestehe die Möglichkeit, dass das System die Umwelt schon bei geringen Abweichungen nicht mehr korrekt wahrnehme, so der TÜV-Verband.
Das Problem: Derzeitige Automobil-Software basiere auf proprietären, funktional eingeschränkten und eher «langsamen» Komponenten, die mögliche Risiken und Fehler minimierten, wie Harald Ruckriegel von Red Hat erklärt. Diese Lösungsansätze würden den neuen Anforderungen nicht mehr gerecht. Heute benötige man Fahrzeugsysteme, die ausreichend Rechenleistung für eine Realtime-Datenverarbeitung bieten. Die Alternative zu den bisherigen Konzepten sei ein auf funktionale Sicherheit zertifiziertes und speziell für den Automotive-Bereich ausgelegtes Linux-Betriebssystem. Es bringe mehr Flexibilität in das Software-Ökosystem der Automobilindustrie und ermögliche es den Fahrzeugherstellern und ihren Partnern, sich auf innovative Anwendungen, Services und Funktionalitäten rund um das Auto der Zukunft zu fokussieren. «Das heisst, ein standardisiertes Linux-Betriebssystem kann als eine leistungsfähige Basis für alle darüberliegenden spezifischen Software-Plattformen der OEMs fungieren, mit denen sie sich differenzieren können: vom Hersteller-Betriebssystem über die Middleware und Applikationen bis hin zu den Services.»

Fazit & Ausblick

«Die Mobilität der Zukunft wird vielfältig, reich an Innovationen und elektrisch», fasst Magnus Östberg von Mercedes-Benz die automobile Zukunft zusammen. Ähnlich sieht es Red-Hat-Mann Harald Ruckriegel: «Das Fahrzeug der Zukunft wird zwangsläufig ein Rechenzentrum auf Rädern sein. Schliesslich muss das intelligente, vernetzte Auto in Echtzeit Daten analysieren und Entscheidungen treffen, gerade beim autonomen Fahren.» Das traditionelle Auto entwickele sich hin zu einem intelligenten, vernetzten und Software-definierten Fahrzeug, das als intelligenter Knotenpunkt und Teil eines breiten Ökosystems fungiere. «Es wird letztlich auch die Umsetzung innovativer Mobilitätskonzepte wie Car as a Service, Mobility as a Service oder Smart City unterstützen. Für den Autokäufer der Zukunft bedeutet das, dass er ein Fahrzeug erhält, das Konnektivität, Personalisierung und Sicherheit bietet.»
Software im Auto: Während die ersten Golfs noch mit 50.000 Zeilen Code auskamen, benötigen die Assistenzsysteme in modernen Modellen bis zu 100 Millionen Codezeilen.
Quelle: Volkswagen
Und dann gibt es da auch noch die seit vielen Jahren grassierenden Gerüchte rund um das Apple Car. Das dürfte dann wohl das ultimativ vernetzte Mobil werden. Doch ob das Apple Car überhaupt irgendwann kommt und wie es dann letztendlich aussehen und technisch ausgestattet sein wird, das weiss bislang nur Apple. Es bleibt spannend.

Interview mit Herr Stefan Höchbauer

«Die Kundenerwartungen steigen über den gesamten Lebenszyklus des Produkts hinweg»

