Mobilfunk
10.08.2020, 08:49 Uhr
Neue Business-Chancen durch 5G
Nach langen Jahren der Vorbereitungen nimmt der neue Mobilfunkstandard allmählich Fahrt auf. Durch die hohe Geschwindigkeit von 5G ergeben sich völlig neue Business-Möglichkeiten.
5G ist nicht nur einfach eine weitere Mobilfunktechnik, sondern wird die Wirtschaft radikal beeinflussen. Bisher nicht gekannte Geschwindigkeiten und extrem kurze Latenzzeiten ermöglichen Anwendungen in Echtzeit auch über grosse Distanzen hinweg und in unterschiedlichsten Branchen. Die Basis dafür sind die intelligente Nutzung riesiger Informationsmengen, die Steuerung von Maschinen, aber auch Augmented und Virtual Reality.
Ausbau und Zeitplan
Die Frequenzen sind versteigert, aber das deutsche 5G-Netz steht noch ziemlich am Anfang eines langen Weges. Zwar können erste Nutzer die Technik bereits einsetzen, doch primär geht es noch darum, die nötigen Grundlagen für den künftigen Ausbau zu legen. Diese sind technischer, aber auch netzpolitischer Natur.
Sebastian Solbach, Head of Industry Telecommunication DACH beim IT-Dienstleister NTT DATA, meint dazu: «In Deutschland haben mittlerweile alle Betreiber die Planungsphase verlassen und arbeiten am sukzessiven Netzausbau. Erste Pilotprojekte und Zonen gibt es bereits, etwa in Berlin oder im Wolfsburger Bundesligastadion.» Einige Unternehmen sammelten auch schon Erfahrungen mit Campus-Netzen. Zuverlässige Zahlen zur momentanen Abdeckung gebe es zwar nicht, bis zur Flächendeckung sei es aber noch ein weiter Weg. «Aktuell wird das 5G-Netz auf das 4G-Core-Netz aufgebaut. Realistisch wird es ein Standalone-5G-Netz frühestens 2021 geben», resümiert Solbach.
Vodafone will bis 2021 20 Millionen Menschen in Deutschland Zugang zum 5G-Netz verschaffen. Und die Telekom hat vor, in den nächsten 18 Monaten die 20 grössten Städte Deutschlands an 5G anzubinden. Ambitionierte Ziele, die sich womöglich nicht erreichen lassen. «Bei NTT DATA haben wir uns das Ziel gesetzt, noch 2020 ein erstes 5G-Standalone-Campus-Netz aufzubauen», berichtet Solbach.
5G ist natürlich besonders im industriellen Umfeld von grossem Interesse. «Insgesamt sehen wir günstige industrielle Rahmenbedingungen für den Rollout von 5G», erklärt Lukas Baur, Vice President IoT bei Teamviewer. «Es gibt schon jetzt wachsende private Netze, die die Grundlage für einen Trend zur allgemeinen Verbreitung der Technologie darstellen. Die Verfügbarkeit auf öffentlicher Ebene erwarten wir für Ende 2023 bis Ende April 2025. Um 5G wirtschaftlich für eine breite Öffentlichkeit nutzbar zu machen, bedarf es erst einer kritischen Masse an Branchen, die die Technologie einsetzen.»
“Alle Unternehmen sollten bereits jetzt prüfen, welche Chancen ihnen die neue Kommunikationstechnologie bietet und welche Vorbereitungen sie treffen müssen.„
Jens Kühner, Senior Sales Manager Telco bei Red Hat
Für Dirk Wettig, Client Director Deutsche Telekom bei Cisco Deutschland, bewegt sich alles im grünen Bereich. «Aus unserer Warte läuft der Ausbau von 5G wie geplant. Wir sehen ein ungebremstes Interesse des Marktes, die Möglichkeiten von 5G umzusetzen.» Im Zuge der 5G-Vorbereitungen müssen Service-Provider ihre Netze so umgestalten, dass sie den erwarteten Traffic-Ansturm bewältigen. Laut dem «Cisco Annual Internet Report» soll es 2023 weltweit fast 30 Milliarden vernetzte Geräte geben, in Deutschland über 825 Millionen. Fast die Hälfte davon sind dann Mobilgeräte.
Jens Kühner, Senior Sales Manager Telco bei Red Hat, sieht 5G noch ganz am Anfang: «Nach wie vor geht es primär um die Evaluierung von Technologien und die Planung konkreter Aktivitäten. Einige Länder sind hier deutlich weiter. Die Netzabdeckung in Deutschland und die Anzahl der verfügbaren Endgeräte sind noch sehr limitiert.
