Digital Leader statt Verwalter 10.01.2020, 09:40 Uhr

Kompetenzen für die IT-Führungskräfte von morgen

Die Dynamik der Digitalisierung und die damit verbundene Unternehmenstransformation drohen, die klassische IT in die Bedeutungslosigkeit zu verdrängen. Was bedeutet dies für die IT und ihre Führungskräfte?
(Quelle: Dylan Gillis / Unsplash)
Laut dem SwissVR Monitor vom Sommer dieses Jahres sind die Top-Themen der Schweizer Verwaltungsräte die «Digitalisierung» und die mit ihr verbundenen neuen Technologien für «Effizienzsteuerung», «Optimierung interner Prozesse» sowie die «Erarbeitung einer neuen Unternehmensstrategie». Das ist nicht über­raschend, stehen doch viele Unternehmensentscheider unter dauerhaftem Druck. Einerseits, weil sie fast täglich mit verschiedensten Trends und Buzzwords bombardiert werden und andererseits, weil sie sich in einer immer digi­talisierteren Welt zurechtfinden müssen. Hinzu kommen wirtschaftliche Unsicherheit, rasche Veränderung an den Märkten und neue Generationen junger Mitarbeitenden, die gewonnen und auch gehalten werden müssen.
Umso mehr überrascht es, dass nur ein kleiner Anteil des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung mit den neuen Formen der «Digital Leadership» vertraut sind. So sind gemäss der Studie «Digital Transformation Index 2018» des ICT-Herstellers Dell EMC erst rund 36 Prozent der Führungskräfte in der Schweiz für die digitalen Führungs­aufgaben im Unternehmen bereit. Es reichen mittlerweile weder Prozessoptimierung noch Automatisierung aus, um in den neuen digitalen Geschäftswelten erfolgreich zu sein. Neben technischem Grundverständnis müssen Digital Leader beispielsweise auch über exzellente Soft Skills sowie Problemlösekompetenzen verfügen.
Konkret sehen es die Führungskräfte heute als grösste Herausforderung an, die Veränderungen der digitalisierten Welt zu managen, das lebenslange Lernen zu ermöglichen und agile Organisationsstrukturen einzuführen, wie dem HR Report 2019 des Personaldienstleisters Hays zu entnehmen ist. Damit geht sehr klar hervor, dass Kreativität, soziale Intelligenz und ICT-Kenntnisse als zukunftsweisende Digitalkompetenzen gesehen werden, wie auch die Autoren des SwissVR Monitors in ihrer Studie bestätigen.

Was ist nun Digital Leadership genau?

Es gibt mehrere Ansätze, den Begriff «Digital Leadership» festzumachen. Eine Definition der deutschen Universität Frankfurt am Main (Van Dick et al., 2017) sieht darin den Einsatz neuer digitaler Methoden und Instrumente durch die verantwortlichen Führungskräfte. Dies sind zum Beispiel die aktive Nutzung moderner Kollaborations-Tools oder der sozialen Medien im Unternehmen.
Diese Definition greift jedoch zu kurz. Aktuelle Vordenker und Studien des deutschen Fraunhofer Instituts und des Beratungshauses Capgemini stellen klar: Nicht nur die praktische Umsetzung mit Tools, sondern auch die Adressierung der mit der digitalen Transformation verbundenen geschäftlichen, organisatorischen, kulturellen, technologischen und personellen Anforderungen ist hier entscheidend. Diese Fähigkeiten sind auf allen Ebenen notwendig und reichen somit vom strategischen Top-Management bis zur operativen und personellen Verantwortung. Das Ziel der «Digital Leadership» ist es, in einem sich immer schneller verändernden Marktumfeld mit ungewissen Rahmenbedingungen die eigene Unternehmung gegenüber der Konkurrenz flexibler, schneller und auch innovativer zu machen. Folglich muss sich über kurz oder lang jede Firma zu einem Technologieunternehmen transformieren, um sich im globalen Wettbewerb zu behaupten.

