D2C-Pläne der Corporate Brands
14.02.2022, 07:45 Uhr
Meine Yacht, mein Auto, mein D2C-Projekt
Wie geht man als Corporate Brand auf Tuchfühlung zum Kunden? Einen für alle gültigen Weg gibt es nicht. Aber immerhin lassen sich aus den Aktivitäten der Corporate Brands deutlich unterschiedliche Ansatzmuster ableiten.
von Ralph Hübner und Daniela Zimmer, Team D2C-Radar
Es gibt kaum eine etablierte Marke, die derzeit nicht versucht, für sich ein passendes D2C-Modell aufzubauen. Die Motive dafür sind mindestens ebenso verschieden wie die Vorgehensmodelle - und das aus gutem Grund. Schliesslich hat jede Marke individuelle Ziele, Voraussetzungen und insbesondere auch Ängste.
D2C birgt für Marken bekanntlich nicht nur grosse Potenziale, sondern stellt sie auch vor gravierende Herausforderungen. Die Kannibalisierung der bisherigen Hauptnahrungsquellen ist dabei nur eines von vielen. Insofern ist es mehr als nachvollziehbar und billig, dass sich die meisten Marken dem Thema sehr behutsam oder gar "under cover" nähern. Aber die allermeisten Marken sind inzwischen auf der D2C-Pirsch. Die vergangenen zwei Jahre wirkten unbestritten wie D2C-Steroide auf die Herstellerwelt.
Da (fast) alle Märkte seit der Pandemie einer deutlicheren Volatilität unterliegen und insbesondere im E-Commerce sowie auf den Marktplätzen eine ausgeprägte Veränderungsdynamik herrscht, wäre es nahezu wahnwitzig, zu glauben, es gäbe allgemeingültige D2C-Erfolgsblaupausen. Damit kann keiner dienen. Dennoch kristallisieren sich unter den unterschiedlichen Strategien wiedererkennbare Muster heraus, wie Marken den direkten Kontakt zum Endkunden suchen.
Manche gehen sofort "all in", mit allen Sortimenten und Leistungen, und damit auch allen potenzialen Lasten auf Systemen, Prozessen und Personen (=> wurde der Bereich Kundenservice auch entsprechend aufgerüstet?). Viele Marken wählen jedoch fein ziseliertere Ansätze. Sie gehen nur mit ausgewählten Sortimenten und zusätzlichen Services oder auch mit einer neuen Marke oder in ferneren Ländern an den Start.
Oftmals werden die Modelle auch nicht in Reinform praktiziert, sondern miteinander kombiniert. Entsprechende Ressourcen vorausgesetzt ist dies sicherlich der smarteste Weg, denn das schnelle und zeitgleiche Testen der verschiedenen D2C-Strategien für die verschiedenen Produkte, Kanäle und Zielgruppen samt Preiselastizitäten ist ein enormer Wettbewerbsvorteil. Darüber hinaus kaufen heute grosse Brands - wohlgemerkt zusätzlich zu ihren parallel laufenden hauseigenen D2C-Initiativen - reihenweise D2C-Brands auf. So weiten sie ihre Reichweite in neue Segmente und Zielgruppen aus. Zudem, und das ist meist der Hauptgrund für die Übernahme, holen sie Team und Geschwindigkeit ins Haus.
Wie viele Kompromisse hält ein D2C-Ansatz aus, bevor er komplett schal wird?
Denn die Praxis der vergangenen Jahre lehrt: Der falsche Freund der Geschwindigkeit ist der Kompromiss. Wollen etablierte Marken bei hausinternen D2C-Versuchen rasch vorankommen, müssen sie viele Kompromisse schliessen: von Kundenansprache und Preis-Testing über Verpackung, Kundenservice und IT-Nutzung bis zum Review-Management. An allen Stellen muss Rücksicht auf die etablierte Marke, langjährige Handelspartner und hausinterne Strukturen genommen werden. Dies führte oft zu derart abgeschliffenen und charakterlosen D2C-Angeboten, dass nichts Relevantes mehr für den Endkonsumenten übrigbleibt. Deshalb lautet die zentrale Frage für Manager: Wie viele Kompromisse hält unser D2C-Ansatz aus, bevor er komplett schal wird?
Die D2C-Ansätze der etablierten Marken im Schnelldurchlauf:
1. Umfassende D2C-Transformation für bestehende Marken und alle Sortimente:
Das dickste Brett aller Varianten, inkl. UVP-Diskussion/Eskalation, Marketing-Kannibalisierung mit dem Handel, komplette Neuaufstellung bei Personal, Systemen, Prozessen und Kultur.
What's the deal?