Er fordert aber auch: «Alle Unternehmen sollten bereits jetzt prüfen, welche Chancen ihnen die neue Kommunikationstechnologie bietet und welche Vorbereitungen sie treffen müssen, wenn sie unmittelbar davon profitieren wollen. Aus meiner Sicht ist es essenziell, sich über die eigenen Potenziale und Anforderungen klar zu werden und diese mit den Netzanbietern abzustimmen.»
Probleme der Umsetzung
Die Entwicklung der 5G-Technik stellt sich als langwierig heraus. Bürokratische Hürden und technische Schwierigkeiten verzögern die Verbreitung. «Die Hersteller tun sich bis jetzt schwer, reine 5G-Standalone-Netze zu liefern. Bisher sind in der Regel Non-Standalone-Netze in Betrieb, die 4G und 5G kombinieren», so Sebastian Solbach von NTT DATA. «5G beruht jedoch auf einer völlig anderen Technik als 4G und hat eine kleinere Reichweite. Um das volle Potenzial des neuen Standards auszunutzen, bräuchte man daher deutlich mehr Antennen.»
Zur Verzögerung trägt auch bei, dass die Spezifikation der Technologie noch nicht abgeschlossen ist. «Um einen ausreichenden Funktionsumfang bereitstellen zu können, wird mindestens noch das kommende Release 16 benötigt. Erschwert wird dies nicht zuletzt durch komplizierte und langwierige Genehmigungsverfahren und teils grosse Bedenken in der Bevölkerung, was sich besonders auf die Standortsuche der Sender negativ auswirkt.» Zudem ist das Angebot an 5G-Endgeräten noch sehr begrenzt. Und neben dem reinen Netzausbau gibt es noch etliche andere Projekte, die die Anbieter auf Trab halten, etwa das Network Slicing.
Red-Hat-Manager Jens Kühner stellt den Kostenfaktor in den Vordergrund. «Alleine die Ersteigerung der Frequenzen hat die vier Anbieter in Deutschland fast 6,6 Milliarden Euro gekostet. Hinzu kommen die erheblichen Kosten für den erforderlichen Ausbau der Infrastruktur. So nutzt die 5G-Technologie höhere Frequenzen als die bisherigen Mobilfunkstandards. Dadurch verkürzt sich auch die Reichweite der Antennen, sodass in einem ersten Schritt massenhaft neue Funkmasten aufgestellt werden müssen.» Auf der anderen Seite sei kaum zu erwarten, dass die Mobilfunknetzbetreiber gegenüber den Kunden deutlich höhere Preise durchsetzen können. «Folglich müssen die Kommunikationsanbieter ihre Betriebskosten reduzieren. Eine Lösung dafür ist die Network Function Virtualization (NFV). Damit lassen sich Netzfunktionen, die bisher fest an Hardware gebunden waren, auf Netzwerk-Cloud-Infrastrukturen ausführen.» Das Einsparpotenzial liege bei geschätzten 40 bis 60 Prozent.
“Campus-Netze bieten Unternehmen erstmals die Möglichkeit, mit relativ geringem Aufwand und überschaubaren Kosten ein eigenes, privates Netzwerk aufzubauen.„
Sebastian Solbach, Head of Industry Telecommunication DACH bei NTT DATA
«Eine andere Möglichkeit wäre die Entwicklung neuer Betreibermodelle, bei denen sich mehrere Unternehmen Infrastrukturen teilen. Wichtig ist dabei, dass die virtuellen Netzfunktionen, die auch in Linux-Containern (Container Network Functions – CNF) zur Verfügung stehen werden, weitestgehend unabhängig von der jeweiligen Implementierungsvariante der darunterliegenden Netzwerk-Cloud-Plattform sind. Red Hat nennt diesen Ansatz Multi-Hybrid-Cloud.» Entscheidend für den Erfolg dieses Modells sei die konsequente Automatisierung der Infrastruktur. Sie umfasse nicht nur den Betrieb, sondern den gesamten Lebenszyklus der virtualisierten oder containerisierten Netzfunktionen und der Cloud-Plattform.
