Ideen, Ehrgeiz & viel Geld 27.12.2015, 12:20 Uhr

Start-ups im Silicon Valley jagen die IT-Grössen

Der Hotspot für Start-ups treibt nach wie vor die IT-Innovationen voran. Viele der Gründer haben zuvor bei IT-Riesen wie EMC, VMware, IBM oder Intel gearbeitet.
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Das Silicon Valley südlich von San Francisco hat es zu einigem Ruhm als Innovationszentrum des IT-Business gebracht. Seit einiger Zeit sind es nun vor allem Start-ups aus den Bereichen Storage, Netzwerk oder Virtualisierung, die versuchen, Probleme zu lösen, die von den Grossen der Branche offenbar übersehen oder absichtsvoll vernachlässigt wurden. Viele dieser Gründer haben einen ausgeprägt technischen Hintergrund und zum Beispiel bei klassischen IT-Riesen wie EMC, VMware, IBM oder Intel gearbeitet.
Silicon Valley: Südlich von San Francisco arbeiten diverse Start-Ups an der softwaregetriebenen Revolution auf der Server-Seite.
Quelle: Pincasso / Shutterstock.com
Ausgangspunkt für sehr viele der neuen Entwicklungen ist eine softwaregetriebene Revolution auf der Server-Seite: Ursprünglich nur im Mainframe-Bereich und bei grossen Unix-Rechnern eingesetzt, hat die Schaffung von virtuellen Servern oder virtuellen Maschinen (VMs) zu einem Denkanstoss geführt, der nun in vielen Varianten den Markt erobert.
Was bei Servern gelungen ist – die (zumindest relative) Unabhängigkeit von der Hardware-Schicht –, wird nun auf Storage und Networking übertragen. Doch allein die Vielzahl der Entwicklungen und Produkte lässt darauf schliessen, dass die Materie keineswegs einfach ist oder schon umfassend gelöst wäre. Mit den verschiedenen Ebenen der Virtualisierung, den zahlreichen Cloud-Varianten und dem allgemeinen Management und Monitoring der komplexen Infrastrukturen ist die Arbeit der IT-Abteilungen nicht leichter geworden.
com! professional präsentiert eine kleine, feine Auswahl an jungen Unternehmen aus dem Silicon Valley, die die etablierten Hersteller mit alternativen Lösungen herausfordern.

