Finanzbranche im Wandel
16.10.2020, 09:07 Uhr
Blockchain-Versprechen: Decentralized Finance
Mit Blockchain-basierten Konzepten verlässt die Finanzbranche ausgetretene Pfade. Die Sprache ist von Dezentralisierung, Zensurfreiheit sowie niedrigen und transparenten Kosten.
Eine Folge der weltweiten Corona-Krise ist eine wachsende Bereitschaft, ausgetretene Pfade zu verlassen. Diese Beobachtung gilt auch und gerade für Finanzdienstleistungen. Dabei fällt auf: Während sich althergebrachte Finanzinstitute hinsichtlich ihres bisher durchaus vorbildlichen Krisenmanagements noch auf die Schulter klopfen, hoffen insbesondere die Pioniere der Fintech-Szene darauf, einen grossen Teil des sich anbahnenden neuen Geschäftsvolumens an sich ziehen zu können.
Denn auf einmal stossen viele zuvor kontroverse Innovationen auch bei den Regulierungsbehörden auf Interesse oder gar wohlwollende Zustimmung - nicht zuletzt die Blockchain, eine Technologie, die die grossen Erwartungen, mit denen sie befrachtet ist, bisher nur begrenzt einlösen konnte.
Transparenz für Vertrauen
Die Blockchain- oder Distributed-Ledger-Technologie (DLT) als Instrument der Vertrauensbildung zwischen Handelspartnern ist nichts grundlegend Neues mehr. Doch zu einem Zeitpunkt, wo auch das Bankenwesen händeringend nach Denkanstössen sucht, kommt innovationsfreudigen Akteuren eine Bewegung wie gerufen, für die das Kürzel DeFi steht. Gemeint ist ein auf der Blockchain basierendes dezentrales Finanzwesen ohne (institutionelle) Intermediäre - Decentralized Finance.
Schon jetzt fliessen riesige Investitionssummen in kleine, skurrile Start-ups, die das sprichwörtliche Eisen schmieden wollen, solange es heiss ist. Doch auch die grossen IT-Konzerne entwickeln eigene Blockchain-Technologien. IBM beschäftigt weltweit rund 2000 Mitarbeiter damit. Insgesamt hat das DeFi-Ökosystem 2020 einen enormen Sprung nach vorne gemacht. Laut DeFi Pulse, einem Anbieter von Analytik-Services für die DeFi-Community, ist das in DeFi-Anwendungen investierte Vermögen zwischen Ende Dezember 2019 und Mitte September 2020 um über 1180 Prozent oder 7,964 Milliarden Dollar gestiegen.
Neue Geschäftsmodelle mit disruptivem Potenzial machen von sich reden (siehe Kasten «Beispiele»). Fast neun von zehn Finanzinstituten (88 Prozent) fürchten inzwischen um ihr Geschäft, schätzen die Analysten von PwC. Konventionelle Banken könnten ihrem Betriebsmodell nicht die nötige Skalierbarkeit entlocken, da sie viel zu stark von menschlichen Kompetenzen und eingeschliffenen Prozessen abhängig seien. Im Gegensatz dazu, so PwC, setzten die Anbieter von DeFi-Dienstleistungen auf Blockchain-Protokolle wie Aave, Maker oder Synthetix, die ihre Arbeit - automatisch hochskalierbar - ohne menschliches Zutun verrichteten.
“Decentralized Finance hat enormes disruptives Potenzial. „
Patrick Hansen, Bereichsleiter Blockchain beim Bitkom
Der entscheidende Unterschied zum bestehenden Finanzsystem ist die vollständige Transparenz über jede einzelne Transaktion, betont Julian Grigo, Leiter Digital Banking & Financial Services beim deutschen Digitalverband Bitkom. Sein Kollege Patrick Hansen, Bitkom-Bereichsleiter Blockchain, beschreibt das Konzept vom DeFi so: «Decentralized Finance ist kein konkretes einzelnes Projekt, sondern der Oberbegriff für eine Vielzahl von Ideen und Projekten, die ein neues dezentrales, transparentes und dadurch vertrauenswürdiges Finanzsystem aufbauen wollen.»
Er fordert zugleich eine realistische Einschätzung des gegenwärtigen Reifegrads der DeFi-Technologie, wenn er sagt: «Decentralized Finance hat enormes disruptives Potenzial und wächst gerade rasant, steckt aber insgesamt noch in den Kinderschuhen - für eine Reihe von technischen, wirtschaftlichen und regulatorischen Fragen müssen noch passende Antworten gefunden werden.» Um eine breite und sachliche Debatte zu ermöglichen, hat Bitkom kürzlich das Infopapier «Decentralized Finance - A new Fintech Revolution?» veröffentlicht.
