Neuentwicklung BVTax
08.11.2022, 10:25 Uhr
Web-App für kantonale Firmenbewerter
Den kantonalen Unternehmensbewertern in der ganzen Schweiz steht neu die Web-Applikation BVTax zur Verfügung. Sie löst eine bald 20-jährige Anwendung ab, mit der die Behörden viel Arbeit hatten.
Das kantonale Steueramt in Zürich war massgeblich an der Entwicklung von BVTax beteiligt
(Quelle: emineo)
Fast 20 Jahre Betriebszeit hatte die Fachapplikation «Wertschriften-Verzeichnis-Kontrolle» (WVK) auf dem Buckel. Die WVK war während dieser Jahre stabil gelaufen und hatte diverse Aktualisierungen zu verkraften. Ausserdem war ihr Funktionsumfang über die Jahre ständig erweitert worden, sodass ein Expertensystem entstanden war, das zwar fast jeden Spezialfall abbildete, in der Bearbeitung der grossen Zahl von Standardfällen jedoch die nötige Effizienz vermissen liess.
Viele Fälle sind tatsächlich Standard. Denn wenn natürliche Personen Titel oder Beteiligungen an einer Gesellschaft besitzen, müssen sie diese im Vermögensverzeichnis der Steuererklärung deklarieren. Für die Kontrolle dieser Angaben sowie die Veranlagung benötigen die kantonalen Wertschriftenprüfer einen Steuerwert. Handelte es sich dabei um eine nicht börsenkotierte Firma, wurde dieser Steuerwert bis anhin von den kantonalen Bewertern in der WVK-Applikation berechnet und allen kantonalen Steuerämtern bereitgestellt.
Aufwendige Pflege und Wartung
Eine 20-jährige Historie bedeutet für eine Software-Applikation allerdings auch, dass sie mit veralteten und oftmals pflegebedürftigen Technologien realisiert wurde. Bei WVK war das der Fall. Die Installation von Updates an den Arbeitsplätzen von Wertschriftenprüfern und den Bewertern in 26 Kantonen verursachte einen hohen Aufwand. So entschloss sich die zuständige Schweizerische Steuerkonferenz (SSK) zur Ablösung von WVK.
Im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung wurde Anfang 2019 ein Lieferant für eine anwenderfreundliche und effiziente Web-Applikation gesucht. Im Pflichtenheft stand weiter die Reduktion der Komplexität und der damit entstehenden Weiterentwicklungskosten. Auch sollten sich nach Möglichkeit die kantonalen Veranlagungslösungen sowie die Systeme für Druck, Versand und Archivierung in die neue Web-Applikation integrieren lassen. Der Lieferant musste sich überdies dazu verpflichten, Verbesserungsvorschläge im System schnell umzusetzen.
WVK wird von BVTax abgelöst
Den Zuschlag für rund 3,3 Millionen Franken erhielt im August 2019 die IT-Firma emineo aus Baar. Der Startschuss für das Projekt erfolgte im Herbst 2019. In der ersten Phase verschaffte sich emineo einen Überblick über die Praxis zur Bewertung von nicht kotierten Gesellschaften, um ein Projektteam mit den passenden Kompetenzen bilden zu können. «Ohne umfassendes fachliches und technisches Verständnis wäre es nicht möglich gewesen, mit den Experten der SSK auf Augenhöhe zu diskutieren und ihnen fundierte Vorschläge für die Funktionalität der neuen Lösung BVTax (Business Valuation Tax) zu unterbreiten», erinnert sich emineo-Projektleiter Alexander Zurkinden.
In einem nächsten Schritt wurden Prozesse, Rollen und die Informationsarchitektur definiert. Anschliessend ging es an die Umsetzung der Systemarchitektur, der Anwendungsfälle, der Benutzeroberfläche und der Berechnungs-Engine. Nach den Worten Zurkindens bestand die technische Herausforderung vor allem darin, die Web-Applikation BVTax in einen komplexen Systemverbund mit weiteren Lösungen und Akteuren einzubetten. Organisatorisch bestand die Herausforderung darin, alle Stakeholder einzubeziehen – sprich die 26 Kantone in drei Sprachregionen mit unterschiedlichen Gesetzgebungen sowie Prozessen. «Es war wichtig, alle beteiligten Parteien einzubeziehen, um eine hohe Akzeptanz der Lösung bei allen Kantonen zu erreichen. Gleichzeitig musste klar priorisiert und wenn möglich vereinheitlicht werden», so Zurkinden.
