Bar oder unbar?
03.12.2020, 06:41 Uhr
Wie das Corona-Jahr das Payment-Verhalten wirklich verändert hat
Gemessen an mancher Überschrift des Corona-Jahres 2020 scheint die Bedeutung von Bargeld zu schrumpfen. Doch ändert die Krise das Bezahlverhalten der Menschen in Europa wirklich grundlegend - vor allem das der bargeldliebenden Deutschen?
"Kontaktloses Bezahlen boomt", "Krisengewinner Girocard" - gemessen an mancher Überschrift des Corona-Jahres 2020 scheint die Bedeutung von Bargeld zu schrumpfen. Doch ändert die Krise das Bezahlverhalten der Menschen in Europa wirklich grundlegend - vor allem das der bargeldliebenden Deutschen?
Neueste Zahlen der Europäischen Zentralbank (EZB) bestätigen einen langjährigen Trend: Bereits im Jahr vor der Corona-Krise verlor Bargeld für Verbraucher weiter an Bedeutung. Zwar sind Scheine und Münzen demnach weiterhin das beliebteste Zahlungsmittel für kleinere Beträge an der Ladenkasse. Die Nutzung von Karten jedoch nimmt zu.
"In den letzten Jahren hat die digitale Revolution (...) dazu geführt, dass sich die Zahlungsgewohnheiten der Menschen stark verändert haben: Immer häufiger halten wir zum Bezahlen einfach eine Karte vor, Wischen über unser Smartphone oder nutzen eine Smartwatch", fasst EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta zusammen.
Nach Angaben der Währungshüter griffen die Verbraucher im Euroraum im vergangenen Jahr bereits bei fast jedem vierten Bezahlvorgang (24 Prozent) zur Plastikkarte. Bei der Erhebung drei Jahre zuvor waren es noch 19 Prozent. Der Anteil der Bargeldzahlungen sank im gleichen Zeitraum von 79 auf 73 Prozent.
Besonders häufig kommt Bargeld der EZB-Auswertung zufolge in Malta (88 Prozent der Transaktionen) sowie Zypern und Spanien (je 83 Prozent) zum Einsatz. Deutschland liegt mit 77 Prozent in der oberen Hälfte der 19 Euroländer. Am seltensten greifen die Niederländer zu Schein und Münze (34 Prozent). Deutschland liegt gemessen an den täglichen Kartenzahlungen pro Kopf unter dem Schnitt der Euroländer.
Bargeldloses Bezahlen bekam einen Schub
Sicher ist: Die Pandemie hat dem bargeldlosen Bezahlen auch hierzulande einen Schub gegeben. In Zeiten des grassierenden Virus gilt etwa das kontaktlose Bezahlen an der Ladenkasse als sehr hygienisch. Kunden müssen ihre Kreditkarte oder Girocard dabei quasi im Vorbeigehen nur vor das Lesegerät halten, die Daten werden verschlüsselt übertragen. Bei geringen Beträgen ist nicht einmal die Eingabe der Geheimnummer (PIN) nötig. Auch andere elektronische Methoden wie Apple Pay oder Google Pay sind im Kommen.
Das Handelsforschungsinstitut EHI geht davon aus, dass im laufenden Jahr rund eine Milliarde Einkäufe weniger im deutschen Einzelhandel mit Bargeld beglichen werden als 2019. "In jedem Fall wird das Jahr 2020 als das wachstumsstärkste Jahr für unbares Bezahlen in Deutschland seit Beginn der regelmässigen Erhebungen durch das EHI im Jahr 1994 eingehen", stellte Horst Rüter, Leiter des EHI-Forschungsbereichs Zahlungssysteme, Anfang November fest.
In einer EZB-Erhebung in den Euroländern im Juli 2020 gaben vier von zehn Befragten an, seit Beginn der Pandemie seltener Bargeld verwendet zu haben. Die Werbung für kontaktloses Bezahlen in der aktuellen Krise zeigt Wirkung. Ebenso wie die Sorge vieler Menschen, sich über Banknoten, die durch viele Hände gehen, das Coronavirus einzufangen - auch wenn Notenbanken diesbezüglich früh Entwarnung gaben. Fast 90 Prozent derjenigen, die in der aktuellen Krise häufiger auf Bargeld verzichten, wollen dies nach der Pandemie beibehalten (46 Prozent sicher, 41 Prozent wahrscheinlich).
Auf Cash verzichten will man nicht
Allerdings: Auf Cash ganz verzichten will die Mehrheit der Verbraucher bislang nicht. Betrachtet man beispielsweise die Gesamtzahl der Einkäufe im deutschen Einzelhandel, kommt Bargeld immer noch bei zwei Drittel aller Zahlungen zum Einsatz. Und auch in der am Mittwoch vorgelegten EZB-Bezahlstudie betonen 55 Prozent der Befragten, wie wichtig es ihnen ist, auch in Zukunft die Möglichkeit zu haben, auf Scheine und Münzen zurückgreifen zu können.
Ein Drittel der Verbraucher im Euroraum (34 Prozent) haben der EZB-Studie zufolge vorsorglich eine Barreserve zuhause, die meisten davon 100 bis 1.000 Euro. Die Menschen in Deutschland haben im Schnitt 107 Euro im Geldbeutel und horten 1.364 Euro Bargeld zu Hause oder in Bankschliessfächern. Das ergab eine im Juli veröffentlichte Umfrage der Deutschen Bundesbank mit 2.000 Teilnehmern aus dem Jahr 2018.
Währungshüter Panetta zeigt für solche Vorratshaltung Verständnis: "Selbst wenn digitale Zahlungen möglichst robust gestaltet werden, so bleiben sie doch anfällig für Störungen wie Stromausfälle, Cyber-Bedrohungen oder technische Störungen." Bargeld stelle dann "eine wichtige Absicherung und einen zuverlässigen Wertspeicher" dar. Zudem gebe es auch Menschen ohne Bankkonto oder diejenigen, die mangels digitaler Kenntnisse lieber auf Bargeld zurückgreifen.
"Wir sind daher weiterhin fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass Bargeld auch künftig im gesamten Euroraum weithin verfügbar ist und akzeptiert wird", bekräftigte Panetta. Zugleich jedoch treibt die EZB ihre Arbeiten an einer digitalen Version des Euro voran - als Ergänzung zur gedruckten und geprägten Gemeinschaftswährung. "Die Digitalisierung hat das Potenzial, den Zahlungsverkehr zu revolutionieren", resümierte Panetta. "Dennoch ist es wichtig, dass die privaten Haushalte und die Unternehmen in Europa weiterhin eine Wahl haben."