Pure Storage - Das Speichern auf Festplatten beenden

Pure Storage verfügt über eine beeindruckende Liste an Investoren, darunter Index Ventures, Redpoint, Samsung und Diane Greene, die Gründerin von VMware. Das 2009 gegründete Start-up ist massgeblich von dem Founder und CTO John „Coz“ Colgrove geprägt, der zunächst bei Veritas als Ingenieur arbeitete und nach der Übernahme durch Symantec 2005 noch ein paar Jahre dort verbrachte, ehe er in die Venture-Capital-Firma Sutter Hill Ventures einstieg. Colgrove betont, er habe „einen Softwarehintergrund“ – und dass die Ausgaben seines Unternehmens für Research & Development (R&D) zu etwa 80 Prozent in die Software-Entwicklung fliessen.
John „Coz“ Colgrove, Gründer und CTO von Pure Storage: „Unser Ziel ist es, das Speichern auf Festplatten zu beenden.“
Unter dem Slogan „Forever Flash“ hat sich das Start-up sehr schnell einen der vorderen Plätze unter den Playern im Flash- und Disk-Markt verschafft. Für Gartner Research gehört Pure Storage neben IBM und EMC zu den führenden Anbietern bei Flash-Arrays. Das Unternehmen fühlt sich sogar so stark, dass es schon Anfang nächsten Jahres den Börsengang wagen will – zurzeit eher eine Ausnahme in der Start-up-Szene. Und in Mountain View im Silicon Valley wurde vor Kurzem ein schickes, neues Gebäude bezogen, um sich auch nach aussen seriöser und pompöser zu zeigen. Schliesslich hat man in den sechs Jahren seit Gründung Investitionsgelder von insgesamt 470 Millionen Dollar einsammeln können.
Colgrove erklärt selbstbewusst: „Unser Ziel ist es, das Speichern auf Festplatten zu beenden.“ Den Einwand, Flash sei teuer, will er nicht gelten lassen, die Preise würden mit jedem Tag sinken. Gleichzeitig steige die Speicherdichte bei Flash ständig, sodass das Argument der Festplattenhersteller, ihre Produkte kosteten pro Gigabyte weniger, an Gültigkeit verliere. Colgrove resümiert: „Es dauert nicht mehr lange, bis die Flash-Preise mit denen von Festplatten gleichziehen.“ Zusätzlich pocht er darauf, dass Pure Storage besonders viel in die Integration von Software-Funktionen investiere und damit Flash auch von dieser Seite einen höheren Wert verleihe. Hersteller wie Nimble Storage, die auf hybride Speicherlösungen (Flash plus traditionelle Disks) setzen, blieben auf halbem Wege stehen. Und EMC habe zwar durch den Kauf von XtremIO nun auch Flash in seiner Produktpalette, hinke aber in der Software-Entwicklung für diese Technologie 18 Monate hinter Pure Storage hinterher.
Technische Besonderheit der neuen All-Flash-Generation von Pure Storage unter der Bezeichnung „FlashArray//m“ mit drei Varianten (120, 250 oder 400 Terabyte) ist denn auch die „modulare Software-defined-Architektur“ mit einem neuen Upgrade-Zyklus: Demnach lassen sich die Systemkomponenten Kapazität, Performance, Packungsdichte, Konnektivität und Software-Features unabhängig voneinander aufrüsten. Damit kommt der Hersteller jenen Kunden entgegen, die angesichts der nach wie vor teuren Flash-Arrays auf Komplettneuerungen verzichten und sich stattdessen zunächst mit Teilverbesserungen begnügen wollen. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass sich die Administratoren Ausfallzeiten der Geräte und Datenmi­grationen sparen können. Alle Software-Upgrades werden automatisch über das Web eingespielt.
Angesichts der Konkurrenz auf dem Markt für Flash- und All-Flash-Arrays könnte die Spitzenposition von Pure Storage schon bald unter Druck geraten. Der Aufbau von Vertriebs- und Supportorganisationen ausserhalb der USA ermöglicht Kunden und Interessenten zwar einen direkten Eindruck von der Leistungsfähigkeit des Start-ups, ist aber kostenintensiv. Und auch das Marketing von Pure Storage hat es sich etwas kosten lassen, für Aufmerksamkeit zu sorgen – etwa durch die „Love Your Storage Guarantee“. Sie verspricht bei Nichtgefallen der Produkte eine Rückgabe bei voller Kostenerstattung.
Der bisherige schnelle Erfolg und die mit Venture-Capital-Geldern gut gefüllten Kassen haben Beobachter zufolge Pure Storage zu einer gewissen Arroganz verführt. Das aber wird es sich nicht mehr allzu lange leisten können.
Allein die Verteidigung der Marktposition dürfte viel Geld verschlingen. Es bleibt abzuwarten, wie lange sich die Investoren aufs Zuschiessen beschränken und auf eine Exit-Strategie verzichten. HP und Dell kämen zum Beispiel dafür in Frage, Pure Storage zu übernehmen.