Lukas Baur von Teamviewer sieht ein Problem in der unterschiedlichen Abdeckung von 5G und 4G. «Es geht um die Frage einer hohen Dichte über kleinere Gebiete und die damit verbundenen Anwendungsfälle sowie die Nutzungsmöglichkeiten bei geringer Dichte über grössere Gebiete.» Zum Beispiel brauche es für den Einsatz in der intelligenten Stadt, etwa für smarte Sicherheitstechnik, eine sehr hohe Bandbreite, was für 5G spreche. Die Einführung der Technologie für ortsbezogene Dienste in ländlichen Gegenden sei dagegen wohl schwerer zu begründen.
«Vorhandene Technologien und Systeme werden ausserdem bei ereignisgesteuerten Anwendungsfällen, die vor allem im Bereich Konnektivität/IoT zu finden sind, nicht komplett ausgelastet. Der Bedarf an hohem Datenverbrauch und niedriger Latenz ist noch nicht so gross, um ihn durch die Einführung von 5G zu decken.» Um den Einsatz von 5G wirtschaftlich effizient zu machen, müsse er leicht skalierbar sein. Dazu müssten die Telekommunikations- und Infrastrukturunternehmen umfangreiche Vorarbeiten durchführen. «Jetzt gilt es zu investieren.»
Business-Szenarien
Die Reaktionszeiten im 5G-Netz ermöglichen innovative Anwendungen für die Smart Factory und das Industrial IoT. Vernetzte Maschinen und Sensoren kommunizieren selbstständig miteinander, mobile Roboter werden aus der Ferne gesteuert. In der industriellen Fertigung lassen sich so Maschinenlaufzeiten optimieren und Ausfallzeiten reduzieren. Tracking-Sensoren revolutionieren die Logistik. Dazu kommen Bereiche wie Connected Car, Remote Healthcare und Landwirtschaft 4.0. Bandbreite und Latenz von 5G bringen Augmented Reality voran und verhelfen Connected Work zum Durchbruch.
Dirk Wettig von Cisco sieht den grössten Nutzen für Unternehmen darin, existierende Inhouse-Infrastrukturen mit den Möglichkeiten von 5G zusammenzuführen. Damit könne die Erfahrung der Endnutzer so verbessert werden, dass diese nicht mehr wahrnehmen, ob IT-Anwendungen über 5G, LTE oder Wi-Fi laufen. «Unsere Lösungen koppeln die Kontrollpunkte der lokalen Netze mit denen der öffentlichen Mobilfunknetze. Durch die entsprechenden cloudbasierten Sicherheitslösungen wird an dieser Stelle auch eine ausreichende IT-Security im Netzwerk gewährleistet.»
«Im Vergleich zum bisherigen Standard ist 5G besonders verlässlich und bietet hohe Bandbreite bei sehr geringer Latenz», betont Sebastian Solbach. «Die Technologie ist damit relevant für alle Anwendungen, in denen grosse Datenmengen möglichst in Echtzeit ausgetauscht werden müssen, etwa in der Automatisierung, Videoüberwachung oder Produktionssteuerung – Stichwort Industrial IoT. Weil es sich um eine drahtlose Technologie mit geringer Latenzzeit handelt, können Fertigungsstrassen flexibel gehalten und relativ unkompliziert angepasst werden», so der NTT-DATA-Manager.
«Im Detail sind drei Hauptanwendungsfälle zu unterscheiden: eMBB – Enhanced Mobile Broadband, URLLC – Ultra-Reliable and Low-Latency Communications und mMTC – massive Machine-Type Communications», führt Red-Hat-Mann Kühner aus. «eMBB bietet hohe Datenübertragungsraten und unterstützt extreme Breitbandanforderungen, etwa für Bereiche wie Augmented oder Virtual Reality. Das URLLC-Anwendungsprofil ist für zeitkritische und sicherheitsrelevante Applikationen vorgesehen, etwa im Umfeld des autonomen Fahrens oder bei Predictive Maintenance. Bei mMTC geht es um die Unterstützung vieler Geräte und kleiner Datenmengen bei niedrigen Kosten und geringem Energieverbrauch – auch unter schwierigen Empfangsbedingungen; damit ermöglicht mMTC eine Optimierung von M2M- und IoT-Anwendungen, etwa bei Smart-Home- oder Smart-City-Modellen.»
Praxisbeispiele mit 5G
«Abgesehen von den Angeboten traditioneller Mobilfunkbetreiber gibt es eine grosse Bandbreite potenzieller Anwendungsfälle für private 5G-Netze», erläutert Jens Kühner. «Bei Flughäfen ermöglicht 5G dank der Bandbreite eine zuverlässige, sichere Rollfeldüberwachung mit der Auswertung von Telemetrie- und Remote-Sensor-Daten. Im Bergbau kann 5G durch die niedrige Latenz die Kommunikation und Steuerung selbstfahrender Fahrzeuge und Maschinen sicherstellen.»
