Suchmaschinengigant
01.06.2015, 13:35 Uhr
Google versus EU: Neuer Druck aus Brüssel
Die Auseinandersetzung zwischen Google und der EU-Kommission geht in eine neue Runde. Jetzt verschärft Brüssel die Gangart - es könnte eng werden für den Suchkonzern.
(Quelle: shutterstock.com/Asif Islam)
Google und die EU (Europäische Union) werden wohl in diesem Leben keine Freunde mehr werden. Seit mehreren Jahren versuchen die Politiker aus Brüssel die dominierende Marktmacht des Konzerns aus Mountain View einzuschränken. Denn: die beherrschende Stellung, die Google inzwischen in der EU innehat, ist so erschreckend, dass selbst stalinistische Machthaber vor Neid erblassen würden: Gerade mal zwei von 100 Suchanfragen, so ergeben die Daten von Statcounter, laufen nicht über Google, sondern über Bing oder Yahoo - verblichene Reste ehemaliger Konkurrenten.
Weitere Wettbewerber im Mobil-Segment sind nur noch ein statistisches Rauschen: Es gibt sie de facto nicht. Beim Desktop sieht die Situation kaum anders aus, hier kommt Google in der EU auf 94 Prozent - eine Zustimmungsquote, die besagten Parteichefs die Tränen in die Augen treiben würde.
Warum Google gerade innerhalb der EU - und hier speziell in Deutschland - so wenig Konkurrenz hat, lässt sich nur schwer erklären. In seinem Heimatland USA hat der Konzern "nur" 74 Prozent Anteil am Suchmaschinenmarkt. In Russland und China rangiert er lediglich unter ferner liefen: Hier heissen die Local Heroes Yandex und Baidu.
Googles Marktanteil ist für die EU-Kommission nicht das Problem
Ein Marktanteil von 98 Prozent ist nur bei hartnäckigen Silicon-Valley-Fans ein Grund für rückhaltslose Begeisterung - die Politik reagiert zunehmend argwöhnisch. Seit 2009 ermittelt die EU-Kommission gegen den kalifornischen Suchgiganten. Google wird unterstellt, seine Marktmacht wettbewerbswidrig auszunutzen.
Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen: Auf den SERPs, den Search Engine Result Pages, steigt der Anteil der von Google verkauften oder vermarkteten Suchergebnisse unaufhaltsam. Je nach Keyword schaffen es, neben Adsense-Schnipseln, One-Boxen und Google-Shopping-Resultaten, nur noch ein oder zwei organische Suchergebnisse auf die erste Seite. Statt Suchergebnissen bietet Google immer häufiger Antworten. Aus der Sicht der Nutzer ist das hoch attraktiv: Wer eine Digitalkamera kaufen möchte, bekommt von Google schon lange nicht mehr eine Liste von Fotoläden präsentiert, sondern konkrete Kaufangebote - komplett mit Foto, Bewertungen und Preis. Für Online-Händler ist Google Shopping eine günstige Möglichkeit, ins Sichtfeld der Suchenden zu kommen - für Preisvergleichsportale hingegen der wirtschaftliche Exitus.
Die Vorwürfe sind nicht neu. Unternehmen wie Tripadvisor, Expedia und Ciao beschweren sich regelmässig über eine ungerechte Behandlung ihrer Angebote. Bereits 2012 listete die US-amerikanische Handelskommission FTC in einem Bericht auf, wie der Suchgigant seine Marktmacht zum Nachteil seiner Wettbewerber einsetzt. Gegenüber Google fordert die EU-Kommission seit Jahren ein hartes Vorgehen. Mehrfach wurde sogar der Begriff der Zerschlagung ins Spiel gebracht. Google in einer Reihe mit Monopolisten wie Standard Oil und Bell System?
Die mögliche Einleitung eines formalen EU-Wettbewerbsverfahrens wollte Google bislang nicht riskieren; in der Vergangenheit gab es mehrfach Bemühungen, dies abzuwenden. Zwischenzeitlich sah es sogar aus, dass die EU-Kommisision den Streit mit Google beenden wolle. Doch der letzte bekannt gewordene Versuch - die Platzierung von Angeboten der Konkurrenz neben den eigenen - datiert vom Februar 2014 scheiterte: Der Kompromiss von Google war für die EU-Kommission zu zahm.
Jetzt scheint die Kommission mit ihrer Geduld am Ende: Am Rand der Hannover-Messe im April kündigte EU-Digitalkommissar Günther Oettinger (CDU) energische Massnahmen an: "Wir müssen die Plattformen, die Suchmaschinen, dazu bringen, gar auch zwingen, dass sie unsere Regeln in Europa beachten."
