Quantencomputer 12.04.2017, 10:52 Uhr

Quantensprung im Super-Computing

Quantencomputer sind keine Science-Fiction mehr, sondern stehen vor der Praxisreife. com! professional zeigt, welche Möglichkeiten aber auch Probleme sich aus der Technologie ergeben.
(Quelle: Foto: D-Wave)
Big-Data-Analysen, Kryptografie oder das Internet der Dinge (IoT) – der Bedarf an massiver Rechenleistung wächst explosionsartig. Konventionelle Computer halten mit diesen steigenden Anforderungen längst nicht mehr Schritt. Selbst das High-Performance-Computing mit den stärksten Rechnern unserer Tage, den Supercomputern, stösst an physikalisch bedingte Grenzen.
IBM Q: So sieht das Innere eines Quantencomputers aus.
Abhilfe schaffen sollen sogenannte Quantencomputer. Lange Zeit nur ein theoretisches Konzept, haben sie mittlerweile Praxisreife erreicht. Staaten wie die USA und China liefern sich derzeit ein Wettrennen in der Entwicklung der Quantencomputer. Und auch die Europäische Union hat kürzlich ein Milliardenprogramm aufgelegt, um auf diesem Feld nicht ins Hintertreffen zu geraten.

Die Grenzen des Siliziums

Seit Erfindung integrierter Schaltkreise für konventionelle Chips auf Silizium-Basis galt das Moore’sche Gesetz als die Richtschnur der Branche. Diese Faustregel besagt, dass sich die Anzahl von Transistoren in einem Schaltkreis bei gleichbleibenden Fertigungskosten ungefähr alle zwei Jahre verdoppelt. Hinzu kommt Dennards Gesetz, demzufolge die Verkleinerung des grundlegenden Bauelements in einem solchen Schaltkreis mit einer niedrigeren Stromspannung einhergeht und sich daher bei gleichbleibendem Stromverbrauch eine höhere Taktfrequenz erzielen lässt. Obwohl die Transistoren vorerst noch schrumpfen, ist das Ende der Fahnenstange bereits in Sicht. Von heute 12 bis 14 Nanometer (nm) sollen sie bis 2022 auf 0,2 nm schrumpfen. Kleiner geht’s nicht.
“„Wer sich für die digitale Evolution begeistert hat, wird die Quanten­revolution lieben.“„
Thierry Breton
Vorsitzender und CEO
von Atos
https://de.atos.net
Die gegenüber PCs und Servern drastisch gesteigerte Rechen-Power der High-Per­formance-Rechner wiederum kommt im Wesentlichen zustande, weil einfach Tausende Prozessoren kombiniert werden. In  der aktuellen Nummer eins der Supercomputer, dem chinesischen Sunway TaihuLight, arbeiten zum Beispiel 40.960 Prozessoren, die 93 Petaflops (Billiarden Berechnungen pro Sekunde) schaffen. Aber der Trick, immer mehr CPUs zu nehmen, bringt irgendwann nichts mehr oder wird mit Nebenwirkungen wie einem extrem hohen Energieverbrauch erkauft. Der Sunway TaihuLight ist zwar dreimal energieeffizienter als sein Vorgänger, verbraucht unter Volllast aber immer noch 15,37 Megawatt, ungefähr so viel wie 1000 Haushalte.

Die Physik der Quantenrechner

Auf der Suche nach Alternativen zur herkömmlichen Technik haben die IT-Firmen die Quantenphysik entdeckt. Dieser Zweig der Physik beschäftigt sich vor allem mit subatomaren Eigenschaften und Effekten. Gelingt es, diese Effekte für Rechenoperationen in Computern zu nutzen, lässt sich die Rechenkraft dramatisch erhöhen. Die Quantencomputer rechnen nämlich mit sogenannten Quantenbits (Qubits) anstelle von gewöhnlichen Bits. Die Qubits können beliebige Werte zwischen 0 und 1 annehmen, im Unterschied zur konventionellen Elektronik, die nur mit den beiden Werten 0 und 1 hantieren kann. Grundlagen der Qubits ist der physikalische Effekt, dass sich quantenmechanische Wellen ähnlich wie Wasserwellen überlagern können (quantum superposition).
Ein weiterer wichtiger Quanteneffekt ist die Verschränkung zweier Teilchen: Damit ist gemeint, dass sich Teilchenpaare erzeugen lassen, bei denen die Messung eines Teilchens die Eigenschaft des anderen Teilchens festlegt, obwohl die beiden weit voneinander entfernt sind und keine Signale zwischen ihnen ausgetauscht werden.