Und im Smart Manufacturing ist kollaborative Robotik ein gutes Beispiel. Damit Mensch und Maschine sicher zusammenarbeiten können, muss der Roboter in Echtzeit reagieren können. Das geht nur mit äusserst niedrigen Latenzzeiten.
Ein Sektor, der einem bei 5G nicht sofort einfällt, ist die Filmbranche. Doch dort wird regelmässig mit sehr grossen Datenmengen hantiert. Rohmaterial wird üblicherweise auf Festplatten per Kurier verschickt. Mit einem Campus-Netz liesse sich das Material dagegen in einer akzeptablen Zeit und sicher digital übertragen.
Auch öffnet 5G die Tür für VR- und AR-Anwendungen – nicht nur im Gaming-Bereich. «Unsere Stadion-Experience-Anwendung funktioniert so», erklärt Sebastian Solbach: «Ein Zuschauer in einem Fussballstadion hält sein Handy auf einen Spieler und bekommt Statistiken über seine bisherige Performance, seine Historie und Prognosen, was er im Spiel noch leisten könnte. Das Ganze funktioniert in Echtzeit. Die Entertainment-Industrie steckt voller Möglichkeiten.»
Cisco-Manager Dirk Wettig sieht Einsatzmöglichkeiten auch in der Landwirtschaft: Autonom fahrende Mähdrescher fordern während der Ernte selbstständig Ladewagen an und befüllen sie. Auf dem Feld verteilte Sensoren sorgen für optimale Düngung und Bewässerung. Feldroboter bringen eigenständig die Saat aus oder jäten Unkraut. Drohnen prüfen über Fotos und Bildverarbeitung den aktuellen Stand der Reife. Zudem überwachen Sensoren die Bedingungen im Stall und überprüfen die Milchleistung von Kühen.,
“Geringere Latenzzeiten sind eine der technologischen Kernerweiterungen, die wir durch 5G-Netze erreichen.„
Dirk Wettig, Client Director Deutsche Telekom bei Cisco
Königsweg Campus-Netzwerke
Campus-Netze – Funknetze, die auf begrenzten Gebieten wie Firmengeländen oder Fabrikhallen eingesetzt werden – ermöglichen die räumlich limitierte Nutzung eines nicht öffentlichen Mobilfunknetzes. Solche Netze kann ein TK-Provider als Service bereitstellen, die Unternehmen können sie für eine grundstücksbezogene Nutzung aber auch selbst betreiben. Eine Voraussetzung dafür sind Lizenzen und Eigentum des Grundstücks. Zudem darf das Netz nur für innerbetriebliche Anwendungen genutzt werden.
«Campus-Netze bieten Unternehmen erstmals die Möglichkeit, mit relativ geringem Aufwand und überschaubaren Kosten ein eigenes, privates Netzwerk aufzubauen», schwärmt
Sebastian Solbach. «Das sorgt für erhöhte Mobilität und Zuverlässigkeit, auch wenn viele Endgeräte parallel im Einsatz sind. Da die Frequenzen nicht mit anderen Parteien geteilt werden, können Netzwerk-Besitzer jederzeit volle Verfügbarkeit erwarten.»
Sebastian Solbach. «Das sorgt für erhöhte Mobilität und Zuverlässigkeit, auch wenn viele Endgeräte parallel im Einsatz sind. Da die Frequenzen nicht mit anderen Parteien geteilt werden, können Netzwerk-Besitzer jederzeit volle Verfügbarkeit erwarten.»
Eine zentrale Bedingung für den Aufbau eines Campus-Netzes ist laut Jens Kühner die Nutzung einer Container-Plattform, auf der die cloudnativen Services eines 5G-Netzes ausgeführt werden können. Und Dirk Wettig konstatiert: «Ein zweckorientiertes Campus-Netzwerk zeichnet sich dahingehend aus, dass es alle erforderlichen Konnektierungsformen unterstützt. Dazu gehören sowohl drahtlose Varianten als auch drahtgebundene und weitere Wide-Area-Anbindungsformen. Nahezu alles, was früher ein physischer Prozess war, wird zunehmend digitalisiert. Industrie 4.0 definiert Produkte und Prozesse digital neu und ein Campus-Netzwerk unterstützt dies, indem es multiple Campus-Zugangstechnologien bereitstellt. So lassen sich Mobilfunknetzwerke massschneidern, die Maschinen und Abläufe praktisch verzögerungsfrei vernetzen.»