DataDirect Networks - Software bestimmt alles

DataDirect Networks (DDN) ging 1998 aus dem Start-up Mega Drive Systems hervor. Nach einigen Jahren kauften sich die Gründer jedoch vom Einfluss der Investoren wieder frei. 2014 legte einer der Gründer und jetziger CEO Alex Bouzari die Motive dafür in einem Interview dar: Man hatte 2002 in einer Funding-Runde 12 Millionen Dollar an Venture Capital aufgenommen, doch schon bald festgestellt, dass die Geldgeber das Geschäftsmodell nicht verstanden und DDN in einen anderen Markt drängen wollten. Bouzari und sein Co-Founder Paul Bloch weigerten sich und zahlten die Geldgeber aus. Ihre Hartnäckigkeit hat sich gelohnt, denn das Unternehmen ist mittlerweile profitabel.
DataDirect Networks (DDN): Erster Kunde war die NASA.
Dennoch wollen Gerüchte über einen Börsengang von DataDirect Networks nicht verstummen – der würde zwar frisches Geld und qualitatives Wachstum bringen, aber auch neue Abhängigkeiten.
Das Geschäft von DDN drehte sich bis vor Kurzem fast nur um Supercomputer und High-Performance-Computing (HPC). Dafür entwickelte es spezielle Speicherlösungen, mit denen sich grosse Datenmengen in hohem Tempo schreiben und lesen lassen. Erster Kunde war die NASA.
Erst jetzt will man „nach unten“, also in mittlere und kleinere Geschäftsumgebungen expandieren. Die bei HPC erfolgreich ins Spiel gebrachten schnellen Speicherverbindungen sollen jenem wesentlich grösseren Marktsegment an Firmen dienen, die sich mit Big Data und Datenanalysen beschäftigen, begründet Alex Bouzari den Strategiewechsel. DDN hat laut Bouzari ausreichend Erfahrung in Objekt- Storage und kann grosse Datenmengen aus den unterschiedlichsten strukturierten und unstrukturierten Quellen zusammenfassen und für Auswertungen vorbereiten. Die Skalierungseffekte sollen bis zu über 100 Milliarden Objekten oder über 100 Millionen Kundendaten reichen, sagt Bouzari. DDN reklamiert für sich, für diese Analyseprozesse Dutzende Rechenzentren von Web-, Cloud- und Service-Providern zusammenfassen zu können.
Alex Bouzari, Co-Founder und CEO von DataDirect Networks: „Wir sehen den Trend, dass Software alles bestimmt und die Hardware an Bedeutung verliert.“
Die technologische Basis wird von Einzel- oder integrierten Komponenten bestimmt. Dazu gehören Converged- und Hyperconverged-Speicherplattformen, Scale-out- und Scale-up-NAS-Systeme, Tiered Storage mit verschiedenen Speicherebenen von Memory über Disk-Files bis zu Tape und Cloud, Cloud- und Software-as-a-Service-Lösungen, All-Flash-Arrays und auf Anwendungen abgestimmte IO-Beschleunigung. Um dieses breite Produktspektrum up to date zu halten, arbeitet DDN laut Bouzari mit fast allen bedeutenden Server-, Speicher- und Virtualisierungsanbietern zusammen. Bouzari: „Eine wesentliche Rolle für unsere technischen Angebote spielen die enormen Leistungssteigerungen bei CPU- und Speicherressourcen, verbunden mit gleichzeitigen Preissenkungen, die es auch Newcomern ermöglichen, sich mit ihren Produkten zu etablieren. Ausserdem sehen wir den Trend, dass Software alles bestimmt und die Hardware an Bedeutung verliert.“
Als Referenzen verweist Bouzari auf die bestehenden HPC-Kunden, mit denen man in den letzten Jahren „zum grössten Speicheranbieter in Privatbesitz“ gewachsen sei. Darunter befinden sich global agierende Firmen aus den Branchen Finanzwesen, Öl- und Gas­industrie, Life Sciences und In­-dus­triegüter. DDN sei, so Bouza­ri, durchaus eine Alternative zu Anbietern wie NetApp, EMC oder Gray.
Analysten von Gartner oder IDC bewerten das Unternehmen positiv. Gartner ordnet DDN in seinem Magic-Quadrant-Report zu Disk-Arrays als „Herausforderer“ der Spitzengruppe aus EMC, IBM, NetAPP, Hitachi, HP und Dell ein – noch vor den viel grösseren Fujitsu und Huawei. DDN muss aber erst noch beweisen, dass es sich auch dort behaupten kann, wo die ausgewiesenen Big-Data-Experten zu Hause sind.

