Infrastruktur im Wandel 12.04.2020, 11:36 Uhr

Die Public Cloud erobert das Rechenzentrum

Hyperscaler wie AWS und Microsoft setzen ihre Clouds in die Data Center der Unternehmen. Eine absolute Dominanz ist dennoch nicht zu befürchten.
(Quelle: Virgiliu Obada / shutterstock.com)
Glaubt man so manchem Experten, dann hat das klassische Rechenzentrum bereits ausgedient. Unternehmen, die ihre IT zu grossen Anteilen oder komplett in die Cloud auslagern oder eine Mischform wählen, gelten als modern. Dabei setzen 80 Prozent der Unternehmen weltweit nach wie vor auf eigene Rechenzentren. Nur 20 Prozent haben den Sprung in eine Cloud gewagt. Doch nun blasen die Cloud-Anbieter zum finalen Angriff auf die verbliebenen Rechenzentren. Sie treiben das Outsourcing-Modell auf die Spitze und wollen die IT der Unternehmen komplett übernehmen.

Cloud statt Outsourcing

Beim Cloud-Computing konkurrieren bislang zwei Modelle: Public und Private Cloud. Während beim klassischen Outsourcing interne Ressourcen von aussen betrieben und verwaltet werden oder auf speziell zugeordneten Servern und Speichersystemen extern, aber exklusiv betrieben werden, haben die Public-Cloud-Provider diese Grundidee radikalisiert: Statt dem Kunden wie beim klassischen Web-Hosting oder Outsourcing «exklusive» Server, Speichersysteme und Anwendungen – oft auf speziellen Stellflächen in den Rechenzentren der Provider – zuzuweisen, mietet der Public-Cloud-Kunde begrenzte Ressourcen, die er je nach Bedarf dynamisch erweitern oder reduzieren kann. Abgerechnet wird dabei nur die tatsächlich konsumierte und gemessene Nutzung von CPU, Storage oder Netzwerkbandbreite. Exklusive Anwendungen oder sonstige Ressourcen wie Server- oder Speichersysteme können jedoch bei Bedarf hinzugemietet werden – im Prinzip kleine Rechenzentrumseinheiten in den riesigen Cloud-Anlagen.
Die Private Cloud wiederum verlegt das technologische Prinzip von gehosteten Services in ein geschlossenes Netzwerk oder Rechenzentrum eines Unternehmens und ist nur einer begrenzten Anzahl von Kunden (etwa den Mitarbeitern) zugänglich. Bei der Hybrid-Cloud schliesslich operieren Unternehmen sowohl mit einer Public als auch mit einer Private Cloud, wobei die Nutzung der Dienste zwischen Public und Private wechseln kann.
Während gerade kleinere Unternehmen und Start-ups in der Regel gut beraten sind, auf die Dienste eines Public-Cloud-Providers zu setzen, um sich so die Ressourcen eines modernen zentralen Rechenzentrums irgendwo in der Welt zu bezahlbaren Preisen zu verschaffen, scheuen grössere Unternehmen vor einer solchen Anbindung an einen bestimmten Provider oft noch zurück. Mit einer Multi-Cloud-Strategie, die eigene Rechenzentrumsdienste für besonders kritische Daten mit der Inanspruchnahme einer oder mehrerer Public Clouds verbindet, erreichen auch sie Flexibilität und Kostenvorteile. Auch das Springen einer Applikation und ihrer Daten zwischen verschiedenen Public Clouds ist möglich – zum Beispiel wenn mehr Kapazität für Berechnungen oder Speicher gebraucht wird oder irgendwo bessere Tarife winken.

Cloud-Server im eigenen Haus

Reine Public oder Private Clouds zu finden, dürfte heute schwierig sein. Es gibt jede Menge Mischformen, und die scharfe Konkurrenz zwischen den drei grossen Cloud-Anbietern Amazon AWS, Microsoft Azure und Google Cloud führt zu immer neuen Angeboten. AWS ist laut Synergy Research Group mit 38 Prozent Marktanteil im ersten Quartal 2019 Spitzenreiter bei Infrastructure as a Service (IaaS) und Platform as a Service (PaaS), gefolgt von Azure mit 18 Prozent, Google mit 9 Prozent und Alibaba mit 6 Prozent. Laut Gartner lag AWS 2019 bei den IaaS-Angeboten mit 48 Prozent Marktanteil vorn, während Azure hier 15,5 Prozent, Alibaba 8 Prozent und Google Cloud 4 Prozent erreichten.
Cloud Infrastructure as a Service: Amazon AWS (38 Prozent) liegt beim Marktanteil klar vor Microsoft Azure (18 Prozent) und Google Cloud (9 Prozent)
Quelle: Gartner (Juli 2019)
Der neueste Trend, der sich bei allen Cloud-Providern findet, besteht in Angeboten, die über Cloud-Formen wie Pri­vate, Hybrid oder Multi hinausgehen. Das Motto lautet: «Kommst du nicht in die Public Cloud oder installierst du keine Private Cloud bei dir zu Hause, dann integrieren wir eben deine IT als Aussenposten in unsere IT-Infrastruktur.» Und das geht so: Der Cloud-Provider stellt dem Kunden ein (preisgünstiges oder kostenloses) Verbindungsstück in Form eines Servers plus spezieller Software in sein Rechenzentrum – schon kann er auf alle Vorteile der Cloud zugreifen, ohne seine alte Infrastruktur auf­zugeben. AWS nennt dieses Verbindungsstück «Outposts», bei Microsoft heisst es «Azure Stack», bei Oracle «Cloud at Customer» und bei Google «Anthos». Meist verstehen sich die Angebote als Kombination aus Hard- und Software, nur Google beschränkt sich auf einen reinen Software-Layer, der nicht an eine bestimmte Server-Hardware gebunden ist.