Der weltweite Konjunktureinbruch scheint die DeFi-Szene jedenfalls bislang nicht zu bremsen, sondern eher zu beflügeln. Das globale Handelsvolumen an DeFi-Marktplätzen (Decentralized Exchanges, DEX) bricht seit Beginn der Corona-Krise alle Rekorde. Im Juli 2020 stieg der Umsatz auf 4,3 Milliarden Dollar, ein Zuwachs um mehr als das Zwölffache gegenüber dem Vergleichsmonat des Vorjahres.
Das Vermögen im DeFi-Markt - gemessen am Wert der Kryptowährung Ethereum (ETH) und der zugehörigen ERC-20-Token - erreichte laut Alethio Analytics im ersten Quartal 2020 einen Gesamtwert von 1 Milliarde Dollar. Zum Hintergrund: DeFi-Anwendungen erfordern üblicherweise das Hinterlegen einer Sicherheit in Form von Krypto-Token der jeweiligen DeFi-Plattform; ein wachsendes Handelsvolumen bestätigt daher generell steigendes Interesse an DeFi-Lösungen. Auch der explodierende Web-Traffic führender DeFi-Projekte scheint diesen Zusammenhang zu bestätigen.
Viel Potenzial, wenig Konkretes
Im konventionellen Finanzsektor in Deutschland sei ein «positives Stimmungsbild» hinsichtlich des Potenzials der Blockchain zu erkennen, beobachtet der unter PwC-Deutschland-Director Thomas Schönfeld erstellte Studienbericht «Blockchain in Financial Services 2020». Für den Report wurden 302 Entscheider aus dem traditionellen Finanzsektor befragt, darunter Banken, Versicherungen und Vermögensmanager. Die Datenerhebung dafür erfolgte noch vor der Covid-19-Krise Ende 2019.
Eine zentrale Aussage der Studie lautet: Drei von vier Befragten (75 Prozent) sehen die Blockchain-Technologie als relevant an. Die Blockchain-Aktivitäten ihrer eigenen Unternehmen halten sich bislang jedoch noch in engen Grenzen. Nur 22 Prozent der Finanzdienstleister setzten sich schon konkret mit Blockchain-Technologien auseinander.
Schuld sein an dieser Zurückhaltung sollen vor allem fehlende Budgets. 97 Prozent der befragten Organisationen haben für Blockchain-Initiativen weniger als 100'000 Euro pro Jahr und damit «keinen signifikanten Budgetrahmen» zur Verfügung. Noch erstaunlicher: Mehr als jedes vierte Unternehmen hat maximal 10'000 Euro dafür eingeplant. Und sogar nur neun Organisationen (3 Prozent) können zur Finanzierung ihrer DLT-Initiativen aus einem sechsstelligen Verfügungsrahmen schöpfen; dabei handelt es sich um Finanzdienstleister mit über 500 Mitarbeitern.
Weitere Erkenntnis des Berichts: Während das Potenzial der Blockchain weiterhin überzeugt, ist der Hype um Kryptowährungen verpufft. 79 Prozent der Befragten sehen Kryptowährungen als «gar nicht relevant» an. Keinem der grossen und bekannten Coins (Bitcoin, Ethereum, Ripple, Neo, IOTA, Bitcoin Cash) konnten sie etwas abgewinnen.
Die Studie bestätigt dagegen «die Beständigkeit der klassischen Anwendungsfälle» von Blockchains. Deutsche Finanzdienstleister setzen demnach langfristig vor allem auf Anwendungen im Umfeld von Informationssicherheit (60 Prozent), Auditing und Datenintegrität (42 Prozent) und Peer-to-Peer-Bezahlsystemen (31 Prozent). Als grösstes Hindernis für mehr Blockchain-Anwendungen nannten die Befragten in erster Linie die niedrige Transaktionsgeschwindigkeit im Vergleich zu anderen Zahlungsmethoden wie etwa Kreditkarten.
Über die Hälfte der Befragten (54 Prozent) sehen fehlende regulatorische Voraussetzungen als entscheidende Show-Stopper. Die PwC-Analysten aber sagen: Fehlende Regulatorik sei «keine Ausrede für Untätigkeit mehr». Auch hätten sich Befürchtungen hinsichtlich der Auswirkungen der EU-Datenschutz-Grundverordnung auf die Blockchain als unbegründet erwiesen, so die Sicht von PwC Deutschland.