Dies zeigt sich auch daran, dass Oettinger Google zur Kasse bitten möchte und in diesem Zuge eine Vergütung für geistiges Eigentum fordert, wenn dieses vom Suchmaschinengiganten bezogen und damit gearbeitet wird.
Mitte Mai wurde Google von der EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager schliesslich ein "Statement of Objection" zugestellt, einen formellen Bericht mit den Vorwürfen der EU. Im Fokus der Ermittlungen stehen Google Shopping und das Handy-Betriebssystem Android. Konkret wird Google durch die EU-Kommission vorgeworfen, seinen Preisvergleichsdienst in einer speziellen Box den Nutzern immer sichtbar zu machen, anstatt ihn dem Algorithmus unterzuordnen, mit dem die SERP-Position anderer Angebote berechnet wird.
Dies, so Vestager, habe dazu geführt, dass Google Shopping hohe Zuwachsraten verzeichne. Die Reaktion des Suchgiganten liess nicht lange auf sich warten: In einem Blogpost erklärte Amit Singhal, Chef des Bereichs Suchmaschinen, dass es zahlreiche Konkurrenzangebote gebe, die weit erfolgreicher seien, "darunter Amazon und Ebay, die grössten Shopping-Sites der Welt".
Google sollte EU-Untersuchung ernst nehmen
Doch die Argumentation von Singhal geht am Kern der Vorwürfe vorbei: Nicht Googles Grösse nimmt die EU hier als Grund zum Vorwurf, sondern den Einsatz seiner Marktmacht, um eigene Angebote zu pushen. Dies gilt auch und vor allem für das Handy-Betriebssystem Android. Hier ist ebenfalls weniger der enorme Marktanteil von über 70 Prozent das Problem, sondern die zunehmende Integration eigener Dienste. Google wird seitens der EU-Kommission vorgeworfen, den Handyherstellern scharfe Vorgaben zu machen, mit welchen Apps sie ihre Geräte ausliefern müssen.
Welche Folgen das konkret haben kann, merkten Millionen Nutzer beim Wechsel von der Betriebssystem-Version 4 auf die Version 5, besser bekannt als Kitkat: Um ein Android-Handy sinnvoll nutzen zu können, wird ein Gmail-Konto von Google benötigt. Dafür war auch bisher schon ein Gmail-Client vorinstalliert - und ein anderer Mail-Client, mit dem der Nutzer seine sonstigen Postfächer verwalten konnte. Wer wollte, konnte bislang also die Nutzung von Gmail auf die Fälle beschränken, die tatsächlich mit dem Smartphone zu tun hatten, etwa den Kauf einer App. Das wird seit Kitkat schwerer: Google hat nämlich beide Mail-Clients zu einem zusammengefasst - wer Gmail nicht nutzen möchte, hat es dennoch immer im Blick. Auch der persönliche Assistent Google Now, ein wichtiger Baustein in Googles Wearable-Strategie, liefert derzeit fast ausschliesslich Google-Inhalte aus.
Wie es anders gehen kann, zeigt Apple: Beim Marktstart im April gab es für die Apple Watch bereits über 1.000 Apps, entwickelt von Unternehmen rund um den Erdball. Auch wenn Google angesichts der EU-Untersuchungen nach aussen Gelassenheit demonstriert - auf die leichte Schulter dürfte man diese nicht nehmen, vermutet Michael Carrier, Jura-Professor an der Rutgers School of Law in New Jersey in einem Interview mit dem "Wall Street Journal": "Sehr viele Länder beobachten Google genau, weil das Unternehmen so gross und erfolgreich ist. Mit dem Erfolg kommt der prüfende Blick."
Für den Internet-Unternehmer Ibrahim Evsan, der unter anderem mit dem Video-Portal Sevenload einen Versuch startete, eine Konkurrenz zu Youtube aufzubauen, hat das Quasi-Monopol von Google auch seine guten Seiten: "Wenn es Google nicht gäbe, wäre Suchmaschinenoptimierung viel aufwendiger, weil man auf jede Suchmaschine anders optimieren müsste. Das Google-Monopol macht SEOs die Arbeit leichter." Für Evsan ist die Dominanz der US-Konzerne im Netz die Folge verfehlter EU-Politik.