Vorteile der Cloud auf die Firmen-IT ausweiten

IDC beschreibt in dem Whitepaper «AWS Outposts: Extend the Value of Cloud Investments On-Premises» vom Dezember 2019 – «Sponsored by: Amazon Web Services» – diesen neuesten Versuch, die Public Cloud zum dominierenden IT-Modell für Unternehmen jeder Grössenordnung zu machen, so: «Mit der wachsenden Reife von cloudbezogenem Know-how und ausgefeilten Prozessen können Cloud-Kunden sich weiter nach Möglichkeiten umsehen, die Cloud-Vorteile auf grössere Teile ihrer Unternehmens-IT auszuweiten. Ursprüngliche Bedenken gegenüber der Cloud wie zu geringe Erfahrung, Security-Probleme oder begrenzte Eignung von Applikationen stellen nicht länger Hindernisse für eine breitere Anwendung dar.» Die Strategie von AWS – und seiner Konkurrenten – ist klar: Cloud überall.
IDC und Auftraggeber AWS gehen davon aus, dass die Ausgaben für die Public Cloud einschliesslich der neuen «Aussenposten» innerhalb der nächsten fünf Jahre die Investments für die internen Rechenzentren der Unternehmen übertreffen werden – durch Einsatz der «Public Cloud in der einen oder der anderen Form», wie es im Whitepaper heisst.

Gemischte Realität

Die Realität ist schon jetzt ziemlich gemischt. Laut einem Report von RightScale von 2019 setzen 58 Prozent der Unternehmen auf eine Hybrid-Cloud, 17 Prozent bevorzugen mehrere Public Clouds, 9 Prozent mehrere Private Clouds. Zusammen sind das 84 Prozent, die eine Multi-Cloud-Strategie verfolgen.
Der Rest verteilt sich auf Unternehmen mit einer Präferenz für «single public cloud» (10 Prozent) und «single private cloud» (3 Prozent) sowie Unternehmen ohne Cloud-Strategie (3 Prozent). Mit anderen Worten: Es ist bisher nicht gelungen, die Mehrheit der Anwender zu motivieren, eine Public Cloud statt ihrer traditionellen IT zu wählen. Die meisten Cloud-Provider – und nicht nur AWS – haben dies erkannt und in der Konsequenz ähnliche Modelle wie AWS Outposts entwickelt.