Die PwC-Analysten zogen aus den Aussagen der Befragten eine Reihe von Schlussfolgerungen: Trotz des Potenzials der Blockchain zeichne sich für Finanzdienstleister der «alten Schule» ein Handlungsdruck «noch nicht» eindeutig ab. Der Einsatz von Blockchain-Anwendungen erfolge zudem bislang «nicht zielgerichtet» und den Mehrwert der Blockchain sehe die Finanzindustrie nicht in den bekannten Kryptowährungen.
Heutige Anwendungen der Blockchain-Technologie zielen laut PwC bislang vor allem auf Effizienzsteigerung ab. Das eigentliche Potenzial sehen die Analysten jedoch in der Erschliessung neuer Geschäftsmodelle. Sie raten Unternehmen deshalb zum Ausloten «kooperativer Geschäftsmodelle».
Fintech-Kooperationen
Eine weitere Studie von PwC unter der Leitung von Sven Meyer, Head of Digital Ecosystem FS bei PwC Deutschland, vom Februar 2020 untersucht das Blockchain-Engagement des deutschen Finanzsektors im Hinblick auf strategische Partnerschaften und kommt zu etwas anderen Erkenntnissen.
Im Rahmen des «2. PwC FinTech-Kooperationsradars» haben die Analysten 2102 Kooperationen im Detail untersucht, darunter auch solche mit Blockchain-Bezug. Ihr Fazit: Die deutschen Banken geben sich mit ihren bisherigen Investitionen in technologiebasierte Finanz-Start-ups nicht zufrieden, sondern intensivieren sie eher. Und die Komplexität des Fintech-Kooperationsnetzwerks nehme «unaufhaltsam und mit grosser Geschwindigkeit» zu.
In Zahlen heisst das: Operative Kooperationen (ohne eine Beteiligung der Bafin-regulierten Finanz- oder Versicherungsdienstleister am Technologie-Start-up) dominieren demnach die Branche mit einem Anteil von 63 Prozent an allen Partnerschaften. Finanzielle Kooperationen (mit Direktbeteiligung) machen 31 Prozent aller Partnerschaften aus; die übrigen 6 Prozent entfallen auf «Sonstige Kooperationen», das heisst auf die Zusammenarbeit mit Forschungsorganisationen, Start-up-Hubs, Acceleratoren und Venture-Capital-Gesellschaften mit dem Ziel des Transfers von Technologie oder Know-how.
Die Studie berücksichtigt nicht nur Kooperationen mit Blockchain-Bezug, sondern beliebige Technologie-Innovationen in Fintechs und Insurtechs. Dennoch macht sie deutlich, dass sich das vermeintliche Fehlen eines Budgetrahmens für Blockchain-Initiativen im deutschen Finanzsektor möglicherweise darauf zurückführen lässt, dass die Unternehmen diese Aktivitäten im Sinn eines vorbildlichen Risikomanagements aus dem operativen Geschäft externalisieren.
Das bedeutet: Blockchain-Startups, Spin-offs und andere Kooperationspartner schöpfen unter Umständen beachtliche Finanzmittel aus Bilanzposten ausserhalb des laufenden Betriebshaushalts führender Finanzinstitute.
So verdankt etwa der preisgekrönte KMU-Kreditgeber Iwoca Deutschland seine Entstehung unter anderem der Unterstützung durch CommerzVentures, der Wagniskapitalsparte der Commerzbank. Und die Münchner Allianz-Gruppe hat ihrerseits beachtliche Investitionen in DeFi über den eigenen Wagniskapitalableger Allianz X getätigt. Direkte Finanzspritzen haben unter anderem auch die Entstehung von Europas erster «mobiler» Direktbank N26.com ermöglicht, die zwischendurch unter anderem mit Bitcoin Cash experimentiert hat.
Auch deutsche Fintechs haben so während der Corona-Krise eine bemerkenswerte Rolle gespielt. Beispielsweise konnte Iwoca mit seiner im März 2020 vorgestellten Open-Lending-Plattform (www.openlending.com) inmitten der Lockdown-Panik dank unbürokratischer Kreditvergabe zahlreichen Kleinunternehmen in Deutschland und Grossbritannien mit rund 100 Millionen Euro an zusätzlicher Liquidität schnell unter die Arme greifen.