Quantenrechner bald praxisreif

Kritisch: Der Kühler des Quantencomputers von D-Wave muss eine Kühltemperatur von maximal minus 273,135 Grad Celsius gewährleisten.
Quelle: D-Wave Inc.
Erste Ideen für Quantencomputer stammen aus den 60er-Jahren vom Physiknobelpreisträger Richard Feynman. Lange Zeit kamen sie über theoretische Konzepte nicht hinaus. In den letzten Jahren hat sich aber sehr viel getan und erste Quantencomputer sind tatsächlich schon im Praxiseinsatz.
Google und D-Wave: Der erste kommerzielle Quantencomputer, der D-Wave des gleichnamigen kanadischen Herstellers, erblickte 2007 das Licht der Welt. Knapp sieben Jahre später legte sich Google für 10 Millionen Dollar den D-Wave 2X Quantum Computer mit stolzen 512 Qubits Leistung zu, um die Erkennung von Bildern und menschlicher Sprache zu parallelisieren. Inzwischen hat Google die Leistung durch einen Austausch der Prozessoreinheit auf 1000 Qubits aufgestockt und zusätzliche Systeme angeschafft. Eines dieser Technologiewunder betreibt der Suchriese zusammen mit der NASA.
Welch breites Potenzial man bei Goo­gle dem Quantencomputer zumisst, erklärt Ryan Babbush, Quantum Software Engineer bei Google: „Quanten-Computing könnte das Design von Solarzellen, Industriekatalysatoren, Batterien, flexiblen Schaltkreisen, Medikamenten, Materialien und vielem anderen revolutionieren.“
Volkswagen und D-Wave: Als erster Autokonzern hat soeben Volkswagen ein Quantencomputer-Programm gestartet. Dafür hat er sich mit D-Wave als strategischem Partner zusammengetan. Für Martin Hofmann, CIO des Volkswagen-Konzerns, ist die Zusammenarbeit mit D-Wave nichts Geringeres als „ein Meilenstein auf dem Weg in die digitale Zukunft unseres Unternehmens“.
Als erstes Ergebnis der Kooperation wurde auf der CeBIT ein Forschungsprojekt zur Verkehrsflussoptimierung demonstriert. IT-Experten der Volkswagen Labs aus San Francisco und München haben dafür auf dem neuesten D-Wave-2000Q-Quantencomputer mit 2048 Qubits ein Smart-Mobility-Programm entwickelt, für das Daten von rund 10.000 Taxis aus Peking verwendet wurden, um deren Fahrzeit zu optimieren.
Im Rahmen der Kooperation erproben Experten aus den IT-Labs von Volkswagen die Programmierung von Applikationen und Algorithmen auf einem Quantencomputer von D-Wave Systems, um Fachwissen aufzubauen und unternehmerisch sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten der Quantencomputer-Technologie zu entwickeln.
IBM Q: Bereits seit rund 35 Jahren engagiert sich IBM auf dem Feld der Quantencomputer. Nun geht der Konzern einen entscheidenden Schritt: Er hat jüngst die Entwicklung des ersten universell einsetzbaren, kommerziell verfügbaren Quantencomputers für Unternehmen und Wissenschaft angekündigt – IBM Q genannt. Zunächst sollen IBM-Q-Systeme mit 50 Qubits entwickelt werden, um die Überlegenheit dieses Ansatzes gegenüber klassischen Computern zu demonstrieren. Verfügbar gemacht werden IBM Q und zugehörende Services über die IBM-Cloud. Sie sollen Lösungen für Aufgaben und Simulationen liefern, etwa auf molekularer Ebene in der Chemie, an denen klassische IT-Systeme scheitern und die auch KI-Systeme wie IBMs Watson überfordern.
Volkswagen Code Lab San Francisco: IT-Experten arbeiten daran, mit Hilfe eines Quantencomputers von D-Wave den Taxiverkehr in Peking zu optimieren.
Darüber hinaus hat IBM zwei grosse Erweiterungen des IBM Quantum Experience angekündigt, eines seit 2016 über die IBM-Cloud angebotenen Zugangs zu einem 5-Qubits-Quantencomputer im IBM-Watson-Forschungszentrum im US-Bundesstaat New York. Nutzer können darüber Algorithmen ausprobieren, mit einzelnen Qubits arbeiten oder sich mit Tutorials und Simulationen weiterbilden.
Neu ist nun zum einen, dass APIs es noch in der ersten Hälfte dieses Jahres Entwicklern ohne grosses Know-how zu Quantencomputern ermöglichen sollen, klassische IT-Systeme mit cloudbasierten Quantencomputern zu verknüpfen. Die APIs werden auf GitHub veröffentlicht. Zum anderen soll ein erweiterter Simulator ein System von bis zu 20 Qubits simulieren.
Für die nächsten Monate angekündigt ist zudem ein Software Development Kit (SDK), das es erlaubt, einfache Quanten-Anwendungen und Software-Programme zu bauen.
Atos Quantum: Etwas Ähnliches wie IBM beabsichtigt Atos, ein internationaler Anbieter digitaler Services, mit Atos Quantum, dem „ersten Programm für Quantenrechner in Europa“. Es soll sich auf die industrielle Integration konzentrieren und besteht aus vier Teilbereichen:
  • einer Quantensimulationsplattform, die es Wissenschaftlern ermöglicht, Algorithmen und Software für künftige Quantencomputer zu testen
  • einem Cluster für Algorithmen-Entwicklung und Programmierung, um ein Portfolio von Quantenanwendungen zu schaffen, insbesondere für Big Data, KI, Supercomputing und Cyber-Security
  • innovativen Rechnerarchitekturen
  • quantensicheren kryptografischen Algorithmen