AWS Outposts

Das neue Cloud-Format, das zögernde oder ablehnende Unternehmen auf die Cloud-Seite ziehen soll, sieht bei den AWS Outposts einen «fully managed» Service vor, der die AWS-Infrastruktur als Element in das Rechenzentrum des Kunden hineinträgt. Die Outposts umfassen zentrale AWS-Services, APIs, Virtualisierungs-Tools sowie lokale Systeme für Speicher und Datenverarbeitung. Sie sind in einem vor Ort beim Kunden aufgestellten Rack zusammengefasst. Dieses Rack ist mit der nächstgelegenen AWS-Region dauernd verbunden, sodass auch weitere Leistungen und Services von AWS in Anspruch genommen werden können.
AWS Outposts: Mit diesem Server-Rack möchte AWS einen Fuss in die Rechenzentren der Kunden bekommen
Quelle: AWS
AWS überwacht und verwaltet diese Aussenstellen so, als wären sie in der AWS-Cloud, und sorgt automatisch für alle Updates. Die Racks enthalten die gleiche Hardware wie sie AWS in seinen Cloud-Regionen verwendet sowie die verschiedenen AWS-Services wie Compute und Storage.
Für 2020 ist eine VMware-Variante für AWS Outposts angekündigt: ein «fully managed VMware Software-Defined Data Center (SDDC)», das auf der AWS-Outposts-Infrastruktur im jeweiligen Kundenrechenzentrum läuft. Für VMware wären die Outposts angesichts der Erosion des klassischen Lizenzgeschäfts eine Gelegenheit, den Kunden eine Alternative zu ihren On-Premises-Installationen anzubieten. Eine Mi­gration zu diesem hybriden Modell könnte den Kunden weitere Ressourcen und Services zur Verfügung stellen und durch die Einbindung von Pay as you use auch Kosten sparen. 
Gartner spricht in seinem Papier vom Februar 2019 «Prepare for AWS Outposts to Disrupt Your Hybrid Cloud Strategy» davon, dass allein die Ankündigung der Outposts durch AWS im November 2018 ein «Erdbeben» im Markt für Rechenzentrumsinfrastruktur ausgelöst habe. Microsoft und Google hatten zwar bereits ähnliche Ansätze gestartet, aber AWS dominiert schon jetzt den Markt für hybride Clouds.
Sollte AWS mit den Outposts erfolgreich sein, wird es laut Gartner zu einem Umbruch kommen: Es handle sich um eine Umkehrung des bisherigen Verhältnisses von On-Premises und Public Cloud. Anders ausgedrückt: Die Public Cloud dringt mit ihren Leistungen und Services in das klassische Rechenzentrum ein und behandelt dieses quasi als seine Verlängerung.
“Wir werden AWS Outposts in den Mittelpunkt all unserer ­Akti­vitäten stellen„
Pat Gelsinger, CEO von VMware
Dieser Ansatz unterscheidet sich deutlich von den bisherigen Versuchen, innerhalb des Rechenzentrums der alten Schule mit einer Private Cloud die Funktionen und Vorteile der Public Cloud nachzuahmen. AWS könnte damit auch stärker in jene Bereiche des Edge-Computings vordringen, bei denen besondere Anwendungsfälle bisher zum Beispiel aus Sicherheitsgründen zwischen Rechenzentrum und Pu­blic Cloud angesiedelt wurden, aber mehr mit dem Rechenzen­trum und nicht mit AWS verbunden waren.
Die angekündigte VMware-Variante der Outposts soll zudem mehr Anwender dazu verleiten, ihre bestehenden vSphere-basierten Private-Cloud-Infrastrukturen aufzulösen und sie näher an die AWS-dominierte Umgebung anzubinden. Insgesamt käme Amazon seinem Ideal näher, die bisherigen in Eigenregie betriebenen Rechenzentren der Unternehmen aufzulösen und in die eigene Welt der über den Globus verteilten AWS-Regionen einzugliedern.
Den Standpunkt von VMware hat CEO Pat Gelsinger bereits Ende 2018 in einem Interview mit CRN umrissen: «Wir werden AWS Outposts in den Mittelpunkt all unserer Aktivitäten stellen. Mit den Outposts auf der Kundenseite wollen wir eine neue Phase der Beziehungen zu unseren Kunden einleiten. Und die Partnerschaft mit AWS erlaubt es uns, Teile unserer Netzwerkkomponenten in alle Outposts-Angebote einzubauen.»

Microsoft Azure Stack

Schon seit Januar 2016 bietet Microsoft sein Produkt Azure Stack an. Kunden können damit mehrere Cloud-Services von Azure im eigenen Rechenzentrum installieren und so einen langsamen Übergang in die Public Cloud von Microsoft in Gang setzen. Ausserdem können Anwendungen für die Azure-Cloud entwickelt werden und ohne Änderungen des Codes entweder in der Microsoft-Cloud oder im eigenen Rechenzentrum ausgeführt werden.
Microsoft-Boss Satya Nadella will mit Azure Stack und seinen Services die ­eigene Cloud zum «Computer der Welt» und damit zum Zentrum der IT aller ­Unternehmen machen.
Quelle: Microsoft
Auf der «Ignite»-Konferenz im November 2019 stellte Microsoft Azure Arc vor – einen Management-Layer für Multi-Clouds, mit dem Azure Stack für andere Public-Cloud-Plattformen wie AWS und Google Cloud verfügbar gemacht wird. Die Kunden erhalten eine einheitliche Sicht auf alle ihre Anwendungen und Services, egal bei welchem Provider sie sich befinden oder ob sie im eigenen Rechenzentrum laufen.
Mit diesem Schritt bringt Microsoft zahlreiche Azure-Ser­vices in die Rechenzentren der Kunden, einschliesslich virtueller Maschinen, Storage, Networking, VPN-Gateway, Load Balancing sowie Container und Identity Services wie Active Directory. Die Software-Schicht von Azure Stack läuft auf der Hardware von Partnern wie HPE, Dell EMC, Cisco, Huawei und Lenovo. Und die Kunden bezahlen in der gleichen flexi­blen Weise wie in der Azure-Public-Cloud nach dem Pay-as-you-use-Prinzip. Der Software-Support läuft über Microsoft, der Hardware-Support über den jeweiligen Hersteller.
Die Vision dahinter beschrieb Microsoft-CEO Satya Nadella auf der Partner-Konferenz «Inspire» im Juli 2019 so: «90 Prozent der Daten, die uns heute vorliegen, wurden in den letzten zwei Jahren erstellt. Das ist gleichzusetzen mit der Explosion von Computing und Daten. Wir haben eine Milliarde Windows-Nutzer und mehrere Milliarden Smartphones. Und 50 Milliarden Endpunkte sind bereits heute mit der Cloud verbunden. Diese Situation treibt uns an, Azure zum Computer der Welt auszubauen.»