Daten- und ereignisgetrieben
Einer der Schlüssel für ein dezentralisiertes Finanzwesen ist die Fähigkeit von Blockchain-Plattformen, relevante Ereignisse automatisch zu erfassen und einzelne Handlungen oder Vorgänge ereignisgetrieben auszuführen, geht aus dem erwähnten Bitkom-Whitepaper hervor. Mit Hilfe von Smart Contracts, zum Beispiel auf Ethereum, ist das bereits heute möglich. «Bei mehr als 90 Prozent der Firmen in Deutschland handelt es sich um Kleinunternehmen», erklärt Christoph Rieche, CEO und Mitgründer von Iwoca. «Viele von ihnen leiden unter schlechtem Zugang zu Finanzmitteln», führt er weiter aus, denn traditionelle Kreditgeber seien nicht in der Lage, diese kleinen Kreditnehmer auf eine Art und Weise zu unterstützen, die den Bedürfnissen der KMUs entspreche. «Unser Ziel besteht darin, dies zu ändern», bringt er die Intention seines Fintechs auf den Punkt.
Iwoca innoviert ausserhalb der Blockchain-Szene und entspricht damit nicht ganz der Definition von DeFi im engeren Sinn. Doch der spektakuläre Erfolg dieses deutsch-britischen Fintechs belegt den grossen Bedarf des Mittelstands an zusätzlicher Liquidität. Dezentralisiertes Finanzwesen möchte diesen durch die sogenannte Tokenisierung von Vermögenswerten decken. Unter Tokenisierung versteht die DeFi-Szene die Umwandlung von Rechten an Eigentum in eine Kryptowährung, die ihre Existenz einem «smarten Vertrag» (Smart Contract) zu verdanken hat, einem «Token». Token sind die Wertmarken der digitalen Revolution, das zentrale Instrument der «Blockchainerisierung» von Vermögenswerten der realen Wirtschaft - von Immobilien, Maschinen und Patenten bis hin zu einzelnen Nutzungsrechten an Eigentum, das zuvor nicht aufteilbar war.
Durch die Verzahnung von physischer Realität und der Geschäftslogik smarter Verträge entstehen unter anderem neue Möglichkeiten zur marktübergreifenden Steuerung von Wirtschaftsaktivitäten, neue Methoden zum «Anzapfen» der in Vermögenswerten «versenkten» Liquidität und neue Potenziale für zusätzliche Wertschöpfung. Blockchain-Technologie schafft zusätzlichen Spielraum zum Flüssigmachen von Vermögenswerten durch die granulare Ausübung rechtlicher Konstrukte wie Sicherungsübereignung oder neue Möglichkeiten des Handels mit Effektenlombardkredit-Finanzierung. Neues Potenzial der Wertschöpfung entsteht durch die gemeinsame Nutzung von Eigentum durch mehrere Teilnehmer eines Ökosystems und eine höhere Auslastung vorhandener Kapazitäten, die erst die Sharing-Economy gewährleisten kann.
Blockchain-Technik ermöglicht solche Nutzungsszenarien durch Verzicht auf den Faktor Mensch zugunsten des Faktors Blockchain als eines dezentralisierten, allgegenwärtigen Intermediärs. Das senkt die Verwaltungskosten und hilft, neue Anreize zu schaffen. Zugleich aber entstehen neue Risiken, die nicht von der Hand zu weisen sind.
Die Vorteile einer Decentralized Finance
Decentralized Finance liegt der Gedanke zugrunde, dass Blockchain-gestützte Finanzdienstleistungen ohne (institutionelle) Intermediäre auskommen und so die Wirtschaftsaktivitäten der Transaktionsteilnehmer dezentralisiert ablaufen können.
Verfechter von DeFi versprechen sich von dessen Umsetzung vielseitige Vorteile:
Risiken und Illusionen
Zu den Gefahren der «Blockchainerisierung» zählen die Überschuldung von Unternehmen und das Verwässern von Eigentumsrechten. Zudem besteht das Risiko, dass Wirtschaftsakteure die Kontrolle über ihr Handeln verlieren. Der vollständig tokenisierte Mittelstand wäre dann nur eine Krise, nur einen Bug im Konsensprotokoll und einen Implementierungsfehler von der Enteignung entfernt.
Mit der wachsenden Verbreitung von DeFi-Lösungen nehmen auch steuerliche Fragestellungen an Relevanz zu. Während sich die Unternehmen von der Blockchainerisierung der Zahlungsabwicklung geringere steuerlich bedingte Verwaltungskosten erhoffen, reibt sich der Fiskus schon mal die Hände in Vorfreude auf neue Abgaben.