Aufwand und Risiko sind bei diesem Vorgehen vergleichsweise hoch. Alle Produkte müssen für die D2C-Kanäle optimiert und verfügbar gemacht werden. Das bedeutet nicht nur viel Initialaufwand, sondern vor allem auch permanente Wartungsarbeit. Der "Killer" ist dabei jedoch weniger die pure Arbeitslast aufgrund der Menge, sondern die immense Komplexität, die entsteht, wenn man hunderte oder gar tausende Produkte über verschiedene Kanäle, Zielgruppen und Customer Journeys ausbalancieren muss. Viele Hersteller unterschätzen zu Beginn den Aufwand, denn bislang lag diese Aufgabe nicht bei ihnen, sondern beim Handel, bei Amazon (und seinen Reviews), den Preisvergleichern, Stiftung Warentest und wer sonst noch alles für eine "zielführende Selektion und Empfehlung" aus Sicht des Kunden sorgte. Neben dem Sortiment, das ins Web gewuchtet werden muss, kommen dann die USP-Ansätze an die Reihe. Was sind die Benefits, die es nur beim Hersteller gibt und den Kunden begeistern oder binden? Bei manchen Marken sind es Konfigurations- oder Personalisierungsangebote (bspw. Avoury-Zweckform) oder es gibt spezielle Artikel (bspw. Adventskalender von Stabilo). Denn erfolgsentscheidend ist bei den meisten etablierten Marken nicht das fehlerfreie Angebot des Vollsortiments (Pflicht!), sondern das D2C-spezifische Mehrwert-Angebot (Kür!).
Beispiele: Kärcher, Speedo, Nike, Frosta, Dyson, Avoury-Zweckform, Stabilo
2. Abgegrenztes D2C unter bestehender Marke:
In dosierter Form werden exklusiv zusätzliche Sortimente oder Services angeboten.
Für viele Hersteller macht ein komplettes D2C-Angebot im ersten Schritt nicht so viel Sinn. Stichwort Komplexitätsreduktion (siehe oben). Oftmals testen die Marken dann eine neue Produktkategorie, einen neuen Service, die Erreichbarkeit einer neuen Zielgruppe oder ein gänzlich neues Geschäftsmodell in abgekapselter Form. Man nutzt die Strahlkraft der etablierten Marke und agiert dennoch in einem separaten Gehege, in gewisser Weise unter geschützten Laborbedingungen. Der grosse Vorteil ist hier tatsächlich, dass man sich auf einige wenige Variablen fokussieren und einen viel schnelleren "Product-Market-Fit“-Test machen kann - ohne die nerv- und zeitraubenden Nebengeräusche der grossen Transformation.
Beispiele: BMW i3, Bosch Cookit, Care by Volvo, die Drop-Konzepte im Fashion-Segment, Best Nights von Jägermeister
3. Lokal begrenztes D2C
D2C wird in "fernen", neuen oder unkritischen Regionen ausgetestet, nicht jedoch in den Kernmärkten mit hohem Konfliktpotenzial. Eine Subvariante ist, D2C nur in gewissen Kanälen wie z.B. Marktplätzen zu testen.
What's the deal?
Die allerwenigsten Markenhersteller sind in einer Machtposition, die eine rücksichtslose D2C-Umsetzung in ihren bisherigen Kernmärkten empfiehlt. Zum Konfliktrisiko gesellt sich zusätzlich ein reduziertes RoI-Versprechen, denn in Teilen kannibalisieren die neuen D2C-Umsätze ja andere Absatzkanäle und sorgen nicht zwangsläufig für eine Marktanteilszunahme. Nicht selten geht es Herstellern aber gar nicht um die Risikovermeidung, sondern um die Potenziale, die ihnen der D2C-Ansatz in neuen Regionen bietet. Länder, die oftmals nur "Export-Märkte" mit homöopathischen Umsätzen waren, können nun auf Basis vorhandener Social Media- und E-Commerce-Infrastrukturen direkt erschlossen werden - und das zu einem Bruchteil des vormaligen Zeit- und Kapitalaufwandes.
Beispiele: Thermomix E-Commerce in neuen Märkten, Nintendo, Mizuno, zahllose deutsche Brands, die nur in den USA direkt verkaufen, Care Of by Puma (Marktplatzvariante)
4. Aufsetzen einer neuen D2C-Brand:
Neue Positionierung, egal ob in bisherigen Kategorien und Zielgruppen oder als Ausbruch in "Blue Oceans".
What's the deal?
Der Schutz der etablierten Brand ist meistens das untergeordnete Motiv, wenn das D2C-Business mit einer neuen Marke gestartet wird. Zumeist ist die beabsichtigte D2C-Strategie (samt Purpose) zu weit vom bisherigen Markenkern entfernt oder betrifft Anwendungsfälle und Zielgruppen, die die bisherige Marke überdehnen würde. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt ist auch, dass das D2C-Team eine ganz andere Motivation hat, wenn man fokussiert und vorwärtsgerichtet eine neue Marke entwickeln kann (anstatt permanente Erlaubnisdiskussionen mit der Legacy-Welt zu führen). Das Hiring zusätzlicher D2C-Spezialisten fällt in dieser Konstellation häufig auch leichter.
Beispiele: Kalea von Kärcher, Polestar von Geely-Volvo, Avoury von Melitta, Ioniq Skin von Wagner, Dayon von Ergoline, Juit von Dr. Oetker, O.W.N. von Beiersdorf, Best Nights von Jägermeister
5. Übernahme einer D2C-Brand:
Brand inkl. Team oder einen DTC-Kanal akquirieren.