Aufholjagd bei den digitalen Kompetenzen

Was im allgemeinen Diskurs in den Medien inzwischen als Konsens gilt, spiegelt sich in der Realität noch nicht wirklich wider. Dann nämlich, wenn es darum geht, digitale Kompetenzen als Individuum und als Organisation aufzubauen. Auf der einen Seite wird die Fähigkeit der «Digital Leadership» durchgängig unterstrichen, wie eine gleich­namige Studie der Uni Frankfurt a. M. (Van Dick et al. 2017) belegt, wo bis zu 80 Prozent der Befragten die Bedeutung  der Digital Leadership hervorheben. Andererseits wird die Reife der eigenen Organisation als eher gering eingeschätzt.

Braucht es externe Unterstützung?

Oft wird der Einsatz neuer Instrumente wie agile Entwicklung, Design Thinking oder die Einführung neuer IT-Systeme wie Enterprise Social Networks und die Vernetzung über die Unternehmensgrenzen hinaus als Prioritäten angesehen. Dabei handelt es sich allerdings eher um begrenzte Massnahmen von oft experimenteller Natur, wohingegen strategische Ansätze wie etwa der Aufbau neuer Führungsstrukturen und innovativer Führungsprinzipien am Ende der Prioritätenliste angesiedelt sind.
Besonders auffällig in der Studie der Universität Frankfurt ist stattdessen, dass externe Schulungen und Trainings letztgereiht sind. Es stellt sich daher die Frage, ob Organisationen parallel zu ihrem laufenden Tagesgeschäft überhaupt die organisatorische und kulturelle Transformation ohne externe Unterstützung nachhaltig entwickeln können. Dies unter dem Aspekt, dass «Dauer» und «Effekti­vität» der Transformation letztlich wesentliche Erfolgs­faktoren sind, wenn sich Unternehmen am Markt durchsetzen wollen.
Doch was sind die Gründe dafür, dass es bei den Digitalkompetenzen noch grossen Nachholbedarf gibt? Einerseits ist es die fehlende Eigeninitiative des Top-Managements: Wie in der Digital-Leadership-Studie des Personalberaters Rochus-Mummert aufgezeigt wird, befasst sich mit einem Wert von 51 Prozent lediglich etwas mehr als die Hälfte der befragten Top-Führungskräfte maximal zwei Stunden in der Woche mit dem Erwerb neuer Kenntnisse zur Digitalisierung.
Andererseits sind die passenden Weiterbildungsangebote zum Thema Digital Leadership noch nicht so bekannt oder akzeptiert. Ein ähnliches Fazit ziehen die Verfasser der Scil-Trendstudie 2019 der Universität St. Gallen (HSG). Demnach wissen 44 Prozent der Unternehmensentscheider nicht, welche Kompetenzen im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung benötigt werden. Und 57 Prozent sagen, es fehle ein klares Konzept zur Entwicklung digitaler Kompetenzen für Mitarbeitende.

Die Folgen für die IT-Leadership

Gute IT-Leadership ist die konsequente Fortsetzung der Digital Leadership in der IT-Organisation und deren Wertschöpfungskette. War es in der Vergangenheit aus­reichend, der Chief Inventory Officer der Software und Hardware zu sein, muss heute der CIO den Anforderungen eines Chief Innovation Officers und des Chief Digital Officers gerecht werden, wenn er oder sie nicht eines Tages in der Bedeutungslosigkeit verschwinden möchte.
“IT-Chefs müssen heute auch Chief Innovation Officer und Chief Digital Officer sein„
Christian Russ
Der CIO muss zudem nicht nur kreativ sein und gute Ideen für das Kerngeschäft des Unternehmens generieren, sondern er und sein Team müssen die damit verbundenen IT-Applikationen und -Services entwerfen und ausliefern. Diese IT-Lösungen sollten dem Unternehmen helfen, neue Kundenerlebnisse und Geschäftsbeziehungen zu schaffen und die damit verbundenen neuen Märkte und Umsatzquellen zu eröffnen. Nebenbei dürfen IT-Verantwortliche den Lebenszyklus der IT-Lösungen, die Technologietrends sowie den Wissens- und Talenteaufbau sowie das Lieferanten- und Cloud-Management nicht vergessen. Übergreifend sollten die IT-Lösungen in eine ganzheitliche Enterprise-Architektur eingebettet sein, die einen nahtlosen Informationsaustausch und die Zusammenarbeit aller Stakeholder inner- und ausserhalb des Unternehmens ermöglicht.
Schliesslich muss auch noch der Wertbeitrag der IT nachgewiesen werden, und zwar nicht nur durch Budget- und Kostendisziplin, sondern auch in Form zusätzlicher Mehrwerte wie Umsatzsteigerung, Profitabilitätsbeiträge sowie Stakeholder-Zufriedenheit. Klingt doch alles ganz einfach, oder?

