Data-Center
02.03.2020, 08:18 Uhr
Gleichstrom erobert das Rechenzentrum
Wenn Digitalisierung auf Energiewende trifft, sind neue Konzepte gefragt. Durch die Umstellung von Wechsel- auf Gleichstrom steigt die Effizienz eines Rechenzentrums deutlich.
Rechenzentren brauchen Kapital und Energie, um den Produktionsfaktor Daten ausfallsicher zu handhaben. Das Problem dabei: Deutschland hat bereits mit die höchsten Strompreise Europas, und ein Ende der Kostenexplosion ist nicht zu erwarten - nicht zuletzt aufgrund der Anforderungen durch die Energiewende und den Kampf gegen den Klimawandel.
Um den gerade auch durch die Digitalisierung rasant wachsenden Energiebedarf in den Griff zu bekommen, suchen Unternehmen händeringend nach Stromsparpotenzialen für ihre Rechenzentren. Ein Hoffnungsträger in diesem Kampf um Energieeffizienz heisst Gleichstrom.
Stromfresser Rechenzentren
Der Energiebedarf der Rechenzentren wird in absehbarer Zeit überproportional weiterwachsen, warnen Experten. Laut der IDC-Studie „Data Age 2025 - The Digitization of the World“ sollen die globalen Datenbestände von 33 Zettabyte im Jahr 2018 auf 175 Zettabyte 2025 steigen, das entspricht einem Wachstum von 530 Prozent. Deutsche Rechenzentren verbrauchen schon jetzt so viel Energie wie vier mittelgrosse Kraftwerke herstellen, schätzt die gemeinnützige RAL GmbH, die Vergabestelle des Umweltzeichens Blauer Engel der Bundesregierung und des europäischen Umweltzeichens EU Ecolabel.
Der Branchenverband Bitkom beziffert den aktuellen Stromverbrauch deutscher Rechenzentren auf 12 Terawattstunden (TWh) pro Jahr. Laut der Prognose von Fraunhofer IZM und Borderstep Institut werden im laufenden Jahr die 14 TWh überschritten. Bis 2025 soll der jährliche Bedarf auf rund
16,4 TWh ansteigen.
16,4 TWh ansteigen.
“„Die meisten Rechenzentren in Deutschland (…) nehmen eine Spitzenstellung bei der Energieeffizienz ein.“„
Angesichts dieser Dimensionen schlägt ein Faktor besonders kostentreibend zu Buche: die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Der Jahresenergiebedarf ist so hoch, dass er aus Sicht des Bitkom die Aufnahme von Rechenzentren in die Liste der stromkostenintensiven Branchen rechtfertigen würde - wodurch der Sektor von der EEG-Umlage befreit wäre. Das würde, so Roman Bansen, Bitkom-Referent für IT-Infrastrukturen, „die Chancengleichheit im europäischen Umfeld erheblich verbessern“.
Derzeit ist das aber nicht mehr als ein frommer Wunsch. Zu befürchten ist vielmehr, dass die deutsche Rechenzentrums-Branche, obwohl sie führend in puncto Energieeffizienz ist, aufgrund der hohen Strompreise weltweit kontinuierlich an Marktanteil verlieren wird. Zu diesem ernüchternden Schluss kamen 2018 das Borderstep Institut und der eco-Verband in der Studie „Bedeutung digitaler Infrastrukturen in Deutschland“.
Gleichstrom vs. Wechselstrom
Vor der Energiewende hat sich die Frage Gleichstrom oder Wechselstrom für Rechenzentren nicht gestellt. Erst das Thema erneuerbare Energiequellen hat die Problematik ans Tageslicht gebracht. Zudem ist die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung eine vergleichsweise junge Technologie. IT-Geräte wie Server, Storage oder Switches sowie andere ITK-Komponenten nutzen intern Gleichstrom (DC für Direct Current), typischerweise mit je 12 Volt pro Leitung. In einem konventionellen Rechenzentrum beziehen sie jedoch Wechselstrom (AC für Alternate Current) mit 220 Volt Spannung je Leitung aus den Leistungsverteilern. Die Umwandlung von Wechselstrom in Gleichstrom erfolgt im Netzteil der Geräte und geht in jedem Fall mit hohen Energieverlusten, vorwiegend in Form von Abwärme und elektromagnetischen Störfeldern, einher.
AC-zu-DC-Transformatoren geben ihre Abwärme in direkter Nähe temperatursensibler IT-Bauteile ab. Dies erhöht sowohl den unmittelbaren Bedarf an aktiver Kühlung als auch die Kosten eines Betriebsausfalls der Kälteanlagen. „Der entscheidende Kostenverursacher im Rechenzentrum ist die Wärmeentwicklung“, beobachtet denn auch Heinz Schramm, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters Alliance Trading EMEA GmbH, und urteilt: „Lüftungs- und Kühlsysteme sind dabei wahre Ressourcenfresser.“
Die Notwendigkeit der Abführung beziehungsweise Neutralisierung der Abwärme und der Abschirmung elektromagnetischer Störfelder reduziert die erzielbare Systemdichte und erhöht so den ökologischen Fussabdruck der ITK-Elektronik.
Zusätzliche Herausforderungen entstehen, wenn die Hauptversorgung ausfällt. Batterien und Notfallaggregate liefern nämlich keinen Wechselstrom, sondern Gleichstrom. Zur Gewährleistung einer unterbrechungsfreien Energieversorgung muss also zuerst eine Konvertierung von Gleichstrom in Wechselstrom und dann wieder zurück stattfinden, stets unter Erhaltung der Netzfrequenz.
Auch Selbstversorger haben es nicht leicht. Denn „grüne“ Energiequellen wie Fotovoltaik-Anlagen oder Windturbinen erzeugen von sich aus ebenfalls Gleichstrom. Jede Umwandlung von Gleichstrom in Wechselstrom und umgekehrt geht mit beachtlichen Energieverlusten und mit einem hohen Platzbedarf einher.
“„Der entscheidende Kostenverursacher im Rechenzentrum ist die Wärmeentwicklung.“„
Ausrüstern wie ABB, Amstein+Walthert und Stulz zufolge könnte ein Rechenzentrum durch den Wegfall diverser Umwandlungsschritte auf dem Weg von der Einspeisung bis hin zum Endgerät eine Effizienzerhöhung von mehr als 10 Prozent realisieren. „Mit der Gleichstromlösung lässt sich ein erheblicher Teil der Energiekosten sparen“, sagt auch Heinz Schramm. Und bei den Anschaffungskosten der elektrischen Infrastruktur sei eine Reduktion von etwa 15 Prozent zu erwarten. Die höhere Systemdichte soll ausserdem den Platzbedarf um bis zu 25 Prozent reduzieren. Dies wirkt sich direkt auf die Gesamtinvestitionskosten aus.
Ein weiterer Vorteil des Gleichstroms: Ein Data-Center benötigt mehrere redundant ausgelegte Energiequellen, um einen unterbrechungsfreien Betrieb und die erforderliche Datenintegrität zu gewährleisten. Die Zuverlässigkeit der Stromversorgung liesse sich dank Gleichstrom aufgrund der geringeren Komplexität auf das Zehnfache steigern, hat wiederum der TK-Konzern NTT vorgerechnet. Der durchgängige Einsatz von Gleichstrom könnte Experten zufolge die gesamte Energieversorgungskette des Rechenzentrums vereinfachen und nebenbei auch die Anbindung der Stromverbraucher an regenerative Energiequellen erleichtern.
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Gleichstrom würde zu einer höheren Energieeffizienz vor allem durch drei Faktoren beitragen:
Wegfall der DC-zu-AC-Umwandlung bei Selbstversorgern: Regenerative Energiequellen wie Windturbinen und Fotovoltaik-Anlagen erzeugen Gleichstrom; die umständliche Umwandlung von Gleichstrom in Wechselstrom zur Einspeisung ins eigene Netz entfällt für ein Gleichstrom-Rechenzentrum.
Wegfall der AC-zu-DC-Umwandlung im Rechenzentrum: IT-Geräte laufen mit Gleichstrom statt mit Wechselstrom; die sensible IT-Elektronik erfordert bisher eine Umwandlung von Wechselstrom (zurück) in Gleichstrom.
Starke Reduktion von Streuverlusten bei Hochspannung: Die Übertragung von Gleichstrom über hohe Distanzen reduziert die Streuverluste gegenüber Wechselstrom; mit Technik zur Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ), etwa von Siemens, liessen sich beispielsweise Rechenzentren in Frankfurt mit Energie aus regenerativen Quellen an der Ostseeküste versorgen.
Open Source für Gleichstrom
Für eine Versorgung mit Gleichstrom sind Rechenzentren wie geschaffen. Aufgrund der Homogenität der Anforderungen seitens der ITK-Anlagen kommen Data-Center im Vergleich zur sonstigen Industrie mit einer geringen Zahl an Spannungsniveaus aus. Damit halten sich auch die erforderlichen Komponenten in Grenzen. Professor Rik W. De Doncker von der RWTH Aachen bringt die Vorteile von Gleichstrom auf den Punkt: „Mehr Silizium, weniger Kupfer und Stahl.“
„Eine konsequente Verwendung der Gleichstromtechnologie im Rechenzentrum ist wirtschaftlicher und effizienter als die konventionelle Wechselstromtechnologie“, urteilte bereits vor drei Jahren eine Studie von Amstein + Walthert im Auftrag des Schweizer Bundesamts für Energie BFE. Es fehlten zu jenem Zeitpunkt allerdings noch technische Standards der Komponenten und Schnittstellen. Inzwischen hat sich die Lage in diesem Punkt verbessert, nicht zuletzt dank Initiativen wie Open Compute Project (OCP) und Open19. Auch konkrete Produkte liessen lange auf sich warten. Doch mittlerweile boomt die Nachfrage.
OCP ist ein Projekt zur Entwicklung quelloffener Hardware-Standards, um reibungslose Interoperabilität und massive Skalierbarkeit zu gewährleisten. Zu den treibenden Kräften zählen - neben Gründungsmitglied Facebook - Intel, Nvidia, Rackspace und Goldman Sachs. Die Deutsche Telekom, Rittal und Schneider Electric sind als „Sponsoren“ an vorderster Front mit dabei. Im Vorstand sitzt der aus Deutschland stammende Visionär und Investor Andreas von Bechtolsheim, Gründer unter anderem von Sun Microsystems und Arista Networks.
Während OCP vorrangig die Bedürfnisse von Hyperscale-Data-Centern berücksichtigt, geht es der Open19 Foundation um Rechenzentren beliebiger Grösse - von Rechenzentren mit mehreren Hunderttausend Servern bis hin zu Micro-Data-Centern an Edge-Standorten der Industrie 4.0.
Erklärtes Ziel der Open19 Foundation ist es, Ineffizienzen im Betrieb von Rechenzentren durch offene Spezifikationen und die Energieversorgung der Racks mit Gleichstrom auszumerzen. Zu den Mitgliedern zählen neben anderen Microsoft, HPE, Rittal und Schneider Electric.
Open19 definiert einen gemeinsamen Formfaktor sowie die Eckdaten der Stromversorgung und der Netzwerkkonnektivität für Server, Storage und andere IT-Komponenten. Anders als OCP legt die Open19-Spezifikation aber weder das Design von Mainboards noch die zulässigen Prozessortypen oder Netzwerkkarten fest.
Neue Racks für Gleichstrom
Im Rahmen von OCP und Open19 entstehen quelloffene Standards auf der Basis interoperabler Hardware-Architekturen zum Aufbau homogener, skalierbarer und energieeffizienter Rechenzentren. Zur Gewährleistung einer unterbrechungsfreien Energieversorgung kommen dabei als Rack-Systeme nur noch ein oder zwei sogenannte Power-Shelves mit (n+1)-Netzteilen pro Rack zum Einsatz; diese versorgen alle ITK-Komponenten im betreffenden Server-Schrank mit Gleichstrom. Dieses Design reduziert den Platzbedarf, erhöht die Systemdichte und erleichtert die Kühlung. Die hohe Standardisierung des Formfaktors und der übrigen technischen Eckdaten vereinfacht Ersatzteilmanagement, Inbetriebnahme und Wartung. OCP bevorzugt Schränke mit einer Breite von 21 Zoll, kann jedoch auch Standardkomponenten mit 19-Zoll-Formfaktor unterbringen. Open19 setzt auf eine einheitliche Rack-Grösse von 19 Zoll.
Ein OCP-Schrank wird ausschliesslich von der Vorderseite aus bedient. Die Energieverteilung erfolgt auf der Rückseite des Racks via 12- oder 48-Volt-Stromleiste, die beim Einschub einer IT-Komponente automatisch Kontakt mit dieser aufnimmt. Ein Open19-Rack wiederum verfügt über einen speziellen Kabelbaum auf der Rückseite. Das Konzept von OCP erlaubt eine schnelle Montage und einen zügigen Austausch von Modulen. Allerdings lässt sich der Strombedarf einzelner Verbraucher so nicht messen. Der Open19-Kabelbaum hat dieses Problem nicht. In beiden Fällen kann jedes Rack über eine optionale unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV) verfügen. Zur Gewährleistung von Redundanz können OCP- und Open19-basierte Rechenzentren die Gleichrichter aus getrennten Stromnetzen versorgen.
Beispiel Bachmann
Die Stromversorgung von ITK-Komponenten mit Gleichspannung (DC) anstelle von Wechselspannung (AC) ist durchaus bereits gelebte Praxis. Ein Gleichstrom-Rechenzentrum betreibt etwa seit mehreren Jahren Bachmann Systems in Stuttgart. Zur Realisierung des Projekts hat das Unternehmen ein Micro-Grid konzipiert. Klimaanlagen, Beleuchtung sowie sämtliche Server und Geräte im Rechenzentrum beziehen Energie aus diesem mit 380-Volt-Gleichstrom betriebenen Micro-Grid. Als umweltfreundliche Stromquelle fungieren Fotovoltaikmodule auf dem Dach.
Konfigurationen der Leistungsverteilung mit höherer Gleichspannung (HVdc für Higher Voltage direct current) wie bei Bachmann Systems hätten das Zeug dazu, den Energieverbrauch zu senken und die Effizienz im Rechenzentrum zu steigern, glauben Forscher von The Green Grid, einem gemeinnützigen Industriekonsortiums, das sich mit internationaler Reichweite für eine höhere Energieeffizienz einsetzt. Rechenzentrumsbetreiber, Hardware-Hersteller und andere Beteiligte müssten sich vorab aber auf globale HVdc-Standards einigen, appelliert The Green Grid. Dadurch liessen sich unnötige Kosten vermeiden und Ineffizienzen beheben - Hindernisse, die die Branche im Zusammenhang mit der Entstehung unterschiedlicher Wechselstromsysteme aus Sicht des Konsortiums immer noch plagen.
Fazit & Ausblick
Durch Umstellung auf Gleichstrom-Technik wollen RZ-Betreiber steigenden Energiekosten Einhalt gebieten. Erste Erfolge zeichnen sich ab. Zwar ist die erstmalige Umrüstung eines Rechenzentrums auf HVdc mangels etablierter Standards mit einem erheblichen Aufwand verbunden, doch kommen die Effizienzgewinne durch Wegfall der Wandlungsverluste dem Betreiber danach kontinuierlich zugute.
„Ein erhebliches Effizienzpotenzial“ bestätigt der Gleichstrom-Technik eine Studie der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags vom April 2019. OCP hat hierzu bereits konkrete Zahlen: Ein typisches mit Wechselstrom betriebenes Rechenzentrum erreicht danach eine Systemeffizienz von 77 Prozent. Ein HVdc-RZ mit 400 Volt Gleichstrom nach OCP-Vorgaben würde die 90-Prozent-Marke durchbrechen und damit 16,8 Prozent Systemeffizienz gewinnen. Auf solche Rechenzentren setzt zum Beispiel schon Nokia in Finnland.
Gleichstrom-Rechenzentren und -Racks halten nicht nur bei Hyperscalern, sondern auch in kleineren Rechenzentren Einzug, nicht zuletzt in der TK-Industrie. Das schlägt sich auch in Umsatzzahlen nieder. Laut dem Marktforschungsunternehmen IHS Markit haben Mitglieder der OCP-Foundation 2018 mit quelloffener Rechenzentrumsausrüstung 2,5 Milliarden Dollar Umsatz erwirtschaftet - hinzu kommen noch die Verkäufe an Hyperscaler wie Facebook, Microsoft oder Rackspace.