Konkrete Anwendungen für Quantencomputer

Noch bieten Quantencomputer zwar bei Weitem nicht die Vielseitigkeit konventioneller Prozessoren. Dank ihrer massiven Parallelisierbarkeit und der Fähigkeit, Berechnungen von enormer Komplexität zu meistern, können Quantenchips aber bereits heute in Anwendungsfeldern mit äusserst anspruchsvollen, hoch spezialisierten Rechenoperationen auftrumpfen.
Vorteilhaft wirkt sich dabei nicht zuletzt ihre extreme Energieeffizienz aus. Der Kühler eines D-Wave-2000Q-Systems zum Beispiel verbraucht mit 25 Kilowatt nur ungefähr ein Hundertstel dessen, was ein herkömmlicher Supercomputer benötigt. Und die Quanten-Prozessoreinheit begnügt sich mit einem Bruchteil eines Mikrowatts (μW). Da die meiste Energie in einem Quantencomputer für die Kühlung verwendet wird, bleibt deshalb bei steigender Performance der Stromverbrauch nahezu konstant.
So versprechen sich die Unternehmen, die sich mit Quantencomputern beschäftigen, auf vielen Anwendungsfeldern enorme Vorteile von dieser Technik:
Big Data Analytics: Quantencomputer analysieren massive heterogene Datenbestände und Datenströme – in Echtzeit.
Maschinelles Lernen: Quantencomputer lernen anhand grosser Mengen historischer Daten, neue Problemstellungen eigenständig zu lösen.
Optimierungen: Bei extrem vielen und komplexen Alternativen wählen Quantencomputer die beste Lösung.
Auf Basis dieser Fähigkeiten sollen Quantencomputer unter anderem bei Klimaforschung, Wettervorhersagen, Gesichts- und Sprach­erkennung, industriellen Simulationen, Materialforschung oder Bitcoin-Mining eingesetzt werden.

Sonderfall Cyber-Sicherheit

Für die Datensicherheit ist Quanten-Computing Fluch und Segen zugleich. Zum einen bedrohen die Rechenkapazitäten von Quantencomputern existierende Kryptografieverfahren, weil sich gängige Public-Key-Verschlüsselungsverfahren wie RSA oder Diffie Hellman durch Brute-Force-Attacken knacken lassen. Diese Gefahr ist so real, dass Google bereits eine neue Verschlüsselungstechnologie testet, um die Nutzer seines Browsers Chrome vor solchen Angriffen zu schützen.
Auf der anderen Seite bietet die erwähnte Teilchen-Verschränkung neue Möglichkeiten für eine sichere Verteilung von Schlüsseln. Damit kann der Gefahr begegnet werden, dass die bei aktuellen Verschlüsselungstechniken verwendeten Einmalschlüssel abgehört werden. Denn sobald ein Quantenkanal abgehört wird, fällt das auf, da der Lauscher durch seine Aktion die gesendeten Daten beeinflusst. Die Kommunikationspartner werden gewarnt und können die Schlüssel verwerfen. Die verschlüsselte Information ist weiterhin sicher.

Fazit

Thierry Breton, der CEO von Atos, kommt regelrecht ins Schwärmen, wenn er das Potenzial des Quanten-Computings beschreibt: „Die (…) Quantenrevolution wird die Geschäftsaktivitäten unserer Kunden, sei es in der Medizin, in der Landwirtschaft, im Finanzwesen oder in der Industrie, von Grund auf verändern. Wir stehen vor einem kollektiven menschlichen und technologischen Abenteuer. Wer sich für die digitale Evolution begeistert hat, der wird die Quantenrevolution lieben.“




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