Big Switch Networks - Software-defined Networking

Big Switch Networks, 2010 gegründet, verfügt über ein Führungsteam, das bei Netzwerk-Branchenführern wie Cisco und Juniper Networks gearbeitet hat. CEO Douglas Murray zufolge sind die traditionellen Hersteller zu grundsätzlichen Neuerungen bei Netzwerken nicht mehr in der Lage, wie sie sich Big Switch Networks mit Software-defined Networking (SDN) auf die Fahnen geschrieben habe: „Im Rechenzentrum hat es grundlegende Transformationen durch die Virtualisierung bei Servern und Speichern gegeben, nur im Netzwerkbereich hat sich seit 15 Jahren nichts geändert.“ Bis jetzt steckten Investoren, darunter Michael Dell, 60 Millionen Dollar in das Start-up.
Douglas Murray, CEO von Big Switch Networks: „Im Netzwerkbereich hat sich seit 15 Jahren nichts geändert.“
Die technischen Ursprünge von Big Switch Networks liegen im Netzwerkprotokoll OpenFlow, das von HP gefördert wurde, und in der Stanford-Universität – die übrigens auch die Geburtsstätte des Start-ups Nicira ist, eines Pioniers für Software-defined Networking, der 2012 von VMware übernommen worden ist.
Als Vorbilder dienen ferner von Google, Facebook oder Amazon entwickelte Techniken. Murray betont: „Mit unseren Ideen einer Netzwerk-Virtualisierung sind wir viel näher an Google als an Cisco.“ Doch auch Cisco ist auf diesen Zug aufgesprungen. Und fast alle Netzwerkanbieter haben inzwischen etwas in Richtung SDN entwickelt oder hinzugekauft.
Big Switch Networks konzentriert sich auf den Netzwerk-Layer als Datenschicht über einer „bare metal“-Hardware-Schicht, wobei alle Software-Entwicklungen Open Source sein sollen. Netzwerk-Switches sollen hardwareunabhängig sein und den Unternehmen erlauben, sich aus den traditionellen proprietären Architekturzwängen zu befreien.
Mit Dell besteht eine enge Zusammenarbeit, was sich auch in dem 2014 gemeinsam entwickelten „Big Cloud Fabric“ zeigte. Dieser Switch ist offen für NSX (Nicira) und vCenter Server von VMware. Ob dies der Beginn einer näheren Kooperation mit VMware darstellt, wollte Murray nicht sagen. Im Moment stehe eine internationale Expansion des Start-ups an, erst im asiatischen Raum und danach in Europa.

EMC und XtremIO - Geldgeber kauft Start-Up

Das meiste Geld, das in die Start-up-Szene fliesst, stammt von Banken und Investmentfirmen. Aber auch die Traditionsfirmen der IT-Branche spielen diesbezüglich eine immer wichtigere Rolle. Fast alle verfügen sie über eigene Abteilungen, die in den Start-up-Markt investieren. 20 Prozent des Risikokapitals kommen inzwischen von Corporate VC – von IBM, Intel, HP und anderen.
Venture Capital: Das Risikokapital kommt nicht mehr nur von Investmentfirmen und Banken (VC Funding), sondern immer mehr auch von klassischen Unternehmen wie IBM und Intel, sogenannten Corporate Venture Firms (CVC Funding).
Wie Scott Darling, President EMC Ventures & Corporate Development, auf der EMC World im Mai berichtete, hat sein Unternehmen allein 2014 12 Milliarden Dollar in Start-ups investiert. Der Grund dafür liege auf der Hand: Technologische Entwicklungen seien so vielfältig und fänden auch ausserhalb der eigentlichen IT-Industrie statt. Daher könne man es sich nicht leisten, nur aus der Ferne zu beobachten. Direkte Teilnahme durch Geldspritzen und technologische Kooperation sei notwendig, um rechtzeitig wichtige Entwicklungen mitzubekommen.
Darling hatte auch gleich ein schlagendes Beispiel aus seinem eigenen Business parat: Mit dem Aufkommen der Flash-Technologie als ernsthafter (und existenzbedrohender) Alternative zu den Festplatten und Arrays, dem Brot-und-Buttergeschäft von EMC, investierte man bereits 2009 in das Start-up XtremIO, das sich auf Flash konzentriert hatte. Man tauschte Ingenieure aus und entwickelte gemeinsam. 2012 kaufte EMC dann XtremIO – und verfügt seither über eine eigene Flash-Technologie, um sich gegen die Angriffe von FusionIO (jetzt SanDisk), Nimble Storage, Pure Storage oder Violin wehren zu können.
Heute müsse man, so Darling weiter, schon sehr früh und mit hohen Beträgen in Start-ups einsteigen, da viele der jungen Firmen absolut überbewertet seien und ein Wettlauf der Finanziers eingesetzt habe. Die Frage, ob sich ein neuer Crash abzeichne, liess Darling unbeantwortert. Stattdessen betonte er, man sei im VC-Business auf gute Beziehungen und tiefe technische Kenntnisse angewiesen: „This is a people‘s business.“




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