Messenger-App
12.01.2016, 10:10 Uhr

Snapchat: Mut zur Vergänglichkeit

Sich selbst löschende Inhalte, kein Upload: Snapchat versetzt die Marketing-Branche in Aufruhr. Doch was braucht es für eine erfolgreiche Markenkommunikation überhaupt?
(Quelle: shutterstock.com/360b)
Es war der 15. September 2014, als ­Borussia Mönchengladbach auf seiner Website folgende Meldung veröffent­lichte: "Borussia baut ihre Social-Media-Aktivitäten weiter aus. Ab sofort könnt ihr der Fohlenelf auch bei Snapchat folgen."
Bis zu diesem Zeitpunkt war Snapchat für viele Unternehmen, Marketing­abteilungen und Advertiser ein ­unbeschriebenes Blatt. "Uns hat ehrlich gesagt auch die mögliche Vorreiterrolle durchaus gereizt, weil wir bei den anderen Social-Media-Kanälen nicht gerade als ­experimentierfreudig oder innovativ galten", gesteht Andreas Cüppers. Er ist beim Bundesligateam vom Niederrhein für "Neue Medien" verantwortlich.
Auch heute, knapp eineinhalb Jahre später, können etliche Werbungtreibende nicht einschätzen, welchen Stellenwert Snapchat nun hat. Das bekommt Vincent Nicolai, Geschäftsführer der Berliner ­Social-Media-Agentur Buddybrand, in letzter Zeit verstärkt mit. Der Dienst zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus: Zum einen ist es nicht möglich, ­erstellte Inhalte hochzuladen - alles ist live -, zum anderen verschwinden Fotos und Videos automatisch nach 24 Stunden.
Danach sind sie nicht mehr ­abrufbar. Trotzdem hat sich Nicolai früh dafür entschieden, das Thema Snapchat aktiv zu besetzen. Auf Seite der Werbungtreibenden überwiegt aber noch die Skepsis. "Bei ­Unternehmen kommt häufig die Frage auf, welche Ziele der Kanal erfüllen kann", erklärt Nicolai und ergänzt: "Häufig stösst man bei Marken deshalb auf Mauern." Wer wissen will, was den Messaging-Dienst ausmacht, sollte sich eingehend mit dessen Besonderheiten befassen.

Die Grundlagen

Snapchat-steckbrief
Zwischen 100 und 200 Millionen monatlich aktive Nutzer (MAU) hat der Dienst mit dem Geist im Firmenlogo Schätzungen zufolge. Rechnet man die aktuellen Zahlen auf Deutschland herunter, so ergibt sich ein Wert zwischen fünf und sieben Millionen MAU. Täglich laden die Nutzer weltweit etwa 700 Millionen Bilder - die sogenannten Snaps - in die App hoch und verschicken diese an Freunde und Bekannte oder teilen sie in einer ­"Story" mit der gesamten Snapchat-­Gemeinde.
Anhand der Storys wird klar, wieso Snapchat nur bedingt mit den klassischen Nachrichtendiensten wie WhatsApp oder dem Facebook Messenger vergleichbar ist. Während bei den beiden Diensten aus dem Imperium von Mark Zuckerberg einerseits die One-to-One-, andererseits die Many-to-Many-Kommunikation im Vordergrund steht, besticht Snapchat durch eine dritte Form: die One-to-Many-Kommunikation.
Ein einzelner "Snapchatter", so werden die Nutzer ­genannt, kann über ­eine Geschichte, die er immer wieder durch weitere Bilder und Videos ergänzt, eine grosse Zahl von potenziellen Zuschauern erreichen.
Das ist ein Punkt, der für Marken durchaus interessant ist. Durch die Integration von Influencern oder - im Falle von Fussballvereinen - von bekannten Spielern, die ­bereits eine grosse Fanbasis haben, können schnell Reichweiten aufgebaut werden.
Karstadt Sports setzt zum Beispiel auf ­Maren und Alex, zwei Blogger aus dem Fitness-Bereich. Sie bringen insgesamt 100.000 Follower von Instagram mit und stehen damit bereits auf einer anderen Plattform eng in Kontakt mit einer jungen Zielgruppe. Die Influencer verbreiten über den Karstadt-Kanal Trainingstipps oder sind beispielsweise bei der exklusiven Präsentation von neuen Waren dabei.
Die Münchner Autovermietung Sixt will ebenfalls Influencer ansprechen. "Unseren Instawalk, ein Event, bei dem 20 Instagramer exklusiven Einblick in die BMW-Welt erhielten, haben wir auf Snapchat mit ­Moderation im 'Behind the Scenes'-Stil begleitet. Die Teilnehmer teilten den Foto-Content unter dem Hashtag #SixtmeetsBMWWelt auch auf anderen Kanälen", erläutert Matthias Stock, Team Lead ­Social Media bei Sixt.