5G und die Sicherheit
Der Security-Experte Bruce Schneier prangert an, dass viele Sicherheits-Features bei 5G nur optional sind. Zudem seien die Standards zu komplex, um sie sicher zu implementieren. Wenn die 5G-Einführung Fahrt aufnehme, müssten die Anwender allein aufgrund der Neuartigkeit der Technik mit vielen Schwachstellen rechnen.
Die Anbieter sind schlecht gerüstet, um entsprechende Bedrohungen zu bekämpfen. Gefahren im Zusammenhang mit 5G-Netzwerken ergeben sich aus Software-Operationen – das 5G-Netzwerk wird von einer potenziell anfälligen Software gemanagt – und aus der verteilten Topologie, mit der bei einer sehr grossen Anzahl vernetzter IoT-Geräte breitere Angriffsmöglichkeiten einhergehen.
Optimistisch ist Sebastian Solbach: «5G ist grundsätzlich sicherer als 4G oder 3G, denn Verschlüsselung ist in diesen Standards bereits dabei. Zusätzliche Sicherheit ist gewährleistet, wenn Wi-Fi-6-Authentifizierungsverfahren integriert werden. Besonders sicher sind 5G-Campus-Netze, bei denen das Netz unter der Kontrolle des Anwenders steht.»
Doch auch die sichersten Systeme müssen korrekt implementiert werden: «Mobilfunknetze sind im Vergleich zu anderen Systemen relativ sicher, wurden aber in der Vergangenheit auch von Unternehmen betrieben, die über umfangreiche Erfahrungen in der Aufrechterhaltung der Sicherheit verfügen», betont Jens Kühner. «Bei der Einführung privater 5G-Netzwerke wird es also zum einen von den neuen Betreibern abhängen, ob sie über die Skills für einen sicheren Betrieb verfügen. Zum anderen sollten aber auch die Lösungsanbieter Netzwerke und Infrastrukturen mit maximaler Sicherheit konzipieren.»
Zweiklassen-Mobilfunk
Eine Frage, die sich im Zusammenhang mit 5G stellt, ist die der Netzneutralität. Sind privilegierte Services zu erwarten? Sebastian Solbach geht nicht davon aus: «Es wird weiterhin ein öffentliches neutrales Netz geben. Durch die Nutzung von privaten Netzen, etwa Campus-Netzwerken, können spezifische Sub-Netze aufgebaut werden, ohne die Netzneutralität zu verletzen. Sicher ist es vorstellbar, dass bei der Vergabe von Bandbreiten bezahlte Dienste bevorzugt behandelt werden. Nichts anderes passiert aber auch jetzt schon. Mit Network Slicing können Services noch spezifischer an die Anwendungen angepasst werden.»
Für Jens Kühner von Red Hat ist die Netzneutralität in der Hauptsache eine politische und keine technische Frage. In technischer Hinsicht unterstütze 5G das Konzept des Netzwerk-Slicings, um Instanzen des Netzwerks bereitzustellen, die sich für unterschiedliche Anwendungsfälle eignen. Ein Slice könne zum Beispiel für Anwendungen mit niedrigen Latenzzeiten und ein anderer für solche mit hoher Bandbreite ausgelegt sein. Hierbei gehe es nicht darum, bestimmte Anwendungsfälle zu priorisieren oder zu privilegieren, sondern vielmehr darum, das Netzwerk auf unterschiedliche Anforderungen abzustimmen. «5G sollte in der Regel genügend Möglichkeiten bieten, dass keine technische Notwendigkeit besteht, einen Service einem anderen vorzuziehen.»
Initialzündung fürs IoT
Voraussetzung für den Einsatz von IoT ist, dass Daten digital vorliegen, die Endgeräte mit der entsprechenden Hard- und Software ausgestattet sind und grosse Datenmengen übertragen werden können. 5G hat zwar keine Auswirkungen auf die ersten beiden Kriterien, ist jedoch entscheidend für den dritten Aspekt. 5G kann das IoT also nicht im Alleingang beflügeln, erschliesst aber viele neue Möglichkeiten.