Die Digitalisierung betrifft alle Bereiche des Lebens – und macht auch vor der Automobilbranche nicht halt. Im Gegenteil: Ob Autobauer, Zulieferer oder Händler – alle Beteiligten der automobilen Wertschöpfungskette stehen vor neuen Herausforderungen.
Worin diese bestehen, darüber spricht Computerworld mit Stefan Höchbauer. Er ist Executive Vice President und CEO für Deutschland, Österreich, Schweiz und Osteuropa beim CRM-Spezialisten Salesforce.
Computerworld: Herr Höchbauer, viele Automobilhersteller arbeiten mittlerweile an eigenen Betriebssystemen für Fahrzeuge. Müssen wir Fahrzeuge mittlerweile von der Software her denken? Oder anders ausgedrückt: Werden Automobilhersteller und ihre Zulieferer zunehmend zu IT-Konzernen?
Stefan Höchbauer
Executive Vice President und CEO DACH und Osteuropa bei Salesforce
Quelle: Salesforce / Raimar von Wienskowski
Stefan Höchbauer:
Wie alles und jeder befindet sich die Automobilbranche mitten im digitalen Wandel, der in der Industrie von mehreren Triebfedern vorangebracht wird. Da ist natürlich die Umstellung auf die E-Mobilität, die das ganze Ökosystem fundamental beeinflusst, von Produktionsabläufen bis hin zu Lieferanten- und Kundenbeziehungen. Plus neue Geschäftsmodelle, die Mehrwertdienste entlang des gesamten Ownership-Lifecycles ebenso umfassen wie den Einstieg der Autobauer in den D2C-Vertrieb (Direct to Customer). Überall dort bilden IT und Daten das Fundament. Volkswagen etwa hat ja bereits sehr klar seine Pläne und Bestrebungen formuliert, sich zu einem der grössten europäischen Software-Unternehmen zu entwickeln und das Feld nicht mehr allein von Zulieferern bespielen zu lassen.
Computerworld: Mit der zunehmenden IT im Auto sind auch immer mehr neue Dienste möglich. Sind Daten und Dienste für die Automobilbranche das neue Öl – quasi Bytes statt Benzin?
Höchbauer: Diese Analogie passt ganz gut. Die Kundenerwartungen steigen und zwar über den gesamten Lebenszyklus des Produkts hinweg. Die Kundenbeziehung endet ja nicht mit dem Verkauf – wir sprechen über die Möglichkeiten, die ein vernetztes Auto bietet, und aus Herstellersicht über die Monetarisierungsmöglichkeiten wie Features on Demand. Damit wird die Kundenbeziehung nicht nur beim Kauf, sondern an allen Kontaktpunkten zum Erlebnis.
All das erfordert Daten und deren smarte Analyse. Dazu kommt noch ein weiterer Aspekt: Um die Bedürfnisse ihrer Kund:innen bestmöglich zu erfüllen – gerade angesichts der aktuellen Herausforderungen –, benötigen die Hersteller den Überblick über ihre gesamte Wertschöpfungskette. Das schliesst insbesondere die Zusammenarbeit mit Partnern und Zulieferern ein. Nur wenn alle Beteiligten noch enger zusammenzurücken, die Lieferketten gemeinsam betrachten und eine einheitliche Sicht haben, können sie schnell auf Probleme reagieren, und zwar am besten, bevor sie eintreten.
Computerworld: In welchem Bereich wird denn der wesentliche Teil der Wertschöpfung von Automobilherstellern in Zukunft liegen – in der Produktion eines Fahrzeugs oder in neuen Geschäfts­modellen?
Höchbauer: Nach wie vor wird die Produktion eine Rolle spielen, wobei Lieferengpässe und steigende Einkaufs- und Energiepreise Margen negativ beeinflussen. Nicht nur vor diesem Hintergrund, sondern vor allem auch angesichts immer höherer Kundenerwartungen sind kundenzentrierte, digitale Mehrwertservices nicht mehr nur als Option zu sehen, sondern schlichtweg ein Muss. Dabei müssen sich solche Angebote nicht allein auf das Erlebnis im Fahrzeug beschränken, sondern können sich über den gesamten Nutzungskontext erstrecken.
“Jahrzehntelang gehörte die Kundenbeziehung den Autohändlern. Diese Gewissheit schwindet immer mehr.„
Stefan Höchbauer
Ford zeigt das in den USA beispielsweise mit «VIIZR», dem mobilen Büro für Handwerker auf Basis der Salesforce-Plattform. Damit generiert Ford Pro neue Revenue-Ströme aus digitalen Services und stärkt die Kundenbindung, weil es seinen Kund:innen einen echten Nutzen für die Arbeit liefert.
Computerworld: Sie haben den Trend zu D2C angesprochen. Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die Autohändler? Haben sie in Zeiten von D2C überhaupt noch eine Zukunft?
Höchbauer: Jahrzehntelang gehörte die Kundenbeziehung den Autohändlern. Diese Gewissheit schwindet immer mehr und D2C ist Ausdruck dieser Entwicklung. Umfragen zeigen: Kund:innen kaufen nach wie vor am liebsten im Autohaus, gerade in jüngeren Altersgruppen schwingt das Pendel jedoch immer stärker in Richtung Online beziehungsweise D2C. Für viele ist heute sogar eine Kaufentscheidung ohne Probefahrt denkbar. Für die Zukunft der Autohäuser ist also ebenso wie für die Hersteller das Kundenerlebnis entscheidend – aber keineswegs allein auf den persönlichen Kontakt vor Ort beschränkt, sondern ebenfalls im digitalen Bereich: von der Webseite über soziale Medien bis hin zu innovativen Kanälen wie Web 3 und Metaverse, Stichwort virtuelle Probefahrt.




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