Für ihn und seine Kollegen lag ein Schlüssel für den Projekterfolg in der agilen und iterativen Zusammenarbeit zwischen der SKK und emineo, wobei man sich in wöchentlichen Workshops traf. In diesen Sitzungen präsentierte emineo jeweils Prototypen für verschiedene Anwendungsfälle. Diese wurden anschliessend in der Gruppe diskutiert und verfeinert und bildeten die Grundlage für die Entwicklung von BVTax.
Trotz Pandemie bleibt BVTax im Plan
Drei Monate nach dem Projektstart begann die Covid-Pandemie. Sie traf das Projekt, wie viele andere Organisationen, mit voller Wucht. Dass das Projekt trotzdem in der kurzen Zeitspanne erfolgreich bewältigt werden konnte, hatte verschiedene Gründe. Einer der Erfolgsfaktoren war, dass sowohl die SSK als auch emineo viel Erfahrung in der Abwicklung von Projekten haben. Ebenso wichtig war, dass ein hochkarätig besetztes Expertenteam der SSK während der ganzen Projektdauer zur Verfügung stand.
“BVTax ist ein tolles Exempel für eine erfolgreiche interkantonale Kooperation„
Alexander Zurkinden, emineo
Diese Fachgruppe brachte nicht nur ihr umfassendes Wissen in das Projekt ein, sondern arbeitete auch engagiert an der Entwicklung von BVTax mit. «Mit emineo konnten wir offen, transparent und auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Die pragmatische, lösungsorientierte und strukturierte Arbeitsweise hat uns auf der ganzen Linie überzeugt und wesentlich zum Erfolg dieses Projekts beigetragen», sagt Michael Baeriswyl, Delegierter Ressort Informatik der SSK.
Die Experten waren zudem bereit, den Funktionsumfang immer wieder kritisch zu hinterfragen und sich auf die Entwicklung einer von Grund auf neuen Lösung einzulassen. Denn es bestand einerseits das Risiko von weiterhin sehr hohen Anforderungen und andererseits der Wunsch, zukünftig alle Probleme der alten Applikation gelöst zu haben.
Neu verfügt die SSK über eine technisch ausgereifte und zukunftsfähige Lösung auf dem neusten Stand der Technik. Die Web-Applikation basiert auf Java und wird beim BIT (Bundesamt für Informatik und Telekommunikation) gehostet. Da BVTax zentral betrieben wird, müssen nun keine manuellen Updates mehr an den Arbeitsplätzen durchgeführt werden, und die bis anhin aufwändige jährliche Release-Planung entfällt.
Automatisierte Bewertung in Umsetzung
Die Applikation BVTax wird seit April 2022 in den Kantonen produktiv eingesetzt. Circa 2500 Benutzer setzen die Lösung in ihrer täglichen Arbeit ein. Ein aus Anwendersicht wichtiger Aspekt ist, dass der Bewertungsprozess
effizienter und intuitiver ist als früher. Dank der verbesserten Benutzerfreundlichkeit sparen die Bewerter viel Zeit. Inzwischen konnten damit weit über 100 000 Bewertungen durchgeführt werden. Geplant sind letztlich 300 000 Bewertungen pro Jahr von nicht kotierten Gesellschaften in allen kantonalen Steuerämtern.
effizienter und intuitiver ist als früher. Dank der verbesserten Benutzerfreundlichkeit sparen die Bewerter viel Zeit. Inzwischen konnten damit weit über 100 000 Bewertungen durchgeführt werden. Geplant sind letztlich 300 000 Bewertungen pro Jahr von nicht kotierten Gesellschaften in allen kantonalen Steuerämtern.
Ausserdem bietet BVTax weitreichende Möglichkeiten für die Automatisierung und die Digitalisierung der Prozesse. Etwa wird nach der Bewertung ein Eröffnungsschreiben an die betroffene Gesellschaft verschickt. Die Erstellung und der Versand dieses Schreibens erfolgen heute bereits in 15 Kantonen medienbruchfrei über eine Schnittstelle von BVTax zu den kantonalen Druckerstrassen und Archivierungslösungen. Derzeit werden bereits circa 50 Prozent der Schreiben automatisch und medienbruchfrei gedruckt, versendet und archiviert.
Das Projekt ist planmässig im Dezember 2022 offiziell abgeschlossen. Für die Zukunft ist eine noch engere Integration mit kantonalen Veranlagungslösungen vorgesehen. So kann künftig eine hohe Anzahl von Bewertungen vollständig automatisiert durchgeführt werden. Die Bewerter können sich dann noch stärker auf komplexe Sonderfälle fokussieren, in denen ihr ganzes Expertenwissen und ihre Erfahrung gefragt sind.