Jens Kühner ist davon überzeugt, dass IoT-Anwendungen auf jeden Fall von 5G profitieren. «Neue Basistechnologien wie 5G forcieren die IoT-Verbreitung, zumal 5G zum Teil im Hinblick auf IoT entwickelt wurde und innovative Anwendungsfelder eröffnet. Es werden aber nicht alle 5G-Vorteile überall zur Verfügung stehen, also muss man den Anwendungsfall, die Anforderungen und die angebotenen Leistungen im 5G-Netz beachten und dann eine funktionierende Lösung erarbeiten.»
Darüber hinaus müsse berücksichtigt werden, dass die 5G-Einführung allein nicht zwangsläufig zu einer höheren Effizienz von IoT-Services beiträgt. Gerade die Kombination von 5G- und Edge-Implementierungen, die cloudnative Technologien und softwaredefinierte Infrastrukturen nutzen, sei von entscheidender Bedeutung.
Konkurrenz durch Wi-Fi 6
Parallel zu 5G steht Wi-Fi 6 in den Startlöchern. Entsteht hier eine Konkurrenz? Sebastian Solbach verneint dies. «Im Gegenteil, die beiden Systeme können sich sogar gegenseitig ent-lasten. 5G und Wi-Fi 6 nutzen Autorisierungsverfahren, die miteinander kooperieren. Der Wechsel von Mobilfunk zu WLAN orientiert sich an der tatsächlichen Auslastung. Statt Konkurrenz wird es also eher zu einer Koexistenz kommen. Anwendungen, für die eine niedrige Latenz oder höchste Verfügbarkeit essenziell sind, werden über 5G verarbeitet, während Wi-Fi 6 dazu beitragen kann, das Netz zu entlasten.»
«5G und Wi-Fi 6 sind komplementär», meint auch Dirk Wettig. «Beide Technologien basieren auf vergleichbaren Grundlagen. So bringt Wi-Fi 6 ähnlich wie 5G höhere Datenraten, niedrigere Latenzzeiten und höhere Kapazitäten für den Anwender als die jeweiligen Vorgängerversionen. Private 5G-Netze, die auf lizenzierte und damit reservierte Frequenzspektren aufsetzen, sind hier ebenfalls eine Alternative. Je nach Anwendung und Anwendungsbereich lässt sich die optimale Zugangstechnologie nutzen. Wi-Fi 6 eignet sich eher für geschlossene Räume und zur Abdeckung kleiner geografischer Bereiche, etwa Ställen und Höfen.» Allerdings sei Wi-Fi 6 technisch etwas eingeschränkt durch die Frequenzbänder, in denen es arbeitet.
Eine Scheibe 5G
Beim Network Slicing wird ein physisches Netz virtuell und nach Bedarf in individuelle Netze unterteilt. Der Netzbetreiber definiert also innerhalb eines Netzes einzelne Netzscheiben gemäss den jeweiligen Anforderungen. «In manchen Bereichen der Maschinenautomatisierung ist ein sehr hoher Datendurchsatz entscheidend, in anderen kommt es vor allem auf die niedrige Latenz an», erläutert Sebastian Solbach. «Das lässt sich über Slices gut abbilden. Sie erlauben es dem Anwender, zu priorisieren und das System so insgesamt zu entlasten.» Diese Leistungsmerkmale sind etwa für die Steuerung von Robotern unverzichtbar. Unterschieden wird zwischen Vertical Slicing, das bestimmte Prozesse in der Wertschöpfung in den Blick nimmt, und Horizontal Slicing, bei dem etwa alle Geräte mit einem niedrigen Energieverbrauch in einem Slice zusammengeführt werden. Denkbar ist auch, dass Anbieter aus Network Slicing neue Produkte entwickeln, etwa in Form eines «Slice as a Service»-Modells.
Teamviewer-Manager Lukas Baur ist skeptisch, was Network Slicing angeht: «Obwohl das Konzept darauf abzielt, private Netzwerkinstanzen zur Verfügung zu stellen, bietet es möglicherweise keinen signifikanten Mehrwert, könnte aber zusätzliche Komplexität beim Onboarding, der Bereitstellung und der Verwaltung externer Komponenten mit sich bringen.»
