Swisscom krebst zurück
Abschied vom Vier-Faser-Modell
So wollte man beim Thema Glasfasernetz möglichst alle Klippen umschiffen und fuhr zweigleisig. In den Städten ging Swisscom Kooperationen mit lokalen Energieversorgern ein, um die Kosten für FTTH zu teilen, das Risiko zu minimieren und keinen Ärger mit staatlichen Behörden zu provozieren, ob Bakom, ComCom, Weko oder Preisüberwacher. Jedoch war von Anfang an klar, dass nicht jeder noch so entfernte Ort der Schweiz mit Glasfasern bis ins Haus erschlossen wird. Das rief vermögende Gemeinden auf den Plan, ihr eigenes FTTH zu bauen.
Hinzu kam der latente Druck, den lokale Energieversorger und ehemalige Kabel-TV-Anbieter mit Unterstützung von Salt und Sunrise auf den ehemaligen Monopolisten ausübten. Zudem bläst seit Jahren Swissfibrenet zum Widerstand gegen Swisscom. Der grosse Gegenwind ist bisher aber ausgeblieben und in den meisten Fällen baut man ohnehin mit Swisscom als Partner. Dass sich der Kabel-TV-Bereich über Jahrzehnte erfolgreich der staatlichen Regulierung entzog und UPC Cablecom als Teil von Sunrise weiterhin frei agieren kann, steht nicht gerade für einen Kampf mit gleich langen Spiessen.
Neue Mischtechniken
Das Thema Anschlussnetz ist in der Schweiz also heiss umkämpft und der Wettbewerb zwischen Technologien (Kupfer-, Glasfaser-, Koaxialkabel oder Mobilfunk) oder Anbietern (Swisscom, UPC Sunrise, Salt, Quickline, lokale EWs/Kabelanbieter etc.) funktioniert offensichtlich gut. So erstaunt nicht, dass Swisscom unter Dauerdruck steht – seitens Behörden, Mitbewerbern, Aktionären (Dividende) oder Verwaltungsrat (Finanzziele).
Swisscom experimentierte intensiv, wie man aus uralten Kupferanschlussleitungen ohne grosse Investitionen das Optimum herausholen kann, auch um Swisscom TV überall anbieten zu können. Dies gelang dank Hybridtechniken (Glas und Kupfer) wie Fibre To The Cabinet (FTTC), Fibre To The Street (FTTS) und Fibre To The Building (FTTB). Für FTTS baute Swisscom in den Verteilschächten im Quartier ab ca. 2018 sogenannte mCANs (Micro Copper Access Nodes) ein, um das Glasfaserkabel bis Verteilschacht mit den Kupferkabeln in die Häuser zu verbinden. Swisscom gewährte Drittanbietern dabei einen freien Zugang zum Teilnehmeranschluss.
Für erste Unruhe sorgte die Kündigung des Vertrages mit dem Energieversorger Group E in Fribourg. Der Schlachtplan lautete: FTTH für alle, egal wer, egal wo. Doch unterwegs bekam Swisscom wegen der explodierenden Kosten kalte Füsse und kündigte nach dem ersten Ausbaudrittel überraschend den Vertrag. Er wurde erfolgreich neu verhandelt mit dem Ziel, dass Swisscom entscheiden kann, welche Technologie sie wo einsetzt.
Strategiewechsel: Kein «Dark Fibre» mehr
Spätestens Anfang 2020 begann Swisscom laut Weko sich in jenen Gebieten, in denen sie Glasfasernetze allein baut, vom Vier-Faser-Modell mit offenem Netzzugang und der Point-to-Point-Architektur (P2P) zu verabschieden. Zwar wurden weiterhin vier Fasern bis zum letzten Verteilschacht im Quartier eingezogen. Besonders auf dem Land wurden aus Kostengründen ab dort jedoch entweder Kupferdrähte weiterverwendet (FTTS) oder gesplittete Glasfasern (FTTH) bis in die Liegenschaften eingezogen. Statt den zuvor eingesetzten mCANs wurde eine Glasfaser mithilfe passiver optischer Splitter unter mehreren Anschlüssen aufgeteilt, was dem Point-to-Multipoint-Prinzip (P2MP) entspricht. Je nach Split-Verhältnis (meist 1:32 oder 1:64) ergeben sich damit tiefere Bandbreiten.
Ein solches PON (Passive Optical Network) folgt somit einer Baumstruktur, da sich mehrere Endkunden eine gesplittete Glasfaser ab Kabelschacht teilen. Solche PONs sind bei rund 90 Prozent aller weltweiten FTTH-Netze eine gängige Technik. Problem ist dabei der Wechsel vom bisherigen P2P-Schema zum P2MP-Prinzip. Beim Vier-Faser-Modell (P2P) werden zwei Fasern durch Swisscom und (falls vorhanden) den lokalen Energieversorger belegt, während die verbleibenden zwei oder drei Fasern unbeschaltet bleiben («Dark Fibre»). Diese stehen anderen Anbietern technologieunabhängig zur Verfügung.
Autor(in)
Rüdiger
Sellin