Was IT-Manager für den Erfolg brauchen

Quelle: ZHAW
Wie kann man als IT-Entscheider den aktuellen Heraus­forderungen gerecht werden? Wie kann man sich als IT-Verantwortlicher darauf vorbereiten und welche Kompetenzen sind hierfür wie bedeutend? Um diese Fragen zu beantworten, wurde im April dieses Jahres in einer Kurzstudie der ZHAW am Institut für Wirtschaftsinformatik der Trainings- und Weiterbildungsbedarf des Schweizer IT-Managements erhoben. Eine wesentliche Schlussfolgerung aus der Online-Umfrage ergab, dass nicht technische IT-Themen­bereiche am wichtigsten bewertet wurden. Dies sind die Parameter «IT-Innovation», gefolgt von «Digital Trans­formation, Business Modelle & Plattform Economy» und als Nummer 3 «IT-Organisation und Personalführung». Diese Kompetenzfelder weisen den höchsten Handlungs- und damit Trainingsbedarf auf. Die Schlusslichter in der Online-Befragung bildeten «IT-Finance, -Performance und -Value Management», «IT-Qualität und Stammdatenmanagement» und letztlich der Bereich «Enterprise Architecture- (EAM) und Technologie Management».
Quelle: ZHAW
Wenn man die Angaben der Senior IT-Manager in der strukturierten Online-Befragung für sich selbst mit denen für ihre Teamleads vergleicht, wird Folgendes klar ersichtlich: Strategische Themen erachten die Manager primär für sich selbst als bedeutend, wohingegen Bereiche taktischer und operativer Natur eher den Teamleads zugesprochen werden. Hervorzuheben ist das «IT-Innovation Management». Dies wurde für beide Gruppen als sehr wichtig angesehen.

Deutliche Unterschiede bei den Bedürfnissen

Vergleicht man die Ergebnisse der Online-Umfrage mit den persönlichen Interviews auf Basis der «IT-Leadership und Tech-Management-Matrix», dann zeigen sich auffällige Unterschiede. Im Interview wurde zwar die «IT-Organisation und Personalführung» ebenfalls als sehr bedeutend an­gesehen (Online-Umfrage, Top 3). Zusätzlich wurden aber die «Digitale und IT-Strategieentwicklung», das «IT-Value Management & Governance» sowie das «EAM» am stärksten gewichtet. «IT-Innovation» und «Digital Transformation» wurden hingegen eher als Ergebnis der konsequenten Realisierung der anderen Prioritäten gesehen.
Quelle: ZHAW
Eine Interpretation der Unterschiede von Online- Umfrage und geführten Interviews könnten in der durchschnittlich abweichenden Berufserfahrung der Teilnehmer liegen. So hatten rund 40 Prozent der Online-Befragten weniger als 11 Jahre Berufserfahrung, wohingegen Interviewte mindestens 16 Jahren Führungfunktion aufwiesen. Daraus folgt, dass die durchschnittlich jüngeren IT-Meinungs­geber einen stärkeren Bedarf an Kompetenzen in Soft-Faktoren und dem Business-IT-Zusammenspiel sehen. Zudem wurde beim persönlichen Interview das Konzept der «value-based IT-Organisationen» erklärt, was in der Online-Befragung nicht erfolgte. Dieses Konzept basiert auf John P. Kotters Leadership und Management Unterscheidung, das für die IT-Organisation erweitert und auf die heutigen Anforderungen adaptiert wurde. So sind als erfolgreiche IT- und Digitalisierungsorganisation die nahtlose Kombination von personellen und organisatorischen Führungskompetenzen mit zielgerichtetem Technologie- und Datenmanagement essenziell, um intelligente IT-Lösungen zu liefern. Unter diesem Blickwinkel stimmten die interviewten IT-Entscheider durchgängig zu, dass speziell junge IT-Führungskräfte einen umfassenden IT-Handwerkskasten dazu benötigen. Dieser sollte Themen wie adaptive IT-Governance, digitale Strategieentwicklung sowie Methoden der IT-Transformation und Leistungsmessung beinhalten.
Zusammenfassend besteht der Konsens zwischen allen Befragten, dass moderne IT-Führungsansätze für die Mitarbeiterzufriedenheit und den Erfolg der IT-Organisation immer wichtiger werden. Zudem kann der intelligente Einsatz von IT-Lösungen, unter Bezugnahme des klaren Kundennutzens, den Wertbeitrag der IT massgeblich erhöhen. Damit leistet die IT einen wichtigen Beitrag zum «Digital Leadership» und wird ihrer Rolle des Business-Enablers oder sogar -Drivers stärker gerecht.

