Negativer Einfluss 07.07.2016, 14:15 Uhr

Wie Twitter-Bots Brexit-Wähler betrogen haben

Die Entscheidung ist längst gefallen: Die Mehrheit der Briten will aus der EU. Insbesondere auf Twitter wurden die Austritt-Befürworter offenbar von Bots unterstützt. Eine neue Form der Einflussnahme.
Die Bots machten Stimmung für den Brexit
(Quelle: Shutterstock.com/Gutzemberg)
Die Katerstimmung vom Morgen nach dem EU-Referendum in Grossbritannien ist auch zwei Wochen später nicht wirklich verschwunden. Die Folgen des Brexit für den Online-Handel sind ebenso wenig abzusehen, wie die politischen Folgen für das (noch) Vereinigte Königreich. 
Philip N. Howard, seines Zeichens Professor an der Universität Oxford, und sein ungarischer Kollege Bence Kollanyi haben im Nachgang des Votums 1,5 Millionen Tweets von mehr als 300.000 Twitter-Accounts untersucht und sind dabei zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen: Ein nicht zu unterschätzender Anteil von Tweets wurde automatisiert über Bots abgesetzt. Der Grossteil der kleinen Roboter sprach sich für einen Brexit aus. Wie gross der Einfluss der Twitter-Bots auf die tatsächliche Wahlentscheidung war, so schreiben die beiden Autoren, könne man natürlich nicht belegen.

Unterbewusste, politische Beeinflussung

Die meisten Bot-Accounts auf Twitter bestehen lediglich aus den zur Anmeldung notwendigen Informationen und verfügen deshalb über kein Profilbild. Dadurch haben sich die Bots auf dem Kurznachrichtendienst den Namen "Twitter Eggs" verdient - weil das Standard-Profilbild bei Twitter ein Ei ist.
Im Untersuchungszeitraum vom 5. bis zum 12. Juni wurde auf Basis von 25 relevanten Hashtags und dem Kontext der Tweets entschieden, ob ein Tweet Pro-EU (z.B. #StrongerIn), Pro-Brexit (z.B. #Brexit) oder neutral einzuordnen ist. Die beiden aktivsten Accounts in der Twitter-Debatte @ivoteLeave und @ivotestay basierten beide auf künstlicher Intelligenz.
Quelle: COMPROP Research Note
Unabhängig vom Einfluss von Bots ist die Anzahl der austrittsfordernden Hashtags knapp drei Mal höher als die der Pro-EU-Fraktion und doppelt so gross wie die Anzahl der neutralen Hashtags (z.B. #inorout). Hieraus lässt sich allerdings schon eine erste Tendenz ablesen: Die Stimmung auf Twitter war von Grund auf eher Europa-feindlich.
Das belegt anschliessend auch der durchaus spannende Blick auf die Anzahl der non-humanoiden Tweet-Versender. Als "generated with heavy automation" bezeichnen Howard und Kollanyi Accounts, die "mindestens 50 Tweets am Tag, im Untersuchungszeitraum also 350 Tweets, absetzen" oder sich bereits eindeutig über den Namen als Bot outen. Diese Anzahl sei selbst von äusserst aktiven, menschlichen Twitter-Nutzern nur zu erreichen, wenn lediglich fremde Inhalte retweeted werden.
Quelle: COMPROP Research Note
Daher gehen die Wissenschaftler davon aus, dass der überwiegende Grossteil der "generated with heavy automation"-Tweets tatsächlich von Bots kommen. In konkreten Zahlen ausgedrückt bedeutet das:
  • 97.431 der 662.745 Pro-Brexit Tweets stammen von Bots
  • 28.075 der 186.279 Contra-Brexit Tweets stammen von Bots
  • 13.436 der 234.170 neutralen Tweets stammen von Bots
Setzt man die Zahlen in Relation so fällt auf, dass sowohl die Gesamtzahl der Tweets der Austritt-Befürworter als auch die Anzahl der Bot-generated Tweets die der anderen beiden Lager weit übertreffen. Es gibt gerade einmal doppelt so viele Kurznachrichten (186.279) - ob Bot oder Mensch -, die sich für Europa aussprechen. Bei 97.431 anders gesinnten Computern ist es nicht unlogisch, dass sich das Brexit-Lager auf Twitter durchsetzen konnte.

Fazit

Spätestens seitdem Facebook mit seinem Bot-Store die kleinen technischen Helferchen alltagstauglich gemacht hat, sind Bots auf dem Schirm der Menschen aufgetaucht. Doch selbst wenn User auf Facebook, Twitter und Co wissen, dass sie womöglich gerade mit einem Computer kommunizieren, ist das Bewusstsein über das Ausmass der Verbreitung und der Einflussnahme noch nicht beim Nutzer angekommen.
Insbesondere in politischen Debatten ist es äusserst heikel, wenn der Mensch nicht nachvollziehen kann, ob die Nachricht, die er gerade liest, von einem anderen Menschen kommt oder automatisch generiert wurde. Dieses Unwissen und den technischen Fortschritt machen sich immer mehr Parteien zu Nutze und setzen mehr und mehr Bots in die digitale Welt, die ihre Nachrichten unters Volk bringen.
Obwohl Howard und Kollanyi aufgrund ihrer Ergebnisse keinen direkten Einfluss auf den Wahlausgang nachweisen konnten, konnten die beiden dennoch "die starke Rolle von Bots in der politischen Diskussion um die Brexit-Debatte identifizieren."



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