“Um 5G wirtschaftlich für eine breite Öffentlichkeit nutzbar zu machen, bedarf es erst einer kritischen Masse an Branchen, die die Technologie einsetzen.„
Lukas Baur, Vice President IoT bei Teamviewer
Latenz als Schlüsselfaktor
Zu den spezifischen Merkmalen von 5G zählt die besonders geringe Latenz. Sie spielt überall dort eine Rolle, wo es um Echtzeit-Anwendungen geht. Ein häufig genanntes Beispiel ist das autonome Fahren. «Bei 5G liegt die Latenz bei einer Millisekunde – gerade mal ein Zehntel der menschlichen Wahrnehmungsschwelle», weiss Sebastian Solbach. «Springt unverhofft ein Kind auf die Strasse, kann das Auto also bereits reagieren, bevor der Fahrer die Gefahr bewusst registriert hat. Damit verbunden ist das Thema Connected Car, bei dem die Fahrzeuge während der Fahrt untereinander Daten austauschen und daraus Echtzeit-Prognosen generieren.»
Auch im Healthcare-Bereich können geringe Latenz und hohe Geschwindigkeit Leben retten, etwa durch medizinische Fernunterstützung bei Notfällen. Mit dem neuen Mobilfunkstandard wäre es denkbar, dass ein zugeschalteter Arzt die Ersthelfer vor Ort in Echtzeit begleitet und anleitet. «Auch Ferndiagnosen und sogar Fern-OPs werden so realistische Szenarien und teilweise bereits durchgeführt», so Solbach.
Erst durch die sehr kurzen Latenzzeiten lässt sich das Potenzial von Internet of Things, personalisierten Robotern sowie Augmented Reality und Virtual Reality vollständig ausschöpfen. «Klar ist, dass 5G dank höherer Datenraten und extrem niedriger Latenzzeiten eine neue Generation von Services ermöglicht», erklärt Jens Kühner. Dabei dürfe aber nicht übersehen werden, dass auch die Datenverarbeitung und die Rechenleistung näher an den Endbenutzer gebracht werden müssen. Somit müsse auch Edge-Computing im Mittelpunkt der Aktivitäten von Mobilfunkbetreibern stehen. Und Dirk Wettig meint: «Geringere Latenzzeiten sind eine der technologischen Kernerweiterungen, die wir durch 5G-Netze erreichen.»
Im Gespräch mit Andy Rowland von BT
Andy Rowland, Head of Customer Innovation, Energy, Resources und Manufacturing beim britischen Telekommunikationsunternehmen BT, erklärt im Interview, wie sich 5G im Unternehmen nutzen lässt –und warum man sich nicht gänzlich darauf verlassen sollte.
Welche Möglichkeiten eröffnen sich für Unternehmen dank 5G?
Andy Rowland: 5G wird für Unternehmen ganz neue Anwendungsszenarien eröffnen, ähnlich wie 4G (LTE) für Verbraucher neue Möglichkeiten eröffnet hat. Während 4G die Grundlage für das Wachstum von Apps der Social-Media- und Streaming-Dienste-Anbieter auf Smartphones war, unterstützt 5G Anwendungen wie Augmented Reality, Remote Healthcare und autonomes Fahren. Für Unternehmen werden insbesondere auch private 5G-Netze interessant sein für Anwendungen, bei denen niedrige Latenzzeit, hohe Bandbreite und stabile Verfügbarkeit entscheidend sind.
Können Sie praktische Beispiele nennen?
Rowland: Der Einsatz von 5G ermöglicht es älteren Ingenieuren, die kurz vor der Rente stehen, ihre jüngeren Kollegen mit Hilfe von Augmented Reality aus der Ferne zu unterstützen. Nachwuchskräfte, die eine 30 Jahre alte Werkzeugmaschine warten sollen, können so von dem Wissen der älteren Kollegen profitieren, ohne dass diese selbst am Einsatzort präsent sein müssen. Wenn man zur Anbindung der AR-Headsets 4G nutzte, waren die Latenzen zu gross, was zu Schwindel und Übelkeit führte. Ausserdem war die Verbindung über öffentliches 4G extrem anfällig. Mit 5G lief die Verbindung unterbrechungsfrei. Aktuell ist die Schulung über AR-Headsets ein grosses Thema, da Mitarbeiter wegen Covid-19 weitgehend remote arbeiten.
Worin liegt der Nutzen von Campus-Netzwerken?