D2C-Business ist in sehr vielen Bereichen diametral anders als alles, was ein Markenhersteller bisher getan hat. Das heisst, es bedarf vieler neuer Kompetenzen und auch "anders denkender" Personen. Dieser Aufbau- und Lernkurvenweg ist zeitraubend und mitunter sehr verlustreich, wobei hier eher die Kultur- und Personalaspekte gemeint sind als das Geld. Deshalb setzt sich der Trend aus den USA, dass Markenhersteller D2C-Marken kaufen oder zumindest in diese investieren, auch hierzulande immer mehr durch. Wohlgemerkt: man kauft nicht nur eine Brand (evtl. mit einer Community), sondern vor allem auch Daten, IT-Systeme sowie D2C-Know-how und Mindset. Viele Akquisiteure von D2C-Brands hatten vorher bereits selbst Initiativen gestartet. Auf Basis dieser "Selbsterfahrung" entstand dann die Sinnhaftigkeit einer zusätzlichen Akquisition.
Beispiele: Henkel + Invincible Brands, Beiersdorf + STWWUM, Miele + Otto Wilde, Melitta + Roastmarket, Kraft Heinz + Just Spices, Strauman + Dr. Smile, Dr. Oetker + Flaschenpost, Nike + RTFKT
6. D2C als Datenprojekt:
Erstmal nur Kundendaten sammeln: Fokus auf Kundendaten und -kontakte, ohne den Vertriebsweg unmittelbar anzupassen. Registrierung beim Hersteller für ein Event, Add-on oder weil man eine App zur Steuerung braucht usw. - Ausbaustufe bzw. Königsweg wäre hier der Community-Aufbau, derzeit beispielsweise auch mittels NFTs
What's the deal?
Auf den ersten Blick wirkt es, als wäre es die "defensivste" Variante, wenn man D2C erst einmal ohne den Verkauf startet (und damit auch der Preisdiskussion entkommt). Die Wahrheit ist jedoch, dass inzwischen die meisten Hersteller verstanden haben, dass Daten einen sehr hohen Preis haben. Zudem wird es immer schwerer, an Kundendaten zu kommen (vor allem ohne Transaktion). Der Aufbau einer (aktiven) Community ist strategisch und operativ sehr anspruchsvoll und es bedarf hierzu einer starken Marke oder eines überzeugenden Nutzenversprechens. Das CRM- bzw. Datenmodell steht im Zentrum eines jeden erfolgreichen D2C-Business. Insofern haben alle Marken, die auf diese Weise starten später einen enormen Zeit- und Wettbewerbsvorteil.
Beispiele: Nutella, Kellogs, Maggi, Coca-Cola, Sonos, Gardena , Red Bull, Jägermeister
7. D2C-Spezialvarianten:
Händler-Move: bisherige Eigenmarken zu echten D2C-Marken machen und den eigenen Handelskosmos verlassen, auf anderen Kanälen verkaufen:
Beispiele: P&C, Weltbild D2C Group, Hornbach, DM, Rossmann,
Ingredient Brands (z.B. Intel, Gore-Tex, Tetrapack, Dolby) oder Fertigungsspezialisten / Lohnfertiger: nutzen die erstmalige Möglichkeit zum Sprung nach vorne, sei es durch neue Marken, Influencer-Partnerschaften o.ä.
Beispiele: Mäurer&Wirtz mit Orodion
Oft dominiert die Kernfrage: Was kann man selbst und in welchem Zeitrahmen aufbauen oder bringt einen nur eine Übernahme schnell genug voran? Als Übernahmeziele stehen heute schliesslich tausende D2C-Brands parat wie z.B. die Plattform www.direct-brands.de zeigt.
Ist die strategische D2C-Grundausrichtung geklärt, so kommen die Kanal- und Umsetzungsfragen auf den Tisch. Neben dem Webshop gibt es inzwischen diverse weitere direkte Pfade zum Konsumenten wie Social Commerce, Retail as a Service und natürlich Plattformen/Marktplätze. Für all diese Sekundärthemen sowie die Gestaltung der Kernfunktionen (IT-Systeme, Logistik, Kundenservice etc). gilt dann (leider) der alte Spruch „Retailing means Detailing“.
Mehr Praxisbeispiele und Insights zu den D2C-Strategien von Corporates aber auch D2C-Brands gibt es auf der MOONOVA am 24.2. mit Vorträgen von Henkel, L’Oreal, Peloton, Stabilo, ViceGolf, Wiesemann 1893, Wayflyer, Conjura, Air Up, ROSE Bikes u.v.m. Die Tickets für das digitale Live-Event sind kostenlos.
Weiterführende Beispiele und Interviews gibt es auch im neuesten D2C-Spezialheft der W&V.
Haben wir einen Strategieansatz vergessen? Schreibt an: daniela.zimmer@internetworld.de.
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