Blockchain-Versprechen: Decentralized Finance

Risiken und Illusionen

Zu den Gefahren der «Blockchainerisierung» zählen die Überschuldung von Unternehmen und das Verwässern von Eigentumsrechten. Zudem besteht das Risiko, dass Wirtschaftsakteure die Kontrolle über ihr Handeln verlieren. Der vollständig tokenisierte Mittelstand wäre dann nur eine Krise, nur einen Bug im Konsensprotokoll und einen Implementierungsfehler von der Enteignung entfernt.
Mit der wachsenden Verbreitung von DeFi-Lösungen nehmen auch steuerliche Fragestellungen an Relevanz zu. Während sich die Unternehmen von der Blockchainerisierung der Zahlungsabwicklung geringere steuerlich bedingte Verwaltungskosten erhoffen, reibt sich der Fiskus schon mal die Hände in Vorfreude auf neue Abgaben.
DeFi-Aktiva: Das monatliche Handelsvolumen an dezentralisierten Marktplätzen bricht seit Beginn der Corona-Krise alle Rekorde.
Quelle: www.theblockcrypto.com
Der Gesetzentwurf zur Modernisierung des deutschen Wertpapierrechts und des dazugehörigen Aufsichtsrechts (elektronisches Wertpapiergesetz, eWpG) vom 10. August 2020 avisiert zum Beispiel die Schaffung eines elektronischen Registers auf Blockchain-Basis als Ersatz für die Papierurkunde mit dem Ziel, «Transparenz, Marktinte­grität und den Anlegerschutz» zu verbessern. Darin enthalten ist auch bereits eine Verordnungsermächtigung für die verwendeten Steuerungsverfahren und Steuerungsmassnahmen, die nicht der Zustimmung durch den Bundesrat bedarf (§ 23 Verordnungsermächtigung in Bezug auf Kryptowertpapierregister, Absatz 1, Punkt 14). Die Verwahrung von Krypto-Assets ist eine lizenzpflichtige Finanzdienstleistung und benötigt eine Genehmigung der Bafin. 
Die dezentralisierte Natur von DeFi könnte sich deshalb in der Tat als Illusion entpuppen. Denn die Rolle eines Intermediärs verschwindet nicht; seine Aufgaben übernimmt stattdessen eine Technologieplattform, die weitgehend ohne menschliches Zutun auskommt. Darin liegen theoretisch viele Vorteile. DeFi-Lösungen senken die Transaktionskosten und erhöhen die Granularität von Interaktionen der beteiligten Akteure. Dadurch können diese zusätzliche Liquidität in Umlauf bringen und neues Wachstum schaffen. Decentralized Finance verspricht ausserdem eine höhere Transparenz und damit eine höhere finanzielle Sicherheit und soll so die Entstehung eines stärker integrierten Wirtschaftssystems fördern. Technisch ist das sicherlich machbar. Ob sich diese Ziele tatsächlich verwirklichen lassen, könnte vom regulatorischen Rahmenwerk abhängen.Die von vielen erhoffte Entkopplung der DeFi-Märkte von konventionellen Finanzmärkten hat sich bisher jedenfalls nicht realisiert. Am 12. März, inmitten der Corona-Krise, «tankten» die Krypto-Märkte im Gleichschritt mit den Aktienmärkten - beide brachen um fast 40 Prozent ein.
Ein Grossteil der Blockchain-Rhetorik positioniere die Technologie als einen «sicheren Hafen gegenüber der vermeintlichen Misswirtschaft des traditionellen Finanzwesens» durch die führenden Banken, Grosskonzerne und Regierungen, beobachten die Alethio-Analysten Everett Muzzy, Bogdan Gheorghe und Danning Sui in einem aktuellen Bericht zu DeFi. Der «schwarze Donnerstag» am 12. März habe aber «ziemlich deutlich gemachtv, dass Krypto-Enthusiasten vorerst einsehen müssten, dass eine Wechselbeziehung mit traditionellen Märkten - zumindest bisher - durchaus gegeben sei und entsprechend adressiert werden müsse.
Auf der anderen Seite betont das Alethio-Papier aber auch die Vorteile der Datentransparenz, die mit DeFi einhergingen: Sie ermögliche es sowohl den Marktteilnehmern als auch aussenstehenden Forschern und Software-Entwicklern, die Ursachen des Versagens der DeFi-Märkte unabhängig voneinander zu überprüfen. Anstatt den Ergebnissen von Analysen einiger handverlesener Institutionen mit privilegiertem Zugang zu zentralen Informationsquellen vertrauen zu müssen, habe die DeFi-Gemeinde als Ganzes die Stresspunkte ihres offenen Finanzsektors selbst untersuchen können, um ihn «gemeinsam auf ein stärkeres Fundament» zu stellen.




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