Rowland: 5G ermöglicht sowohl hohe Bandbreiten als auch die Anwendung in Gebäuden. Typischerweise werden mehr, dafür kleinere Zellen als bei der 4G-Technologie zur Abdeckung verwendet. Ein gutes Beispiel sind unsere Installationen in Häfen, bei denen wir 5G für Virtual-Reality-Anwendungen einsetzen. Wir richten dort eine realistische Trainingsumgebung für Situationen ein, in denen es zu gefährlich ist, Worst-Case-Szenarien mit den Mitarbeitern physisch durchzuspielen. 5G verändert auch die Art und Weise, wie sich mit einem Netzwerk von Sensoren an Containern und Anlagen die Aktivitäten und Bewegungen von Ladungen überwachen lassen. Die Sensoren zeichnen Bewegungs- und Umweltinformationen aus grossen Teilen des Hafengebiets in Echtzeit auf, sodass die Hafenbehörde die Bewegungen von Ladungen im Hafen lückenlos verfolgen kann.
Wie ist die Lage in Bezug auf die Sicherheit?
Rowland: Sicherlich bringt 5G neue Sicherheitsherausforderungen, die in Betracht gezogen werden müssen. So erhöht 5G die Geschwindigkeit und die Menge der übertragenen Daten erheblich, folglich lassen sich mehr IoT-Geräte mit höherer Kapazität einsetzen, die wiederum geschützt werden müssen. Allerdings bietet 5G auch klare Sicherheitsvorteile gegenüber früheren Technologien – zum Beispiel durch die Möglichkeiten des Network Slicings, die verbesserte Authentifizierung von Teilnehmern und das schnellere Patching.
Wird 5G das IoT voranbringen?
Rowland: Viele IoT-Ökosysteme funktionieren bereits gut mit bestehenden Technologien wie LoRaWAN, Schmalband-IoT und CAT M1. 5G wird wahrscheinlich den grössten Einfluss auf besonders geschäftskritische oder sensible Anwendungen haben. Dazu gehören Anwendungen aus dem medizinischen Bereich (Remote Healthcare) und die Überwachung von Maschinen, wo hohe Verfügbarkeit und geringe Latenzzeiten besonders wichtig sind. In diesem Szenario ist ein privates 5G-Netz wahrscheinlich die beste Option.
Stehen sich 5G und das kommende Wi-Fi 6 gegenseitig im Weg?
Rowland: Wir erwarten, dass Wi-Fi 6 und 5G sich ergänzen werden. Wi-Fi 6 wird wahrscheinlich eher die bevorzugte Technologie für hochwertige Datennetze in Innenräumen werden. 5G wird mit einem höheren Frequenzspektrum eingesetzt – das wirkt sich positiv auf die Kapazität aus, gleichzeitig werden Innenbereiche von Gebäuden nicht so gut durchdrungen. Wie bei jeder neuen Generation von Mobilfunknetzen sind die Preise für die neuen Chipsätze entsprechend hoch. Das bedeutet für 5G, dass es in einer typischen Unternehmensumgebung viele Geräte geben wird, die diese neue Technologie nicht unterstützen und somit Wi-Fi benötigen.
Was bringt Network Slicing im Unternehmen?
Rowland: 5G-Netzwerk-Slicing ermöglicht es Betreibern, virtuelle Ende-zu-Ende-Netzwerke aufzubauen, die für bestimmte Servicetypen vorgesehen sind. Ein Beispiel ist das Angebot einer wesentlich höheren Servicequalität (Priorisierung) für einen Slice, der für die Rettungsdienste bestimmt ist. Network Slicing wird mit zukünftigen 5G-Versionen immer mehr Verbreitung finden. In der Zwischenzeit können partielle Slices in privaten oder hybriden Netzwerken zum Einsatz kommen, um bestimmte Arten von Datenverkehr innerhalb eines Kundenstandorts zu separieren. So könnte etwa ein Teil der Daten an einen lokalen Netzwerkknoten gesendet werden, ein anderer an einen zentralen Netzwerkknoten.
In welchen Szenarien ist die Latenz von Bedeutung?
Rowland: Abgesehen von Augmented Reality ist eine niedrige Latenzzeit entscheidend für Angebote wie Remote Healthcare oder auch das Monitoring von CNC-Maschinen. Da CNC-Maschinen schneller und komplexer geworden sind, sind die damit verbundenen Kosten gestiegen. Eine Lösung, die beispielsweise den Zustand der Spindel in Echtzeit überwacht und frühzeitig vor einem drohenden Ausfall warnt, würde Ausfallzeiten und Reparaturkosten erheblich reduzieren. Gegenwärtig werden PCs auf Werkzeugmaschinen befestigt, um diese zu überwachen. Privates 5G mit niedriger Latenz würde eine billigere, zentralisierte Überwachung ermöglichen.