Der Gesetzentwurf zur Modernisierung des deutschen Wertpapierrechts und des dazugehörigen Aufsichtsrechts (elektronisches Wertpapiergesetz, eWpG) vom 10. August 2020 avisiert zum Beispiel die Schaffung eines elektronischen Registers auf Blockchain-Basis als Ersatz für die Papierurkunde mit dem Ziel, «Transparenz, Marktintegrität und den Anlegerschutz» zu verbessern. Darin enthalten ist auch bereits eine Verordnungsermächtigung für die verwendeten Steuerungsverfahren und Steuerungsmassnahmen, die nicht der Zustimmung durch den Bundesrat bedarf (§ 23 Verordnungsermächtigung in Bezug auf Kryptowertpapierregister, Absatz 1, Punkt 14). Die Verwahrung von Krypto-Assets ist eine lizenzpflichtige Finanzdienstleistung und benötigt eine Genehmigung der Bafin.
Die dezentralisierte Natur von DeFi könnte sich deshalb in der Tat als Illusion entpuppen. Denn die Rolle eines Intermediärs verschwindet nicht; seine Aufgaben übernimmt stattdessen eine Technologieplattform, die weitgehend ohne menschliches Zutun auskommt. Darin liegen theoretisch viele Vorteile. DeFi-Lösungen senken die Transaktionskosten und erhöhen die Granularität von Interaktionen der beteiligten Akteure. Dadurch können diese zusätzliche Liquidität in Umlauf bringen und neues Wachstum schaffen. Decentralized Finance verspricht ausserdem eine höhere Transparenz und damit eine höhere finanzielle Sicherheit und soll so die Entstehung eines stärker integrierten Wirtschaftssystems fördern. Technisch ist das sicherlich machbar. Ob sich diese Ziele tatsächlich verwirklichen lassen, könnte vom regulatorischen Rahmenwerk abhängen.Die von vielen erhoffte Entkopplung der DeFi-Märkte von konventionellen Finanzmärkten hat sich bisher jedenfalls nicht realisiert. Am 12. März, inmitten der Corona-Krise, «tankten» die Krypto-Märkte im Gleichschritt mit den Aktienmärkten - beide brachen um fast 40 Prozent ein.
Ein Grossteil der Blockchain-Rhetorik positioniere die Technologie als einen «sicheren Hafen gegenüber der vermeintlichen Misswirtschaft des traditionellen Finanzwesens» durch die führenden Banken, Grosskonzerne und Regierungen, beobachten die Alethio-Analysten Everett Muzzy, Bogdan Gheorghe und Danning Sui in einem aktuellen Bericht zu DeFi. Der «schwarze Donnerstag» am 12. März habe aber «ziemlich deutlich gemachtv, dass Krypto-Enthusiasten vorerst einsehen müssten, dass eine Wechselbeziehung mit traditionellen Märkten - zumindest bisher - durchaus gegeben sei und entsprechend adressiert werden müsse.
Auf der anderen Seite betont das Alethio-Papier aber auch die Vorteile der Datentransparenz, die mit DeFi einhergingen: Sie ermögliche es sowohl den Marktteilnehmern als auch aussenstehenden Forschern und Software-Entwicklern, die Ursachen des Versagens der DeFi-Märkte unabhängig voneinander zu überprüfen. Anstatt den Ergebnissen von Analysen einiger handverlesener Institutionen mit privilegiertem Zugang zu zentralen Informationsquellen vertrauen zu müssen, habe die DeFi-Gemeinde als Ganzes die Stresspunkte ihres offenen Finanzsektors selbst untersuchen können, um ihn «gemeinsam auf ein stärkeres Fundament» zu stellen.
Fazit & Ausblick
Decentralized Finance stellt bewährte Geschäftsmodelle und -praktiken auf die Probe. Das beachtliche disruptive Potenzial der Blockchain könnte in der Finanzbranche ein massives Stühlerücken auslösen.
Die DeFi-Gemeinde will ein alternatives Finanzsystem schaffen, das «von unten nach oben» und vollständig dezentralisiert aufkeimt: frei von Zensur, mit niedrigen und überschaubaren Gebühren, vollautomatisierungsfähig und ohne Kontrahentenrisiko. Inwiefern dies gelingt, dürfte auch vom Handeln der - wohlgemerkt zentralen - Regulierungsbehörden abhängen.
Beispiele für DeFi-Anwendungen
In der DeFi-Szene wimmelt es von Ideen für innovative Dienstleistungen, die auf völlig neuartigen Geschäftsmodellen aufbauen. Einige Beispiele: