Bundestag gibt Zustimmung
16.10.2015, 12:41 Uhr
Vorratsdatenspeicherung: Die Folgen der Wiedereinführung
Heute hat der Bundestag das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Es ist bereits die zweite, überarbeitete und nicht weniger kritisch gesehene Auflage. Vor allem das Thema SMS sorgt für neuen Unmut.
Die grosse Kritik im Vorfeld änderte wenig am heutigen Beschluss des deutschen Bundestags: Dieser hat das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung abgesegnet. Es gab 148 Gegenstimmen vorwiegend von Linksfraktion und Grünen sowie sieben Enthaltungen, berichtet Focus.de.
Das neue Gesetz soll nun "die anlasslose, verdachtsunabhängige Speicherung von sogenannten Verkehrsdaten aller Bürger gesetzlich verankern". Es basierte auf Leitlinien, auf die sich Justizminister Heiko Maas (SPD) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) im April 2015 verständig hatten.
Rechtsstaatlich unzulässig und unverhältnismässig
Neu ist das Thema nicht: Vor fünf Jahren gab es ein erstes Gesetz zur Datenspeicherung. Das Bundesverfassungsgericht hatte die deutschen Regelungen allerdings für verfassungswidrig erklärt. Die damalige schwarz-gelbe Regierung konnte sich danach nicht auf eine Neufassung einigen. Die EU-weiten Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung hatte dann zuletzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2014 gekippt.
Auch die zweite Auflage stösst bei vielen auf Unmut. Vor allem die Opposition und viele Datenschützer halten auch den neuen Entwurf für rechtsstaatlich unzulässig und unverhältnismässig. Sie haben bereits juristischen Einspruch angekündigt.
Was wird gespeichert?
Ganz grundsätzlich sieht das neue Gesetz vor, die Kommunikationsdaten in Deutschland bis zu zehn Wochen lang zu speichern. Standortdaten sollen dabei nicht so lange gespeichert werden wie Verbindungsdaten.
Für das Festnetztelefon gilt: Gespeichert werden die Rufnummern beider Gesprächspartner sowie der Zeitpunkt des Telefonats. Wenn das Gespräch über IP-Telefonie (VoIP) läuft, werden auch die IP-Adressen inklusive der Benutzerkennung festgehalten.
Beim Handy oder Smartphone werden die Standortdaten erfasst. Zudem wird gespeichert, wer wann und wie lange mit wem telefoniert. Zudem gilt: Beim SMS- oder MMS- respektive Messenger-Verkehr werden die Verbindungsdaten gespeichert. Entgegen bisheriger Annahmen sollen nun auch die Inhalte erfasst werden, so Süddeutsche.de.
Beim Surfen im Internet werden die IP-Adressen gespeichert, zudem Datum und Uhrzeit der Internetnutzung. E-Mails sind ausgenommen.
Wer speichert wozu?
Telekommunikationsunternehmen speichern die Daten "auf gesonderten Speichern mit besonderem Schutz vor Internetzugriffen", erklärt das Bundesjustizministerium. Nach Ablauf der Speicherfrist müssen die Daten dann gelöscht werden, Standortdaten nach vier Wochen, alle anderen Daten nach zehn Wochen.
Zugriff darauf haben Ermittlungsbehörden wie Staatsanwaltschaft und Polizei bei schweren Straftaten wie Terrorismus, Mord oder schwerem Raub. Zuvor muss aber ein Richter zugestimmt haben.
Davon ausgenommen sind Daten von telefonischen Beratungsstellen und Berufsgeheimnisträgern wie Seelsorgern, Anwälten, Ärzten und Journalisten. Diese dürfen nicht gespeichert respektive bei einer Speicherung nicht verwendet werden.
Das sagt die Branche zum neuen Gesetz
Der Digitalverband Bitkom sieht die Verabschiedung des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung im Bundestag kritisch. "Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wird im Eilverfahren durch das Parlament gebracht. Aus unserer Sicht hätte es die Möglichkeit zur intensiveren Diskussion dieses umstrittenen Themas geben müssen", meint Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Bei der Vorratsdatenspeicherung müssten Sicherheitsinteressen und Bürgerrechte sehr sorgfältig abgewogen werden. "Es ist fraglich, ob die angestrebten Ermittlungserfolge einen derart starken Eingriff in die Grundrechte der Bürger rechtfertigen", so Rohleder.
Hoher technischer und personeller Aufwand
Der Bitkom gibt auch zu bedenken, dass das Gesetz für die Telekommunikationswirtschaft einen hohen technischen und personellen Aufwand bedeutet. "Die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung ist für die Unternehmen sehr aufwändig und wird nach unseren Schätzungen einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag kosten", sagte Rohleder.
Kritisch sieht der Bitkom auch, dass die betroffenen Unternehmen im Gesetzgebungsverfahren nicht gehört wurden. "Die Telekommunikationswirtschaft muss die gesetzlichen Vorgaben umsetzen, wurde zur praktischen Ausgestaltung des Gesetzes aber gar nicht gefragt", so Rohleder. Das habe zum Beispiel zu Formulierungen geführt, nach denen "die Speicherung entkoppelt vom Internet" erfolgen soll. Noch sei unklar, wie eine solche Vorgabe umzusetzen ist. Rohleder: "Die Unternehmen müssen sich auf eine längere Phase der Rechtsunsicherheit einstellen, weil das Gesetz mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder vor dem Verfassungsgericht landen wird."
"Das Gesetz bringt nur Verlierer hervor"
"Die Bundesregierung hat hier im Eiltempo ein Gesetz auf den Weg gebracht, das in dieser Form letztlich nur Verlierer hervorbringen wird", so Oliver Süme, eco Vorstand Politik und Recht. Bürger müssten eine Beschneidung ihrer Grundfreiheiten ertragen, die betroffenen Unternehmen blieben auf Kosten von geschätzt 600 Millionen Euro sitzen, die sie für die Einrichtung entsprechender Speicherinfrastruktur ausgeben werden, und auch der Nutzen für die Strafverfolgung sei mehr als fraglich.
"Im Grundsatz handelt es sich hierbei um eine netzpolitische Fehlentscheidung, die wahrscheinlich vermeidbar gewesen wäre, wenn sich die Bundesregierung sorgfältiger mit den Einwänden der Wirtschaft auseinandergesetzt hätte", resümiert Süme.
"Schutz ist höchst unvollkommen"
Auch die die Journalisten- und Medienorganisationen BDZV, DJV, dju in ver.di, VDZ und VPRT sowie die ARD zeigen sich erwartungsgemäss wenig begeistert: "Die von der Bundesregierung geplante Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung schadet dem Informantenschutz und schränkt dadurch die Presse- und Rundfunkfreiheit in Deutschland in unvertretbarem Masse ein. Soweit der Abruf der gespeicherten Daten durch Staatsanwälte und Polizeibehörden unzulässig sein soll, ist der vorgesehene Schutz höchst unvollkommen und gefährdet die journalistische Berichterstattungsfreiheit. Sollte das Gesetz Realität werden, können Journalisten ihren Quellen keinen Schutz vor Aufdeckung mehr bieten."