Kommentar
11.04.2016, 16:30 Uhr
Google Entwicklungszentrum München: Zu viel des Lobes
Google hat am Freitag sein neues Entwicklungszentrum in München eröffnet - mit einer Neid-erregenden Pressetour und zu langen Lobeshymnen. Produkte und Innovationen verkamen da zum blossen Nebendarsteller.
So ungefähr muss sich Mae Holland gefühlt haben, als sie zum ersten Mal die Büroräume ihres neuen Arbeitgebers in Dave Eggers Roman "The Circle" gesehen hat: Modern und durch-designt wohin das Auge blickt. Fitnessstudio - mit Coach der Firma, die auch die DFB-Elf fit hält, drei tägliche Mahlzeiten in zwei Kantinen, ein hauseigenes Café mit Barristas, überall Obst, Snacks und Kaffee, Massage-Räume, wunderschöne Dachterrasse. Einen solchen augenscheinlichen Arbeitnehmer-Traum bietet das neue Google-Entwicklungszentrum in München, das am Freitag offiziell eröffnet wurde.
Diesen Traum sollen in der bayerischen Landeshauptstadt bald bis zu 800 "Googler" leben können. Aktuell liefert sich das neue Zentrum mit 400 Mitarbeitern ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der 500-Köpfe starken Deutschland-Zentrale in Hamburg. Nahe der Hackerbrücke, oder wie die Google-Entwickler sie stolz nennen "Hacker-Bridge", werden hautsächlich Datenschutz-Anwendungen für User, Features für den Browser Chrome und hauseigene Tools für Programmierer entwickelt - und das teilweise für die gesamte Google-Welt.
Sundar Pichai war mit Video-Botschaft dabei
Wenn der amerikanische Tech-Riese ruft, kommt natürlich die Münchner Polit-, Wirtschafts- und Techprominenz. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU), Google-Deutschlandchef Philipp Justus und MP3-Erfinder Karlheinz Brandenburg waren vor Ort, Google-CEO Sundar Pichai war mit einer Video-Botschaft dabei.
Auch der Presseandrang war enorm und zwar so, dass aus eigentlich einer geplanten Pressetour zwei wurden. Dicht an dicht gedrängt bekamen die Journalisten dann einen Propaganda-Rundgang par Ecxellence. Die Learnings: Google ist nicht nur der beste Arbeitgeber mit den besten Mitarbeiter-Services und grandiosem Gehalt. Sondern auch ökologisch verantwortungsvoll (die Toiletten werden mit Regenwasser gespeist, der Strom ist Öko, die Glühbirnen wurden durch LEDs ersetzt, das Essen in der Kantine ist regional und bio), sozial engagiert (Digitalisierungs-Workshops für KMUs, 25.000 gespendete Laptops an Flüchtlinge) und Kultur fördernd (Digitalisierung des Katalogs vom deutschen Museum).
Bei den teilnehmenden Journalisten bewirkte die Tour genau das, was sie sollte: Gesichter, die grün vor Neid wurden, ob der scheinbar perfekten Arbeitsbedingungen. Dass diese Massnahmen natürlich kein purer Altruismus sind und bewirken sollen, dass die Mitarbeiter eigentlich gar keinen Grund mehr haben sollen, nach Hause zu gehen, wird da auf den ersten Blick gerne mal übersehen. Das sektenähnliche Brainwashing auch.
Philipp Justus betonte Partnerschaft mit Deutschland
Wie das wirkt, konnte bei der anschliessenden offiziellen Eröffnung unter anderem Philipp Justus, Vice-President Google-Deutschland und Zentraleuropa beweisen und die andauernde Google-Lobeshymne weitersingen. Der Höhepunkt des Pathos: Dürfte er sich heute einen Lieblingsbuchstaben aussuchen, wäre das nicht nur ein "G" für Google, sondern auch ein "P" für Partner. Denn man sieht sich in erster Linie als Partner von Deutschland. Dass der Tech-Riese seit Jahren in der Kritik steht, seinen "Partnern" so gut wie keine Steuern zu zahlen, erwähnte niemand.
Auch Münchens Oberbürgermeister und Bayerns Wirtschaftsministerin fanden in den obligatorischen Politiker-Reden nur lobende Worte: Darüber wie innovativ und gleichzeitig traditionell München ist (laut Aigner der USP der bayerischen Landeshauptstadt), wie sehr die Wirtschaft floriert, wie München immer mehr zum Technologiestandort wird und wie sehr Googles Präsenz das als "weiteres Aushängeschild" unterstützt. Reiter offenbarte dann auch noch, wie tief die Lücke in seinem Wissen über Digitalwirtschaft klafft: Der OB betonte, wie wichtig ihm die Wahrung der Privatsphäre der User bei Internet-Unternehmen sei - und das wäre ja bei Google der Fall.
Schade, dass bei all der Selbstbeweihräucherung kein Platz mehr blieb, das zu betonen, worauf sich Google wirklich etwas einbilden kann: technologische Innovation, die kaum ein anderes Unternehmen zu bieten hat. Einzig in einem Raum stellten einige Entwickler den wenigen Gästen, die sich dorthin verirrten spannende Projekte vor wie virtuelle Rundgänge durch Museen auf der Cardboard, eine digitalisierte Oper in 360-Grad-Ansicht oder einen Rucksack, der Räume für solche Projekte digital vermessen kann. Sogar das für Google München gebraute Bier gBräu mit amerikanischem Hopfen stand mehr im Vordergund als die Produkte, die hier künftig entstehen sollten. Die verkamen zum blossen Nebendarsteller.