Google Cloud Anthos

Seit April 2019 verfügbar ist die Anthos-Plattform von Goo­gle, die On-Premises, in der Google Cloud, aber auch bei Microsoft Azure und bei Amazon AWS laufen soll. Anthos kann auf bestehenden Servern des Kunden eingesetzt werden sowie auf Racks von Dell EMC, HPE, Intel oder Lenovo. Im Unterschied zu AWS Outposts und MS Azure Stack bietet Goo­gle mit Anthos nur eine Software-Schicht an, keine Hardware. Google betont die Unterstützung von Open-Source-Software und besonders von Kubernetes durch Anthos. Im «Vendor Rating: Google» vom Mai 2019 schreiben die Analysten von Gartner: «Anthos ist eine Container- und Kubernetes-basierte Middleware-Schicht zur Entwicklung und Installation von Cloud-Anwendungen in einem hybriden und Multi-Cloud-Modell. Es enthält viele Funktionen, darunter eingebaute Security- und Management-Fähigkeiten sowie ein Migrierungs-Tool, das auf der Velostrata-Technologie beruht.»
Cloud-Strategie 2019: 84 Prozent der Firmen mit über 1000 Mitarbeitern setzen auf das Multi-Cloud-Konzept
Quelle: RightScale «State of the Cloud 2019» (n = 786 Unternehmen mit über 1000 Mitarbeitenden)
Anthos ermöglicht Anwendern die Migration von Workloads zwischen verschiedenen Clouds und dem eigenen Rechenzentrum. Technologische Basis sind Googles Kubernetes-Services, die 2018 durch die Akquisition der israelischen Firma Velostrata erweitert wurden: Das Start-up brachte seine Funktionen für Datenmigration, Copy und Replikation ein. Verglichen mit AWS und Azure liegt Google Cloud im Kampf um Kunden zwar um einiges zurück, besitzt aber mit seiner Kubernetes-Expertise für die Orchestrierung im Cloud-Bereich einen De-facto-Standard.
Zur Zeit steht Anthos nur für Google Cloud und für On-Premises-Umgebungen von VMware zur Verfügung, Multi-Cloud-Installationen auch für AWS und für Microsoft Azure sollen aber hinzukommen. Als reine Software-Lösung gehört Anthos mehr in den Umkreis von Red Hat OpenShift und Pivotal Cloud Foundry, im Unterschied zu den Komplettangeboten aus Hard- und Software von Azure Stack, Oracle Cloud at Customer und AWS Outposts. Google propagiert seine Lösung mit dem viel versprechenden Slogan «Write once, run anywhere».
Über den Nutzen der Cloud-Management-Plattform Anthos oder auch den entsprechenden Zuspruch seitens des Marktes sprach Computerworld übrigens kürzlich mit Googles Infrastrukturchef höchstpersönlich. Was Urs Hölzle dazu sagte, können Sie hier nachlesen.

Fazit & Ausblick

AWS, Microsoft und Google haben mit ihrem Cloud-Vormarsch den klassischen Rechenzentren und den dortigen Private und Hybrid-Clouds den Kampf erklärt – erst wenn sie diese Territorien erobert haben, besitzen sie die Vorherrschaft über alle Applikationen und alle Daten. Ein extrem ehrgeiziges Ziel – und eine Entwicklung, über deren ökonomische und gesellschaftliche (und politische) Konsequenzen es noch viele Debatten geben wird.
Doch eine pure Dominanz allein der grossen Drei ist nicht zu erwarten. Im Umfeld von AWS, Microsoft und Google mit Outposts, Azure Stack und Anthos ergeben sich nämlich wegen der vielen Anforderungen an Migration, Datenaufbereitung, Storage und Security durchaus auch einige Chancen für Start-ups. So hat sich zum Beispiel Portworx mit seinen Integrations- und Storage-Tools im Zusammenhang mit Containern, Kubernetes und VMware bereits einen Namen gemacht. Neben vielen Anwendungsbeispielen findet sich auf der Webseite von Portworx im Bereich «Resources» der Report «Make Hybrid Cloud a Reality with Google Anthos and Portworx».



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