Weiterbildung zahlt sich aus

Auch die weltweite Dell-Studie «Digital Transformation Index 2018» zeigt mit ihrer Teilanalyse für die Schweiz klar auf, dass Nachholbedarf besteht. Der Anteil der «Digital Leader» ist noch zu gering. Zudem sind rund zwei Drittel der Führungskräfte (64 %) der Meinung, dass die digitale Transformation im gesamten Unternehmen stärker verbreitet sein sollte. Und 43 Prozent wollen IT-Führungskräfte mit Business-Skills und vice versa Business-Führungskräfte mit IT-Skills ausstatten.
Hier bieten Fachhochschulen (FH) den optimalen Mix. Sie gewährleisten nicht nur eine zeitgerechte Ausbildung für junge IT-Talente, sondern auch massgeschneiderte Weiterbildungsangebote für Berufstätige mit angehender oder bereits ausübender IT-Führungsverantwortung. Gemäss der Swiss-IT-Studie von Computerworld vom März dieses Jahres wünschen sich Unternehmen zu 44 Prozent primär FH-Abgänger. Diese sind also im Vergleich zu rund 8 Prozent Universitätsabsolventen sehr begehrt. Damit sind die praxisorientierten Hochschulen zunehmend bedeutend für die Weiterbildung von digitalen und IT-Kompetenzen.

Fazit

In der vorgestellten Studie zum Weiterbildungsbedarf für IT-Manager ist klar ersichtlich: Neben den Techie-Spezialisierungsfächern benötigt es ebenso IT-Generalisten und IT-Führungskräfte-Kompetenzen, um die digitale Trans­formation optimal vorantreiben zu können. Dafür braucht man verstärkt die Outside-in-Sicht auf das Zusammenspiel von IT-Leadership und strategischem Tech-Management. Ersteres stärkt die Soft Skills zur Verbesserung der Selbst- und Fremdsicht und Letzteres ermöglicht eine holistische Perspektive auf die strategischen Möglichkeiten neuer Technologien und Daten für den maximalen Business Impact im Unternehmen und darüber hinaus.
Zögern oder am falschen Ende sparen ist daher die schlechteste Variante des Digital Leadership. Stellt sich die Frage: Was, wenn wir unsere IT-Führungskräfte weiter­bilden und sie dann einfach kündigen? Viel wichtiger wäre aber zu klären: Was, wenn wir es nicht tun und sie versuchen, die IT-Mitarbeitenden und die digitale Transformation in gewohnter Weise weiterzuführen?
Der Autor
Christian Russ
leitet den Studiengang IT-Leadership sowie Tech-Management und verantwortet das Digital Business Leaders Network am Institut für Wirtschaftsinformatik an der Zür­cher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Autor(in) Computerworld Redaktion



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