Journalistik-Professor Jeff Jarvis, der in Deutschland mit seinem Buch "Was würde Google tun" bekannt wurde, beklagt hingegen europäischen Protektionismus. Dem österreichischen Nachrichtenmagazin "Profil" sagte er: "Das höre ich in Europa ständig: Google ist zu gross. Aber was heisst das? Und wer hat Google grossgemacht? Die Europäer!"
Jarvis vermutet in den EU-Untersuchungen ein Einknicken der Kommission vor den Interessen deutscher Medienunternehmen, allen voran Axel Springer. Das grösste Medienhaus Europas wird nicht müde, von Google eine Kompensation für die Inhalte zu fordern, auf denen die Relevanz der Suchmaschine aufbaut.
Durch massive Lobbyarbeit war es Springer gelungen, 2013 das Leistungsschutzrecht durchzusetzen. Damit war zumindest im Prinzip festgeschrieben, dass Content-Anbieter einen Anspruch auf Vergütung ihrer Inhalte haben, wenn Aggregatoren wie Google sie nutzen.
Um dieses Ziel zu erreichen, haben bereits mehrere deutsche Verlage Beschwerde beim Bundeskartellamt eingereicht und verlangen Geld für Inhalte, die Google verwendet.
Auch Google hat einiges zu verlieren
Als Vorbild dienen Springer dabei Verwertungsgesellschaften wie die Gema und die VG Wort. Sie ziehen bereits seit Jahrzehnten Gebühren von Herstellern ein, die zum Beispiel Fotokopierer, CD-Brenner und Speichersticks herstellen - und verteilen die Gelder an ihre Mitglieder. Mit den Verwertungsgesellschaften steht Google auf Kriegsfuss - seit Langem treten die Verhandlungen mit der Gema über die Abgeltung von Gema-geschütztem Material auf Youtube auf der Stelle. Google reagierte auf das Leistungsschutzrecht umgehend: Es forderte von allen Medien, deren Nachrichten in Google News indexiert werden, eine Freistellungserklärung. Springer verweigerte sich - und registrierte daraufhin nach eigenen Angaben Traffic-Einbussen von bis zu 80 Prozent auf einzelnen Verlagsangeboten. Für Springer-Chef Mathias Döpfner ein Beleg für die marktbeherrschende Stellung Googles - dies möchte er im Verlauf des Verfahrens zwischen Google und der EU als Munition einsetzen.
Der Suchmaschinengigant versucht derweil, Freunde zu gewinnen. 150 Millionen Euro investiert er derzeit in die europäische Digital News Initiative, mit der Online-Projekte von Medienhäusern unterstützt werden. Zu den deutschen Mitgliedern zählen alle grossen Verlage - bis auf Springer: Angesichts der riesigen Google-Gewinne empfindet Döpfner den aufgelegten Fonds als zu mickerig: "Grants nehmen wir nicht an."
Nicht nur für die Europäer geht es in diesem Spiel um viel Geld, auch Google hat einiges zu verlieren. Wenn die förmliche Untersuchung der Kommission zu ähnlichen Ergebnissen kommt wie die US-Handelskommission FTC im Jahr 2012, dann könnte Google von der EU Verhaltensmassregeln im europäischen Raum aufgezwungen bekommen. Wie wirkungsvoll die im Einzelnen sein werden, muss sich erweisen.
Microsoft wurde vor zehn Jahren von der EU-Kommission beispielsweise dazu gezwungen, sein Betriebssystem Windows XP ohne Mediaplayer und mit einer Wahlmöglichkeit für verschiedene Browser auszuliefern, um Wettbewerbern einen besseren Zugang zum Markt zu bieten. Inzwischen kommt der meistverwendete Browser weltweit von Google und heisst Chrome. Noch schmerzhafter wären Wettbewerbsstrafen, sie können bis zu zehn Prozent des Jahresgewinns eines Unternehmens betragen. Auf bis zu 6,6 Milliarden Euro könnte der Bussgeldbescheid, den Google von der EU ausgestellt bekommt, nach Schätzungen von Experten lauten - falls Google nicht vorher weitreichende Zugeständnisse macht oder Kommissarin Vestager einknickt.
Doch die 47-jährige Dänin, Mitglied der sozialliberalen Partei "Det Radikale Venstre" gilt als hartleibiger als ihr Vorgänger Joaquin Almunia. Zwar betont sie, ihre Behörde wende nur geltendes Kartellrecht an, aber eines ist ihr wichtig: "Wer im europäischen Markt aktiv sein will, muss sich auch an das europäische Wettbewerbsrecht halten."