Exklusivität statt Masse

Damit lässt sich ein "Problem" von Snapchat umgehen: Ausser über den sogenannten Snapcode - einen QR-Code, der sofort auf das Snapchat-Profil führt - ist die ­Integration in andere Kanäle nur schwer möglich.
Wer auf seinem Snapchat-Auftritt mehr Aufmerksamkeit erhalten möchte, sollte einerseits Meinungsführer und deren Follower gezielt einbinden und andererseits zusätzlich auf die Befeuerung durch die ­eigenen Markenauftritte auf Facebook und Co setzen.
Anfang Dezember machte Snapchat ­publik, dass es innerhalb des Discover-Features erstmals Deep Links zu Facebook und Twitter geben soll. Discover, das ist ein Monetarisierungsansatz von Snapchat, durch den künftig Einnahmen generiert werden sollen. Wer Snapchat auf seinem Smartphone startet, kommt mit einem Wisch von rechts nach links in den "Discover"-Bereich.
Und hier publizieren ­ausgewählte Medienunternehmen wie Cosmopolitan, Mashable oder Buzzfeed täglich frischen Content. Um zu diesem auserwählten Kreis zu gehören, so sagt man, muss ordentlich Geld fliessen.

Alles auf Snapchat ist vergänglich

Doch wer sich für sein Budget langfristig ­positive Auswirkungen in puncto Bekanntheit und Nutzerzahlen auf dem eigenen Snapchat-Auftritt erhofft, der könnte vom Effekt des eigenen Invests schnell enttäuscht werden. Alle Inhalte auf Snapchat sind vergänglich. Die Geschichten aus dem Discover-Bereich sind zum Beispiel nach einem Tag nicht mehr für die Nutzer abrufbar.
Snaps in privaten Chats sind, je nach Wunsch des Versenders, nur einige ­Sekunden nach dem Klick für den Empfänger sichtbar. Wenn sich der Empfänger die Nachricht ein zweites Mal ­ansieht, wird der Versender sofort über diesen Vorgang informiert. Der uneingeschränkte Abruf und damit die Weiterverwendung von Inhalten bleibt folglich nicht unbemerkt.
Selbst wenn eine von Marken aufge­setzte Story erfolgreich ist, ist das schwer messbar, denn Snapchat gibt Nutzern und Unternehmen kaum Einblicke in Statistiken. "Ausser Views kann ich nichts analysieren. Eine Engagement Rate gibt es nicht", weiss Experte Nicolai. Doch Marketingleiter erwarten detaillierte Kennzahlen, vollkommene Transparenz und ausführliche Analysemöglichkeiten.
Das sind sie von Google, Facebook und Twitter ­gewohnt. Diese liefert Snapchat - zurzeit - noch nicht. Abhilfe, zumindest in Teilen, schaffen kreative Ansätze. "Wir finden ­viele unserer Snaps auf Twitter und Instagram wieder", berichtet Stefan Mennerich, Direktor Neue Medien, Medienrecht und IT beim FC Bayern München. Deshalb schliesst der Manager auf eine "überdurchschnittlich hohe" Engagement Rate.

Jung und live

Ein letztes Merkmal von Snapchat, das für Marken bedeutsam ist, ist die starke Visualität der Inhalte des sozialen Netzwerks. Textnachrichten spielen im Gegensatz zu Bildern und Videos eine untergeordnete Rolle. Das spiegelt auch die Nutzergewohnheiten der Snapchatter wieder. Mehr als die Hälfte der User ist zwischen 16 und 24 Jahre alt (siehe Grafik). Dabei wurden niemand befragt, der noch nicht 16 Jahre alt ist. Tendenziell ist das Publikum also noch jünger. Das ist ein weiterer, spannender Faktor, vor allem für "Brands, die ­ihre Zielgruppe verjüngen wollen", sagt Nicolai.
Unternehmen, die Snapchat für die Markenkommunika­tion nutzen wollen, treffen derzeit noch auf einen jungfräulichen Markt. Die Nutzer rechnen nicht mit Werbung und klicken deshalb vermehrt auf die Inhalte in ihrer "Timeline". Da es keine Upload-Funktion für Bilder gibt, müssen sich die Marken darauf einstellen, den Content live und in Echtzeit zu erstellen.
Dabei ist es nicht immer möglich, auf die Corporate Identity zu achten und in jedem Bild das eigene Logo ein­zubauen. Bei einigen Marken könnte es deshalb durchaus zu Differenzen innerhalb der einzelnen Gremien kommen. "Für Unternehmen gibt es keine Vorlaufzeit oder Korrekturmöglichkeiten. Dafür bewegt sich der Content auch sehr nahe an den Nutzern", erläutert Buddybrand-Geschäftsführer Nicolai die Vorzüge dieses Nachteils.
Gerade dieser Faktor könnte aber auch kleinen und mittleren Marken eine bes­sere Position verschaffen. Wer mutig ist, Spontaneität beweist und auch die Kurz­lebigkeit der Snapchat-Inhalte bewusst in Kauf nimmt, kann ein Publikum erreichen, das so auf keiner anderen Plattform vorhanden ist - auch nicht auf WhatsApp oder Instagram.




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