AR in Industrie und Handel
17.06.2019, 10:28 Uhr
PTC will «vergessene» Technologie reanimieren
Der Wirbel um Google-Glass ist verflogen. Auch im Gaming-Bereich will sich Augmented Reality nicht auf breiter Front durchsetzen. Doch in der Industrie und im Handel könnte diese Technologie bald eine Renaissance erleben.
PTC-CEO Jim Heppelmann stellte auf dem Kunden-Event «LiveWorx» mehrere AR-Anwendungen vor
(Quelle: Harald Weiss)
Das auf Industrieanwendungen spezialisierte US-Softwarehaus PTC fokussiert sich mit seinem Produkt-Portfolio verstärkt auf Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR). So präsentierte deren CEO Jim Heppelmann in seiner Keynote auf dem jüngsten Kunden-Event «LiveWorx» gleich mehrere Anwendungen dieser neuen Technologien. Das reichte von der Qualitätskontrolle an einem LKW-Motor über die Logistik und Wartung bis hin zur Einrichtung eines 3D-Druckers. «AR ist die Vereinigung des Menschen mit dem Digitalen, es macht die Mitarbeiter produktiver, sicherer und zufriedener, da sie weniger Fehler machen», sagt Heppelmann über die neue Strategie.
Industrie-Analysten sehen darüber hinaus auch noch einen weiteren Grund, der die Nutzung von AR-Anwendungen in der Industrie vorantreiben könnte. «Immer mehr Babyboomer gehen in Rente – damit aber verlieren viele Firmen ganz viel System- und Wartungs-Erfahrungen, die nicht so schnell wieder aufgebaut werden können. Mithilfe von AR lässt sich dieses Knowhow-Defizit deutlich abmildern», sagt IDC-Analyst Tom Mainelli.
Auch in den weiteren Präsentationen zu diesem Thema zeichnete sich ab, dass man in der Industrie glaubt, die seit Google-Glass fast in Vergessenheit geratenen AR-Anwendungen in der Business-Welt reanimieren zu können. «Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass AR nach einer allgemeinen Akzeptanz in der Business-Welt wieder attraktiv für den Consumer-Markt werden kann», sagt David Taylor, Technical Consultant bei Fujitsu UK.
Probleme mit der Akzeptanz
Doch bis dahin ist es noch eine Weile hin. Derzeit kämpfen er und die anderen AR-Experten noch mit der Akzeptanz und Technologie von AR. «Wir dürfen nicht die Technologie in den Vordergrund stellen, sondern müssen vor allem den Usern und den Managern zeigen, wo der konkrete Nutzen ist», sagte Taylor in einer Podiumsdiskussion.
Gerade bei der Akzeptanz durch die Mitarbeiter gäbe es noch erhebliche Probleme, was auch am Tragen der unförmigen Brille liegt, die so viel Strom verbraucht, dass man praktisch immer mit einem Kabel im Rücken rumlaufen muss. Hier zeichnet sich ab, dass man statt der Brille das AR-Bild auch auf einem Tablet sehen kann, was die Handhabung sehr vereinfacht. Doch auch hier sind der Stromverbrauch und die erforderliche Bandbreite sehr hoch – schliesslich bedeutet AR auf dem Tablet ein ruckelfreies Video-Streaming hoch zum Server und zurück zum Display. Heppelmann konnte das auf der Bühne vorführen – aber auch nur mit einem Kabel am Tablet.
Softwareseitig sind ebenfalls Verbesserungen in Aussicht, so sind die Objekte der AR-Bilder derzeit in einer festen Bildtiefe positioniert. Hier soll es bald «echte» 3D-Tiefenprojektionen geben, was die Darstellungen realistischer erscheinen lässt. Taylor sieht im Gegensatz zu PTC derzeit vor allem den Handel als Pilotanwender, wo AR zur Kombination von echten Produkten und den zugehörigen Informationen, wie Preis, Lagerbestand, Nachbestellungen und ausstehende Lieferungen genutzt werden kann.
Vorstoss in alle angrenzenden Bereiche
Abgesehen von der noch in den Kinderschuhen steckenden AR-Technologie in der Industrie dringt PTC in immer mehr angrenzende Anwendungsbereiche seiner klassischen CAD- und PLM-Produkte vor (CAD: Computer Aided Design; PLM: Product Lifecycle Management). Hierzu gehört vor allem eine grössere Angebotstiefe in Richtung Industrie-Automation.
Diese basiert auf der im vorigen Jahr getroffenen Partnerschaft und Beteiligung von Rockwell Automation. Mit einer Milliarde Dollar ist Rockwell bei PTC eingestiegen, was einem Anteil von 8,6 Prozent entspricht. Damit verfügen beide Unternehmen jetzt über eine durchgängige Produktpalette von der Cloud bis hinunter zum entferntesten Sensor. «Informations- und Operational-Technologien konvergieren; folglich gibt es eine natürliche gemeinsame Ausrichtung zwischen unseren Unternehmen. Gemeinsam verfügen wir über das umfassendste und flexibelste IoT-Angebot im Industriebereich», sagte Rockwells CEO Blake Moret, der zusammen mit Jim Heppelmann in der Keynote auftrat. Heppelmann bestätigte diese Einschätzung: «Die Integration von unseren beiden führenden Technologie-Bereichen bedeutet, dass viele Industrieunternehmen die Vorteile des Industrie-IoT wesentlich besser nutzen können.»
Laut Moret gibt es inzwischen «tausende an gemeinsamen Projekten», bei denen die neuen integrierten IoT-Lösungen zum Einsatz gekommen sind, oder dieses fest eingeplant ist. Herzstück dieser Angebotspalette ist ThingWorx, für das aktuell die neue Version 8.5 angekündigt wurde. Diese bietet jetzt viele neue vordefinierte und vorinstallierte Features für Engineering, Fertigung und Service. Hinzu kommt eine bessere Nutzung über mehrere Installationen und Regionen hinweg, dazu gehört beispielsweise auch die Integration von ThingWorx mit Microsofts Azure IoT-Plattform. Mit Microsoft gibt es eine besonders intensive Kooperation, so wurde PTC jüngst von den Redmondern zum besten «Fertigungs- und Ressourcen-Partner» gekürt.