Computerworld vor 30 Jahren
02.01.2019, 07:02 Uhr
Schon 1988: Computer bedrohen Jobs
Digitale Technologie begann 1988 ihren Siegeszug in Schweizer Büros. Erstmals wurden mehr Computer als Schreibmaschinen verkauft. Nun ging die Angst um Arbeitsplätze um.
Über 220'000 Personal-Computer waren Anfang 1988 in Schweizer Büros installiert. Zwei Jahre zuvor waren es erst 48'000 Rechner. Parallel stieg die Zahl der Benutzer von 64'000 auf 500'000. Erstmals war die Schreibmaschine nicht mehr das meistverkaufte Bürogerät. Mit diesen Fakten charakterisierte das Institut für Automation und Operations Research der Universität Fribourg die Situation in Schweizer Anwenderfirmen. Für 1988 waren im Dienstleistungssektor die grössten Investitionen in Computer-Technologie geplant, die geringsten bei den Versicherungen. Das grösste Potenzial für Produktivitätssteigerungen attestierten die Wissenschaftler den Branchen Detailhandel, Baugewerbe und in den Behörden.
Erstmals Arbeitslose
Aufgrund der zunehmenden Automatisierung ging in den Büros erstmals überhaupt die Angst vor dem Jobverlust um. Die damals extrem geringe Arbeitslosenquote von 0,7 Prozent hatte nicht ökonomische, sondern demografische Gründe: Erstens waren Mitte der 1970er-Jahre markant ausländische Arbeitskräfte abgebaut worden. Zweitens war die Erwerbsquote gering. Die Vollbeschäftigung beruhte also nicht in erster Linie auf der Leistungsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft, neue Jobs zu schaffen. Das sollte sich tatsächlich ab 1990 rächen, als sich die Arbeitslosenquote innert vier Jahren verzehnfachte.
Vor dieser Entwicklung warnte Anfang 1988 Computerworld mit doppelter Negierung: «Für die neunziger Jahre ist eine Abnahme der Bürobeschäftigten nicht auszuschliessen.» In einem Report über die Studie «Arbeit im Büro von morgen» des Schweizerischen Kaufmännischen Verbandes zeichnete Computerworld-Redaktor André Eisenstein ein düsteres Bild: Der massenweise Einsatz von Computern barg aus damaliger Perspektive ein Rationalisierungspotenzial von 15 Prozent der Belegschaft. Davon allein die Hälfte wurde der «aktenlosen Sachbearbeitung mit integrierten Bürosystemen» zugeschrieben. Im «Büro von morgen» sollten die Angestellten anstatt mit Akten mit dem Computer arbeiten. Weitere grosse Jobkiller waren: «integrierte Daten- und Textverarbeitung», «elektronische Fernarbeit» sowie «Bürofernschreiben und elektronische Post».
Produktivitätstreiber Textverarbeitung
Andersherum wurde der Textverarbeitung das grösste Potenzial zur Steigerung der Produktivität attestiert. Sie sei die wichtigste Grundfunktion der Büroautomatisierung. Erst die Eingabemöglichkeit mittels der natürlich gesprochenen Sprache werde einen grösseren Entwicklungssprung auslösen. Wann dies der Fall sein wird, darüber wagten die Autoren keine Prognose. Heute wissen wir: Trotz leistungsfähiger Computer und Assistenten wie Siri erfolgt die Texteingabe weiterhin hauptsächlich über die Tastatur.
Eine nur nachgeordnete Bedeutung räumten die Autoren den Grafikanwendungen ein. Bei den Buchhaltungs- und Rechenanwendungen wurde der Dezentralisierungsaspekt betont. Die damals verbreiteten Tabellenkalkulationen Lotus 1-2-3 und Microsoft Multiplan sollten insbesondere benutzerfreundlicher und billiger werden. Technisch noch nicht ausgereift waren die elektronischen Archive und die Datenbanken. Auch bei ihnen wurde der Einfluss auf die Produktivität noch angezweifelt wie auch den Anwendungen für die Terminplanung. Ein wesentlicher Entwicklungsbereich für das «Büro von morgen» sei die Verbindung von Computer- und Kommunikationstechnik.
Trends bei Hard- und Software
Generell werde das «Büro von morgen» noch über eine grosse Zahl verschiedener technischer Hilfsmittel verfügen. Tendenziell sei aber mit wenigeren, dafür multifunktionaleren Systemen zu rechnen. Den Löwenanteil der Investitionen machte 1988 die Hardware aus. 77,8 Prozent der Ausgaben entfielen auf Clients, Server und Peripherie.
An die Hardware für die Büroautomation hatten die Experten die folgenden Erwartungen:
Software spielte im «Büro von morgen» eine eher untergeordnete Rolle: Mit 19,9 Prozent der Investitionen wurde Software beschafft, mit 2,3 Prozent neue Lizenzen gekauft. Die Experten wünschten sich:
Zusätzlich zu diesen Entwicklungen wurde erwartet, dass sich das Kostenverhältnis zwischen Hard- und Software ändern wird. Während die Relation 1988 noch etwa eins zu eins betrug, sollten bis 1990 generell auf 1 Franken für Hardware ungefähr 4 Franken für Software entfallen.
Fortschritt im Kleinen
Für den Wirtschaftsstandort Schweiz als entscheidend erachteten die Autoren, wie schnell die kleinen sowie mittelständischen Betriebe die Bürotechnologie adaptierten. Die KMU waren damals (wie heute) die grössten Arbeitgeber. Der Sektor beschäftigte 75 Prozent der Angestellten. Die Betriebe waren zwar teilweise schon auf den Computerzug aufgesprungen, nutzten die Bürotechnik aber nur rudimentär: Nach der Buchhaltung und der Textverarbeitung war Schluss. Gründe waren die hohen Investitionskosten, die notwendige Ausbildung und die fehlende Datensicherheit. Im Vergleich mit den Grossunternehmen, in denen PC-Arbeitsplätze systematisch eingeführt werden, agierten KMU meist nach dem Trial-and-Error-Prinzip. Bei nicht wenigen herrschte bald das «totale Chaos» – und die Computer waren dem Geschäft eher hinder- als förderlich.
So sollte die langsame Diffusionsgeschwindigkeit der modernen Bürotechnologie in den Betrieben auch keinen wesentlichen Einfluss auf die Beschäftigtenzahlen haben. Für die steigende Arbeitslosenquote in den 1990er-Jahren wird vielmehr beispielsweise der Niedergang der schweizerischen Maschinen- und Textilindustrie verantwortlich gemacht.